Kobolde, Städte und Pazifikflair – von der Insel Chiloé bis zur Hafenstadt Valparaíso

Wir freuen uns auf Chiloé, der nach Feuerland zweitgrössten Insel Südamerikas. Es ist Montag, der 6. Juni 2016, als wir von der Hafenstadt Puerto Montt zum Fährhafen aufbrechen.

Während der nächsten fünf Tage tauchen wir ins Inselleben ein. Wir schlendern durch die Atesanía Markthalle der Stadt Ancud und kaufen frisches Gemüse bei den Strassenverkäufern. Einer der Verkäufer fragt uns, von wo wir auf der Insel kämen. Er habe uns noch nie gesehen. Schmunzelnd erklären wir dem netten Chiloten, dass wir Suizos seien. Oh! Ob wir dann schon von den vielen erstickten Lachsen und Sardinen wüssten, die es vor ein paar Wochen an die Inselküsten spülte. Tatsächlich haben wir bereits von der Katastrophe gehört. Die meisten Chiloten leben vom Fischfang. Das daraufhin verhängte Fischereiverbot trifft die Menschen hier besonders hart.

Auf holprigen Strassen kurvt Rudolph mit uns in den nördlichsten Zipfel, zum kleinen Leuchtturm Faro Corona. Dann geht‘s der rauen Pazifikküste entlang südwärts. Beim Playa Mar Brava führt die Strasse in eine Sackgasse. Der Weg würde über den Strand führen, doch es ist gerade Flut. Wir geniessen unser Picknick mit tollem Blick auf die rauschenden Wellen und fahren in Richtung der Pinguineras. Von hier aus kann man in der Hochsaison mit Booten zu einer Insel mit Magellan-Pinguinen hinaus fahren. Jetzt im Winter ist der kleine Ort verlassen. Wir trinken einen Kaffee und fahren an die Ostküste. Die Strasse führt uns steil auf- und abwärts über die grünen Hügel der Insel. Das tollste ist immer wieder zu sehen, wie die Mensch leben. Wie die Chilenen auf dem Festland leben auch die Chiloten in farbenfrohen Holzhäuschen mit Blechdächern. Uns gefallen die schnuckligen Villakunterbunts, die an Wohnwägen oder Mobilhomes erinnern. Jedes Häuschen hat einen Garten, wo sich nicht selten weidende Kühe und Rinder, Pferde, Schweine, Hühner, Hunde und Katzen zusammen tummeln.

Als wir bei Aucar an die Ostküste gelangen, ist es bereits dunkel. Der nächste Morgen ist regnerisch grau, was unsere Stimmung aber nicht trübt. Gemütlich tuckern wie der Küste entlang, vorbei an der schmucken Holzkirche von Tenáun und dem idyllischen Fischerhafen von Dalcahue. Gegen Abend gelangen wir in die Hafenstadt Castro. Hier reiht sich am Ufer eine spezielle Art bunter Häuschen. Palafitos werden die Wohn- und Bootshäuser auf Stelzen genannt.

Ein Weg führt hinauf zum Aussichtspunkt Ten Ten. Die Fahrt über die matschige Strasse hat sich gelohnt. Wir geniessen das Fernsehprogramm während des heutigen Fahrerkabinen-Nachtessens: die Lichter von Castro, die langsam im Rauch der Holzöfen verschwinden.

Wir spazieren einige Stunden durch die belebten Gassen und über die fröhlichen Hügel Castro‘s. Unser Rundgang führt uns an den Palafitos, der Bootswerft, der Plaza mit der wunderschönen Holzkirche, dem Museum und dem Artesanía-Markt vorbei. Inmitten der bunten Markthalle geniessen wir frittierten Merluza (Seehecht) und eine Cazuela (Suppe mit Fleisch, Gemüse, Reis und Kartoffeln). Dazu gönnen wir uns ein Tässchen Chilenischen Weisswein. Almuerza, das Mittagessen ist die wichtigste Mahlzeit der Chilenen. Auf den Märkten oder in kleinen Buden bekommt man für wenig Geld oft zwei oder drei Gänge serviert. Wir mögen diese Orte, wo auch die Lokalen ihre Siesta verbringen. Heute sitzen zwei Chiloten am selben Tisch, die uns begeistert von ihrer Arbeit im Nationalpark berichten. So überzeugend, dass wir uns sogleich entschliessen, einen Ausflug dorthin zu machen. Am späteren Nachmittag fahren wir also wieder quer über die Insel in Richtung Pazifikküste.

