Seit Tagen kribbelt die Vorfreude in uns. Wir verabschieden uns von Walter, unserem Mechaniker in Uyuni, und starten einen zweiten Versuch ins Abenteuer Lagunenroute.
Hier ist es wieder! Dieses wohlige Gefühl völliger Freiheit. Schweigend und grinsend fahren wir in die karge und einsame Natur. Die Lagunenroute gehört zu den spektakulärsten Hochlandstrassen der Welt. Sie erstreckt sich über rund 450 Kilometer von Uyuni bis nach San Pedro de Atacama in Chile. Wir möchten nicht mehr nach Chile zurück, sondern die Ost-Route bis ganz in den Süden, zur Lagune Verde, nehmen und dann auf der West-Route, der eigentlichen Lagunenroute, wieder nordwärts in Richtung Salzwüste fahren. Damit liegen rund 700 Kilometer Piste vor uns. Rudolph ist vollgepackt mit genügend Diesel-, Wasser- und Lebensmittel-Reserven und wir sind voller Vorfreude. Was die Lagunenroute anspruchsvoll macht, sind die teils miserablem Wege und die kontinuierliche, extreme Höhe von vier- bis fünftausend Meter. Die Luft hier oben ist trocken und dünn. Dennoch, wir haben das Gefühl, mehr Luft und Raum also sonst zu haben.
Die Kulisse, die sich uns eröffnet, ist einfach nur traumhaft. Ab und zu kommt uns ein Landcruiser mit Touristen entgegen. Für Abwechslung sorgen Herden mit Lamas, Alpacas und Vicuñas.
Die erste holprige Piste ist geschafft. Über einen schmalen Pfad geht’s zu Fuss zu einem tiefen Canyon. Einige Kilometer weiter bewundern wir surreale Felsformationen und nochmals später gelangen wir zur menschenleeren Salz-Lagune Vinto, worauf sich ein paar Dutzend Flamingos tummeln.
Eine schier unendliche Weite umgibt uns. Die in weichen Farben getönte Andenlandschaft erscheint uns künstlich, wie eine Landschaft aus einem Ölgemälde. An einem Flussufer schlagen wir unser Nachtlager auf. Aus den Erfahrung am Geysirfeld El Tatio wollen wir gelernt haben: wir parkieren Rudolph mit der Nase in Richtung Morgensonne und stellen die Heizung auf fünf Grad, damit die Wasserleitungen nicht einfrieren. In Uyuni konnten wir zudem einen Frostschutz für den Diesel ergattern.
Tatsächlich. Anderntags springt der Motor nach nur wenigen Versuchen an. Gleich nach dem Frühstück klopft mein Herz. Ich fahre mit Rudolph durchs kalte Nass des Flussbetts. Die erste Hürde ist geschafft!
Auf unserer Karte ist eine Strasse eingezeichnet. Das Navi (maps.me) erkennt aber nur einen Wanderweg. Vor uns liegt ein hoher Berg, dann noch einer. Später umkehren zu müssen, wäre nicht gerade ideal. Hoffentlich also keine Sackgasse. Wir entscheiden uns fürs Risiko. Es wird ein Abenteuer. Auf einer Buckelpiste geht es über die Berge. Der bekannte Geruch von Lehm und Staub macht sich breit. Während uns die Berge und Vulkane in sanften Farbtönen begegnen, ist der Weg alles andere als sanft. Doch die faszinierende Landschaft macht alles wett! Hier ist kein Jeep, kein Tourist. Nur wir, wie alleine auf einem fremden Planeten.
Offroad fahren wir über die Sand- und Steinfelder. Dann windet sich die Strasse, tatsächlich eher ein Wanderweg, den Berg hinauf. Bis auf 4850 Meter kämpft sich Rudolph tapfer über Sand und Geröllstein hinauf. Der Himmel ist tiefblau und wolkenlos und der noch übrig gebliebene Schnee strahlend weiss, als wäre er gerade vom Himmel gefallen. Wohl auch ein Indiz dafür, dass hier kaum ein Auto durchfährt.
Hier oben verschlägt es uns erneut den Atem. Nicht nur, weil die Luft immer dünner wird. Wir versuchen jedes Bild zu verinnerlichen. Der Weg führt uns durch eine verlassene, gruselige Mine, wieder ein paar hundert Höhenmeter runter und durch eine Steinwüste.
