Argentiniens Nordwesten, ein rot-grünes Paraguay und ein trockener Chaco

Drei Tage haben wir auf dem Parkplatz im Nordchilenischen San Pedro de Atacama gewartet. Heute ist es soweit, der Paso de Jama ist wieder geöffnet. Es geht hoch hinauf, auf 4825 Meter. Ich stelle mir einen doppelt so hohen Furka vor, der zu den höchsten Schweizer Pässen gehört. Die Sonne strahlt, während wir fasziniert dem Himmel entgegen fahren. Vorbei an Schnee bepuderten Bergen und Vulkanen, gefrorenen Bächen und schimmernden Lagunen. Schier endlos erstreckt sich die mit goldenem Andengras verzierte Hochebene. Wir fahren dicht vorbei am imposanten, fast 6000 Meter hohen Vulkan Licancabur. Schliesslich erreichen wir den Grenzübergang nach Argentinien. Adiós Chile! Etwas wehmütig verlassen wir dieses tolle Land, das uns während der letzten drei Monate ans Herz gewachsen ist.

Wir stellen uns in die Reihe. Der Andrang ist gross und es ist gerade Siesta. Rund zwei Stunden vergehen, bis alle Formalitäten erledigt sind. Es wird ein langer Tag, denn wir wollen heute nicht in dieser eisigen Höhe übernachten. Bis nach Purmamarca, eine alte Inkasiedlung auf knapp 2200 Meter, sind es noch gut 280 Kilometer nordargentinische Wüstenlandschaft. Auf einem Damm überqueren wir den Salzsee Salinas Grandes. Vom Norden Chiles und Argentiniens wäre es nur noch ein Katzensprung nach Bolivien, wo im Südwesten der grösste Salzsee der Welt, der Salar de Uyuni, liegt. Darauf freuen wir uns. Doch vorerst muss Bolivien warten. Bevor es hoch in den Altiplano geht, wollen wir in Paraguay Wärme auftanken.

Wir schaffen es nicht vor Einbruch der Dunkelheit. Die letzten Kilometer sind wir dankbar um einen Lastwagenchauffeur, der in gemütlichem Tempo vor uns fährt und uns die engen Kurven mit dem Warnblinker signalisiert. Wir folgen ihm die steile Bergstrasse bis nach Purmamarca hinunter.

Purmamarca ist eine Oase inmitten der argentinischen Wüstenlandschaft. Ein lebendiger Ort. Bunt sind nicht nur die indigenen Marktstände, sondern auch die Felsen um uns herum. Sedimentablagerungen aus über 600 Millionen Jahren sorgen für das atemberaubende Farbenspiel.

Die nördlichen Provinzen Argentiniens sind arm. Umso mehr erstaunen uns die vielen Prunkbauten und Riesenanwesen. Es sind Politiker, ranghohe Beamte und Grossgrundbesitzer, die es in die Wärme Nordargentiniens zieht. Gleich daneben wohnen die Nachfahren der indianischen Ureinwohner, die am unteren Ende der sozialen Stufenleiter leben. Eine schmale Strasse führt uns durch den Regenwald in die hübsche Kolonialstadt Salta. Einmal quer durch, zur Bank, zum Supermercado und zu Sergio, der unsere Gasflasche auffüllt. Da die überwachten Parkplätze allesamt in der Höhe begrenzt sind, beschliessen wir weiterzufahren. Fern vom Stadttrubel übernachten wir an einem Fluss.

Um nach Paraguay zu gelangen, fahren wir quer durch den Nordwesten Argentiniens. Eine lange, geradlinige Strecke. Hie und da rennt ein Strauss über den Weg. Den Feierabend verbringen wir auf der Tankstelle, wo wir das argentinische Ehepaar Silvana und Lisandro kennenlernen. Gleichgesinnte, die mit ihrem Camper in den Ferien sind. Es wird ein geselliger Abend, den wir bis spät nachts mit Kaffee und Mate trinken verbringen. Zum Frühstück gibt’s wieder Mate. Dazu tischt uns Lisandro argentinischen Salami auf.

Mate ist der Alltags- und Zaubertrank von Millionen Menschen in Argentinien, Uruguay und Südbrasilien. Überall sind sie anzutreffen, die Leute, mit ihren Thermoskannen unter dem Arm und dem Becher in der Hand. Heisses Wasser bekommt man an allen Tankstellen, in Restaurants und oft auch am Strassenrand. Mate-Trinken ist eine soziale Handlung, die Gemeinschaft stiftet. Denn nicht jeder trinkt seinen eigenen Mate, sondern man trinkt in der Runde aus demselben Becher. Einer giesst die Yerba Mate (Kräutermischung) auf, gibt den Mate-Becher an Jemanden weiter, der die Flüssigkeit mit der Bombilla (ein metallenes Röhrchen) heraussagt und sie dann dem Spender zurückgibt. Der Tee hat einen leicht bitteren Geschmack. Anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig, schmeckt er uns stets besser. Uns gefällt die Kultur. Es sind diese geselligen Momente, die das Leben wunderbar entschleunigen.

Nebst der Gastfreundschaft gefällt uns an Argentinien die Spontanität und Offenherzigkeit der Menschen. Silvana und Lisandro wollen die nächsten Tage ihrer Ferien mit uns verbringen. Also geht es zu Viert auf Erkundungstour durch die Städte Resistencia und Corrientes. Spazierfahrt im Konvoi. In Resistencia schlürfen wir eine Runde Mate auf dem Hauptplatz. Eine Brücke führt nach Corrientes, wo an der Strandpromenade gerade ein Buch-Festival stattfindet. Auch hier setzen wir uns auf die Bank und trinken Mate. Dass wir Argentinien bald verlassen, ohne Chipa und Choripán gegessen zu haben, das geht für Lisandro gar nicht. Schmunzelnd streckt er uns eine Tüte mit kleinen Chipas, Käsebrötchen aus Eiern und Maniok-Mehl, entgegen. Die sollen süchtig machen. Gut, dass es sie in Paraguay auch noch gibt. Choripán ist ein Klassiker und vergleichbar mit unserer Cervelat oder Bratwurst. Die Grillwurst Chori wird der Länge nach aufgeschnitten und in ein knuspriges Brot gepackt. Pan (Brot) con Chorizo (mit Wurst), kurz Coripán. Statt Senf streicht der Argentinier Chimichurri, eine scharfe Marinade aus Olivenöl, Knoblauch und Kräutern drauf. Choripán gehört zu jedem Fussballspiel, Konzert oder Karneval. Lisandro sucht für uns überall nach einem solchen Imbissstand, fragt die Polizei und wird schliesslich fündig. Ein leckerer Abschluss eines tollen Tages, den wir mit dem Nationalgetränk Fernet-Cola krönen, bevor wir spät nachts müde ins Bett fallen.

Zum Abschied gibt es noch eine letzte Runde Mate. Dann fahren wir weiter in Richtung paraguayische Grenze. Vorbei an Menschen, die tagelang zu Fuss oder auf dem Pferd zum Marienfest Virgen de Itatí pilgern. Uns gefallen besonders die Gauchos (Cowboys) mit ihren Trachten.

Von Posadas führt die Brücke über den Río Paraná nach Encarnación und damit nach Paraguay. Die Grenzformalitäten sind unkompliziert und rasch erledigt. Nachdem wir die Hektik von Encarnación hinter uns lassen, fahren wir entlang grüner Wiesen und Felder mit rotbrauner Erde. Es ist bewölkt, aber angenehm warm. Das Klima wird tropischer. Paraguay gefällt uns sofort. Wir sind wieder ganz nah an den Iguazú-Wasserfällen, wo wir vor vier Monaten waren.