Unterwegs begegnen wir weiteren bunten Holzkirchen. Chiloé ist für seine über 150 Kirchen bekannt, von denen 14 dem UNESCO-Welterbe angehören.

Unser Favorit ist die gelb-lavendelblaue Iglesia San Francisco von Castro.

Noch besser gefällt uns, dass vor den Dörfchen und in den Buchen anstelle riesiger Fischkutter herzig kleine und farbenfrohe Fischerboote herumtreiben.

Chiloé zählt wegen seiner besonderen Volksmythologie zu den eigenwilligsten Regionen Chiles. Es herrschen uralte Traditionen und spirituelle Legenden. Das Eiland wird seit jeher von Piraten und Seefahrern mit einem starken Unabhängigkeitsgeist bewohnt, die sich gerne dem Einfluss der Regierung Santiagos entzogen. Die Chiloten haben sich ihre ureigene Mythenwelt bis heute bewahrt. Dazu gehört der Glaube an die Existenz von Märchenfiguren, Hexen und Geisterschiffen. So gibt es zum Beispiel den Kobold El Trauco, der Jungfrauen schwängern oder den Caleuche, der Fischer in die Irre führen soll. Wir glauben die Märchen natürlich nicht. Etwas schaudern tut’s uns dann doch, als wir nach einer unruhigen Nacht an der laut tobenden See erwachen. Ein bissig kalter Morgen. Die Gegend ist Menschenleer. Nur eine Maus rennt übers Feld, versucht vergeblich den Klauen des Vogels zu entkommen. Und da entdecken wir ihn, den Kobold El Trauco, im eingefrorenen Boden gleich nebst Rudolph.

Nach einer Schale heisser Haferflocken und Kaffee fahren wir zum Parque Nacional Chiloé. Die Wanderpfade führen durch den kalt feuchten Wald, durch die Dünen und an den scheinbar endlos weiten Strand, der uns das Gefühl vermittelt, alleine auf der Welt zu sein.

003 P.N. ChiloéDie kurzen Wanderpfade sind schnell abgelaufen und so machen wir uns nach dem Mittagessen auf den Weg zurück nach Ancud. Die letzte Nacht verbringen wir auf einer Klippe oberhalb der friedlichen Nordküste. Mit dem gleichmässig ruhigen Wellenrauschen fallen wir zufrieden in einen tiefen Schlaf.

Nördlich von Puerto Montt liegt Puerto Varas und unser nächstes Reiseziel. Ein deutsches Kolonialstädtchen, das hübsch am Lago Llanquihue gelegen und mit einem tollen Blick auf die beiden Vulkane Calbuco und Osorno beglückt ist. Wir freuen uns, ihn endlich zu sehen, den Osorno, auf dem wir vor einer Woche im Nebel standen (links im Foto).

Auf der Plaza steht ein Festzelt der Fischervereinigung. Zu unserer Freude gibt es wieder leckeren Merluza-Fisch mit Kartoffeln, Tomaten-Zwiebeln-Salat und natürlich der typisch chilenischen Pebre-Sauce. Zum Dessert dann noch ein Stück Baumnuss-Likör-Torte. Kulinarisch fehlt es uns auch in Chile wirklich an gar nichts!

Am westlichen Seeufer übernachten wir in Frutillar auf dem Parkplatz des See-Theaters. Es ist Sonntagmorgen und aus dem Radio erklingt Deutsche Volksmusik. Das verschlafene Dorf wirkt wie in einem Werbeprospekt für Ferien im Tirol oder Schwarzwald: herrschaftliche Landhäuser mit Spitzenvorhängen und perfekten Gärten an einer gepflegten Uferpromenade. Passenderweise gibt es das Hotel am See und eine „Kuchen-Fabrik“.

An der Küste weiter nördlich ist in der Hafenstadt Valdivia dann schon wieder mehr los. Auf den ersten Blick ist die Feria Fluvial ein ganz normaler Fischmarkt.

Erst bei genauerem Hinsehen entdecken wir die bettelnden Seelöwen und Geier, die strategisch günstig hinter den Händlern platziert, auf Fischabfälle lauern. Ein einmalig tolles Erlebnis! Wir verzichten darauf, Rudolph in eine Fischbude zu verwandeln und kaufen nur eine Flasche Chicha, ein typischer Apfel-Wein-Saft.

