Chiles Norden – von Valparaíso bis San Pedro de Atacama

Nach dem tollen Städtetrip in Viña del Mar und Valparaíso machen wir uns in einsamere Gebiete auf, in den kargen Norden Chiles. Obschon sich die Pazifikküste zu dieser Jahreszeit gerne im Nebel hüllt, geniessen wir die Fahrt auf der geschlängelten Küstenstrasse, den frischen Wind und die Wellen, die sich an den Felsen zerschlagen. Sergio, ein Immobilienmakler aus Santiago, der im Küstenort Amarilla eine Wochenend-Residenz hat, sucht das Gespräch mit uns. Er möchte auch einen Camper, um mit seinen Enkeln zu reisen. Zum Abschied gibt er uns seine Visitenkarte. Falls wir in Chile irgendein Problem haben sollten, dürften wir ihn anrufen. Genau solche Begegnungen und die generell sehr grosse Hilfsbereitschaft der Menschen, die wir hier tagtäglich erleben, tragen dazu bei, dass wir uns in Südamerika noch nie unsicher oder unwohl gefühlt haben. Sollte uns mal was zustossen, so sind wir uns sicher, dass wir hier nicht alleine sind. In Conón geniessen wir einmal mehr ein herzhaftes chilenisches Mittagsmenu. Für knapp sechs Franken werden wir mit einem Drei-Gänger verwöhnt. Nach einer Käse-Empanada und Cheviche (roher Fisch-Salat) wird eine Schale Paila Marina (Muschel-Suppe) und zum Hauptgang der bekannte Merluza-Fisch mit Reis und Kartoffelstock aufgetischt.

In Cachagua soll es auf einem nahe am Ufer gelegenen Felsen eine Kolonie mit Seelöwen und Humboldt-Pinguine geben. Wegen des starken Nebels und weil sich die Tiere zu dieser Jahreszeit vermutlich im Wasser rumtreiben, sehen wir nicht sonderlich viel. Dazu kommt der Wind, eine hohe Welle und Flutsch erwischt es mich kalt. Mit nasser Hose geht es zurück zum Parkplatz. So ein Luxus, haben wir ja den Kleiderkasten immer gleich mit dabei.

Wir gelangen zurück auf die Panamericana Ruta 5. Die Landschaft wird karger, die Bäume und Gebüsche niedriger. Ein paar hundert Kilometer weiter nördlich verlassen wir die Hauptstrasse dann auch schon wieder in Richtung Inland. Der Küstennebel verschwindet und der Himmel lichtet sich. Kleine Kakteen tauchen auf und bald sind die Hügel entlang der Landstrasse mit stachligem Grün verziert.

Das Barometer steigt, umso weiter wir ins Inland gelangen. Als wir im friedlichen Dorf Combarbalá ankommen, ist es herrlich warm. Auf dem grünen Hauptplatz erklingt lateinamerikanische Musik aus dem Radio. Gerne würden wir in Chiles Norden, wo der Himmel so nah scheint, ein Observatorium besuchen. Doch die Sterne stehen schlecht: vor zwei Tagen war Vollmond und am Himmel zieren sich ein paar Schleierwolken. Ein Versuch ist es dennoch Wert. Beim Büro des Observatorio Cruz del Sur freut man sich über unseren Besuch. Wir sollen gegen Sieben nochmals vorbei kommen, dann wird entschieden, ob eine Führung möglich ist. Ein paar Kilometer ausserhalb des Ortes finden wir ein schönes Plätzchen an einem kleinen Stausee, wo wir den Nachmittag in der Wärme und in der stillen Natur geniessen.

Gegen Abend verdichten sich die Wolken und es wird definitiv. Heute findet keine Führung statt, auch für morgen sind die Prognosen nicht besser. Enttäuscht, aber irgendwie auch froh, bald ins Nest hüpfen zu können, fahren wir zurück zu unserem Stellplatz.

006 am Lago Embalse Cogoti

Über die Kakteenhügel gelangen wir zurück an die Pazifikküste, nach La Serena. Eine Stadt, die mit ihren Häusern im Kolonialstil und den gemütlichen Einkaufsgassen einen besonderen Charme ausstrahlt. Wir verbringen den Rest des Tages in dieser Stadt, die uns auf Anhieb gefällt. Auf dem zentralen Markt, dem Mercado La Recova, wird wieder Allerlei angeboten. Geduldig erklären uns die Verkäufer ihren selbstgemachten Schmuck und weiteres Kunsthandwerk. Da wir nicht in den Ferien sondern auf Reisen sind, kaufen wir kaum Souvenirs. Heute lächelt mich aber ein hübscher, kleiner Schlüsselanhänger mit einem Naturstein und einer Musik-Note an. Die Musik ist in Südamerika allgegenwärtig und auch auf unserer Reise ein treuer und wichtiger Begleiter.

Im Museo Arquealógico gibt es nebst archäologischen Funden, eine 2,5 Meter hohe Moai-Statue von der Osterinsel sowie Alltagsgegenstände und Kunstarbeiten der Ureinwohner zu bestaunen. Das kleine Boot aus Seelöwenhaut, mit welchem die Diaguita auf Walfang hinaus auf die hohe See paddelten, beeindruckt uns besonders fest. Als wir das Museum verlassen, entschuldigt sich der Eingangspförtner bei uns. Wegen Umbauarbeiten seien nicht alle Räume geöffnet. Freundlich erklärt er uns, wo wir noch ein anderes, ebenfalls kostenloses Museum in der Stadt fänden. Chilenische Touristenfreundlichkeit, einfach umwerfend!

La Serena wird auch als Oase bezeichnet, denn ab hier fängt die Atacama Wüste an. Wir machen noch einen Abstecher ostwärts, ins Tal Valle del Elqui. Hier im trockenen Klima gedeihen die Reben des hochprozentigen Nationalgetränks, des Pisco’s. Die Landstrasse führt uns in die abgelegenen Dörfer und weit in die Höhe. Im Dörfchen Horcón tauchen wir in die friedvolle Atmosphäre des idyllischen Kunsthandwerksmarktes ein.

Auf dem Weg zurück wollen wir den berühmten Pisco probieren. In der Nähe des Dorfes Pisco Elqui befindet sich die Pisqueria Los Nichos. Die meisten Besucher sprechen Spanisch oder haben eine Dolmetscherin dabei. Wir spitzen unsere Ohren und versuchen so gut es geht, den Erzählungen in rasantem Tempo zu folgen. Auch wenn wir nicht alles verstehen, erleben wir einen Mann, der unsere Gruppe humorvoll und enthusiastisch durch das Kleinunternehmen führt. Wir lernen Los Nichos als einen authentischen Familienbetrieb kennen, der seine Traditionen lebt und pflegt. Seit der Gründung 1868 wird hier von Hand und mit den alten Maschinen purer Pisco gebrannt. Ein Geheimrezept und ein Verkaufsschlager. Nach der Degustation dreierlei Piscos entkommt kaum ein Besucher ohne Mitbringsel. Auch wir können nicht widerstehen.

Am späteren Nachmittag kommen wir in den Genuss eines leckeren Copao (Kaktus-Frucht) und Guayaba-Naranja (Guave-Orange) Saftes. Wer das erste Mal Copao trinkt, hat einen Wunsch zugute. Geht dieser Wunsch in Erfüllung, so kehrt man an den Ort zurück, wo der Saft getrunken wurde – erklärt uns der freundliche Herr am Stand schmunzelnd. Ob wir also nochmals in dieses Tal zurückkehren werden? Wer weiss…

Wir lassen den Tag auf einem der Hügel oberhalb des Oasendorfs Vicuña ausklingen.092 oberhalb VicuñaDie Ruta 5 führt uns durch die steinige Wüste. Vorbei an den erzreichen Hügeln, deren braun-rote Oberfläche von den Kupfer-Minen wie Narben durchzogen sind. Die Nacht verbringen wir an einem Truck-Stopp im Nirgendwo. An diesem Abend tobt und feiert Chile den Fussball-Meistertitel der Copa América. Davon bekommen wir in der Abgeschiedenheit der Atacama Wüste nichts mit.

Ein Öl-Leck an einem Radlager lässt uns eine Mercedes-Garage aufsuchen. In der nächsten Stadt, in Copiapó, werden wir fündig. Es ist Montag, doch die Garage ist geschlossen. Von der netten Dame im Bewachungshäuschen erfahren wir, dass heute ein Feiertag ist. Wir dürfen aber auf dem Platz nebenan stehen und übernachten. Wir nutzen die Gelegenheit, um die Bergbaustadt zu erkunden. Die meisten Geschäfte sind geschlossen und die Strassen nahezu menschenleer. Es wird ein sonniger Tag, den wir im Schatten der uralten Pfefferbäume auf der Plaza und dem Privat-Camping nebst der Garage verbringen.

Um halb Neun anderntags beginnt der Geschäftsbetrieb und Rudolph darf zur Reparatur. Derweil erkundigen wir uns beim Touristenbüro wegen der Andenüberquerung. Von Copiapó ostwärts könnte man über den landschaftlich wunderschönen Paso San Francisco nach Argentinien reisen. Wir erfahren, dass der Pass wegen Schnee und Wind aber momentan geschlossen ist und beschliessen einen Pass weiter nördlich zu nehmen. Bei der Garage verläuft alles einwandfrei und wir dürfen Rudolph abends wieder in Empfang nehmen.004 MB Garage CopiapóEine sandige Strasse führt uns weiter durch die trockenste Gegend der Welt. Tatsächlich ist es heiss und trocken, jetzt im Winter aber ganz angenehm.051Wir nehmen den Abzweiger zur Mina San José. 121 Jahre wurde in dieser Mine Gold und Kupfer gewonnen, bis es am Nachmittag des 5. August 2010 zum Einsturz kam, der 33 Minenarbeiter rund 700 Meter unter der Erde begrub. An der Rettungsaktion der „Los 33“ waren internationale Tiefbohr-Teams und die NASA beteiligt. Rund eine Milliarde Menschen verfolgten das „Life-Finale“ am 13. Oktober 2010, als der letzte der Männer wohlauf das Tageslicht erblickte. Offizielle Führungen finden donnerstags bis sonntags statt. Heute ist Mittwoch. Wir dürfen dennoch rein und die Anlage auf eigene Faust erkunden. Aus dem Minenschacht kommt kühle Luft. Wir stellen uns vor, wie die Angehörigen an diesem Ort so viele Tage warteten, bangten, beteten und hofften. Heute erzählen die Maria-Statue und verblasste Fotos mit chilenischen Fähnchen von der Geschichte. Zudem steht die Kapsel, Cápsula Fénix, mit der die Männer gerettet wurden, noch auf dem Platz.

Im Küstenort Bahía Inglesa spazieren wir entlang des weissen Strandes und bewundern das klare, türkisfarbene Wasser. Im Sommer geht es in diesem beliebten Badeort vermutlich hektisch zu und her. Heute haben wir den Strand fast für uns alleine.