Nicht viele Reisende besuchen Paraguay, da es keine „Mega-Attraktionen“ gibt. In der Stadt im Osten, Ciudad del Este, ist der 80 Meter hohe Wasserfall wahrhaft nicht vergleichbar mit den riesigen Fällen von Iguazú auf der anderen Flussseite. Dennoch berauscht er unsere Sinne.

Das für Südamerika kleine Paraguay ist so gross wie Deutschland und die Schweiz zusammen. Ein ganzjährig warmes Land im Herzen Südamerikas. Ein spannendes Land voller Gegensätze. Ländlich und zugleich hochentwickelt. Auch hier findet man extreme Armut und obszönen Reichtum. Pferde und Karren teilen sich die Strassen mit aufgemotzten Autos. Einfache Verkaufsstände stehen in den Gassen nebst glitzernden Einkaufszentren. In den Schulen wird nebst Spanisch Guaraní, die Sprache der Ureinwohner, gelehrt. Damit ist Paraguay in Südamerika das einzige Land, das offiziell zweisprachig ist. Der subtropische und fruchtbare Osten bildet einen starken Kontrast zur trockenen, dornigen Wildnis im Westen, dem Chaco. Durch den Chaco wollen wir nach Bolivien weiterreisen. Doch vorerst geht es in Richtung Hauptstadt, nach Asunción. Unterwegs halten wir immer wieder an, um frische Chipas, zu kaufen. Lisandro behält Recht, die machen süchtig. Paraguay ist ein Importland. Zu unseren chilenischen und argentinischen gesellen sich paraguayische, brasilianische und uruguayische Produkte. Es fehlt uns an nichts. Sogar eine Schweizer Käserei mit Kuhglocken und Tilsiter finden wird. Nach den Rindersteaks in Argentinien ist es hier das gegrillte Poulet, das am Strassenrand über dem Holzkohlengrill brutzelt.

001 Pollo

So schön unsere Reise ist, immer wieder vermissen wir Freunde und Familie. Da kommt der Campingplatz Hasta la Pasta in der Nähe von Asunción genau richtig. Oberhalb des Sees Lago Ypacaraí zwischen Palmenwäldern befindet sich dieser idyllische Platz, der das Deutsch-Schweizer Ehepaar René und Marion liebevoll bewirtschaftet. Wir fühlen uns sofort willkommen und wohl. Es ist herrlich warm und die Vögel zwitschern. Wann haben wir eigentlich das letzte Mal draussen gefrühstückt? Aus geplanten ein, zwei Nächten wird eine Woche. Marion ist eine tolle Köchin. Samstagabend geniessen wir scharfe Chilli-Pasta, die René selbst macht, und nach Monaten wieder einmal ein feines Cordon bleu. Es ist wie Ferien, in denen wir die unzähligen Eindrücke und Erlebnisse der vergangen Reisezeit sacken lassen. Wir kommen zur Ruhe. Geniessen es, uns mit anderen Schweizer und Deutschen Campern zu unterhalten und abends gemütlich zusammen am Lagerfeuer zu sitzen.

Jeden Samstag findet im ruhigen San Bernardino am Lago Ypacaraí ein spezieller Markt statt. Deutsche und Schweizer Auswanderer verkaufen Produkte aus ihrer Heimat. Es gibt Sachen wie Fleischkäse, Würste, Essiggurken, Haribo und deutsches Bier. Spanisch wird hier kaum gesprochen. Mehr als ein Markt, ist es ein Treffen unter Ausgewanderten und für uns ein spannendes und zugleich kurioses Erlebnis.

Montagmorgens tuckern wir im Stauverkehr nach Asunción. Wir haben einen Termin bei der Mercedes Garage. Die Nacht verbringen wir im Hinterhof des Westfalia Hotels. Auch Asunción ist geprägt von Gegensätzen. Noble Kolonialbauten, schillernde Einkaufszentren und schicke Restaurants sind nur ein Steinwurf von einfachsten Holzhütten mit Wellblechdächern entfernt. Der herrschaftliche Placio López ist der Regierungssitz. Die Casa de la Independencia mit den gelben Säulen stammt aus dem Jahr 1772. Hier erklärte Paraguay 1811 als erstes Land Südamerikas seine Unabhängigkeit von Spanien.

Die Ruta Trans-Chaco führt von Asunción in nordwestlicher Richtung nach Bolivien. Über hunderte Kilometer fahren wir quer durch den dürren und heissen Gran Chaco Paraguays, entlang Palmensavannen und dornigen Buschwäldern. Auf mehr als der Hälfte der Fläche Paraguays leben hier nur rund drei Prozent der Bevölkerung. Eine abgeschiedene Gegend. Einst Refugium nomadischer Indígenas, reiht sich heute eine Estancia mit riesigen Feldern und Rinderherden an die nächste. Wenigen gehört viel Boden. Andere besitzen gar keinen. Vor den Zäunen der Grossgrundbesitzer hausen die Ureinwohner ohne jeglichen Besitz. Behelfsmässig lebt die indigene Bevölkerung in einfachen Häuschen aus Brettern und Bambusstämmen. Teilweise auch einfach unter Blachen im Gebüsch. Die landlosen campesinos (Kleinbauern) leben von der Hand in den Mund.

Es ist Trockenzeit, wodurch die Strasse befahrbar ist. Winter im Chaco, kaum vorstellbar, wie heiss es im Sommer sein muss. Zu der Hitze zieht hie und da dicker Rauch über die Strasse. In Flammen stehende Viehweiden, die vom Ungeziefer befreit werden sollen. Die meisten Fahrzeuge, die uns entgegen kommen, sind Tiertransporter voller Rinder für den Schlachthof. Was die Ruta Trans-Chaco anspruchsvoll macht, sind die Schlaglöcher, Kühe und Ziegen, denen es auszuweichen gilt.

Die auffälligsten Siedlungen im Zentralen Chaco sind die Mennoniten-Kolonien. Die Kolonien Loma Plata und Filadelfia sind unser nächstes Reiseziel. Mennoniten sind Mitglieder einer protestantischen Wiedertäufer-Gemeinde. Sie glauben an die Erwachsenentaufe, die Trennung von Kirche und Staat und lehnen jegliche Waffengewalt ab. In ihrer rund 500-jährigen Geschichte wurden sie immer wieder vertrieben. Ab den 1920er Jahren wanderten mehrere Gruppen der Freikirchler in den Chaco ein. Paraguay hatte grosses Interesse, den Chaco zu besiedeln. Im Gegenzug wurden den Mennoniten Sonderrechte gewährt, wie Religionsfreiheit, Befreiung vom Militärdienst, eine unabhängige Verwaltung ihrer Gemeinden sowie eine eigene Rechtsprechung und das Recht, Deutsch zu sprechen.

Der Supermarkt der Cooperativa Mennonita ist ein Erlebnis der besonderen Art. Ein Tante-Emma-Laden voller paraguayischer und deutscher Produkte. Blonde und rothaarige Menschen, die Hoch- oder Plattdeutsch sprechen und uns Hellhäutige und Schweizerdeutsch-Sprechende komisch mustern. Wir fühlen uns wie in einer abgekapselten, scheinbar heilen Welt. In der Gemüseabteilung wünscht uns ein junger Mann auf Deutsch ein schönes Wochenende. Wir übernachten auf der nahegelegenen Estancia Iparoma.