Heute übernachten wir wieder einmal auf einer Tankstelle. In Chile sind die Copec-Pronto-Raststätten ein wahrer Camper-Traum. Tankstellen, die pick fein säuberlich und mit ihrer grünen Bepflanzung manch europäische Raststätte in den Schatten stellen. Doch das alleine erwärmt das von Natur-pur-Stellplätzen verwöhnte Camper-Herz noch nicht. Nein, es ist die heisse Dusche, gutes Wifi und häufig die Möglichkeit, die Tanks mit Frischwasser zu befüllen und Wäsche zu waschen. Ein unkompliziert und günstiger Rast, um voll saniert wieder in die Wildnis aufzubrechen.

Temuco, eine industrielle Grossstadt mit vielen Hochhäusern, ist für seine grosse Markthalle berühmt. Leider müssen wir feststellen, dass diese wegen eines Grossbrandes vor zwei Monaten völlig zerstört wurde. Das Museum zur Region Araucanía hat montags ebenfalls geschlossen.

Temuco (3)

Planänderung! „Lass uns beim Pneuhaus reinschauen“, meint Thomas schliesslich. Rudolph’s Winterreifen sind ziemlich heruntergefahren und hier in Chile gibt es eine grosse Auswahl an Neureifen. Beim Pneu-Haus Neumaton werden wir fündig. Doch zuerst ist Siesta-Zeit. Temuco ist das kulturelle Zentrum der Ureinwohner, der Mapuche. Im Kokaui, einem urchigen Restaurant, kommen Spezialitäten aus der chilenisch-mapuchischer Küche auf den Tisch. Wir bestellen eine Cazuela de Vacuna und Guatitas a la Jardinera con Papas Fritas, dazu Sopaipillas mit feuriger Pebre-Sauce. Die Cazuela-Suppe ist uns bekannt, ebenso die leckeren Sopaipillas (frittiertes Kürbisbrot). Guatita ist eine Mapuche-Spezialität. Soviel wissen wir. Was sich aber genau auf meinem Teller unter den Pommes Frites verbirgt, ist uns rätselhaft. Sicherlich lecker zubereitet, wollen mir die glitschigen Dinger nicht wirklich schmecken.

Mit vollen Mägen laufen wir die paar Blogs zurück zum Reifengeschäft. All-Terrain-Reifen sollen es sein. Eine Dimension grösser als die jetzigen, um an Bodenfreiheit zu gewinnen. Es folgt eine längere Diskussion zwischen dem Monteur und Thomas. Es wird gerätselt und vermessen. Ob der Radkasten wohl genügend gross ist? Schliesslich riskieren wir’s und haben Glück. Mit neuem Schuhwerk bestückt, finden wir’s fast schade, dass uns auf den nächsten Kilometern keine Schotterpiste begegnen wird.

Vorerst führt uns die asphaltierte Strasse an den Städten Ángeles und Chillán vorbei. Die weitläufige Feria de Chillán ist ein buntes Durcheinander, laut und richtig lateinamerikanisch: Ferduras y Frutas, Carne y Pescado, Ponchos y Sombreros, hay siempre todo! Bei der Fleischware bleibe ich vor der Vitrine stehen. „Schau, das könnte es gewesen sein!“ und prompt erklärt uns der nette Metzger, was ich gestern gegessen habe: es war Kuhmagen. Nun ja, heute sind wir weniger experimentierfreudig und entschliessen uns für ein konventionelleres Mittagessen: Empanadas de horno con queso y carne (Fleisch- und Käse-Teig-Taschen aus dem Ofen).

