Von Ushuaia durch den grossen Süden Chiles und Argentiniens nach Futaleufú

Sur Grande, der grosse Süden zwischen Ushuaia und Puerto Montt – nebst der Atacama-Wüste die naturbelassenste Region Chiles. An der pazifischen Westküste des patagonischen Chiles und Argentiniens gibt es unendlich viel zu entdecken.

Am Dienstag, 5. April 2016, verlassen wir Ushuaia. Wir wollen einen Abstecher durch den chilenischen Teil Feuerlands machen. Es ist bereits Nachmittag, als wir den kleinen Grenzübergang Bellavista passieren und so wecken wir mindestens ein Dutzend Beamte und Wachmänner aus dem Siesta-Schlaf. Das Prozedere ist uns mittlerweile vertraut. Zuerst geht es zur Migracion, wo die Pässe einen Ausreisestempel erhalten. Dann stellt man sich ans nächste Pult, zur Aduana. Das gleiche Spiel im Einreiseland: für die Personeneinreise zur Migracion und für die temporäre Einfuhrerlaubnis zur Aduana. Oft muss noch das eine oder andere Formular ausgefüllt werden. Dann folgt die Kontrolle des Fahrzeugs. Das alles geht meist sehr gemächlich zu und her. Klare Arbeitsteilung wird hochgeschrieben. Heute warten wir beim argentinischen Zollbeamten, bis er in aller Seelenruhe die Linien auf der neuen Seite im Buch gezogen hat, wo er unsere Daten handschriftlich einträgt. Hier gibt es noch keinen Computer. Doch wir wollen uns nicht beklagen. Auch wir haben keine Eile und die Bürokratie hält sich noch in Grenzen.

Magellanes, die südlichste Provinz Chiles, ist ein einsames Gebiet. Die wenigen Orte tragen Namen wie Porvenir (Zukunft) oder Ultima Esperanza (letzte Hoffnung). Man hat hier, noch mehr als in Ushuaia, das Gefühl am Ende der Welt angekommen zu sein. Auf Schotterpisten fahren wir vorbei an unendlichen Steppenweiden. Ab und zu tauchen weisse Häuser mit roten Dächern von Schaf-Estancias auf. Wir lachen, als wir ein entflohenes Schaf, das die letzte Rasur im vergangenen Dezember wohl verpasst hat, eifrig mit einer Herde Guanakos mitrennen sehen. Die Schafzucht ist nebst dem Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig Patagoniens.

Als unser Weg in die Wälder und entlang von Flüssen und Bächen führt, fallen abgestorbene Bäume mit silbrig grauer Rinde und unzählige Staudammbauten auf. Der Biber, einst aus Kanada als Pelztier importiert, entkam seiner Farm. Mangels natürlicher Feinde vermehrt er sich seit Jahrzehnten ungestört und hat sich mittlerweile zu einem grossen Problem Feuerlands entwickelt.004 BiberdämmeWir stellen Rudolph an den Waldrand am Ufer des Lago‘s Blanco und verbringen eine völlig ruhige Nacht in einsamer Natur.

Wir erreichen die Bahía Inutíl, jene nutzlose Bucht, in der sich Magellan ein weiteres Mal die Ost-West-Passage erhoffte. Die Bucht ist zwar an der Magellanstrasse gelegen, aber ein Durchkommen gibt es hier nicht. Dafür aber eine ganz andere Sensation: Königspinguine! Seit wir an der Chilenischen Grenze das Plakat des Parque Pingüino Rey gesehen habe, bin ich schon ganz aufgeregt. Königspinguine erwartet man doch in der Antarktis oder zumindest im Eis, nicht aber in der Steppengraslandschaft auf Feuerland, oder? Die kleine Population mit je nach Saison 20 bis 80 Pinguinen hat sich hier erst vor wenigen Jahren wieder angesiedelt. Sie ist die einzige Kolonie in Patagonien, ja in ganz Südamerika. Es ist eine einzigartige Gelegenheit, die Tiere von Nah in frei lebender Natur zu beobachten. Ich kann unser Glück fasst nicht glauben. Wir trotzen den heute besonders bissig kalten Temperaturen mit eisigem Wind, um die putzigen Frackträger solange zu beobachten, bis wir fast eingefroren sind. Dabei steht der Winter der Kolonie mit ihren rund 20 Jungtieren noch bevor. Die Naturschützerin des Parks erzählt uns, dass letztes Jahr gerademal ein Junges überlebt hat. Wir hoffen ganz fest auf eine bessere Saison!