Als wir später am Playa las Pocitas ein hübsches Fleckchen an der Felsküste finden, hüpft Thomas freudig aus dem Auto. Das Kind ist erweckt und er inmitten der grossen Muscheln und unzähligen Seeigeln im Paradies angekommen. Wir beobachten die vielen Vögel und geniessen das Meeresrauschen, den Sonnenuntergang, ja einfach jeden Augenblick.

Wir fahren in das Dorf Chañaral. Letztes Jahr wurden in der Gegend zahlreiche Strassen wegen starken Regens davon gespült. Beim Touri-Info sagt man uns, dass die Strasse durch den Parque Nacional Pan de Azúcar durchgehend befahrbar sei. Der Küste entlang tuckern wir in diesen tollen Park. Immer wieder halten wir an, um die Kakteen, das Meer, die Pelikane und Geier zu bewundern. Dann kommt eine Strassensperre. Der Weg, der noch einige Kilometer bis zum Nordeingang führen würde, gibt es wegen den Überschwemmungen doch nicht mehr. Also rechtsumkehrt zurück nach Chañaral. Auf dem Rückweg gibt es noch ein Picknick am Meer. Nebst uns parkiert ein junges Paar aus Australien mit einem gemieteten Minivan. Noch wissen wir nicht, dass wir den Beiden in den nächsten Tagen immer wieder per Zufall begegnen werden.

Der grosse Norden Chiles beginnt. Eine gradlinige Asphaltstrasse bis zum Horizont, die schier unendliche Wüstenlandschaft, der blaue Himmel und keine Menschenseele. Die nächsten Kilometer sind ein himmlisches Erlebnis, eine Orgie für die Sinne und das Gefühl unendlicher Freiheit und Weite pur!

Die Kolonialbauten im Hafenstädtchen Taltal stammen aus goldigen Zeiten, lassen aber noch heute ein Wild-West-Feeling aufkommen. Wie auch andere Hafenstädte Nordchiles entstand der Ort infolge der Entdeckung von Erz- und Kupfer-Vorkommen. Taltal wurde 1859 gegründet. Im Museum knarrt der alte Holzboden des ehemaligen Hafenamtes unter unseren Füssen. Heute fährt hier keine Eisenbahn mehr und die Menschen leben von kleineren Kupferminen und der Fischerei.

Rund 100 Kilometer weiter nördlich thront auf einem Berg das Paranal-Observatorium. Mit jährlich mehr als 300 Sonnentagen und einer trockenen und ruhigen Luft herrschen hier perfekte Bedingungen zur astronomischen Beobachtung des Südsternhimmels. Wir schlängeln uns hoch auf den Cerro Paranal, wo wir die Nacht vor dem Basislager verbringen dürfen. Unterwegs sind wir ihnen noch zwei weitere Male begegnet und nun stehen sie auch hier auf dem Parkplatz: Freya und Andrew aus Australien. Auf einer Anhöhe bestaunen wir den Sonnenuntergang über dem Wolkenmeer und geniessen einen geselligen Abend.

Jeden Samstag findet eine drei-stündige, kostenlose Führung durch das von der Europäischen Südsternwarte (ESO) betriebene Observatorium statt. Anfang der 90er Jahre wurde der Gipfel des Cerro Paranal von 2660 auf 2635 Meter abgetragen. Nach einem Film der ESO dürfen wir hochfahren, auf das Plateau, wo die Riesen-Teleskope stehen. Wir sind beeindruckt! Das Very Large Telescope (VLT) ist das weltgrösste und höchstentwickelte Teleskop. Es besteht aus vier Einzelteleskopen, dessen immense Spiegel (mit je 8,2 Meter Durchmesser) zu einem Super-Auge zusammengeschaltet werden können. Die vier Hauptteleskope tragen die Namen Antu, Kueyen, Melipal und Yepun, was in der Sprache der Mapuche Sonne, Mond, das Sternbild Kreuz des Südens und die Venus als Abendstern bedeutet. Zudem gibt es noch kleinere, mobile Hilfsteleskope. Das Kontrollzentrum, wo nachts gearbeitet wird, befindet sich unterhalb des Gipfelbereichs. Wir werden durch die Büros geführt und sind erstaunt, dass wir überall Fotos machen dürfen. Zuletzt geht es ins Hotel La Residencia, wo Szenen für den Bond-Film ‚Ein Quantum Trost‘ gedreht wurden.

Bei der weiter nördlich gelegenen Stadt Antofagasta biegen wir nach Osten ins Landesinnere ab. Auf der Strassenkarte ist eine Sehenswürdigkeit eingezeichnet: das Museo del Ferrocarril (Eisenbahnmuseum). Wir nehmen die Ausfahrt nach Baquedano. Das Navi gibt an, dass wir angekommen sind. Weit und breit kein Mensch, keine Tafel, nichts was auf ein Museum schliessen lässt. Nur eine alte Fabrikhalle. Wir gehen durchs Tor und schnell unter den knarrenden Dächern, die alles andere als stabil wirken, durch. Auf dem Innenhof stehen sie dann – die alten Eisenbahnwagen, die einst von Chile nach Bolivien fuhren. Spätestens jetzt kommt Wild-West-Romantik auf.

Wir fahren noch einige Kilometer durch die Wüste, bis wir abends in Calama ankommen. Eine Stadt, die nicht touristisch ist, sondern von der gewaltigen Kupfermine lebt. Im nahen Chuquicamata befindet sich die grösste Tagebaumine der Welt. Heute Sonntag findet keine Führung zur gigantischen Grube statt. Doch rein schon die Schaufeln der Bagger beeindrucken uns.

Von Calama wären es nur noch 100 Kilometer Asphaltstrasse bis nach San Pedro de Atacama. Wir entscheiden uns für die Schotterpiste, welche durchs Hinterland und über die Berge führt. Bevor wir noch mehr in die Höhe steigen, decken wir uns am Sonntagsmarkt in Calama mit Mate de Coca (Coca-Tee) ein. Die Hojas de Coca (Coca-Blätter) bewirken eine verbesserte Sauerstoffaufnahme und sind damit ein gutes Mittel gegen die Höhenkrankheit. Wir kommen ins malerische Oasendorf Chiu Chiu. Die Iglesa de San Francisco de Chiu Chiu, die älteste Kirche Chiles, besteht aus heimischen Materialien, aus einer dicken Adobe-Mauer und aus Cardón (Kaktusholz). Die Decke ist mit Lederriemen anstelle von Nägeln fixiert.

Es ist eine abenteuerliche Fahrt. Wir sind begeistert von der stimmungsvollen Ruta del Desierto! Bei den Baños de Turi verbringen wir die Nacht in der Einsamkeit mit Traumsicht auf die Anden und Vulkane.

 

Anderntags ist es windig und kalt. Dennoch: die Gegend ist einfach wunderschön. Im Oasendorf Caspana wohnen die Menschen in einfachsten Lehmhäusern. Entlang der Strassen weiden Schafe und Vicuñas.

Lass uns versuchen, zu den El Tatio Geysiren auf knapp 4500 Meter zu gelangen. Beim Polizeiposten unterwegs klopfen wir an und erkundigen uns nach dem Zustand der Strasse. Der Weg sei passierbar. Als wir aber oben ankommen, ist die Sicht schlecht und keiner von uns hat Lust in die bissige Kälte auszusteigen. Wir fahren also weiter. Im Tal, auf 2500 Meter, liegt das Wüstendorf San Pedro de Atacma. Wir stellen uns auf den grossen Parkplatz im Dorf. Bei Sonnenuntergang schaffen es doch noch einige Sonnenstrahlen durch die Wolken. Der Kegel des fast 6000 Meter hohen Vulkans Licancábur, der höchste aktive Vulkan Südamerikas, hüllt sich in ein kitschiges Rosa-Orange.

San Pedro ist ein Touristenmagnet. So scheint es auch jetzt, in der Nebensaison, dass die Touristen gegenüber den knapp 5000 Einwohnern in der Überzahl sind. Spektakuläre Landschaften, eine grandiose Stimmung und das Abenteuer machen den Ort so unglaublich toll. Wir sind froh, nicht in der Hochsaison hier zu sein. Heute geht es auf dem Dorfplatz und in den sandigen Gassen ruhig und gemütlich zu und her. Zahlreiche Agenturen bieten Tagesausflüge zu den vielen Sehenswürdigkeiten in der Gegend an. Wie schön, dass wir unser eigener Tourguide sind. Heute wollen wir zu den Flamingos. Wir fahren zum grössten Salzsees Chiles, dem Salar de Atacama. Inmitten der Steinwüste erstreckt sich dieses riesige Feld aus einer harten und rauen Schicht Salz. Darauf befindet sich die Lagune Chaxa, wo sich die Vögel tummeln. Ein zauberhafter Ort!

Inmitten der trockenen Wüstenlandschaft verwandelt der Río Tocanao die Schlucht Quebrada de Jerez in eine fruchtbare Oase. Nebst Steinmalereien und Höhlen, wo einst Lebensmittel kühl gelagert wurden, ist es ein ruhiger Ort, um zu entspannen.

Wir nehmen nochmals einen Anlauf und fahren die knapp 90 Kilometer und 2000 Höhenmeter von San Pedro zu den Geysiren El Tatio. Diesmal erwischen wir einen anderen Weg. Der sandige Pfad führt uns durch die atemberaubende Landschaft und das goldgelbene Andengras glänzt in der Sonne. Die Sechstausender um uns, erscheinen auf dieser Höhe gar nicht mehr so hoch.

Oben angekommen, erwartet uns eine schöne Überraschung: Freya und Andrew sind auch hier. Wir sind die einzigen Besucher, die nicht morgens früh mit dem Touribus hierher kommen. Nach einem gemeinsamen Nachtessen, gibt es eine Bettflasche für alle. Auf über 4000 Meter Höhe sind die Nächte eiskalt. Besonders eine so sternenklare Nacht wie heute. Die Temperatur liegt am nächsten Morgen bei Minus 15 Grad. Im Auto haben wir immerhin „nur“ Minus 5. Das Wasser in der Flasche neben meinem Kopfkissen ist gefroren. Heizen ist nicht möglich, da das Heizsystem das Wasser im Boiler nachts um Drei abgelassen hat. Immerhin das Gas funktioniert noch und so kochen wir uns eine Flasche Mate de Coca und packen den Rucksack mit Frühstück und Badetuch. Bei diesen Temperaturen versulzt auch der Diesel. Das Fahrzeug von Freya und Andrews ist zum Glück ein Benziner. Zu viert fahren wir fröstelnd um Sechs aufs Feld hinaus. Am Fuss des Vulkankraters El Tatio befindet sich eines der höchsten Geothermalgebiete der Welt. Geheimnisvoll sprudelt, zischt und dampft es aus den Geysiren, den heissen Spring-Quellen. Als die Sonne hinter den Felsen empor blickt, erleuchten die Strahlen den aufsteigenden Dampf. Wir können es kaum erwarten, ins warme Thermalwasser zu hüpfen. Das Bad hat aber seine Tücken. Das Wasser im Naturbecken ist kalt und dort, wo frisches Quellwasser reinfliesst, kocht es fast. Also furchtbar heiss oder kalt. Während Freya und ich uns damit begnügen, unsere Füsse und Hände zu erwärmen, zeigen sich die Jungs hartgesotten.