Wir fühlen uns in die Grundschule versetzt, als uns Herr Boschmann, ehemaliger Lehrer der Unterstufe von Filadelfia, ausführlich das Museum und die Geschichte seiner Kolonie Fernheim erläutert. Die Kolonie Fernheim wurde 1930 von Flüchtlingen aus der Sowjetunion gegründet, die über einen komplizierten Fluchtweg in den Chaco kamen. Als wir uns verabschieden, lädt Herr Boschmann uns zum morgigen Sonntagsgottesdienst ein. Wir fühlen uns geehrt und schätzen das Angebot. Dennoch lehnen wir danken ab, denn wir wollen morgen früh weiter fahren.

Wir nehmen den Abzweiger zum Fortín Boquerón. Hier fand die Entscheidungsschlacht des Chaco-Krieges von 1932 bis 1935 zwischen Paraguay und Bolivien statt. Die Firma Standard Oil hatte in Bolivien Öl gefunden und suchte einen Weg, dieses an die Küste zu transportieren. Pipelines bis zum Río Paraná war das Ziel. Dummerweise suchte die Firma Shell zur selben Zeit im Chaco nach Öl. Motiviert durch die beiden Öl-Konzerne kam es zum Krieg, den Paraguay gewann. Öl wurde allerdings nie gefunden. Vielmehr als die Kriegsstätte beeindruckt uns die unglaubliche Artenvielfalt an Vögeln. Nebst den Vögeln beheimatet der Chaco Jaguare, Pumas, Tapire, Giftschlangen und eine Wildschweinart, von der man annahm, sie sei während der Eiszeit ausgestorben. Nebst der Tierwelt beeindruckt die Flora. Der Flaschenbaum, dessen riesiger Stamm sich nach aussen wölbt, als wäre er mit Wasser gefüllt, hatte während des Krieges eine besondere Bedeutung. Er diente ausgehöhlt als Tarnung für Scharfschützen. Einer der ausgehöhlten palo-borracho-Baumstämme lebt noch, obwohl er vor über 80 Jahren entkernt wurde.

Es weht ein starker und trockener Wind, als wir uns in Richtung bolivianische Grenze aufmachen. Die Sonne strahlt und bei Aussentemperaturen von knapp 40 Grad gleicht die Fahrerkabine einer Sauna. In Mariscal Estigarribia endet die befestigte Strasse. Eine Weile ist es noch möglich, mit langsamer Slalom-Fahrt den Schlaglöchern auszuweichen. Irgendwann ist die Strasse nur noch ein einziges Schlagloch. Die Überreste des Asphalts werden zu fiesen Auffahr-Inseln. Der Feinstaub des trockenen Lehmbodens wirbelt hoch und kriecht in alle Poren und Ecken. Er klebt an unserer verschwitzen Haut. Nach dem Kreuzen eines entgegenkommenden Fahrzeugs sehen wir eine Weile nichts als eine riesige Staubwolke. Doch irgendwie weckt dieser Weg unsere Reiselust. Wir lachen und drehen die Musik lauter. Wahrscheinlich ist es genau die Härte dieser Gegend, die eine spezielle Faszination auf uns ausübt. Als sich die Sonne dem Horizont entgegen neigt, ist noch keine Ende der Strasse in Sicht. Wir übernachten am Strassenrand. Nach einer ruhigen und sternenklaren Nacht geht das Elefanten-Reiten auf der Buckelpiste weiter. Bald kommen wir nach Bolivien, wo uns ein anderes Südamerika erwartet. Ein Kribbeln im Bauch macht sich bemerkbar, während die Vorfreude steigt.

 

Nationalparks, Seen und Vulkane – von El Bolsón durch das Seengebiet Argentiniens und Chiles bis Puerto Montt

Am Mittwoch  11. Mai 2016 reisen wir zum fünften Mal nach Argentinien ein. Wir haben Glück. Noch gleichentags erklärt sich der nette Verkäufer eines kleinen Ladens in Esquel bereit, unsere Schweizer Gasflasche zu befüllen. Esquel ist eine Stadt am Westrand Patagoniens und idealer Ausgangspunkt zur Erkundung des Nationalparks Los Alerces. An einem so nebligen Tag ausserhalb der Saison ist hier nicht viel los. Die Barriere ist geöffnet und der Park eintrittsfrei. Wegen ihres sehr harten und wertvollen Holzes wurden in der Gegend Grossbestände der patagonischen Zypresse Alerce gerodet und damit Tausend Jahre alte Geschichte zerstört. Zum Schutz vor weiterer Rodung wurde das Gebiet 1937 zum Nationalpark erklärt. Die Alerce, welche bis zu 70 Meter hoch werden kann, gewinnt pro Jahr nur etwa einen Millimeter an Durchmesser. Die ältesten im Park haben einen Durchmesser von vier Meter und werden auf unglaubliche 3500 Jahre alt geschätzt. Leider bekommen wir keinen dieser schönen Exemplare zu Gesicht. Dafür wäre eine Schiffstour mit Tageswanderung am anderen Ufer nötig. Die Schiffe liegen im Trocknen, dafür wagt sich Thomas ins kalte Nass. Auf der Schotterpiste fahren wir von Süd nach Nord vorbei an den Seen Futaleufquén, Menéndez und Rivadavia. Wir geniessen ruhige Tage und Nächte in den immergrünen, aber nicht tropischen Wäldern.

Für eine gute Internetverbindung und eine heisse Dusche suchen wir mal wieder auf einen Campingplatz auf. Die Cerveceria El Bolsón ist dafür der perfekte Ort. Nebst leckerem Bier gibt‘s deftige Pizza mit Extra-Queso. Von der Hippie-Kolonie der 60er Jahre ist in der Kleinstadt El Bolsón nicht mehr viel geblieben. Die Alt-Hippies, die hier fern weg von Buenos Aires autostark ein Alternatives Zuhause schufen, sind längst in entlegenere Gegenden umgezogen. Heute leben die Aussteiger, die auf dem Kunsthandwerksmarkt (der Feria Artesanías) Bio-Produkte und Selbstgemachtes anbieten, weitgehend vom Tourismus.

Weiter nordwärts führt uns die Ruta 40 nach San Carlos de Bariloche. Die touristische Hochburg gilt als die Schweiz Argentiniens. Am Ufer des malerischen Gletschersees Nahuel-Huapi gibt es eine Vielzahl von Luxushotels, Schokoladen-Geschäfte und Fondue-Stüblis. Auf dem Hauptplatz können sich Touristen sogar mit einem Bernhardiner, dem nicht mal das Holzfässchen um den Hals fehlt, ablichten lassen. Auf demselben Platz zeugt eine grosse Statue von der traurigen Geschichte der Ureinwohner Patagoniens. Das Perfide: das Denkmal erinnert nicht etwa an die hier lebenden Völker der Mapuche, Pehuelche und Vuriloche, sondern zeigt General Roca auf dem Pferd, den Anführer des Ausrottungskriegs von 1885. Im Sommer wimmelt es hier von Touristen aus aller Welt. Im Winter trifft sich die südamerikanische High Society zum Skifahren. Wir gehen durch die Einkaufspassagen, kosten ein paar Schoggi-Proben, schauen uns die neogotische Kathedrale an und picknicken am Seeufer.