Wir kommen nach Porvenir, einem verschlafenen Ort, wo viele Nachfahren kroatischer Siedler leben, die auf der Suche nach Gold nach 1880 auf die Insel kamen. Nach einer ruhigen Nacht an einem einsamen See geht es mit der Fähre über die Magellanstrasse zurück aufs Festland. Von rechts sind wir über die Ruta 3 gekommen. Heute geht es nach links, auf die Ruta 9 in Richtung Norden.

Wir freuen uns, noch mehr von Chile zu entdecken. Das Land, das wegen seiner eigenwilligen Geografie einfach alles zu bieten hat. Schmal erstreckt es sich zwischen Pazifik und Anden über gut 4300 Kilometer entlang halb Südamerika. Entsprechend vielfältig sind die Landschaften und Klimazonen: ewiges Eis und vulkanisches Feuer, heisse Quellen, Fjorde und zahllose Inseln wie in Skandinavien, riesige Wälder und Seengebiete, Strände, hohe Anden und die trockenste Wüste der Welt.

Des Sitzens im Auto langsam müde, sehnen wir uns nach Bewegung! Wir freuen uns auf ein paar herbstliche Wandertage. Die Ruta 9 bringt uns bis nach Puerto Natales. Von der kleinen Hafenstadt mit ihren bunten Blechhäuschen wollen wir in den grossartigen Nationalpark Torres del Paine aufbrechen. Doch es gibt noch was zu erledigen: der letzte Blogbeitrag stellen wir im Hostel-Camping Josmar fertig und dann geht’s endlich los!

Asphaltierte Hauptstrasse oder Schotterpiste? Einmal mehr entscheiden wir uns für die holprige, aber landschaftlich attraktivere Route. Die Piste führt uns zum Südeingang des Parks und zu einem günstigen Zufall. Die Dame der Rancher-Station teilt uns nett mit, dass wir keinen Eintritt bezahlen müssten. Hier und heute nicht, warum auch immer, wir sind froh darum.001 Fahrt zum P.N.Der bekannteste Nationalpark Chiles ist eine Wunderwelt aus imposanten Gipfeln, Gletschern und Eisbergen, blaugrünen Seen, Wasserfällen und Wäldern. Es ist ein Paradies für Bergsteiger und Wanderer. Ein spektakulärer Anblick bilden die Cuernos del Paine, hörnerartige Gipfel. Die Hauptattraktion sind aber die eigentlichen Torres del Paine, die Türme der Paine. Paine heisst in der Sprache der Ureinwohner, der Tehuelche-Indianer, himmelblau. Torres del Paine heissen also die Türme des blauen Himmels, deren drei scharfgezackte Felsnadeln aus Granit oft in Wolken gehüllt sind. Der höchste Berg ist aber der mit 3050 Meter hohe von Gletschern überzogene Cerro Paine Grande. Auf der längsten Trekkingtour des Parks, dem Circuito oder O-Trail, kann das ganze Massiv einmal umrundet werden. Der Vorderteil dieser Strecke bildet das W, die 75 Kilometer lange Trekkingtour in W-Form. Dieser Weg ist besonders beliebt, da er die wichtigsten Sehenswürdigkeiten miteinander verbindet. In der Hochsaison von Dezember bis April pilgern zahllose Wanderer aus aller Welt in den Park. Die Besucherzahlen steigen zunehmend. Besonders der W-Pfad ist in Stosszeiten heillos überlaufen. Der Andrang hinterlässt seine Spuren und gefährdet das fragile Ökosystem.