Als alle Touristen vom Platz fahren, stehen nebst der Familie, die hier wohnt, nur noch wir da. Wartend, mit der offenen Motorhaube in Richtung Sonne. Ein kleiner Andenfuchs leistet uns Gesellschaft. Um zwei Uhr sei es am wärmsten, dann fällt die Temperatur wieder, erklärt uns ein Mann, der uns helfen will, den Motor zu starten. Mithilfe des Silikon-Sprays funktioniert es schliesslich und wir kommen gegen Mittag zurück auf den Parkplatz in San Pedro. Durchgefroren und übermüdet geht es in einen Siesta-Schlaf. Währenddessen tauen auch die Wasserleitungen wieder auf.

 

Als wir nachts erwachen, trauen wir unseren Ohren nicht. Regen in der trockensten Wüste der Welt? Tatsächlich, starker Regen! Ein seltenes Phänomen. In Iquique an der Küste hat es zudem schwere Sturmböen gegeben. Der Paso de Jama, über den wir nach Argentinien und dann weiter nach Paraguay wollen, ist wegen Schnee geschlossen. Doch dies hat auch seine schöne Seite. Wir geniessen noch ein letztes chilenisches Mittagsmenu, besuchen das Meteoritenmuseum und der Parkplatz in San Pedro füllt sich immer mehr mit anderen Campern. Wir lernen Nati und Willy aus Buenos Aires, eine Neuseeländische Familie mit ihren vier Kindern, ein Paar aus Quebec, ein Österreicher und eine Familie aus Brasilien kennen.

Und dann ist es soweit, nach drei Tagen ist der Pass wieder geöffnet und uns steht die erste grosse Andenpassüberquerung bevor!

Kobolde, Städte und Pazifikflair – von der Insel Chiloé bis zur Hafenstadt Valparaíso

Wir freuen uns auf Chiloé, der nach Feuerland zweitgrössten Insel Südamerikas. Es ist Montag, der 6. Juni 2016, als wir von der Hafenstadt Puerto Montt zum Fährhafen aufbrechen.

Während der nächsten fünf Tage tauchen wir ins Inselleben ein. Wir schlendern durch die Atesanía Markthalle der Stadt Ancud und kaufen frisches Gemüse bei den Strassenverkäufern. Einer der Verkäufer fragt uns, von wo wir auf der Insel kämen. Er habe uns noch nie gesehen. Schmunzelnd erklären wir dem netten Chiloten, dass wir Suizos seien. Oh! Ob wir dann schon von den vielen erstickten Lachsen und Sardinen wüssten, die es vor ein paar Wochen an die Inselküsten spülte. Tatsächlich haben wir bereits von der Katastrophe gehört. Die meisten Chiloten leben vom Fischfang. Das daraufhin verhängte Fischereiverbot trifft die Menschen hier besonders hart.

Auf holprigen Strassen kurvt Rudolph mit uns in den nördlichsten Zipfel, zum kleinen Leuchtturm Faro Corona. Dann geht‘s der rauen Pazifikküste entlang südwärts. Beim Playa Mar Brava führt die Strasse in eine Sackgasse. Der Weg würde über den Strand führen, doch es ist gerade Flut. Wir geniessen unser Picknick mit tollem Blick auf die rauschenden Wellen und fahren in Richtung der Pinguineras. Von hier aus kann man in der Hochsaison mit Booten zu einer Insel mit Magellan-Pinguinen hinaus fahren. Jetzt im Winter ist der kleine Ort verlassen. Wir trinken einen Kaffee und fahren an die Ostküste. Die Strasse führt uns steil auf- und abwärts über die grünen Hügel der Insel. Das tollste ist immer wieder zu sehen, wie die Mensch leben. Wie die Chilenen auf dem Festland leben auch die Chiloten in farbenfrohen Holzhäuschen mit Blechdächern. Uns gefallen die schnuckligen Villakunterbunts, die an Wohnwägen oder Mobilhomes erinnern. Jedes Häuschen hat einen Garten, wo sich nicht selten weidende Kühe und Rinder, Pferde, Schweine, Hühner, Hunde und Katzen zusammen tummeln.

Als wir bei Aucar an die Ostküste gelangen, ist es bereits dunkel. Der nächste Morgen ist regnerisch grau, was unsere Stimmung aber nicht trübt. Gemütlich tuckern wie der Küste entlang, vorbei an der schmucken Holzkirche von Tenáun und dem idyllischen Fischerhafen von Dalcahue. Gegen Abend gelangen wir in die Hafenstadt Castro. Hier reiht sich am Ufer eine spezielle Art bunter Häuschen. Palafitos werden die Wohn- und Bootshäuser auf Stelzen genannt.

Ein Weg führt hinauf zum Aussichtspunkt Ten Ten. Die Fahrt über die matschige Strasse hat sich gelohnt. Wir geniessen das Fernsehprogramm während des heutigen Fahrerkabinen-Nachtessens: die Lichter von Castro, die langsam im Rauch der Holzöfen verschwinden.

Wir spazieren einige Stunden durch die belebten Gassen und über die fröhlichen Hügel Castro‘s. Unser Rundgang führt uns an den Palafitos, der Bootswerft, der Plaza mit der wunderschönen Holzkirche, dem Museum und dem Artesanía-Markt vorbei. Inmitten der bunten Markthalle geniessen wir frittierten Merluza (Seehecht) und eine Cazuela (Suppe mit Fleisch, Gemüse, Reis und Kartoffeln). Dazu gönnen wir uns ein Tässchen Chilenischen Weisswein. Almuerza, das Mittagessen ist die wichtigste Mahlzeit der Chilenen. Auf den Märkten oder in kleinen Buden bekommt man für wenig Geld oft zwei oder drei Gänge serviert. Wir mögen diese Orte, wo auch die Lokalen ihre Siesta verbringen. Heute sitzen zwei Chiloten am selben Tisch, die uns begeistert von ihrer Arbeit im Nationalpark berichten. So überzeugend, dass wir uns sogleich entschliessen, einen Ausflug dorthin zu machen. Am späteren Nachmittag fahren wir also wieder quer über die Insel in Richtung Pazifikküste.

Unterwegs begegnen wir weiteren bunten Holzkirchen. Chiloé ist für seine über 150 Kirchen bekannt, von denen 14 dem UNESCO-Welterbe angehören.

Unser Favorit ist die gelb-lavendelblaue Iglesia San Francisco von Castro.

Noch besser gefällt uns, dass vor den Dörfchen und in den Buchen anstelle riesiger Fischkutter herzig kleine und farbenfrohe Fischerboote herumtreiben.

Chiloé zählt wegen seiner besonderen Volksmythologie zu den eigenwilligsten Regionen Chiles. Es herrschen uralte Traditionen und spirituelle Legenden. Das Eiland wird seit jeher von Piraten und Seefahrern mit einem starken Unabhängigkeitsgeist bewohnt, die sich gerne dem Einfluss der Regierung Santiagos entzogen. Die Chiloten haben sich ihre ureigene Mythenwelt bis heute bewahrt. Dazu gehört der Glaube an die Existenz von Märchenfiguren, Hexen und Geisterschiffen. So gibt es zum Beispiel den Kobold El Trauco, der Jungfrauen schwängern oder den Caleuche, der Fischer in die Irre führen soll. Wir glauben die Märchen natürlich nicht. Etwas schaudern tut’s uns dann doch, als wir nach einer unruhigen Nacht an der laut tobenden See erwachen. Ein bissig kalter Morgen. Die Gegend ist Menschenleer. Nur eine Maus rennt übers Feld, versucht vergeblich den Klauen des Vogels zu entkommen. Und da entdecken wir ihn, den Kobold El Trauco, im eingefrorenen Boden gleich nebst Rudolph.

Nach einer Schale heisser Haferflocken und Kaffee fahren wir zum Parque Nacional Chiloé. Die Wanderpfade führen durch den kalt feuchten Wald, durch die Dünen und an den scheinbar endlos weiten Strand, der uns das Gefühl vermittelt, alleine auf der Welt zu sein.

003 P.N. ChiloéDie kurzen Wanderpfade sind schnell abgelaufen und so machen wir uns nach dem Mittagessen auf den Weg zurück nach Ancud. Die letzte Nacht verbringen wir auf einer Klippe oberhalb der friedlichen Nordküste. Mit dem gleichmässig ruhigen Wellenrauschen fallen wir zufrieden in einen tiefen Schlaf.

Nördlich von Puerto Montt liegt Puerto Varas und unser nächstes Reiseziel. Ein deutsches Kolonialstädtchen, das hübsch am Lago Llanquihue gelegen und mit einem tollen Blick auf die beiden Vulkane Calbuco und Osorno beglückt ist. Wir freuen uns, ihn endlich zu sehen, den Osorno, auf dem wir vor einer Woche im Nebel standen (links im Foto).

Auf der Plaza steht ein Festzelt der Fischervereinigung. Zu unserer Freude gibt es wieder leckeren Merluza-Fisch mit Kartoffeln, Tomaten-Zwiebeln-Salat und natürlich der typisch chilenischen Pebre-Sauce. Zum Dessert dann noch ein Stück Baumnuss-Likör-Torte. Kulinarisch fehlt es uns auch in Chile wirklich an gar nichts!

Am westlichen Seeufer übernachten wir in Frutillar auf dem Parkplatz des See-Theaters. Es ist Sonntagmorgen und aus dem Radio erklingt Deutsche Volksmusik. Das verschlafene Dorf wirkt wie in einem Werbeprospekt für Ferien im Tirol oder Schwarzwald: herrschaftliche Landhäuser mit Spitzenvorhängen und perfekten Gärten an einer gepflegten Uferpromenade. Passenderweise gibt es das Hotel am See und eine „Kuchen-Fabrik“.

An der Küste weiter nördlich ist in der Hafenstadt Valdivia dann schon wieder mehr los. Auf den ersten Blick ist die Feria Fluvial ein ganz normaler Fischmarkt.

Erst bei genauerem Hinsehen entdecken wir die bettelnden Seelöwen und Geier, die strategisch günstig hinter den Händlern platziert, auf Fischabfälle lauern. Ein einmalig tolles Erlebnis! Wir verzichten darauf, Rudolph in eine Fischbude zu verwandeln und kaufen nur eine Flasche Chicha, ein typischer Apfel-Wein-Saft.