Die Nacht verbringen wir auf dem Parkplatz an der Seepromenade. Typischerweise machen Einheimische sich abends auf ihre „Spazierfahrten“. Es ist Donnerstagnacht und ein Ramba-Zamba von aufheulenden Motoren und lauten Bässen. Gewohnt an verschiedenste nächtliche Geräusche und Umgebungen, macht uns der Lärm nicht sonderlich Mühe. Manchmal sind wir sogar gerne wiedermal im Getümmel. Diese Nacht schrecken wir aber mehrmals auf. Freitagnacht verbringen wir auf dem Hügel oberhalb der Stadt. Nebst einem traumhaften Ausblick gibt’s wieder einen tiefen Schlaf.

006 oberhalb Bariloche

Auf der Landkarte macht uns eine Name 25 Kilometer westlich von Bariloche neugierig: Colonia Suiza. 1899 immigrierten Schweizer Familien aus dem Wallis hierher. Schmunzelnd schlendern wir durch den kleinen Ort. Entdecken Strassennamen wie Bern und Zürich, Schilder und Speisekarten mit Waliser Bier, Fondue und „Goulash con Spätzle“ mit „Papas Rösti“. Wir verbringen zwei Nächte auf dem örtlichen Camping. Bei der Abreise dann die Überraschung: es kostet nichts. Die liebe Wirtin des Platzes meint, wir hätten ja hier am Computer gearbeitet und auf ihr Haus aufgepasst (tatsächlich durften wir Dusche, Küche, Wifi und einen beheizten Raum benutzen). Einmal mehr überrascht uns die südamerikanische Gastfreundschaft!

Entlang der Anden windet sich die Ruta de los Siete Lagos, die tatsächlich an mehr als sieben tiefblauen Seen entlang führt. Der Nationalpark Nahuel-Huapi ist mehr ein Adventur-Paradies als ein Schutzgebiet. Die Gebirgs- und Seenlandschaft wäre bei Sonnenschein aber sicherlich bilderbuchhaft. Heute ist es jedoch trüb und grau. Wir fahren nach San Martín de los Andes. Als wir uns ans Ufer des Lago Lácar stellen, beginnt es zu regnen. Der Regen hält an und so stapfen wir mit Jacke und Schirm durch das Gebirgsstädtchen. Auch hier lebt man vom Tourismus und dem Wintersport. Aufgeräumte Strassen, schmucke Architektur, Luxus-Läden und Sportgeschäfte zieren den Ort.

Weiter nordwärts gelangen wir zum Nationalpark des Vulkans Lanín. Es ist noch immer regnerisch und kalt. Fahrerkabinen-Abende sind besser als jedes Fernsehen. So sitzen wir auch heute am Ufer des Lago Huechulafquén mit einem Teller heissem Nachtessen da, lassen den Tag Revue passieren und schauen ein paar hartgesottenen Männern beim Fliegen-Fischen zu. Der Volcán Lanín soll einer der schönsten Berge sein. Leider versperren uns dicke Wolken die Sicht auf die perfekt geformte 3776 Meter hohe Pyramide mit Zuckerspitze. Wir versuchen es vom Süden her, dann vom Norden – vergeblich. Die Nordstrasse führt uns zurück nach Chile.

Araucanía – der Name dieser chilenischen Provinz tönt für mich wie aus einem Fantasy-Film. Und irgendwie fühle ich mich auch so. Die Luft riecht nach Frühling, frisch und mild. Vögel zwitschern in der herbstlich verfärbten Landschaft und die Sonne lacht. Die Araukarien sind die Wahrzeichen der Region. Majestätische Schmucktannen, die über 1000 Jahre alt werden. Heilige Bäume, deren nahrhafte Zapfen von den Ur-Bewohnern Araukaniens, den Mapuche, noch heute geerntet und am Strassenrand und in den Supermercados verkauft werden. Als wir in den Nationalpark Villarrica kommen, zieren ein paar Wattebäusche den hellblauen Himmel. In Cabargua übernachten wir am Playa Negra.

Auch auf chilenischer Seite gibt es ein Seengebiet, das von besonderer Schönheit sein soll. Wir lassen uns Zeit, fahren nochmals südwärts. Wir kurven auf teils ruppigen Pisten um die Seen, entlang der Flüsse, über grüne Hügel, durch Bergtäler und an Rinder-Weiden vorbei. Die Seen sind Relikte der Eiszeit. Perfekt spiegelt sich die Landschaft in ihrem glasklaren Wasser. Geschmückt wird die Region durch viele Vulkane.

001 am Lago Ranco

In Pucón ist es der Volcán Villarrica, der über der Stadt thront. Wir bummeln durch den Mercado Municipal, wo es wieder tolle Artesanías gibt: Holzspielsachen, Souvenirs in allen Variationen und Socken, Pullover und Ponchos aus bunter Wolle.

Am anderen Ende des Sees liegt Villarrica mit dem nächsten Mercado. Kulinarisch fehlt es uns nach Argentinien auch in Chile an nichts. Heute gönnen wir uns ein gutes Stück Käse. Dazu gibt es ein Salzbrezel aus der deutschen Bäckerei. Im Seengebiet haben sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts viele deutsche Einwanderer niedergelassen. Entsprechend bekommt man hier Kuchen, Strudel, Marmelade und dunkles Brot.

Seit einigen Tagen klappern wir Eisenwarengeschäfte und Garagen ab. Die neue Batterie wurde in Chile Chico leider nicht richtig befüllt. Wir sind also auf der Suche nach Schwefelsäure. „Ácido sulfúrico“ kommt in die Wortschatzkiste. In Villarrica werden wir fündig. Für umgerechnet knapp drei Franken wollen die Garagisten die Batterie aufladen. Als das nichts hilft und wir nach dem Wochenende wieder in der Werkstatt stehen, wird die Batterie schliesslich geleert und neu befüllt. Diesmal für sieben Franken. Das Beste: sie funktioniert seit daher einwandfrei!

Ab Puerto Montt fährt eine zweispurige Autobahn in den Norden Chiles. Die Ruta 5 gehört zur Panamericana, dem Netz aus Strassen, das Feuerland mit Alaska verbinden soll. Wir nehmen die Ruta 5 erstmal noch ein kleines Stück in Richtung Süden. Rudolph fährt dabei seinen stolzen 400‘000en Kilometer. Seit Montevideo hat unser alter Diesel 14‘440 Kilometer Asphalt, Schotter, Sand und Steine hinter sich gelassen.

Wo es Vulkane gibt, da entspringen heisse Quellen. Im Nationalpark Puyehue gibt es die Aguas Calientes umsonst. Nebst dem offiziellen Thermalbad finden wir im Flussbett eine heisse Quelle – Entspannung pur inmitten des grünen Regenwaldes unter wunderschönem Sternenhimmel!

Nach einer Nacht auf dem Parkplatz des Thermalbades fahren wir die Strasse zum Vulkan Casablanca, wo in ein paar Wochen die Skisaison beginnt. Ein alter Sessellift aus dem österreichischen Vorarlberg führt am Kegel des Vulkans hinauf.

Nächste Station im Nationalpark Puyehue ist die Rancher-Hütte in Anticura. Von da aus geht es auf ein paar kurzen Senderos (Wanderwegen) zu verschiedenen Miradors (Aussichtspunkten) und Saltos (Wasserfällen). Wir geniessen die frische Luft in den Regenwälder und ein Picknick mit Blick auf den Vulkan Puyehue, der letztmals Mitte 2011 ausbrach.

Es ist neblig, als wir am Lago Puyehue in Entre Lagos morgens losfahren. Einmal mehr wurden wir und Rudolph nachts von einem Hund bewacht.