Jetzt im Herbst ist Nachsaison. Nebst Ruhe auf den Wanderwegen gibt es verfärbte Bäume und weniger starke Winde. Der O-Trail ist geschlossen und wir beschliessen, einen Teil des W’s und weitere Tagestouren zu laufen. Erste Station heisst Glaciar Grey. Wir stellen uns zwischen die wenigen Touristenbusse auf den Parkplatz vor der Rancher-Station.001 bei Rancher-Station Glaciar GreyZu eifrig und unüberlegt brechen wir zur ersten Wanderung auf. Wir wollen nur kurz zum Mirador (Aussichtspunkt) auf dem Hügel oberhalb des Parkplatzes. Eine Stunde hin und zurück steht auf der Karte. Nach einer Stunde geht der Weg noch weiter hoch. Langsam bekommen wir Durst. Da es keinen Bach gibt, machen wir vorzeitig kehrt. Schade, aber es soll uns eine Lehre sein. Von nun an brechen wir nicht mehr ohne Rucksack mit Proviant auf. Nach einem Picknick geht es zum Lago Grey. Über einen Strand gelangt man zu einer Halbinsel, von wo wir einen tollen Blick auf den Gletscher geniessen. Die im grauen Gletscherwasser schwimmenden Eisblöcke sind so kitschig blau, dass sie nicht wirklich in das in weiche Herbsttöne eingefärbte Panorama passen.

Nach ein paar weiteren Wanderungen verschieben wir unseren Stellplatz ans Ufer eines anderen See: zum Lago Pehoé, unweit vom Wasserfall, dem Salto Grande. Von hier aus führt ein Spaziergang zum Lago Nordenskjöld, von wo man einen wundervollen Blick auf die Cuernos geniesst. Die zweifarbigen Zipfel erheben sich in fantastischem Kontrast zum türkisblauen Wasser. Hier könnten wir stundenlang sitzen, auf das Panorama starren und darauf warten, bis sich mit Grollen wieder ein Stück Eis vom Cerro Paine Grande löst.

Der Wanderweg dorthin führt an silbrig grauen, abgestorbenen Bäumen vorbei. 2005 und beim Jahreswechsel 2011/2012 vernichteten verheerende Brände Grossteile der Wälder und Steppenvegetation. Beide Brände wurden leider durch unachtsame Touristen verursacht.

Kalte und stürmische Böen ziehen auf, als wir auf dem Parkplatz des Hotels Las Torres ankommen. Wir hoffen dennoch, anderntags den Aufstieg zu den Füssen der Torres Felsnadeln machen zu können. Doch es bleibt grau, kalt und regnerisch. Wir fragen im Hotel, ob es die Möglichkeit zum Duschen gäbe und werden zum Spa-Bereich mit Sauna geschickt. Was könnte uns heute Besseres passieren? Als wir anderntags bei Sonnenaufgang zu den Torres aufbrechen, verspricht es ein schöner Tag mit klarer Sicht zu werden. Während der achtstündigen Wanderung wird das Wetter aber zunehmend düsterer. In den Höhen kommen wir in Schneegestöber. Starker Nebel versperrt uns leider die Sicht auf die Lagune und die Granitberge.

Die letzte Nacht verbringen wir an der nördlich gelegenen Lagune Azul. Beim Frühstück lichtete sich der Nebel und uns eröffnet sich doch noch ein letzter Blick auf die Granitgipfel der Torres del Paine.

Nach einer Woche geht uns der Proviant aus und wir verlassen den Park und damit vorläufig auch Chile. Wir gelangen erstmals auf unserer Reise auf die legendäre Ruta Nacional 40. Die Cuarenta ist das westliche Rückgrat Argentiniens und mit ihren über 5000 Kilometern länger als die Route 66. Seit die Strasse vor einigen Jahren von der Tourismusbehörde als Marketingprodukt entdeckt wurde, wird an ihrer Asphaltierung fleissig gearbeitet. Damit lässt sie sich zwar wesentlich schneller und komfortabler befahren, aber verliert doch irgendwie an ihrem Reiz und Charme.