Wir haben’s geschafft. Rudolph hat es geschafft. Wir sind in der südwestlichsten Ecke Boliviens angekommen. Es ist windig und kalt. Doch die Kulisse einfach umwerfend. Hinter der Lagune Verde erhebt sich majestätisch der Vulkan Licancábur (im Foto weiter unten; hier zuerst ein Foto mit einem Andenfuchs). Auf der anderen Seite des Vulkans waren wir vor sechs Wochen, als wir von San Pedro de Atacama über den Paso Jama nach Argentinien fuhren.
Trotz Heizen sind die Leitungen über Nacht eingefroren. Auch der Motorstart dauert heute etwas länger. Doch wir haben keine Eile, da wir bis zur Mittagszeit bleiben wollen. Denn dann, wenn die Sonne am höchsten steht, vollzieht sich ein Naturschauspiel der besonderen Art. Durch den Sonneneinstrahlwinkel und die Reaktion des pflanzlichen Planktons in Verbindung mit dem hohen Blei-, Kalzium- und Schwefelgehalt verbreitet sich ein smaragdgrüner Schimmer über die zuvor klare Wasseroberfläche.
Wir fahren wieder nach Norden diesmal die westliche Strasse, den Anden entlang. Weitere spannende 200 Kilometer Sand-, Geröll- und Schotter-Piste warten auf uns.
Es folgt das absolute Highlight der Lagunenroute, der knapp 40 Grad heisse Naturpool am Ufer der Lagune Chalviri. Genau das, was wir gegen die bitterkalten Temperaturen und den Staub brauchen! Die ersten Tour-Jeeps stoppen hier früh morgens und die letzten verlassen die Therme nach der Mittagspause. Abends schwelgen wir im Privat-Openair-Thermalbecken unter funkelndem Sternenhimmel. Die Milchstrasse zieht sich einmal quer über den Himmel. Auf dieser Höhe ist nicht mal der Mond zu sehen. Dafür sehen wir viele Sternschnuppen, fühlen uns aber wunschlos glücklich!
Gewärmt geht’s zum höchsten Geysirfeld der Welt. Auf gut 4900 sprudelt es aus den Geysiren Sol de Mañana. Der Geruch von faulen Eiern steigt uns in die Nase und erinnert an die Schwarz-Weiss-Fotoautomaten von früher. Aus den Löchern steigen Schwefeldämpfe empor. Der graue Lava-Schlamm blubbert. Es stürmt und ist ungemütlich kalt und so bleiben wir nicht lange.
Unser Rudolph erweist sich neuerdings auch als Hochgebirgs-Wanderschuh! Alles wackelt und vibriert. Es gibt verschiedene Wege. Eins, zwei oder drei, ob du richtig fährst… ja, das merkst du erst, wenn’s zu spät ist. „Russisches Roulette“ murmelt Thomas. Doch wir haben Glück. Die Kästchen über unserem Bett haben sich etwas gelöst. Ein Hick im Lack von einem Stein. Sonst ist alles noch ganz, als wir bei der Laguna Colorada ankommen.
Wir bestaunen das Panorama vom Mirador aus, wo wir die nächste Nacht verbringen. Die riesige Lagune erstreckt sich vor uns und macht ihrem Namen alle Ehre. Die Algen und kupferhaltigen Mineralien verfärben das Wasser ziegelrot. Die Laguna Colorada ist Heimat unzähliger Anden- und James-Flamingos. Am Ufer grasen ein paar flauschige Alpakas und zierlichen Vicuñas.
Nach einer unruhigen, stürmischen Nacht geht das Elefantenreiten weiter. Die nächsten hundert Kilometer tuckern wir mit 20 Kilometer pro Stunde. Beim Árbol de Piedra, einem vulkanischen Stein in Form eines Baumes, halten wir an.
Auch der schmale Weg durch einen Canyon ist unwegsam. Für Aufheiterung sorgt ein spezielles Tier. Eine Mischung aus Hase und Känguru mit langem Schwanz, eine bolivianische Art von Chinchilla.
Erneut verläuft alles glimpflich. Wir kommen an den Lagunen Honda, Chiar kkota, Hedionda und Cañapa vorbei. Bei letzterer verbringen wir nochmals eine Nacht.
Das letzte Stück bis zur Hauptstrasse toppt alles. Hochkonzentration ist gefordert, um nicht in den tiefen Fahrrillen zu versinken und den vielen Steinen auszuweichen. Die letzten 14 Kilometer übelste Buckelpiste verursachen sogar Muskelkater vom Festklammern. Und dann… ist es geschafft! Ein Glück, dass nur die hinteren Stossdämpfer im Elend sind.