Die vergangenen Wochen haben uns zu wahren Chile-Wein-Fans gemacht. Nebst dem Cabernet-Sauvignon und Merlot schmeckt uns vor allem der trockene Carménère. Wir freuen uns, als wir in die Weinbaugebiete gelangen. Hier im zentralen Mittelland herrschen ideale Bedingungen. Die Wurzeln der Rebstöcke, die zu Kolonialzeiten gepflanzt wurden, sind bis heute sortenrein geblieben. Im trockenen und sonnigen Klima haben Rebpilze und Schädlinge, wie man sie in Europa kennt, keine Chance. Die strengen Lebensmittel-Kontrollen an den Landesgrenzen sorgen dafür, dass auch keine Krankheiten oder Schädlinge eingeschleppt werden. Heute wird die ursprünglich aus Bordeaux importiert Carménère-Traube nach Frankreich reimportiert. In San Javier lädt das Weingut Viño Balduzzi zur Führung und Degustation ein. Die Dame der Bodega führt uns durch die Anlage, in der jährlich ganze sechs Millionen Liter Wein produziert werden. Wir erfahren, dass die ursprünglich aus Italien stammende Familie Balduzzi hier bereits in der vierten Generation winzert. Die Mehrheit des Weins wird nicht in Flaschen abgefüllt, sondern in den Kühltanks nach Asien oder in die USA exportiert. Wir bestaunen die riesigen Silos. Eines dieser Edelstahl-Kolosse ist nicht mehr in Gebrauch. Seine zusammengeklappten Überreste sind Zeuge der immensen Wucht des grossen Erdbebens, das Chile im Februar 2010 erschütterte. Weiter geht’s zum Labor und der vollautomatischen Flaschenabfüllanlage, wo nur noch wenige Mitarbeiter ein Auge drauf werfen. Das Ambiente auf dem Betrieb lässt uns kühl. In einem Kellergewölbe stehen dann doch noch ein paar Holzfässer, wo der Reserva und Premium-Wein zwischen sechs und 24 Monaten gelagert wird. Trotz Einzelführung fühlen wir uns als Teil eines lieblosen Massengeschäfts. Nach der Degustation steht fest, dass wir weder hier noch sonst wo einer dieser angeblichen mehr besseren Tropfen kaufen wollen. Doch Fans des Chilenischen, vielleicht nicht Premium Weins, wollen wir bleiben.

Von Grossstädten halten wir uns wegen der erhöhten Kriminalität lieber fern. Bevor uns die Autopista Ruta 5 in die Hauptstadt Santiago führt, werfen wir einen Blick auf die Landkarte. Nach kurzem Rätseln darüber, wo es wohl schöner sein könnte, entscheiden wir uns zugunsten der Küste und nehmen den nächsten Abzweiger nach links. Wir gelangen auf die Ruta 66, die auch Ruta de la Fruta genannt wird. Der Name ist Programm. Im fruchtbaren Tall, dem Valle Central, herrschen ideale klimatische Bedingungen für den Obst- und Gemüseanbau. Die Landstrasse ist von unzähligen Obstgärten gesäumt. Verträumt schaue ich aus dem Fenster und male mir aus, wie sich die Gegend hier im Verlauf der Jahreszeiten wandelt. Wir erleben den touristisch ruhigen Winter, wenn die Bauern an ihren bunten Ständen Mandarinen, Zitronen, Äpfel, Birnen und Kastanien anbieten. Ein Sack kostet gerade einmal zwei Franken und so dauert es nicht lange, bis uns drei Kilo Mandarinen und weitere drei Kilo Kiwis die Weiterfahrt versüssen.

Die Nacht wollen wir am Stausee Lago Rapel verbringen. Der See ist auf unserer Karte mit einem roten Stern als Sehenswürdigkeit markiert. Vergeblich suchen wir einen Zugang. Was wir vorfinden sind Zäune und Häge mit Privado- oder Prohibido-Schildern (Privat oder Verboten). Die wenigen freien Wiesen sind Abfallentsorgungsstellen. Kein Ort, um zu übernachten. Die einbrechende Dunkelheit macht die Suche nach einem Stellplatz nicht leichter.

004 Lago Rapel

Dann werden wir wieder einmal völlig überrascht. An der Küste kommen wir in den ausserordentlich gepflegten Ort Rocas de Santo Domingo, eine Hochburg von Ferienresidenzen chilenischer Oberschicht. Was für ein Gegensatz zu der Gegend, die wir in den letzten Stunden durchfahren haben. Jetzt im Winter ist der Ort wie ausgestorben wir haben die prunke Meerespromenade fast für uns allein.

Das Wetter ist wieder milder, die Sonne scheint und wir lassen frische Luft durch Rudolph strömen. Nach den vielen Nächten mit zwei Paar Socken an, kann ich es kaum erwarten, in die Flipflops zu schlüpfen und meine Füsse ins kalte Pazifikwasser zu strecken. Auf die Ruta de la Fruta folgt die Ruta del Mar. Immer wieder verändert sich die Gegend. Nach der Villenhochburg folgt mit San Antonio eine grosse und hektische Hafenstadt. Die Wellen zerschlagen sich an der Felsküste. Ein Seelöwe sonnt sich auf dem Felsen und Pelikane fliegen über unsere Köpfe.