Wir sind wieder in der Provinz Santa Cruz, wo der Parque Nacional Los Glaciares gleich nördlich an den Torres del Paines angrenzt. Auf der Grenze zwischen Chile und Argentinien erstreckt sich eine riesige Eisfläche. Nach der Antarktis und dem Grönlandeis ist der Campo Hielo Sur die drittgrösste zusammenhängende Eismasse der Welt. Mit 22‘000 km2 entspricht sie gut der Hälfte der Fläche der Schweiz. Das Spezielle dieser patagonischen Gletscher liegt darin, dass sie sich fast auf Höhe des Meeresspiegels befinden. Der grösste ist der Upsala, der spektakulärste und meistbesuchte ist aber der Perito-Moreno-Gletscher. Er liegt im Süden des Nationalparks Los Glaciares.

Wir haben die Nacht in der Nähe des Parkeingangs verbracht. Das Wetter ist heute leider regnerisch trüb. Von den Laufstegen und Aussichtsplattformen auf der Halbinsel Península de Magellanes geniessen wir dennoch den Blick auf die über fünf Kilometer lange Gletscherzunge, deren Eiswand sich 50 bis 60 Meter hoch über den Lago Argentino erhebt. Der Perito-Moreno gehört zu den wenigen weltweit wachsenden Gletschern. Er schiebt sich jeden Tag um rund ein bis zwei Meter nach vorne und wächst damit schneller nach, als er unten am Ende abbaut. Allerdings hat sich sein Wachstum infolge des Klimawandels verlangsamt. Wir lauschen, halten den Atem an. Warten bis es knackt und kracht. Bis sich Risse in der riesen Eiswand bilden, Eisbröcke in den See stürzen und kleine Flutwellen auslösen. Gänsehaut pur!

Am Südufer des Lago‘s Argentino, 80 Kilometer vom Perito-Moreno entfernt, liegt der touristische Ort El Calafate. Wir stellen uns ans Seeufer. Ganz erstaunt entdecken wir im milchig-grünen Gletscherwasser sich tummelnde Flamingos. Wir verbringen ein paar ruhige Tage. Schlendern durch das Städtchen, setzen uns auf eine der vielen Terrassen eines Cafés und geniessen das sonnige Herbstwetter.

Wir fahren in den nördlichen Teil des Parque Nacional Los Glaciares zu einer weiteren Hauptattraktion: dem Monte Fitz Roy. Mit 3375 Meter nicht der höchste, aber einer der berühmtesten Berge Argentiniens. Waghalsige Alpinisten beklettern die technisch anspruchsvolle Vertikale. Wir begnügen uns mit einer Rundwanderung. Gut sieben Stunden führt uns der Pfad durch orange leuchtende Wälder, vorbei an türkisfarbenen Seen und an Elvis, dem Specht mit der coolen Haarlocke 🙂 Das Wetter spielt mit und wir geniessen gute Sicht auf die imposanten, spitzigen Felsnadeln.

001 Panorama Fitz Roy

El Chaltén – rauchender Berg, so hiess der oft in Wolken eingehüllte Fitz Roy in der Sprache der Tehuelche. Heute ist El Chaltén der kleine Ort, von wo die Touren starten. In der Nachsaison ist hier nicht viel los. Überall sind die Einheimischen am Hämmern und Sägen. Das erst 1985 gegründete Dorf lebt und wächst vom Tourismus und so erhöht manch einer sein Häuschen um einen weiteren Stock.

Weiter geht es auf der Ruta 40 durch ein einsames Stuck Steppenwüste. Für Abwechslung sorgt wie so oft ein Guanako, ein Hase oder ein Fuchs. In einsamer Gegend liegt der 5000-Seelenort Gobernador Gregores. Auf dem Camping Municipal gibt es gegen Entrichtung eines Trinkgelds warmes Wasser und einen netten Picknickplatz mit typisch argentinischer Grillstelle. Abends gesellen sich Estela und Carlos, ein paraguayisches Rentnerpaar, zu uns. Sie standen schon in El Chaltén neben uns auf dem Parkplatz. Sie wollen währen zehn (!) Jahren einmal um die Welt reisen. Un Paraguayo rodando el mundo – Wir drücken dem netten Paar mit ihrem voll bepackten VW-Bully dazu fest die Daumen!