Heute übernachten wir wieder einmal auf einer Tankstelle. In Chile sind die Copec-Pronto-Raststätten ein wahrer Camper-Traum. Tankstellen, die pick fein säuberlich und mit ihrer grünen Bepflanzung manch europäische Raststätte in den Schatten stellen. Doch das alleine erwärmt das von Natur-pur-Stellplätzen verwöhnte Camper-Herz noch nicht. Nein, es ist die heisse Dusche, gutes Wifi und häufig die Möglichkeit, die Tanks mit Frischwasser zu befüllen und Wäsche zu waschen. Ein unkompliziert und günstiger Rast, um voll saniert wieder in die Wildnis aufzubrechen.

Temuco, eine industrielle Grossstadt mit vielen Hochhäusern, ist für seine grosse Markthalle berühmt. Leider müssen wir feststellen, dass diese wegen eines Grossbrandes vor zwei Monaten völlig zerstört wurde. Das Museum zur Region Araucanía hat montags ebenfalls geschlossen.

Temuco (3)

Planänderung! „Lass uns beim Pneuhaus reinschauen“, meint Thomas schliesslich. Rudolph’s Winterreifen sind ziemlich heruntergefahren und hier in Chile gibt es eine grosse Auswahl an Neureifen. Beim Pneu-Haus Neumaton werden wir fündig. Doch zuerst ist Siesta-Zeit. Temuco ist das kulturelle Zentrum der Ureinwohner, der Mapuche. Im Kokaui, einem urchigen Restaurant, kommen Spezialitäten aus der chilenisch-mapuchischer Küche auf den Tisch. Wir bestellen eine Cazuela de Vacuna und Guatitas a la Jardinera con Papas Fritas, dazu Sopaipillas mit feuriger Pebre-Sauce. Die Cazuela-Suppe ist uns bekannt, ebenso die leckeren Sopaipillas (frittiertes Kürbisbrot). Guatita ist eine Mapuche-Spezialität. Soviel wissen wir. Was sich aber genau auf meinem Teller unter den Pommes Frites verbirgt, ist uns rätselhaft. Sicherlich lecker zubereitet, wollen mir die glitschigen Dinger nicht wirklich schmecken.

Mit vollen Mägen laufen wir die paar Blogs zurück zum Reifengeschäft. All-Terrain-Reifen sollen es sein. Eine Dimension grösser als die jetzigen, um an Bodenfreiheit zu gewinnen. Es folgt eine längere Diskussion zwischen dem Monteur und Thomas. Es wird gerätselt und vermessen. Ob der Radkasten wohl genügend gross ist? Schliesslich riskieren wir’s und haben Glück. Mit neuem Schuhwerk bestückt, finden wir’s fast schade, dass uns auf den nächsten Kilometern keine Schotterpiste begegnen wird.

Vorerst führt uns die asphaltierte Strasse an den Städten Ángeles und Chillán vorbei. Die weitläufige Feria de Chillán ist ein buntes Durcheinander, laut und richtig lateinamerikanisch: Ferduras y Frutas, Carne y Pescado, Ponchos y Sombreros, hay siempre todo! Bei der Fleischware bleibe ich vor der Vitrine stehen. „Schau, das könnte es gewesen sein!“ und prompt erklärt uns der nette Metzger, was ich gestern gegessen habe: es war Kuhmagen. Nun ja, heute sind wir weniger experimentierfreudig und entschliessen uns für ein konventionelleres Mittagessen: Empanadas de horno con queso y carne (Fleisch- und Käse-Teig-Taschen aus dem Ofen).

Die vergangenen Wochen haben uns zu wahren Chile-Wein-Fans gemacht. Nebst dem Cabernet-Sauvignon und Merlot schmeckt uns vor allem der trockene Carménère. Wir freuen uns, als wir in die Weinbaugebiete gelangen. Hier im zentralen Mittelland herrschen ideale Bedingungen. Die Wurzeln der Rebstöcke, die zu Kolonialzeiten gepflanzt wurden, sind bis heute sortenrein geblieben. Im trockenen und sonnigen Klima haben Rebpilze und Schädlinge, wie man sie in Europa kennt, keine Chance. Die strengen Lebensmittel-Kontrollen an den Landesgrenzen sorgen dafür, dass auch keine Krankheiten oder Schädlinge eingeschleppt werden. Heute wird die ursprünglich aus Bordeaux importiert Carménère-Traube nach Frankreich reimportiert. In San Javier lädt das Weingut Viño Balduzzi zur Führung und Degustation ein. Die Dame der Bodega führt uns durch die Anlage, in der jährlich ganze sechs Millionen Liter Wein produziert werden. Wir erfahren, dass die ursprünglich aus Italien stammende Familie Balduzzi hier bereits in der vierten Generation winzert. Die Mehrheit des Weins wird nicht in Flaschen abgefüllt, sondern in den Kühltanks nach Asien oder in die USA exportiert. Wir bestaunen die riesigen Silos. Eines dieser Edelstahl-Kolosse ist nicht mehr in Gebrauch. Seine zusammengeklappten Überreste sind Zeuge der immensen Wucht des grossen Erdbebens, das Chile im Februar 2010 erschütterte. Weiter geht’s zum Labor und der vollautomatischen Flaschenabfüllanlage, wo nur noch wenige Mitarbeiter ein Auge drauf werfen. Das Ambiente auf dem Betrieb lässt uns kühl. In einem Kellergewölbe stehen dann doch noch ein paar Holzfässer, wo der Reserva und Premium-Wein zwischen sechs und 24 Monaten gelagert wird. Trotz Einzelführung fühlen wir uns als Teil eines lieblosen Massengeschäfts. Nach der Degustation steht fest, dass wir weder hier noch sonst wo einer dieser angeblichen mehr besseren Tropfen kaufen wollen. Doch Fans des Chilenischen, vielleicht nicht Premium Weins, wollen wir bleiben.

Von Grossstädten halten wir uns wegen der erhöhten Kriminalität lieber fern. Bevor uns die Autopista Ruta 5 in die Hauptstadt Santiago führt, werfen wir einen Blick auf die Landkarte. Nach kurzem Rätseln darüber, wo es wohl schöner sein könnte, entscheiden wir uns zugunsten der Küste und nehmen den nächsten Abzweiger nach links. Wir gelangen auf die Ruta 66, die auch Ruta de la Fruta genannt wird. Der Name ist Programm. Im fruchtbaren Tall, dem Valle Central, herrschen ideale klimatische Bedingungen für den Obst- und Gemüseanbau. Die Landstrasse ist von unzähligen Obstgärten gesäumt. Verträumt schaue ich aus dem Fenster und male mir aus, wie sich die Gegend hier im Verlauf der Jahreszeiten wandelt. Wir erleben den touristisch ruhigen Winter, wenn die Bauern an ihren bunten Ständen Mandarinen, Zitronen, Äpfel, Birnen und Kastanien anbieten. Ein Sack kostet gerade einmal zwei Franken und so dauert es nicht lange, bis uns drei Kilo Mandarinen und weitere drei Kilo Kiwis die Weiterfahrt versüssen.

Die Nacht wollen wir am Stausee Lago Rapel verbringen. Der See ist auf unserer Karte mit einem roten Stern als Sehenswürdigkeit markiert. Vergeblich suchen wir einen Zugang. Was wir vorfinden sind Zäune und Häge mit Privado- oder Prohibido-Schildern (Privat oder Verboten). Die wenigen freien Wiesen sind Abfallentsorgungsstellen. Kein Ort, um zu übernachten. Die einbrechende Dunkelheit macht die Suche nach einem Stellplatz nicht leichter.

004 Lago Rapel

Dann werden wir wieder einmal völlig überrascht. An der Küste kommen wir in den ausserordentlich gepflegten Ort Rocas de Santo Domingo, eine Hochburg von Ferienresidenzen chilenischer Oberschicht. Was für ein Gegensatz zu der Gegend, die wir in den letzten Stunden durchfahren haben. Jetzt im Winter ist der Ort wie ausgestorben wir haben die prunke Meerespromenade fast für uns allein.

Das Wetter ist wieder milder, die Sonne scheint und wir lassen frische Luft durch Rudolph strömen. Nach den vielen Nächten mit zwei Paar Socken an, kann ich es kaum erwarten, in die Flipflops zu schlüpfen und meine Füsse ins kalte Pazifikwasser zu strecken. Auf die Ruta de la Fruta folgt die Ruta del Mar. Immer wieder verändert sich die Gegend. Nach der Villenhochburg folgt mit San Antonio eine grosse und hektische Hafenstadt. Die Wellen zerschlagen sich an der Felsküste. Ein Seelöwe sonnt sich auf dem Felsen und Pelikane fliegen über unsere Köpfe.

In Isla Negra besuchen wir das Museum Casa de Pablo Neruda. Der chilenische Lyriker, Kommunist und Literaturnobelpreisträger Neruda lebte hier bis er 1973 verstarb. Kurz nachdem sein Freund und Chiles sozialistischer Staatspräsident Salvador Allende durch die Militärjunta brutal gestürzt wurde und Pinochets 17-jährige Diktatur anbrach. Bald stellen wir fest, dass Nerudas Häuser, in Santiago, Valparaíso und Isla Negra, ganz besondere Museen sind, denn der Poet war ein leidenschaftlicher Sammler spezieller Gegenstände aus aller Welt. Durch den Audioguide hören wir: „In meinem Haus habe ich kleine und grosse Spielzeuge zusammengetragen, ohne die ich nicht leben könnte. Ich habe sie mein ganzes Leben hindurch gesammelt mit der Absicht, mich allein mit ihnen zu unterhalten“. Die verschiedenen Räumlichkeiten beherbergen eine riesige Fülle an Alltags- und Kunstobjekten, Kitsch und Kuriositäten. Die Reliquien erzählen aus dem bewegten Leben Neduras und laden zum Entdecken ein. Wir bewundern die unzähligen Sammelstücke und bekommen das Gefühl, nicht genügend Augen zu haben. Zu den Spielzeugen Nerudas gehören extravagante Möbelstücke, riesige Galionsfiguren, Statuen, Steine, Muscheln, Käfer und Schmetterlinge, antike Fernrohre, Buddelschiffe, Kompasse, Musikinstrumente, ein lebensgrosses Pferd mit drei Schweifen, eine Weltkugel, speziell geformte Gläser und Flaschen und noch vieles, vieles mehr. Das kreative Chaos lässt uns jedenfalls träumen und fantasieren. Neruda liebte das Meer. Von jedem Zimmer des Hauses blickt man auf die Brandung hinaus. Im Garten steht ein Fischerboot, ein grosser Anker und das Grab, wo Neruda und seine Frau Matilde begraben sind. Neruda schrieb „wenn ich nicht mehr lebe, dann sucht hier, sucht mich hier zwischen Felsen und Ozean, im stürmischen Licht es Meerschaums“.