Noch wissen wir nicht, dass wir auf dem Weg zum Salar de Uyuni bereits einen Salzsee durchqueren. Die Spurrillen sind wieder sehr tief, sodass wir mit dem Unterboden streifen. Wir fahren also auf den Erhebungen. Lange geht das gut. Doch dann rutscht das Hinterrad ab und flutsch, stehen wir schräg in der Landschaft mit den linken Rädern im weichen, feuchten Boden des Salars Colchani. Der Wind bläst uns um die Ohren. Kehrt er, droht Rudolph zu kippen. Wir versuchen, den Wagen zu heben, Salzsteine, Bretter und unser altbekanntes Einstiegstrittbrett darunter zu legen. Alle Versuche, Rudolph nur einen Millimeter zu bewegen, bleiben erfolgslos. Natürlich gibt es hier, wie eigentlich die ganzen letzten Tage, keinen Handyempfang. Nach knapp zwei Stunden erscheint Hilfe am Horizont. Drei Tour-Jeeps fahren auf uns zu und bald bestaunen mindestens ein Dutzend Touristen das Debakel. Kurzerhand schieben alle und mit geballter Kraft ist es geschafft. Rudolph steht wieder auf dem Trockenen!
In San Juan verschlingen wir in der verstaubten Fahrerkabine hungrig eine Portion Spaghetti. Die Motorhaube vor uns ist geöffnet. Ein verbrannter Geruch liegt in der Luft. Das Getriebe. Dennoch, wir wollen nicht länger im aufziehenden Sandsturm bleiben. Am späteren Nachmittag ist es dann soweit. Wir dürfen uns von den Strapazen erholen. Ein Wahnsinnserlebnis. Nein, wir fahren nicht auf Schnee oder Eis, sondern auf Salz. Die harte Kruste knistert unter unseren Füssen.
Bei Sonnenuntergang erreichen wir die Insel Incahuasi im Herzen des Salars. Wir stellen uns in deren Windschatten. Ein anstrengender Tag mit Happyend!
Wir erwachen mit dem atemberaubenden Blick über den grössten Salzsee der Welt. Der Salar de Uyuni – gibt es überhaupt Worte, ihn zu beschreiben? Ein riesiges weisses Meer. Jetzt in der Trockenzeit bestehend aus einer flachen, harten Kruste mit sechskantigen Salzfliesen, schier unendlich, nur die Inseln und der blaue Himmel bieten einen Kontrast.
Die Hügel der Isla Incahuasi bestehen aus versteinerten Korallen, worauf riesige Kakteen empor ragen. Sie wachsen pro Jahr nur einen Zentimeter. Einige von ihnen sind unvorstellbare 1200 Jahre alt!
Okaj, Thomas ist real, Rudolph auch. Doch der Rest? Wir kommen uns wie in einem Science-Fiction-Film vor. Und dann ist da diese unglaubliche Ruhe, eine absolute Stille! Nach rund einer Stunde ein anderes Fahrzeug am Horizont. Es scheint über dem Salar zu schweben. Ein Tag genügt, um unsere Energiereserven von Null auf Hundert aufzutanken. Wir lassen das Sonnendeck raus und geniessen ein Bierchen im Nichts auf dieser riesigen Salzpfanne.
Auf den letzten 30 Kilometern zur östlichen Ausfahrrampe bei Colchani wimmelt es von Löchern im Salar, sogenannte ojos (Augen). Der Salar de Uyuni birgt einen wertvollen Schatz. Unter ihm schlummern die weltweit grössten Vorkommen an Lithium-Karbonat, das als Legierungszusatz für Batterien, Akkus und die Kerntechnik benötigt wird. Auch für die Speicherung erneuerbarer Energien und für Elektroautos werden massig Batterien gebraucht. Ein deutsches Unternehmen plant momentan den Abbau des Leichtmetalls. Die Regierung von Präsident Evo Morales hofft auf Milliardenprofite. Ein lukratives Geschäft für das ärmste Land Lateinamerikas. Doch die Einheimischen sind überzeugt. Die Zunahme der ojos hat mit der Lithium-Gewinnung zu tun. Wie lange man wohl noch auf den Salar fahren kann?
Eine traumhaft abenteuerliche Woche geht zu Ende. Zurück in Uyuni verschlingen wir eine leckere Pizza. Der Trip hat hungrig gemacht. Auch auf noch mehr Abenteuer!