In Isla Negra besuchen wir das Museum Casa de Pablo Neruda. Der chilenische Lyriker, Kommunist und Literaturnobelpreisträger Neruda lebte hier bis er 1973 verstarb. Kurz nachdem sein Freund und Chiles sozialistischer Staatspräsident Salvador Allende durch die Militärjunta brutal gestürzt wurde und Pinochets 17-jährige Diktatur anbrach. Bald stellen wir fest, dass Nerudas Häuser, in Santiago, Valparaíso und Isla Negra, ganz besondere Museen sind, denn der Poet war ein leidenschaftlicher Sammler spezieller Gegenstände aus aller Welt. Durch den Audioguide hören wir: „In meinem Haus habe ich kleine und grosse Spielzeuge zusammengetragen, ohne die ich nicht leben könnte. Ich habe sie mein ganzes Leben hindurch gesammelt mit der Absicht, mich allein mit ihnen zu unterhalten“. Die verschiedenen Räumlichkeiten beherbergen eine riesige Fülle an Alltags- und Kunstobjekten, Kitsch und Kuriositäten. Die Reliquien erzählen aus dem bewegten Leben Neduras und laden zum Entdecken ein. Wir bewundern die unzähligen Sammelstücke und bekommen das Gefühl, nicht genügend Augen zu haben. Zu den Spielzeugen Nerudas gehören extravagante Möbelstücke, riesige Galionsfiguren, Statuen, Steine, Muscheln, Käfer und Schmetterlinge, antike Fernrohre, Buddelschiffe, Kompasse, Musikinstrumente, ein lebensgrosses Pferd mit drei Schweifen, eine Weltkugel, speziell geformte Gläser und Flaschen und noch vieles, vieles mehr. Das kreative Chaos lässt uns jedenfalls träumen und fantasieren. Neruda liebte das Meer. Von jedem Zimmer des Hauses blickt man auf die Brandung hinaus. Im Garten steht ein Fischerboot, ein grosser Anker und das Grab, wo Neruda und seine Frau Matilde begraben sind. Neruda schrieb „wenn ich nicht mehr lebe, dann sucht hier, sucht mich hier zwischen Felsen und Ozean, im stürmischen Licht es Meerschaums“.

Die raue Küste zieht auch uns in ihren Bann. Vor dem kleinen Ort El Yeco führt eine Rally-Piste durch einen Wald und uns zu einem traumhaften Übernachtungsplatz. Auf der Klippe oberhalb einer Surfer-Bucht kuscheln wir uns in die Campingstühle und lauschen den Wellen und dem Brutzeln der Longaniza-Würste über dem Feuer.

Wir machen einen Bogen um Santiago. Die Hafen- und Künstlermetropole Valparaíso wollen wir uns aber dann doch nicht entgehen lassen. Valparaíso, rund 120 Kilometer westlich von Santiago gelegen, gilt als die kulturelle Hauptstadt Chiles. In der weniger chaotischen Nachbarsstadt Viña del Mar finden wir beim Sportclub einen überwachten Parkplatz. Beruhigt gönnen wir Rudolph eine Ruhepause und düsen mit dem kultigen Omnibus ins schrille, bunt lebendige Valparaíso.

001 Viña

Eine tolle Stadt, die zwei Gesichter und unzählige Grafits hat. Die Unterstadt, El Plan genannt, ist die Hafengegend. Hier geht’s turbulent, ruppig und hektisch zu und her. Die engen Gassen führen an düsteren Matrosenbeizen und Fischmarkten vorbei. Die Stadt lebt und verfällt zugleich. Pablo Nerudo schrieb zutreffend: „Valparaíso, wie absurd du bist… Du hast dich nie gekämmt, hattest nie Zeit zum Anziehen, bist immer vom Leben überrascht worden“. In jüngster Zeit wurden viele der historischen Gebäude durch das Erdbeben im 2010 und durch einen Grossbrand im 2014 zerstört.

Über der Hafengegend thront die ruhigere und touristischere Oberstadt. Um auf einer der 17 Hügel zu gelangen, bieten sich zwei Varianten an. Man steigt die steilen Treppen empor oder in eine der ratternden Standseilbahnen ein.

Wir entscheiden uns für die bequemere, aber nicht weniger interessante Methode. Der Ascensor Conceptión aus dem Jahr 1883 führt uns aus der Hektik der Unterstadt in eine ruhigere Atmosphäre, wo die Menschen gemächlich ihr Künstlerdasein leben.

Zufrieden und müde steigen wir abends wieder in einen Bus, der uns in rasantem Tempo zurück nach Viña bringt.