Der Himmel tut sich auf und es verspricht ein sonniger Tag zu werden. Wir wollen zum nächsten See und nächsten Vulkan, dem Osorno. Als wir uns an dessen Kegel die kurvenreiche Strasse entlang einer dicken Schicht Vulkan-Asche und-Gestein hinauf schlängeln, wird es aber immer bewölkter. Oben angekommen gibt es einen Schneemann und eine Chocolate Caliente am Holzofen.

Am Fuss des Vulkans liegt der Nationalpark Vicente Pérez Rosales. Hier machen wir nur einen kleinen Nachmittagsspaziergang zur Lagune Verde. Gleich darauf beginnt es stark zu regnen. Dennoch wollen wir noch ein Stück weiter südwärts. Wir fahren bis ins kleine herzige Ort Cochamó, wo wir uns ans Ufer mit Sicht auf den Meereskanal, den kleinen Leuchtturm und ein paar Fischerboote stellen.

Anderntags fahren wir auf der schmalen Landstrasse weiter durch das bewaldete Tal. Die Spitzen der Berge sind beschneit. Der Winter naht. Erstes Ziel auf dem Tagesprogramm ist die Organisation von Wasser. Der Tank ist leer. Heute haben wir Glück und finden nach wenigen Kilometern herrlich feines Bergbachwasser.

Auffallend sind die vielen Lachszucht-Anlagen entlang des Meeresarms. Chile ist nach Norwegen weltweit der zweitgrösste Lachsproduzent. Innerhalb von nur 15 Jahren ist die Produktion aus dem Nichts gewachsen. 2009 brach sie wegen eines Virus um mehr als 50 Prozent ein. In den letzten Wochen haben Zeitungen weltweit über unzähliger tote Wale und Fische an Chiles Küste berichtet. Die Regierung verweist auf ein Naturphänomen, den Klimawandel und den stärksten El Niño seit 65 Jahren. Lokale Fischer, speziell die Bewohner der nahe gelegenen Insel Chiloé machen die industrielle Lachszucht und deren Gift dafür verantwortlich.

Lachszucht

In Puelche geht es dann wieder nordwärts, mit der Fähre nach La Arena. Wir gelangen zurück auf die Carretera Austral, auf der wir noch das letzte Stück bis Puerto Montt fahren wollen. Unterwegs essen wir am Pier der Bucht unser Mittagessen im Auto. Neben uns verkauft ein Fischer seinen Lachs ab dem Strassenrand. Im Pazifikmeer vor uns tummeln sich drei Pinguine und ein paar Delfine.

In der Hafen- und Arbeiterstadt Puerto Montt geht es belebt zu und her. Auch das Stadtbild ist eine wilde Mixtur verschiedenster Baustile. Hier gibt es alles: Moderne Hochhäuser nebst typisch chilenischen Holzhäuschen, alte Landhäuser nebst modernen Kaufhäusern und Industriegebäuden. Das älteste Gebäude der Stadt ist die hölzerne Kirche. Wir füllen unsere Vorräte mit frischem Gemüse und Früchte von Bauern, die vor dem Supermercado ihre Ware zu günstigen Preisen anbieten. Im Winter und bei Regenwetter essen die Chilenen gerne eine Spezialität aus der Mapuche-Küche: Sopaipillas, frittiertes Kürbisbrot. Dazu gibt es Pebre. Eine würzig scharfe Sauce mit Tomaten, Chili, Zwiebeln und Koriander. Etwas, was hier in Chile zu nahezu allem gegessen wird.

Zu den super feinen Sopaipillas, die es heute gibt, passt das Wetter perfekt: es regnet in Strömen. Die Vögel erfreuen sich an den Regenwürmern.

Und weil’s so schön ist, gleich noch ein paar weitere tierische Momentaufnahmen:

Am Nachmittag fahren wir entlang der Küste zur nächsten Fähre. Wir wollen auf die mystische Insel Chiloé! Mehr dazu im nächsten Blogbeitrag 🙂

Von Ushuaia durch den grossen Süden Chiles und Argentiniens nach Futaleufú

Sur Grande, der grosse Süden zwischen Ushuaia und Puerto Montt – nebst der Atacama-Wüste die naturbelassenste Region Chiles. An der pazifischen Westküste des patagonischen Chiles und Argentiniens gibt es unendlich viel zu entdecken.

Am Dienstag, 5. April 2016, verlassen wir Ushuaia. Wir wollen einen Abstecher durch den chilenischen Teil Feuerlands machen. Es ist bereits Nachmittag, als wir den kleinen Grenzübergang Bellavista passieren und so wecken wir mindestens ein Dutzend Beamte und Wachmänner aus dem Siesta-Schlaf. Das Prozedere ist uns mittlerweile vertraut. Zuerst geht es zur Migracion, wo die Pässe einen Ausreisestempel erhalten. Dann stellt man sich ans nächste Pult, zur Aduana. Das gleiche Spiel im Einreiseland: für die Personeneinreise zur Migracion und für die temporäre Einfuhrerlaubnis zur Aduana. Oft muss noch das eine oder andere Formular ausgefüllt werden. Dann folgt die Kontrolle des Fahrzeugs. Das alles geht meist sehr gemächlich zu und her. Klare Arbeitsteilung wird hochgeschrieben. Heute warten wir beim argentinischen Zollbeamten, bis er in aller Seelenruhe die Linien auf der neuen Seite im Buch gezogen hat, wo er unsere Daten handschriftlich einträgt. Hier gibt es noch keinen Computer. Doch wir wollen uns nicht beklagen. Auch wir haben keine Eile und die Bürokratie hält sich noch in Grenzen.

Magellanes, die südlichste Provinz Chiles, ist ein einsames Gebiet. Die wenigen Orte tragen Namen wie Porvenir (Zukunft) oder Ultima Esperanza (letzte Hoffnung). Man hat hier, noch mehr als in Ushuaia, das Gefühl am Ende der Welt angekommen zu sein. Auf Schotterpisten fahren wir vorbei an unendlichen Steppenweiden. Ab und zu tauchen weisse Häuser mit roten Dächern von Schaf-Estancias auf. Wir lachen, als wir ein entflohenes Schaf, das die letzte Rasur im vergangenen Dezember wohl verpasst hat, eifrig mit einer Herde Guanakos mitrennen sehen. Die Schafzucht ist nebst dem Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig Patagoniens.

Als unser Weg in die Wälder und entlang von Flüssen und Bächen führt, fallen abgestorbene Bäume mit silbrig grauer Rinde und unzählige Staudammbauten auf. Der Biber, einst aus Kanada als Pelztier importiert, entkam seiner Farm. Mangels natürlicher Feinde vermehrt er sich seit Jahrzehnten ungestört und hat sich mittlerweile zu einem grossen Problem Feuerlands entwickelt.004 BiberdämmeWir stellen Rudolph an den Waldrand am Ufer des Lago‘s Blanco und verbringen eine völlig ruhige Nacht in einsamer Natur.