Die raue Küste zieht auch uns in ihren Bann. Vor dem kleinen Ort El Yeco führt eine Rally-Piste durch einen Wald und uns zu einem traumhaften Übernachtungsplatz. Auf der Klippe oberhalb einer Surfer-Bucht kuscheln wir uns in die Campingstühle und lauschen den Wellen und dem Brutzeln der Longaniza-Würste über dem Feuer.

Wir machen einen Bogen um Santiago. Die Hafen- und Künstlermetropole Valparaíso wollen wir uns aber dann doch nicht entgehen lassen. Valparaíso, rund 120 Kilometer westlich von Santiago gelegen, gilt als die kulturelle Hauptstadt Chiles. In der weniger chaotischen Nachbarsstadt Viña del Mar finden wir beim Sportclub einen überwachten Parkplatz. Beruhigt gönnen wir Rudolph eine Ruhepause und düsen mit dem kultigen Omnibus ins schrille, bunt lebendige Valparaíso.

001 Viña

Eine tolle Stadt, die zwei Gesichter und unzählige Grafits hat. Die Unterstadt, El Plan genannt, ist die Hafengegend. Hier geht’s turbulent, ruppig und hektisch zu und her. Die engen Gassen führen an düsteren Matrosenbeizen und Fischmarkten vorbei. Die Stadt lebt und verfällt zugleich. Pablo Nerudo schrieb zutreffend: „Valparaíso, wie absurd du bist… Du hast dich nie gekämmt, hattest nie Zeit zum Anziehen, bist immer vom Leben überrascht worden“. In jüngster Zeit wurden viele der historischen Gebäude durch das Erdbeben im 2010 und durch einen Grossbrand im 2014 zerstört.

Über der Hafengegend thront die ruhigere und touristischere Oberstadt. Um auf einer der 17 Hügel zu gelangen, bieten sich zwei Varianten an. Man steigt die steilen Treppen empor oder in eine der ratternden Standseilbahnen ein.

Wir entscheiden uns für die bequemere, aber nicht weniger interessante Methode. Der Ascensor Conceptión aus dem Jahr 1883 führt uns aus der Hektik der Unterstadt in eine ruhigere Atmosphäre, wo die Menschen gemächlich ihr Künstlerdasein leben.

Zufrieden und müde steigen wir abends wieder in einen Bus, der uns in rasantem Tempo zurück nach Viña bringt.

Nationalparks, Seen und Vulkane – von El Bolsón durch das Seengebiet Argentiniens und Chiles bis Puerto Montt

Am Mittwoch  11. Mai 2016 reisen wir zum fünften Mal nach Argentinien ein. Wir haben Glück. Noch gleichentags erklärt sich der nette Verkäufer eines kleinen Ladens in Esquel bereit, unsere Schweizer Gasflasche zu befüllen. Esquel ist eine Stadt am Westrand Patagoniens und idealer Ausgangspunkt zur Erkundung des Nationalparks Los Alerces. An einem so nebligen Tag ausserhalb der Saison ist hier nicht viel los. Die Barriere ist geöffnet und der Park eintrittsfrei. Wegen ihres sehr harten und wertvollen Holzes wurden in der Gegend Grossbestände der patagonischen Zypresse Alerce gerodet und damit Tausend Jahre alte Geschichte zerstört. Zum Schutz vor weiterer Rodung wurde das Gebiet 1937 zum Nationalpark erklärt. Die Alerce, welche bis zu 70 Meter hoch werden kann, gewinnt pro Jahr nur etwa einen Millimeter an Durchmesser. Die ältesten im Park haben einen Durchmesser von vier Meter und werden auf unglaubliche 3500 Jahre alt geschätzt. Leider bekommen wir keinen dieser schönen Exemplare zu Gesicht. Dafür wäre eine Schiffstour mit Tageswanderung am anderen Ufer nötig. Die Schiffe liegen im Trocknen, dafür wagt sich Thomas ins kalte Nass. Auf der Schotterpiste fahren wir von Süd nach Nord vorbei an den Seen Futaleufquén, Menéndez und Rivadavia. Wir geniessen ruhige Tage und Nächte in den immergrünen, aber nicht tropischen Wäldern.

Für eine gute Internetverbindung und eine heisse Dusche suchen wir mal wieder auf einen Campingplatz auf. Die Cerveceria El Bolsón ist dafür der perfekte Ort. Nebst leckerem Bier gibt‘s deftige Pizza mit Extra-Queso. Von der Hippie-Kolonie der 60er Jahre ist in der Kleinstadt El Bolsón nicht mehr viel geblieben. Die Alt-Hippies, die hier fern weg von Buenos Aires autostark ein Alternatives Zuhause schufen, sind längst in entlegenere Gegenden umgezogen. Heute leben die Aussteiger, die auf dem Kunsthandwerksmarkt (der Feria Artesanías) Bio-Produkte und Selbstgemachtes anbieten, weitgehend vom Tourismus.

Weiter nordwärts führt uns die Ruta 40 nach San Carlos de Bariloche. Die touristische Hochburg gilt als die Schweiz Argentiniens. Am Ufer des malerischen Gletschersees Nahuel-Huapi gibt es eine Vielzahl von Luxushotels, Schokoladen-Geschäfte und Fondue-Stüblis. Auf dem Hauptplatz können sich Touristen sogar mit einem Bernhardiner, dem nicht mal das Holzfässchen um den Hals fehlt, ablichten lassen. Auf demselben Platz zeugt eine grosse Statue von der traurigen Geschichte der Ureinwohner Patagoniens. Das Perfide: das Denkmal erinnert nicht etwa an die hier lebenden Völker der Mapuche, Pehuelche und Vuriloche, sondern zeigt General Roca auf dem Pferd, den Anführer des Ausrottungskriegs von 1885. Im Sommer wimmelt es hier von Touristen aus aller Welt. Im Winter trifft sich die südamerikanische High Society zum Skifahren. Wir gehen durch die Einkaufspassagen, kosten ein paar Schoggi-Proben, schauen uns die neogotische Kathedrale an und picknicken am Seeufer.

Die Nacht verbringen wir auf dem Parkplatz an der Seepromenade. Typischerweise machen Einheimische sich abends auf ihre „Spazierfahrten“. Es ist Donnerstagnacht und ein Ramba-Zamba von aufheulenden Motoren und lauten Bässen. Gewohnt an verschiedenste nächtliche Geräusche und Umgebungen, macht uns der Lärm nicht sonderlich Mühe. Manchmal sind wir sogar gerne wiedermal im Getümmel. Diese Nacht schrecken wir aber mehrmals auf. Freitagnacht verbringen wir auf dem Hügel oberhalb der Stadt. Nebst einem traumhaften Ausblick gibt’s wieder einen tiefen Schlaf.

006 oberhalb Bariloche

Auf der Landkarte macht uns eine Name 25 Kilometer westlich von Bariloche neugierig: Colonia Suiza. 1899 immigrierten Schweizer Familien aus dem Wallis hierher. Schmunzelnd schlendern wir durch den kleinen Ort. Entdecken Strassennamen wie Bern und Zürich, Schilder und Speisekarten mit Waliser Bier, Fondue und „Goulash con Spätzle“ mit „Papas Rösti“. Wir verbringen zwei Nächte auf dem örtlichen Camping. Bei der Abreise dann die Überraschung: es kostet nichts. Die liebe Wirtin des Platzes meint, wir hätten ja hier am Computer gearbeitet und auf ihr Haus aufgepasst (tatsächlich durften wir Dusche, Küche, Wifi und einen beheizten Raum benutzen). Einmal mehr überrascht uns die südamerikanische Gastfreundschaft!

Entlang der Anden windet sich die Ruta de los Siete Lagos, die tatsächlich an mehr als sieben tiefblauen Seen entlang führt. Der Nationalpark Nahuel-Huapi ist mehr ein Adventur-Paradies als ein Schutzgebiet. Die Gebirgs- und Seenlandschaft wäre bei Sonnenschein aber sicherlich bilderbuchhaft. Heute ist es jedoch trüb und grau. Wir fahren nach San Martín de los Andes. Als wir uns ans Ufer des Lago Lácar stellen, beginnt es zu regnen. Der Regen hält an und so stapfen wir mit Jacke und Schirm durch das Gebirgsstädtchen. Auch hier lebt man vom Tourismus und dem Wintersport. Aufgeräumte Strassen, schmucke Architektur, Luxus-Läden und Sportgeschäfte zieren den Ort.

Weiter nordwärts gelangen wir zum Nationalpark des Vulkans Lanín. Es ist noch immer regnerisch und kalt. Fahrerkabinen-Abende sind besser als jedes Fernsehen. So sitzen wir auch heute am Ufer des Lago Huechulafquén mit einem Teller heissem Nachtessen da, lassen den Tag Revue passieren und schauen ein paar hartgesottenen Männern beim Fliegen-Fischen zu. Der Volcán Lanín soll einer der schönsten Berge sein. Leider versperren uns dicke Wolken die Sicht auf die perfekt geformte 3776 Meter hohe Pyramide mit Zuckerspitze. Wir versuchen es vom Süden her, dann vom Norden – vergeblich. Die Nordstrasse führt uns zurück nach Chile.

Araucanía – der Name dieser chilenischen Provinz tönt für mich wie aus einem Fantasy-Film. Und irgendwie fühle ich mich auch so. Die Luft riecht nach Frühling, frisch und mild. Vögel zwitschern in der herbstlich verfärbten Landschaft und die Sonne lacht. Die Araukarien sind die Wahrzeichen der Region. Majestätische Schmucktannen, die über 1000 Jahre alt werden. Heilige Bäume, deren nahrhafte Zapfen von den Ur-Bewohnern Araukaniens, den Mapuche, noch heute geerntet und am Strassenrand und in den Supermercados verkauft werden. Als wir in den Nationalpark Villarrica kommen, zieren ein paar Wattebäusche den hellblauen Himmel. In Cabargua übernachten wir am Playa Negra.

Auch auf chilenischer Seite gibt es ein Seengebiet, das von besonderer Schönheit sein soll. Wir lassen uns Zeit, fahren nochmals südwärts. Wir kurven auf teils ruppigen Pisten um die Seen, entlang der Flüsse, über grüne Hügel, durch Bergtäler und an Rinder-Weiden vorbei. Die Seen sind Relikte der Eiszeit. Perfekt spiegelt sich die Landschaft in ihrem glasklaren Wasser. Geschmückt wird die Region durch viele Vulkane.

001 am Lago Ranco

In Pucón ist es der Volcán Villarrica, der über der Stadt thront. Wir bummeln durch den Mercado Municipal, wo es wieder tolle Artesanías gibt: Holzspielsachen, Souvenirs in allen Variationen und Socken, Pullover und Ponchos aus bunter Wolle.