Ein paar weitere Kilometer nördlich verlassen wir die Ruta 40. Wir wollen auf das chilenische Pendant, auf die Carretera Austral, gelangen. Vor der Grenze liegt am Lago Buenos Aires der herzige Ort Los Antiguos. Nach der patagonischen Steppe ist dieser Ort so ganz anders. Eine sonnige Oase, wo mit Pappel-Alleen beschützt Kirschen, Äpfel, Erdbeeren, Aprikosen und Pfirsiche gedeihen.

Über die Grenze geht es nach Chile Chico. Seit ein paar Tagen sitzen wie im Dunkeln. Unsere Zweitbatterie, welche für die elektrische Versorgung des Wohnraums sorgt, hat ihren Geist aufgegeben. Da wir bei den momentanen Temperaturen quasi im Kühlschrank leben, ist der Stromausfall zwar nicht besonders problematisch. Dennoch haben wir uns bereits in Argentinien nach Ersatz erkundigt. Dass wir dann in Chile, gleich im ersten kleinen Ort fündig werden, damit hätten wir nicht gerechnet. Es ist kurz vor Siesta, aber wir können die Batterie schon heute Abend abholen. Also stellen wir uns gemütlich auf den Hügel oberhalb des Ortes und geniessen den Nachmittag in der Sonne. Der Lago Buenos Aires ist grenzübergreifend. Auf der Westseite, die zu Chile gehört, heisst er Lago General Carrera. Nach dem Titicacasee ist er der zweitgrösste See in Südamerika. Er erinnert uns wegen seiner Grösse, dem glasklar blauen Wasser und den Felsklippen ans Meer in Kroatien.

Plötzlich kommen zwei Jungs mit Mountainbikes angefahren. Es sind Jonas und Christopher, zwei deutsche Backpacker, die wir in Puerto Natales kennengelernt haben. Sie wollten heute eine Wanderung zur Cueva de las Manos machen. Dummerweise sind sie dutzende Kilometer in die verkehrte Richtung gefahren. Glücklicherweise haben sie so Rudolph entdeckt. Wir freuen uns über den schönen Zufall und das Wiedersehen! Ein paar Stunden später, wieder mit Strom im Haus, sind wir bei ihnen im Hostel zum Abendessen eingeladen und beschliessen kurzerhand, morgen zu Viert loszufahren.

Die Sonne geht über dem See auf. Wir holen die Jungs im Hostel ab, kaufen ein paar Lebensmittel für die nächsten Tage ein und machen uns für einen Abstecher in Richtung Naturschutzgebiet Jeinimini auf. Wir wollen zusammen auf die Wanderung zur Cueva de las Manos. Im Gänsemarsch geht es vorbei an eindrucksvollen Felsformationen steil am Horizont entgegen. Besonders imposant ist die gigantische Piedra Clavada, woneben Christopher mit seinen fast zwei Metern sonderlich klein erscheint.

Auf der Höhe angekommen, geniessen wir einen toll Blick über das Tal des Rio Jeinimeni und nach Argentinien. Eine unglaubliche Ruhe umgibt uns. Auf dem ganzen Weg begegnen wir keiner Menschenseele. Und fast hätten wir die Höhlen verpasst. Auf der Wanderung fehlen teilweise Markierung und Pfad. Doch wir finden sie: die mysteriöse Cueva de las Manos. Eine Höhle, wo Steinzeitbewohner Malereien und Handabdrücke in verschiedenen Farben hinterlassen haben.

Es geht weiter bergab durch den chilenischen Bryce-Canyon. Wir kommen ins Valle Lunar, ins Tal des Mondes. Eine wirklich zutreffende Bezeichnung für diese spannend bizarre Erosionslandschaft.

Als wir abends Rudolph am Lago General Carrera parkieren und die Jungs ihre Zelte aufschlagen, geht die Sonne hinter den Bergen unter.