Wir erreichen die Bahía Inutíl, jene nutzlose Bucht, in der sich Magellan ein weiteres Mal die Ost-West-Passage erhoffte. Die Bucht ist zwar an der Magellanstrasse gelegen, aber ein Durchkommen gibt es hier nicht. Dafür aber eine ganz andere Sensation: Königspinguine! Seit wir an der Chilenischen Grenze das Plakat des Parque Pingüino Rey gesehen habe, bin ich schon ganz aufgeregt. Königspinguine erwartet man doch in der Antarktis oder zumindest im Eis, nicht aber in der Steppengraslandschaft auf Feuerland, oder? Die kleine Population mit je nach Saison 20 bis 80 Pinguinen hat sich hier erst vor wenigen Jahren wieder angesiedelt. Sie ist die einzige Kolonie in Patagonien, ja in ganz Südamerika. Es ist eine einzigartige Gelegenheit, die Tiere von Nah in frei lebender Natur zu beobachten. Ich kann unser Glück fasst nicht glauben. Wir trotzen den heute besonders bissig kalten Temperaturen mit eisigem Wind, um die putzigen Frackträger solange zu beobachten, bis wir fast eingefroren sind. Dabei steht der Winter der Kolonie mit ihren rund 20 Jungtieren noch bevor. Die Naturschützerin des Parks erzählt uns, dass letztes Jahr gerademal ein Junges überlebt hat. Wir hoffen ganz fest auf eine bessere Saison!

Wir kommen nach Porvenir, einem verschlafenen Ort, wo viele Nachfahren kroatischer Siedler leben, die auf der Suche nach Gold nach 1880 auf die Insel kamen. Nach einer ruhigen Nacht an einem einsamen See geht es mit der Fähre über die Magellanstrasse zurück aufs Festland. Von rechts sind wir über die Ruta 3 gekommen. Heute geht es nach links, auf die Ruta 9 in Richtung Norden.

Wir freuen uns, noch mehr von Chile zu entdecken. Das Land, das wegen seiner eigenwilligen Geografie einfach alles zu bieten hat. Schmal erstreckt es sich zwischen Pazifik und Anden über gut 4300 Kilometer entlang halb Südamerika. Entsprechend vielfältig sind die Landschaften und Klimazonen: ewiges Eis und vulkanisches Feuer, heisse Quellen, Fjorde und zahllose Inseln wie in Skandinavien, riesige Wälder und Seengebiete, Strände, hohe Anden und die trockenste Wüste der Welt.

Des Sitzens im Auto langsam müde, sehnen wir uns nach Bewegung! Wir freuen uns auf ein paar herbstliche Wandertage. Die Ruta 9 bringt uns bis nach Puerto Natales. Von der kleinen Hafenstadt mit ihren bunten Blechhäuschen wollen wir in den grossartigen Nationalpark Torres del Paine aufbrechen. Doch es gibt noch was zu erledigen: der letzte Blogbeitrag stellen wir im Hostel-Camping Josmar fertig und dann geht’s endlich los!

Asphaltierte Hauptstrasse oder Schotterpiste? Einmal mehr entscheiden wir uns für die holprige, aber landschaftlich attraktivere Route. Die Piste führt uns zum Südeingang des Parks und zu einem günstigen Zufall. Die Dame der Rancher-Station teilt uns nett mit, dass wir keinen Eintritt bezahlen müssten. Hier und heute nicht, warum auch immer, wir sind froh darum.001 Fahrt zum P.N.Der bekannteste Nationalpark Chiles ist eine Wunderwelt aus imposanten Gipfeln, Gletschern und Eisbergen, blaugrünen Seen, Wasserfällen und Wäldern. Es ist ein Paradies für Bergsteiger und Wanderer. Ein spektakulärer Anblick bilden die Cuernos del Paine, hörnerartige Gipfel. Die Hauptattraktion sind aber die eigentlichen Torres del Paine, die Türme der Paine. Paine heisst in der Sprache der Ureinwohner, der Tehuelche-Indianer, himmelblau. Torres del Paine heissen also die Türme des blauen Himmels, deren drei scharfgezackte Felsnadeln aus Granit oft in Wolken gehüllt sind. Der höchste Berg ist aber der mit 3050 Meter hohe von Gletschern überzogene Cerro Paine Grande. Auf der längsten Trekkingtour des Parks, dem Circuito oder O-Trail, kann das ganze Massiv einmal umrundet werden. Der Vorderteil dieser Strecke bildet das W, die 75 Kilometer lange Trekkingtour in W-Form. Dieser Weg ist besonders beliebt, da er die wichtigsten Sehenswürdigkeiten miteinander verbindet. In der Hochsaison von Dezember bis April pilgern zahllose Wanderer aus aller Welt in den Park. Die Besucherzahlen steigen zunehmend. Besonders der W-Pfad ist in Stosszeiten heillos überlaufen. Der Andrang hinterlässt seine Spuren und gefährdet das fragile Ökosystem.

Jetzt im Herbst ist Nachsaison. Nebst Ruhe auf den Wanderwegen gibt es verfärbte Bäume und weniger starke Winde. Der O-Trail ist geschlossen und wir beschliessen, einen Teil des W’s und weitere Tagestouren zu laufen. Erste Station heisst Glaciar Grey. Wir stellen uns zwischen die wenigen Touristenbusse auf den Parkplatz vor der Rancher-Station.001 bei Rancher-Station Glaciar GreyZu eifrig und unüberlegt brechen wir zur ersten Wanderung auf. Wir wollen nur kurz zum Mirador (Aussichtspunkt) auf dem Hügel oberhalb des Parkplatzes. Eine Stunde hin und zurück steht auf der Karte. Nach einer Stunde geht der Weg noch weiter hoch. Langsam bekommen wir Durst. Da es keinen Bach gibt, machen wir vorzeitig kehrt. Schade, aber es soll uns eine Lehre sein. Von nun an brechen wir nicht mehr ohne Rucksack mit Proviant auf. Nach einem Picknick geht es zum Lago Grey. Über einen Strand gelangt man zu einer Halbinsel, von wo wir einen tollen Blick auf den Gletscher geniessen. Die im grauen Gletscherwasser schwimmenden Eisblöcke sind so kitschig blau, dass sie nicht wirklich in das in weiche Herbsttöne eingefärbte Panorama passen.

Nach ein paar weiteren Wanderungen verschieben wir unseren Stellplatz ans Ufer eines anderen See: zum Lago Pehoé, unweit vom Wasserfall, dem Salto Grande. Von hier aus führt ein Spaziergang zum Lago Nordenskjöld, von wo man einen wundervollen Blick auf die Cuernos geniesst. Die zweifarbigen Zipfel erheben sich in fantastischem Kontrast zum türkisblauen Wasser. Hier könnten wir stundenlang sitzen, auf das Panorama starren und darauf warten, bis sich mit Grollen wieder ein Stück Eis vom Cerro Paine Grande löst.

Der Wanderweg dorthin führt an silbrig grauen, abgestorbenen Bäumen vorbei. 2005 und beim Jahreswechsel 2011/2012 vernichteten verheerende Brände Grossteile der Wälder und Steppenvegetation. Beide Brände wurden leider durch unachtsame Touristen verursacht.

Kalte und stürmische Böen ziehen auf, als wir auf dem Parkplatz des Hotels Las Torres ankommen. Wir hoffen dennoch, anderntags den Aufstieg zu den Füssen der Torres Felsnadeln machen zu können. Doch es bleibt grau, kalt und regnerisch. Wir fragen im Hotel, ob es die Möglichkeit zum Duschen gäbe und werden zum Spa-Bereich mit Sauna geschickt. Was könnte uns heute Besseres passieren? Als wir anderntags bei Sonnenaufgang zu den Torres aufbrechen, verspricht es ein schöner Tag mit klarer Sicht zu werden. Während der achtstündigen Wanderung wird das Wetter aber zunehmend düsterer. In den Höhen kommen wir in Schneegestöber. Starker Nebel versperrt uns leider die Sicht auf die Lagune und die Granitberge.