Am anderen Ende des Sees liegt Villarrica mit dem nächsten Mercado. Kulinarisch fehlt es uns nach Argentinien auch in Chile an nichts. Heute gönnen wir uns ein gutes Stück Käse. Dazu gibt es ein Salzbrezel aus der deutschen Bäckerei. Im Seengebiet haben sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts viele deutsche Einwanderer niedergelassen. Entsprechend bekommt man hier Kuchen, Strudel, Marmelade und dunkles Brot.

Seit einigen Tagen klappern wir Eisenwarengeschäfte und Garagen ab. Die neue Batterie wurde in Chile Chico leider nicht richtig befüllt. Wir sind also auf der Suche nach Schwefelsäure. „Ácido sulfúrico“ kommt in die Wortschatzkiste. In Villarrica werden wir fündig. Für umgerechnet knapp drei Franken wollen die Garagisten die Batterie aufladen. Als das nichts hilft und wir nach dem Wochenende wieder in der Werkstatt stehen, wird die Batterie schliesslich geleert und neu befüllt. Diesmal für sieben Franken. Das Beste: sie funktioniert seit daher einwandfrei!

Ab Puerto Montt fährt eine zweispurige Autobahn in den Norden Chiles. Die Ruta 5 gehört zur Panamericana, dem Netz aus Strassen, das Feuerland mit Alaska verbinden soll. Wir nehmen die Ruta 5 erstmal noch ein kleines Stück in Richtung Süden. Rudolph fährt dabei seinen stolzen 400‘000en Kilometer. Seit Montevideo hat unser alter Diesel 14‘440 Kilometer Asphalt, Schotter, Sand und Steine hinter sich gelassen.

Wo es Vulkane gibt, da entspringen heisse Quellen. Im Nationalpark Puyehue gibt es die Aguas Calientes umsonst. Nebst dem offiziellen Thermalbad finden wir im Flussbett eine heisse Quelle – Entspannung pur inmitten des grünen Regenwaldes unter wunderschönem Sternenhimmel!

Nach einer Nacht auf dem Parkplatz des Thermalbades fahren wir die Strasse zum Vulkan Casablanca, wo in ein paar Wochen die Skisaison beginnt. Ein alter Sessellift aus dem österreichischen Vorarlberg führt am Kegel des Vulkans hinauf.

Nächste Station im Nationalpark Puyehue ist die Rancher-Hütte in Anticura. Von da aus geht es auf ein paar kurzen Senderos (Wanderwegen) zu verschiedenen Miradors (Aussichtspunkten) und Saltos (Wasserfällen). Wir geniessen die frische Luft in den Regenwälder und ein Picknick mit Blick auf den Vulkan Puyehue, der letztmals Mitte 2011 ausbrach.

Es ist neblig, als wir am Lago Puyehue in Entre Lagos morgens losfahren. Einmal mehr wurden wir und Rudolph nachts von einem Hund bewacht.

Der Himmel tut sich auf und es verspricht ein sonniger Tag zu werden. Wir wollen zum nächsten See und nächsten Vulkan, dem Osorno. Als wir uns an dessen Kegel die kurvenreiche Strasse entlang einer dicken Schicht Vulkan-Asche und-Gestein hinauf schlängeln, wird es aber immer bewölkter. Oben angekommen gibt es einen Schneemann und eine Chocolate Caliente am Holzofen.

Am Fuss des Vulkans liegt der Nationalpark Vicente Pérez Rosales. Hier machen wir nur einen kleinen Nachmittagsspaziergang zur Lagune Verde. Gleich darauf beginnt es stark zu regnen. Dennoch wollen wir noch ein Stück weiter südwärts. Wir fahren bis ins kleine herzige Ort Cochamó, wo wir uns ans Ufer mit Sicht auf den Meereskanal, den kleinen Leuchtturm und ein paar Fischerboote stellen.

Anderntags fahren wir auf der schmalen Landstrasse weiter durch das bewaldete Tal. Die Spitzen der Berge sind beschneit. Der Winter naht. Erstes Ziel auf dem Tagesprogramm ist die Organisation von Wasser. Der Tank ist leer. Heute haben wir Glück und finden nach wenigen Kilometern herrlich feines Bergbachwasser.

Auffallend sind die vielen Lachszucht-Anlagen entlang des Meeresarms. Chile ist nach Norwegen weltweit der zweitgrösste Lachsproduzent. Innerhalb von nur 15 Jahren ist die Produktion aus dem Nichts gewachsen. 2009 brach sie wegen eines Virus um mehr als 50 Prozent ein. In den letzten Wochen haben Zeitungen weltweit über unzähliger tote Wale und Fische an Chiles Küste berichtet. Die Regierung verweist auf ein Naturphänomen, den Klimawandel und den stärksten El Niño seit 65 Jahren. Lokale Fischer, speziell die Bewohner der nahe gelegenen Insel Chiloé machen die industrielle Lachszucht und deren Gift dafür verantwortlich.

Lachszucht

In Puelche geht es dann wieder nordwärts, mit der Fähre nach La Arena. Wir gelangen zurück auf die Carretera Austral, auf der wir noch das letzte Stück bis Puerto Montt fahren wollen. Unterwegs essen wir am Pier der Bucht unser Mittagessen im Auto. Neben uns verkauft ein Fischer seinen Lachs ab dem Strassenrand. Im Pazifikmeer vor uns tummeln sich drei Pinguine und ein paar Delfine.

In der Hafen- und Arbeiterstadt Puerto Montt geht es belebt zu und her. Auch das Stadtbild ist eine wilde Mixtur verschiedenster Baustile. Hier gibt es alles: Moderne Hochhäuser nebst typisch chilenischen Holzhäuschen, alte Landhäuser nebst modernen Kaufhäusern und Industriegebäuden. Das älteste Gebäude der Stadt ist die hölzerne Kirche. Wir füllen unsere Vorräte mit frischem Gemüse und Früchte von Bauern, die vor dem Supermercado ihre Ware zu günstigen Preisen anbieten. Im Winter und bei Regenwetter essen die Chilenen gerne eine Spezialität aus der Mapuche-Küche: Sopaipillas, frittiertes Kürbisbrot. Dazu gibt es Pebre. Eine würzig scharfe Sauce mit Tomaten, Chili, Zwiebeln und Koriander. Etwas, was hier in Chile zu nahezu allem gegessen wird.

Zu den super feinen Sopaipillas, die es heute gibt, passt das Wetter perfekt: es regnet in Strömen. Die Vögel erfreuen sich an den Regenwürmern.

Und weil’s so schön ist, gleich noch ein paar weitere tierische Momentaufnahmen:

Am Nachmittag fahren wir entlang der Küste zur nächsten Fähre. Wir wollen auf die mystische Insel Chiloé! Mehr dazu im nächsten Blogbeitrag 🙂

Von Ushuaia durch den grossen Süden Chiles und Argentiniens nach Futaleufú

Sur Grande, der grosse Süden zwischen Ushuaia und Puerto Montt – nebst der Atacama-Wüste die naturbelassenste Region Chiles. An der pazifischen Westküste des patagonischen Chiles und Argentiniens gibt es unendlich viel zu entdecken.

Am Dienstag, 5. April 2016, verlassen wir Ushuaia. Wir wollen einen Abstecher durch den chilenischen Teil Feuerlands machen. Es ist bereits Nachmittag, als wir den kleinen Grenzübergang Bellavista passieren und so wecken wir mindestens ein Dutzend Beamte und Wachmänner aus dem Siesta-Schlaf. Das Prozedere ist uns mittlerweile vertraut. Zuerst geht es zur Migracion, wo die Pässe einen Ausreisestempel erhalten. Dann stellt man sich ans nächste Pult, zur Aduana. Das gleiche Spiel im Einreiseland: für die Personeneinreise zur Migracion und für die temporäre Einfuhrerlaubnis zur Aduana. Oft muss noch das eine oder andere Formular ausgefüllt werden. Dann folgt die Kontrolle des Fahrzeugs. Das alles geht meist sehr gemächlich zu und her. Klare Arbeitsteilung wird hochgeschrieben. Heute warten wir beim argentinischen Zollbeamten, bis er in aller Seelenruhe die Linien auf der neuen Seite im Buch gezogen hat, wo er unsere Daten handschriftlich einträgt. Hier gibt es noch keinen Computer. Doch wir wollen uns nicht beklagen. Auch wir haben keine Eile und die Bürokratie hält sich noch in Grenzen.

Magellanes, die südlichste Provinz Chiles, ist ein einsames Gebiet. Die wenigen Orte tragen Namen wie Porvenir (Zukunft) oder Ultima Esperanza (letzte Hoffnung). Man hat hier, noch mehr als in Ushuaia, das Gefühl am Ende der Welt angekommen zu sein. Auf Schotterpisten fahren wir vorbei an unendlichen Steppenweiden. Ab und zu tauchen weisse Häuser mit roten Dächern von Schaf-Estancias auf. Wir lachen, als wir ein entflohenes Schaf, das die letzte Rasur im vergangenen Dezember wohl verpasst hat, eifrig mit einer Herde Guanakos mitrennen sehen. Die Schafzucht ist nebst dem Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig Patagoniens.

Als unser Weg in die Wälder und entlang von Flüssen und Bächen führt, fallen abgestorbene Bäume mit silbrig grauer Rinde und unzählige Staudammbauten auf. Der Biber, einst aus Kanada als Pelztier importiert, entkam seiner Farm. Mangels natürlicher Feinde vermehrt er sich seit Jahrzehnten ungestört und hat sich mittlerweile zu einem grossen Problem Feuerlands entwickelt.004 BiberdämmeWir stellen Rudolph an den Waldrand am Ufer des Lago‘s Blanco und verbringen eine völlig ruhige Nacht in einsamer Natur.

Wir erreichen die Bahía Inutíl, jene nutzlose Bucht, in der sich Magellan ein weiteres Mal die Ost-West-Passage erhoffte. Die Bucht ist zwar an der Magellanstrasse gelegen, aber ein Durchkommen gibt es hier nicht. Dafür aber eine ganz andere Sensation: Königspinguine! Seit wir an der Chilenischen Grenze das Plakat des Parque Pingüino Rey gesehen habe, bin ich schon ganz aufgeregt. Königspinguine erwartet man doch in der Antarktis oder zumindest im Eis, nicht aber in der Steppengraslandschaft auf Feuerland, oder? Die kleine Population mit je nach Saison 20 bis 80 Pinguinen hat sich hier erst vor wenigen Jahren wieder angesiedelt. Sie ist die einzige Kolonie in Patagonien, ja in ganz Südamerika. Es ist eine einzigartige Gelegenheit, die Tiere von Nah in frei lebender Natur zu beobachten. Ich kann unser Glück fasst nicht glauben. Wir trotzen den heute besonders bissig kalten Temperaturen mit eisigem Wind, um die putzigen Frackträger solange zu beobachten, bis wir fast eingefroren sind. Dabei steht der Winter der Kolonie mit ihren rund 20 Jungtieren noch bevor. Die Naturschützerin des Parks erzählt uns, dass letztes Jahr gerademal ein Junges überlebt hat. Wir hoffen ganz fest auf eine bessere Saison!