Wir folgen der kurvenreichen Schotterpiste dem Südufer entlang. Bis zu 4000 Meter hohe schneebedeckte Gipfel erheben sich um den See. Die Strasse mündet bei El Maitén in die Carretera Austral. Mit dem Bau der der Ruta 7 wurde unter Pinochet 1976 begonnen, um die auf dem Landweg abgetrennten Südprovinzen mit dem Rest Chiles zu verbinden. Der Bau der Carretera gilt als das aufwendigste Grossprojekt Chile’s im 20. Jahrhundert. Er gestaltete sich als äusserst schwierig, da die unwegsame Gegend von dichter Bewaldung, von Fjorden, Gletschern und Gebirgszügen durchzogen ist. Mehr als 20 Jahre wurde an ihr gebaut. Die heute etwas mehr als 1200 Kilometer führen von Puerto Montt bis nach Villa O’Higgins. Noch ist sie nicht vollendet und bis heute ist ein Grossteil Schotterpiste.

Gute eine Woche fahren wir mit Jonas und Christopher über die abenteuerliche und holprige Strasse, auf der sich uns hinter jeder Kurve ein neues, grossartiges Panorama eröffnet. Wir kommen durch winzige Ortschaften. Wie gewohnt fahren wir morgens los, ohne zu wissen, was uns heute erwartet. Wo es uns gefällt, da halten wir und abends sitzen wir, wenn immer möglich, am grossen und wärmenden Lagerfeuer und backen Pizza-Käsebrötchen.

Wir geniessen gemütliche Tage. Alle kommen zum Schluss: es hätte nicht besser sein können! Wie lange wir noch zusammen gereist wären, wenn Jonas nicht einen fixen Termin in der Grossstadt Coyhaique hätte? Während er in die Bierbrauerei arbeiten geht, verbringen wir unsere Zeit in Coyhaique mit Suchen. Zuerst gilt es einen Camping zu finden, was sich als schwierig herausstellt. Wir fahren alle Plätze ab und überall erhalten wir die Antwort „cerrado“, geschlossen. Schliesslich erklärt sich die ältere Dame Cécilia, die Besitzerin eines kleinen Campings, bereit für uns Deutsche (womit Christopher und wir beide gemeint sind) eine Ausnahme zu machen. Wir dürfen sogar ihr privates Bad benutzen.

Unsere Gasflasche ist bald leer. Wir klappern also eine Gasfirma nach der anderen ab – erfolglos. Die Chilenen haben einen anderen Anschluss. Wir beschliessen, einen Outdoor-Gaskocher zu kaufen und unser Glück in Argentinien wieder zu versuchen. Schliesslich bringen wir noch einen vollen Sack Kleider zur Wäscherei, in die Lavanderia. Wir haben nur selten Wifi. Also nutze ich die Gelegenheit, um wieder einmal nach Hause zu telefonieren. Vor unserer Weiterfahrt fahren wir mit Christopher auf der Hinterbank für einen Brunch zum idyllischen Bergsee Lago Elizalde. Beim Stein des Indio, dem Piedra del Indio, gibt es noch ein Gruppenfoto. Abends geniessen wir ein letztes gemeinsames Nachtessen mit Asado-Grill auf dem Campingplatz und stossen mit dem Cerveza aus Jona’s Brauerei auf eine tolle Zeit an. Salud!

Und dann sind wir wieder alleine. Die restlichen Kilometer der Carretera warten auf uns! Nördlich von Coyhaique ändert sich die Landschaft erneut: es wird grüner.

Als wir durch die Eingangspforte zum Bosque Entcantado gehen, gelangen wir in eine völlig andere Welt: ein schmaler Pfad führt uns durch einen immergrünen, kalten Regenwald. Vorbei an glasklaren Bächen, über Wurzeln und wackelige Holzbrücken gelangen wir zu einem Hängegletscher, von dem herab ein Wasserfall in die türkise Lagune fliesst. Bosque Encantado, erfreuter oder verzauberter Wald – zutreffend für diese märchenhafte Wanderung!

Wir verbringen entlang der Carretera nochmals gemütliche Tage und ruhige Nächte in einsamen Gegenden.