Die letzte Nacht verbringen wir an der nördlich gelegenen Lagune Azul. Beim Frühstück lichtete sich der Nebel und uns eröffnet sich doch noch ein letzter Blick auf die Granitgipfel der Torres del Paine.

Nach einer Woche geht uns der Proviant aus und wir verlassen den Park und damit vorläufig auch Chile. Wir gelangen erstmals auf unserer Reise auf die legendäre Ruta Nacional 40. Die Cuarenta ist das westliche Rückgrat Argentiniens und mit ihren über 5000 Kilometern länger als die Route 66. Seit die Strasse vor einigen Jahren von der Tourismusbehörde als Marketingprodukt entdeckt wurde, wird an ihrer Asphaltierung fleissig gearbeitet. Damit lässt sie sich zwar wesentlich schneller und komfortabler befahren, aber verliert doch irgendwie an ihrem Reiz und Charme.

Wir sind wieder in der Provinz Santa Cruz, wo der Parque Nacional Los Glaciares gleich nördlich an den Torres del Paines angrenzt. Auf der Grenze zwischen Chile und Argentinien erstreckt sich eine riesige Eisfläche. Nach der Antarktis und dem Grönlandeis ist der Campo Hielo Sur die drittgrösste zusammenhängende Eismasse der Welt. Mit 22‘000 km2 entspricht sie gut der Hälfte der Fläche der Schweiz. Das Spezielle dieser patagonischen Gletscher liegt darin, dass sie sich fast auf Höhe des Meeresspiegels befinden. Der grösste ist der Upsala, der spektakulärste und meistbesuchte ist aber der Perito-Moreno-Gletscher. Er liegt im Süden des Nationalparks Los Glaciares.

Wir haben die Nacht in der Nähe des Parkeingangs verbracht. Das Wetter ist heute leider regnerisch trüb. Von den Laufstegen und Aussichtsplattformen auf der Halbinsel Península de Magellanes geniessen wir dennoch den Blick auf die über fünf Kilometer lange Gletscherzunge, deren Eiswand sich 50 bis 60 Meter hoch über den Lago Argentino erhebt. Der Perito-Moreno gehört zu den wenigen weltweit wachsenden Gletschern. Er schiebt sich jeden Tag um rund ein bis zwei Meter nach vorne und wächst damit schneller nach, als er unten am Ende abbaut. Allerdings hat sich sein Wachstum infolge des Klimawandels verlangsamt. Wir lauschen, halten den Atem an. Warten bis es knackt und kracht. Bis sich Risse in der riesen Eiswand bilden, Eisbröcke in den See stürzen und kleine Flutwellen auslösen. Gänsehaut pur!

Am Südufer des Lago‘s Argentino, 80 Kilometer vom Perito-Moreno entfernt, liegt der touristische Ort El Calafate. Wir stellen uns ans Seeufer. Ganz erstaunt entdecken wir im milchig-grünen Gletscherwasser sich tummelnde Flamingos. Wir verbringen ein paar ruhige Tage. Schlendern durch das Städtchen, setzen uns auf eine der vielen Terrassen eines Cafés und geniessen das sonnige Herbstwetter.

Wir fahren in den nördlichen Teil des Parque Nacional Los Glaciares zu einer weiteren Hauptattraktion: dem Monte Fitz Roy. Mit 3375 Meter nicht der höchste, aber einer der berühmtesten Berge Argentiniens. Waghalsige Alpinisten beklettern die technisch anspruchsvolle Vertikale. Wir begnügen uns mit einer Rundwanderung. Gut sieben Stunden führt uns der Pfad durch orange leuchtende Wälder, vorbei an türkisfarbenen Seen und an Elvis, dem Specht mit der coolen Haarlocke 🙂 Das Wetter spielt mit und wir geniessen gute Sicht auf die imposanten, spitzigen Felsnadeln.

001 Panorama Fitz Roy

El Chaltén – rauchender Berg, so hiess der oft in Wolken eingehüllte Fitz Roy in der Sprache der Tehuelche. Heute ist El Chaltén der kleine Ort, von wo die Touren starten. In der Nachsaison ist hier nicht viel los. Überall sind die Einheimischen am Hämmern und Sägen. Das erst 1985 gegründete Dorf lebt und wächst vom Tourismus und so erhöht manch einer sein Häuschen um einen weiteren Stock.

Weiter geht es auf der Ruta 40 durch ein einsames Stuck Steppenwüste. Für Abwechslung sorgt wie so oft ein Guanako, ein Hase oder ein Fuchs. In einsamer Gegend liegt der 5000-Seelenort Gobernador Gregores. Auf dem Camping Municipal gibt es gegen Entrichtung eines Trinkgelds warmes Wasser und einen netten Picknickplatz mit typisch argentinischer Grillstelle. Abends gesellen sich Estela und Carlos, ein paraguayisches Rentnerpaar, zu uns. Sie standen schon in El Chaltén neben uns auf dem Parkplatz. Sie wollen währen zehn (!) Jahren einmal um die Welt reisen. Un Paraguayo rodando el mundo – Wir drücken dem netten Paar mit ihrem voll bepackten VW-Bully dazu fest die Daumen!

Ein paar weitere Kilometer nördlich verlassen wir die Ruta 40. Wir wollen auf das chilenische Pendant, auf die Carretera Austral, gelangen. Vor der Grenze liegt am Lago Buenos Aires der herzige Ort Los Antiguos. Nach der patagonischen Steppe ist dieser Ort so ganz anders. Eine sonnige Oase, wo mit Pappel-Alleen beschützt Kirschen, Äpfel, Erdbeeren, Aprikosen und Pfirsiche gedeihen.

Über die Grenze geht es nach Chile Chico. Seit ein paar Tagen sitzen wie im Dunkeln. Unsere Zweitbatterie, welche für die elektrische Versorgung des Wohnraums sorgt, hat ihren Geist aufgegeben. Da wir bei den momentanen Temperaturen quasi im Kühlschrank leben, ist der Stromausfall zwar nicht besonders problematisch. Dennoch haben wir uns bereits in Argentinien nach Ersatz erkundigt. Dass wir dann in Chile, gleich im ersten kleinen Ort fündig werden, damit hätten wir nicht gerechnet. Es ist kurz vor Siesta, aber wir können die Batterie schon heute Abend abholen. Also stellen wir uns gemütlich auf den Hügel oberhalb des Ortes und geniessen den Nachmittag in der Sonne. Der Lago Buenos Aires ist grenzübergreifend. Auf der Westseite, die zu Chile gehört, heisst er Lago General Carrera. Nach dem Titicacasee ist er der zweitgrösste See in Südamerika. Er erinnert uns wegen seiner Grösse, dem glasklar blauen Wasser und den Felsklippen ans Meer in Kroatien.

Plötzlich kommen zwei Jungs mit Mountainbikes angefahren. Es sind Jonas und Christopher, zwei deutsche Backpacker, die wir in Puerto Natales kennengelernt haben. Sie wollten heute eine Wanderung zur Cueva de las Manos machen. Dummerweise sind sie dutzende Kilometer in die verkehrte Richtung gefahren. Glücklicherweise haben sie so Rudolph entdeckt. Wir freuen uns über den schönen Zufall und das Wiedersehen! Ein paar Stunden später, wieder mit Strom im Haus, sind wir bei ihnen im Hostel zum Abendessen eingeladen und beschliessen kurzerhand, morgen zu Viert loszufahren.