Wir kommen nach Porvenir, einem verschlafenen Ort, wo viele Nachfahren kroatischer Siedler leben, die auf der Suche nach Gold nach 1880 auf die Insel kamen. Nach einer ruhigen Nacht an einem einsamen See geht es mit der Fähre über die Magellanstrasse zurück aufs Festland. Von rechts sind wir über die Ruta 3 gekommen. Heute geht es nach links, auf die Ruta 9 in Richtung Norden.

Wir freuen uns, noch mehr von Chile zu entdecken. Das Land, das wegen seiner eigenwilligen Geografie einfach alles zu bieten hat. Schmal erstreckt es sich zwischen Pazifik und Anden über gut 4300 Kilometer entlang halb Südamerika. Entsprechend vielfältig sind die Landschaften und Klimazonen: ewiges Eis und vulkanisches Feuer, heisse Quellen, Fjorde und zahllose Inseln wie in Skandinavien, riesige Wälder und Seengebiete, Strände, hohe Anden und die trockenste Wüste der Welt.

Des Sitzens im Auto langsam müde, sehnen wir uns nach Bewegung! Wir freuen uns auf ein paar herbstliche Wandertage. Die Ruta 9 bringt uns bis nach Puerto Natales. Von der kleinen Hafenstadt mit ihren bunten Blechhäuschen wollen wir in den grossartigen Nationalpark Torres del Paine aufbrechen. Doch es gibt noch was zu erledigen: der letzte Blogbeitrag stellen wir im Hostel-Camping Josmar fertig und dann geht’s endlich los!

Asphaltierte Hauptstrasse oder Schotterpiste? Einmal mehr entscheiden wir uns für die holprige, aber landschaftlich attraktivere Route. Die Piste führt uns zum Südeingang des Parks und zu einem günstigen Zufall. Die Dame der Rancher-Station teilt uns nett mit, dass wir keinen Eintritt bezahlen müssten. Hier und heute nicht, warum auch immer, wir sind froh darum.001 Fahrt zum P.N.Der bekannteste Nationalpark Chiles ist eine Wunderwelt aus imposanten Gipfeln, Gletschern und Eisbergen, blaugrünen Seen, Wasserfällen und Wäldern. Es ist ein Paradies für Bergsteiger und Wanderer. Ein spektakulärer Anblick bilden die Cuernos del Paine, hörnerartige Gipfel. Die Hauptattraktion sind aber die eigentlichen Torres del Paine, die Türme der Paine. Paine heisst in der Sprache der Ureinwohner, der Tehuelche-Indianer, himmelblau. Torres del Paine heissen also die Türme des blauen Himmels, deren drei scharfgezackte Felsnadeln aus Granit oft in Wolken gehüllt sind. Der höchste Berg ist aber der mit 3050 Meter hohe von Gletschern überzogene Cerro Paine Grande. Auf der längsten Trekkingtour des Parks, dem Circuito oder O-Trail, kann das ganze Massiv einmal umrundet werden. Der Vorderteil dieser Strecke bildet das W, die 75 Kilometer lange Trekkingtour in W-Form. Dieser Weg ist besonders beliebt, da er die wichtigsten Sehenswürdigkeiten miteinander verbindet. In der Hochsaison von Dezember bis April pilgern zahllose Wanderer aus aller Welt in den Park. Die Besucherzahlen steigen zunehmend. Besonders der W-Pfad ist in Stosszeiten heillos überlaufen. Der Andrang hinterlässt seine Spuren und gefährdet das fragile Ökosystem.

Jetzt im Herbst ist Nachsaison. Nebst Ruhe auf den Wanderwegen gibt es verfärbte Bäume und weniger starke Winde. Der O-Trail ist geschlossen und wir beschliessen, einen Teil des W’s und weitere Tagestouren zu laufen. Erste Station heisst Glaciar Grey. Wir stellen uns zwischen die wenigen Touristenbusse auf den Parkplatz vor der Rancher-Station.001 bei Rancher-Station Glaciar GreyZu eifrig und unüberlegt brechen wir zur ersten Wanderung auf. Wir wollen nur kurz zum Mirador (Aussichtspunkt) auf dem Hügel oberhalb des Parkplatzes. Eine Stunde hin und zurück steht auf der Karte. Nach einer Stunde geht der Weg noch weiter hoch. Langsam bekommen wir Durst. Da es keinen Bach gibt, machen wir vorzeitig kehrt. Schade, aber es soll uns eine Lehre sein. Von nun an brechen wir nicht mehr ohne Rucksack mit Proviant auf. Nach einem Picknick geht es zum Lago Grey. Über einen Strand gelangt man zu einer Halbinsel, von wo wir einen tollen Blick auf den Gletscher geniessen. Die im grauen Gletscherwasser schwimmenden Eisblöcke sind so kitschig blau, dass sie nicht wirklich in das in weiche Herbsttöne eingefärbte Panorama passen.

Nach ein paar weiteren Wanderungen verschieben wir unseren Stellplatz ans Ufer eines anderen See: zum Lago Pehoé, unweit vom Wasserfall, dem Salto Grande. Von hier aus führt ein Spaziergang zum Lago Nordenskjöld, von wo man einen wundervollen Blick auf die Cuernos geniesst. Die zweifarbigen Zipfel erheben sich in fantastischem Kontrast zum türkisblauen Wasser. Hier könnten wir stundenlang sitzen, auf das Panorama starren und darauf warten, bis sich mit Grollen wieder ein Stück Eis vom Cerro Paine Grande löst.

Der Wanderweg dorthin führt an silbrig grauen, abgestorbenen Bäumen vorbei. 2005 und beim Jahreswechsel 2011/2012 vernichteten verheerende Brände Grossteile der Wälder und Steppenvegetation. Beide Brände wurden leider durch unachtsame Touristen verursacht.

Kalte und stürmische Böen ziehen auf, als wir auf dem Parkplatz des Hotels Las Torres ankommen. Wir hoffen dennoch, anderntags den Aufstieg zu den Füssen der Torres Felsnadeln machen zu können. Doch es bleibt grau, kalt und regnerisch. Wir fragen im Hotel, ob es die Möglichkeit zum Duschen gäbe und werden zum Spa-Bereich mit Sauna geschickt. Was könnte uns heute Besseres passieren? Als wir anderntags bei Sonnenaufgang zu den Torres aufbrechen, verspricht es ein schöner Tag mit klarer Sicht zu werden. Während der achtstündigen Wanderung wird das Wetter aber zunehmend düsterer. In den Höhen kommen wir in Schneegestöber. Starker Nebel versperrt uns leider die Sicht auf die Lagune und die Granitberge.

Die letzte Nacht verbringen wir an der nördlich gelegenen Lagune Azul. Beim Frühstück lichtete sich der Nebel und uns eröffnet sich doch noch ein letzter Blick auf die Granitgipfel der Torres del Paine.

Nach einer Woche geht uns der Proviant aus und wir verlassen den Park und damit vorläufig auch Chile. Wir gelangen erstmals auf unserer Reise auf die legendäre Ruta Nacional 40. Die Cuarenta ist das westliche Rückgrat Argentiniens und mit ihren über 5000 Kilometern länger als die Route 66. Seit die Strasse vor einigen Jahren von der Tourismusbehörde als Marketingprodukt entdeckt wurde, wird an ihrer Asphaltierung fleissig gearbeitet. Damit lässt sie sich zwar wesentlich schneller und komfortabler befahren, aber verliert doch irgendwie an ihrem Reiz und Charme.

Wir sind wieder in der Provinz Santa Cruz, wo der Parque Nacional Los Glaciares gleich nördlich an den Torres del Paines angrenzt. Auf der Grenze zwischen Chile und Argentinien erstreckt sich eine riesige Eisfläche. Nach der Antarktis und dem Grönlandeis ist der Campo Hielo Sur die drittgrösste zusammenhängende Eismasse der Welt. Mit 22‘000 km2 entspricht sie gut der Hälfte der Fläche der Schweiz. Das Spezielle dieser patagonischen Gletscher liegt darin, dass sie sich fast auf Höhe des Meeresspiegels befinden. Der grösste ist der Upsala, der spektakulärste und meistbesuchte ist aber der Perito-Moreno-Gletscher. Er liegt im Süden des Nationalparks Los Glaciares.

Wir haben die Nacht in der Nähe des Parkeingangs verbracht. Das Wetter ist heute leider regnerisch trüb. Von den Laufstegen und Aussichtsplattformen auf der Halbinsel Península de Magellanes geniessen wir dennoch den Blick auf die über fünf Kilometer lange Gletscherzunge, deren Eiswand sich 50 bis 60 Meter hoch über den Lago Argentino erhebt. Der Perito-Moreno gehört zu den wenigen weltweit wachsenden Gletschern. Er schiebt sich jeden Tag um rund ein bis zwei Meter nach vorne und wächst damit schneller nach, als er unten am Ende abbaut. Allerdings hat sich sein Wachstum infolge des Klimawandels verlangsamt. Wir lauschen, halten den Atem an. Warten bis es knackt und kracht. Bis sich Risse in der riesen Eiswand bilden, Eisbröcke in den See stürzen und kleine Flutwellen auslösen. Gänsehaut pur!

Am Südufer des Lago‘s Argentino, 80 Kilometer vom Perito-Moreno entfernt, liegt der touristische Ort El Calafate. Wir stellen uns ans Seeufer. Ganz erstaunt entdecken wir im milchig-grünen Gletscherwasser sich tummelnde Flamingos. Wir verbringen ein paar ruhige Tage. Schlendern durch das Städtchen, setzen uns auf eine der vielen Terrassen eines Cafés und geniessen das sonnige Herbstwetter.

Wir fahren in den nördlichen Teil des Parque Nacional Los Glaciares zu einer weiteren Hauptattraktion: dem Monte Fitz Roy. Mit 3375 Meter nicht der höchste, aber einer der berühmtesten Berge Argentiniens. Waghalsige Alpinisten beklettern die technisch anspruchsvolle Vertikale. Wir begnügen uns mit einer Rundwanderung. Gut sieben Stunden führt uns der Pfad durch orange leuchtende Wälder, vorbei an türkisfarbenen Seen und an Elvis, dem Specht mit der coolen Haarlocke 🙂 Das Wetter spielt mit und wir geniessen gute Sicht auf die imposanten, spitzigen Felsnadeln.