In Playa Santa Barbara verbringen wir die Nacht am Strand. Wir lauschen dem Rauschen der Wellen und sehen den Seerobben beim Jagen zu. Der Strand hier ist schwarz und lässt die nahe gelegene Vulkanlandschaft vermuten.

Niemand hat das erwartet, was am 2. Mai 2008 geschah. Der Vulkan Chaitén brach nach Jahrtausenden Dornröschenschlaf aus. Seine Asche wurde 20 Kilometer in die Luft geschleudert. Heute raucht der Vulkan noch immer vor sich hin. Wir kraxeln in nur 2,2 Kilometern die 600 Meter zum Krater hinauf und werden mit einem unglaublich spannenden und mysteriösen Panorama belohnt.

Abends stellen wir uns wieder ans Meer. Vergnügt tollen Delfine in der Bucht herum.

155 Kilometer südöstlich von Chaitén geht es bei Futaleufú nach Argentinien. Schon wieder heisst es: Hasta luego Chile!

034

Wir haben unser Reisetempo entschleunigt. Eigentlich wären wir aktuell, im Mai 2016, in Peru. Tatsächlich sind wir aber mittlerweile in San Carlos de Bariloche, rund 1200 Kilometer südlich von Santiago und damit nicht mal in der Hälfte Chiles angelangt. Der raue und wilde Charme des Südens will uns noch nicht loslassen. Wir haben die patagonische Ruhe und Einsamkeit liebgewonnen. Quien se apura en la Patagonie, pierde el tiempo – wer sich in Patagonien beeilt, verschwendet seine Zeit, erklären die Einheimischen. Und was wäre eine grosse Reise nicht, wenn Pläne nicht dazu da wären, sie zu verwerfen. Schliesslich soll der Weg unser Ziel sein.

PS: Unsere Übernachtungsplätze seht ihr neu im Map unter dem Register Reiseroute.

Ein Gedanke zu „Von Ushuaia durch den grossen Süden Chiles und Argentiniens nach Futaleufú

  1. rudolph, mein lieber,

    auf dem ersten blick bist du ein alter diesel, ein kastenwagen mit zusatzschloessern und dachbox. doch wer dich auf deiner tour begleiten darf, spuert schnell, wieviel herz so ein alter diesel unter der haube haben kann.

    du baust das bett ab und bittest uns an die panoramafenster. waehrend wir erstmals koeniglich in deine sitzecke sinken, salutieren chile chicos goldene pappeln nebenan wie kerzen auf der torte eines hundertjaehrigen.

    die sonne heisst uns warten – und in deinem schatten warten wir gern. gegen mittag setzt sie dann ihr strahlen auf und geht mit der linientreuen schneegrenze so sehr ins gericht, dass es selbst ‚hinter’m mond‘ mollig wird.

    tage mit dir sind mehr als die summe ihrer stellplaetze. du spielst den zauberbecher, wir wuerfel, die den „lago general carrera“ entlang schuetteln und mehr augen braeuchten, um dessen zahnpastablau fassen zu koennen.

    weil geschwindigkeit eine geissel ist, der es mit genuss zu begegnen gilt, bleibt der schnellkochtopf wieder im schrank. wo er vor neid fast platzt, als der allabendliche geschmack unserer pizzabroetchen herueberweht.

    du sagst, eine nacht ohne lagerfeuer sei ein schwarzes loch. wir legen vor coyhaique ein letztes schwemmholz auf und sind laensgt zu einer familie zusammengeschmolzen, zu einer lachenden bande wortlosverstehender.

    uns faellt nicht ein, was dich aus der ruhe bringen koennte. steinschlaege unter, riesige rhabarberblaetter neben und explosives gefahrgut hinter dir – nichts laesst dich auch nur mit der mutter des ersatzrades zucken.

    melde dich, solltest du trotzdem einmal einen lux oder anderes (werk-) zeug brauchen. ¡ir fuerte! und herze deine schweizer lieblingsbesatzung. denn wer in deren arme radelt, kann sich keinen zentimeter verfahren haben.

    glg jonas & christopher

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