001 Panorama Fitz Roy

El Chaltén – rauchender Berg, so hiess der oft in Wolken eingehüllte Fitz Roy in der Sprache der Tehuelche. Heute ist El Chaltén der kleine Ort, von wo die Touren starten. In der Nachsaison ist hier nicht viel los. Überall sind die Einheimischen am Hämmern und Sägen. Das erst 1985 gegründete Dorf lebt und wächst vom Tourismus und so erhöht manch einer sein Häuschen um einen weiteren Stock.

Weiter geht es auf der Ruta 40 durch ein einsames Stuck Steppenwüste. Für Abwechslung sorgt wie so oft ein Guanako, ein Hase oder ein Fuchs. In einsamer Gegend liegt der 5000-Seelenort Gobernador Gregores. Auf dem Camping Municipal gibt es gegen Entrichtung eines Trinkgelds warmes Wasser und einen netten Picknickplatz mit typisch argentinischer Grillstelle. Abends gesellen sich Estela und Carlos, ein paraguayisches Rentnerpaar, zu uns. Sie standen schon in El Chaltén neben uns auf dem Parkplatz. Sie wollen währen zehn (!) Jahren einmal um die Welt reisen. Un Paraguayo rodando el mundo – Wir drücken dem netten Paar mit ihrem voll bepackten VW-Bully dazu fest die Daumen!

Ein paar weitere Kilometer nördlich verlassen wir die Ruta 40. Wir wollen auf das chilenische Pendant, auf die Carretera Austral, gelangen. Vor der Grenze liegt am Lago Buenos Aires der herzige Ort Los Antiguos. Nach der patagonischen Steppe ist dieser Ort so ganz anders. Eine sonnige Oase, wo mit Pappel-Alleen beschützt Kirschen, Äpfel, Erdbeeren, Aprikosen und Pfirsiche gedeihen.

Über die Grenze geht es nach Chile Chico. Seit ein paar Tagen sitzen wie im Dunkeln. Unsere Zweitbatterie, welche für die elektrische Versorgung des Wohnraums sorgt, hat ihren Geist aufgegeben. Da wir bei den momentanen Temperaturen quasi im Kühlschrank leben, ist der Stromausfall zwar nicht besonders problematisch. Dennoch haben wir uns bereits in Argentinien nach Ersatz erkundigt. Dass wir dann in Chile, gleich im ersten kleinen Ort fündig werden, damit hätten wir nicht gerechnet. Es ist kurz vor Siesta, aber wir können die Batterie schon heute Abend abholen. Also stellen wir uns gemütlich auf den Hügel oberhalb des Ortes und geniessen den Nachmittag in der Sonne. Der Lago Buenos Aires ist grenzübergreifend. Auf der Westseite, die zu Chile gehört, heisst er Lago General Carrera. Nach dem Titicacasee ist er der zweitgrösste See in Südamerika. Er erinnert uns wegen seiner Grösse, dem glasklar blauen Wasser und den Felsklippen ans Meer in Kroatien.

Plötzlich kommen zwei Jungs mit Mountainbikes angefahren. Es sind Jonas und Christopher, zwei deutsche Backpacker, die wir in Puerto Natales kennengelernt haben. Sie wollten heute eine Wanderung zur Cueva de las Manos machen. Dummerweise sind sie dutzende Kilometer in die verkehrte Richtung gefahren. Glücklicherweise haben sie so Rudolph entdeckt. Wir freuen uns über den schönen Zufall und das Wiedersehen! Ein paar Stunden später, wieder mit Strom im Haus, sind wir bei ihnen im Hostel zum Abendessen eingeladen und beschliessen kurzerhand, morgen zu Viert loszufahren.

Die Sonne geht über dem See auf. Wir holen die Jungs im Hostel ab, kaufen ein paar Lebensmittel für die nächsten Tage ein und machen uns für einen Abstecher in Richtung Naturschutzgebiet Jeinimini auf. Wir wollen zusammen auf die Wanderung zur Cueva de las Manos. Im Gänsemarsch geht es vorbei an eindrucksvollen Felsformationen steil am Horizont entgegen. Besonders imposant ist die gigantische Piedra Clavada, woneben Christopher mit seinen fast zwei Metern sonderlich klein erscheint.

Auf der Höhe angekommen, geniessen wir einen toll Blick über das Tal des Rio Jeinimeni und nach Argentinien. Eine unglaubliche Ruhe umgibt uns. Auf dem ganzen Weg begegnen wir keiner Menschenseele. Und fast hätten wir die Höhlen verpasst. Auf der Wanderung fehlen teilweise Markierung und Pfad. Doch wir finden sie: die mysteriöse Cueva de las Manos. Eine Höhle, wo Steinzeitbewohner Malereien und Handabdrücke in verschiedenen Farben hinterlassen haben.

Es geht weiter bergab durch den chilenischen Bryce-Canyon. Wir kommen ins Valle Lunar, ins Tal des Mondes. Eine wirklich zutreffende Bezeichnung für diese spannend bizarre Erosionslandschaft.

Als wir abends Rudolph am Lago General Carrera parkieren und die Jungs ihre Zelte aufschlagen, geht die Sonne hinter den Bergen unter.

Wir folgen der kurvenreichen Schotterpiste dem Südufer entlang. Bis zu 4000 Meter hohe schneebedeckte Gipfel erheben sich um den See. Die Strasse mündet bei El Maitén in die Carretera Austral. Mit dem Bau der der Ruta 7 wurde unter Pinochet 1976 begonnen, um die auf dem Landweg abgetrennten Südprovinzen mit dem Rest Chiles zu verbinden. Der Bau der Carretera gilt als das aufwendigste Grossprojekt Chile’s im 20. Jahrhundert. Er gestaltete sich als äusserst schwierig, da die unwegsame Gegend von dichter Bewaldung, von Fjorden, Gletschern und Gebirgszügen durchzogen ist. Mehr als 20 Jahre wurde an ihr gebaut. Die heute etwas mehr als 1200 Kilometer führen von Puerto Montt bis nach Villa O’Higgins. Noch ist sie nicht vollendet und bis heute ist ein Grossteil Schotterpiste.

Gute eine Woche fahren wir mit Jonas und Christopher über die abenteuerliche und holprige Strasse, auf der sich uns hinter jeder Kurve ein neues, grossartiges Panorama eröffnet. Wir kommen durch winzige Ortschaften. Wie gewohnt fahren wir morgens los, ohne zu wissen, was uns heute erwartet. Wo es uns gefällt, da halten wir und abends sitzen wir, wenn immer möglich, am grossen und wärmenden Lagerfeuer und backen Pizza-Käsebrötchen.

Wir geniessen gemütliche Tage. Alle kommen zum Schluss: es hätte nicht besser sein können! Wie lange wir noch zusammen gereist wären, wenn Jonas nicht einen fixen Termin in der Grossstadt Coyhaique hätte? Während er in die Bierbrauerei arbeiten geht, verbringen wir unsere Zeit in Coyhaique mit Suchen. Zuerst gilt es einen Camping zu finden, was sich als schwierig herausstellt. Wir fahren alle Plätze ab und überall erhalten wir die Antwort „cerrado“, geschlossen. Schliesslich erklärt sich die ältere Dame Cécilia, die Besitzerin eines kleinen Campings, bereit für uns Deutsche (womit Christopher und wir beide gemeint sind) eine Ausnahme zu machen. Wir dürfen sogar ihr privates Bad benutzen.

Unsere Gasflasche ist bald leer. Wir klappern also eine Gasfirma nach der anderen ab – erfolglos. Die Chilenen haben einen anderen Anschluss. Wir beschliessen, einen Outdoor-Gaskocher zu kaufen und unser Glück in Argentinien wieder zu versuchen. Schliesslich bringen wir noch einen vollen Sack Kleider zur Wäscherei, in die Lavanderia. Wir haben nur selten Wifi. Also nutze ich die Gelegenheit, um wieder einmal nach Hause zu telefonieren. Vor unserer Weiterfahrt fahren wir mit Christopher auf der Hinterbank für einen Brunch zum idyllischen Bergsee Lago Elizalde. Beim Stein des Indio, dem Piedra del Indio, gibt es noch ein Gruppenfoto. Abends geniessen wir ein letztes gemeinsames Nachtessen mit Asado-Grill auf dem Campingplatz und stossen mit dem Cerveza aus Jona’s Brauerei auf eine tolle Zeit an. Salud!

Und dann sind wir wieder alleine. Die restlichen Kilometer der Carretera warten auf uns! Nördlich von Coyhaique ändert sich die Landschaft erneut: es wird grüner.

Als wir durch die Eingangspforte zum Bosque Entcantado gehen, gelangen wir in eine völlig andere Welt: ein schmaler Pfad führt uns durch einen immergrünen, kalten Regenwald. Vorbei an glasklaren Bächen, über Wurzeln und wackelige Holzbrücken gelangen wir zu einem Hängegletscher, von dem herab ein Wasserfall in die türkise Lagune fliesst. Bosque Encantado, erfreuter oder verzauberter Wald – zutreffend für diese märchenhafte Wanderung!

Wir verbringen entlang der Carretera nochmals gemütliche Tage und ruhige Nächte in einsamen Gegenden.

In Playa Santa Barbara verbringen wir die Nacht am Strand. Wir lauschen dem Rauschen der Wellen und sehen den Seerobben beim Jagen zu. Der Strand hier ist schwarz und lässt die nahe gelegene Vulkanlandschaft vermuten.

Niemand hat das erwartet, was am 2. Mai 2008 geschah. Der Vulkan Chaitén brach nach Jahrtausenden Dornröschenschlaf aus. Seine Asche wurde 20 Kilometer in die Luft geschleudert. Heute raucht der Vulkan noch immer vor sich hin. Wir kraxeln in nur 2,2 Kilometern die 600 Meter zum Krater hinauf und werden mit einem unglaublich spannenden und mysteriösen Panorama belohnt.

Abends stellen wir uns wieder ans Meer. Vergnügt tollen Delfine in der Bucht herum.

155 Kilometer südöstlich von Chaitén geht es bei Futaleufú nach Argentinien. Schon wieder heisst es: Hasta luego Chile!

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Wir haben unser Reisetempo entschleunigt. Eigentlich wären wir aktuell, im Mai 2016, in Peru. Tatsächlich sind wir aber mittlerweile in San Carlos de Bariloche, rund 1200 Kilometer südlich von Santiago und damit nicht mal in der Hälfte Chiles angelangt. Der raue und wilde Charme des Südens will uns noch nicht loslassen. Wir haben die patagonische Ruhe und Einsamkeit liebgewonnen. Quien se apura en la Patagonie, pierde el tiempo – wer sich in Patagonien beeilt, verschwendet seine Zeit, erklären die Einheimischen. Und was wäre eine grosse Reise nicht, wenn Pläne nicht dazu da wären, sie zu verwerfen. Schliesslich soll der Weg unser Ziel sein.

PS: Unsere Übernachtungsplätze seht ihr neu im Map unter dem Register Reiseroute.