Die Sonne geht über dem See auf. Wir holen die Jungs im Hostel ab, kaufen ein paar Lebensmittel für die nächsten Tage ein und machen uns für einen Abstecher in Richtung Naturschutzgebiet Jeinimini auf. Wir wollen zusammen auf die Wanderung zur Cueva de las Manos. Im Gänsemarsch geht es vorbei an eindrucksvollen Felsformationen steil am Horizont entgegen. Besonders imposant ist die gigantische Piedra Clavada, woneben Christopher mit seinen fast zwei Metern sonderlich klein erscheint.

Auf der Höhe angekommen, geniessen wir einen toll Blick über das Tal des Rio Jeinimeni und nach Argentinien. Eine unglaubliche Ruhe umgibt uns. Auf dem ganzen Weg begegnen wir keiner Menschenseele. Und fast hätten wir die Höhlen verpasst. Auf der Wanderung fehlen teilweise Markierung und Pfad. Doch wir finden sie: die mysteriöse Cueva de las Manos. Eine Höhle, wo Steinzeitbewohner Malereien und Handabdrücke in verschiedenen Farben hinterlassen haben.

Es geht weiter bergab durch den chilenischen Bryce-Canyon. Wir kommen ins Valle Lunar, ins Tal des Mondes. Eine wirklich zutreffende Bezeichnung für diese spannend bizarre Erosionslandschaft.

Als wir abends Rudolph am Lago General Carrera parkieren und die Jungs ihre Zelte aufschlagen, geht die Sonne hinter den Bergen unter.

Wir folgen der kurvenreichen Schotterpiste dem Südufer entlang. Bis zu 4000 Meter hohe schneebedeckte Gipfel erheben sich um den See. Die Strasse mündet bei El Maitén in die Carretera Austral. Mit dem Bau der der Ruta 7 wurde unter Pinochet 1976 begonnen, um die auf dem Landweg abgetrennten Südprovinzen mit dem Rest Chiles zu verbinden. Der Bau der Carretera gilt als das aufwendigste Grossprojekt Chile’s im 20. Jahrhundert. Er gestaltete sich als äusserst schwierig, da die unwegsame Gegend von dichter Bewaldung, von Fjorden, Gletschern und Gebirgszügen durchzogen ist. Mehr als 20 Jahre wurde an ihr gebaut. Die heute etwas mehr als 1200 Kilometer führen von Puerto Montt bis nach Villa O’Higgins. Noch ist sie nicht vollendet und bis heute ist ein Grossteil Schotterpiste.

Gute eine Woche fahren wir mit Jonas und Christopher über die abenteuerliche und holprige Strasse, auf der sich uns hinter jeder Kurve ein neues, grossartiges Panorama eröffnet. Wir kommen durch winzige Ortschaften. Wie gewohnt fahren wir morgens los, ohne zu wissen, was uns heute erwartet. Wo es uns gefällt, da halten wir und abends sitzen wir, wenn immer möglich, am grossen und wärmenden Lagerfeuer und backen Pizza-Käsebrötchen.

Wir geniessen gemütliche Tage. Alle kommen zum Schluss: es hätte nicht besser sein können! Wie lange wir noch zusammen gereist wären, wenn Jonas nicht einen fixen Termin in der Grossstadt Coyhaique hätte? Während er in die Bierbrauerei arbeiten geht, verbringen wir unsere Zeit in Coyhaique mit Suchen. Zuerst gilt es einen Camping zu finden, was sich als schwierig herausstellt. Wir fahren alle Plätze ab und überall erhalten wir die Antwort „cerrado“, geschlossen. Schliesslich erklärt sich die ältere Dame Cécilia, die Besitzerin eines kleinen Campings, bereit für uns Deutsche (womit Christopher und wir beide gemeint sind) eine Ausnahme zu machen. Wir dürfen sogar ihr privates Bad benutzen.

Unsere Gasflasche ist bald leer. Wir klappern also eine Gasfirma nach der anderen ab – erfolglos. Die Chilenen haben einen anderen Anschluss. Wir beschliessen, einen Outdoor-Gaskocher zu kaufen und unser Glück in Argentinien wieder zu versuchen. Schliesslich bringen wir noch einen vollen Sack Kleider zur Wäscherei, in die Lavanderia. Wir haben nur selten Wifi. Also nutze ich die Gelegenheit, um wieder einmal nach Hause zu telefonieren. Vor unserer Weiterfahrt fahren wir mit Christopher auf der Hinterbank für einen Brunch zum idyllischen Bergsee Lago Elizalde. Beim Stein des Indio, dem Piedra del Indio, gibt es noch ein Gruppenfoto. Abends geniessen wir ein letztes gemeinsames Nachtessen mit Asado-Grill auf dem Campingplatz und stossen mit dem Cerveza aus Jona’s Brauerei auf eine tolle Zeit an. Salud!

Und dann sind wir wieder alleine. Die restlichen Kilometer der Carretera warten auf uns! Nördlich von Coyhaique ändert sich die Landschaft erneut: es wird grüner.

Als wir durch die Eingangspforte zum Bosque Entcantado gehen, gelangen wir in eine völlig andere Welt: ein schmaler Pfad führt uns durch einen immergrünen, kalten Regenwald. Vorbei an glasklaren Bächen, über Wurzeln und wackelige Holzbrücken gelangen wir zu einem Hängegletscher, von dem herab ein Wasserfall in die türkise Lagune fliesst. Bosque Encantado, erfreuter oder verzauberter Wald – zutreffend für diese märchenhafte Wanderung!

Wir verbringen entlang der Carretera nochmals gemütliche Tage und ruhige Nächte in einsamen Gegenden.

In Playa Santa Barbara verbringen wir die Nacht am Strand. Wir lauschen dem Rauschen der Wellen und sehen den Seerobben beim Jagen zu. Der Strand hier ist schwarz und lässt die nahe gelegene Vulkanlandschaft vermuten.

Niemand hat das erwartet, was am 2. Mai 2008 geschah. Der Vulkan Chaitén brach nach Jahrtausenden Dornröschenschlaf aus. Seine Asche wurde 20 Kilometer in die Luft geschleudert. Heute raucht der Vulkan noch immer vor sich hin. Wir kraxeln in nur 2,2 Kilometern die 600 Meter zum Krater hinauf und werden mit einem unglaublich spannenden und mysteriösen Panorama belohnt.

Abends stellen wir uns wieder ans Meer. Vergnügt tollen Delfine in der Bucht herum.

155 Kilometer südöstlich von Chaitén geht es bei Futaleufú nach Argentinien. Schon wieder heisst es: Hasta luego Chile!

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Wir haben unser Reisetempo entschleunigt. Eigentlich wären wir aktuell, im Mai 2016, in Peru. Tatsächlich sind wir aber mittlerweile in San Carlos de Bariloche, rund 1200 Kilometer südlich von Santiago und damit nicht mal in der Hälfte Chiles angelangt. Der raue und wilde Charme des Südens will uns noch nicht loslassen. Wir haben die patagonische Ruhe und Einsamkeit liebgewonnen. Quien se apura en la Patagonie, pierde el tiempo – wer sich in Patagonien beeilt, verschwendet seine Zeit, erklären die Einheimischen. Und was wäre eine grosse Reise nicht, wenn Pläne nicht dazu da wären, sie zu verwerfen. Schliesslich soll der Weg unser Ziel sein.

PS: Unsere Übernachtungsplätze seht ihr neu im Map unter dem Register Reiseroute.

Von Puerto Iguazú ans Ende der Welt nach Ushuaia

Als wir die Grenze vom brasilianischen Foz do Iguaçu nach Puerto Iguazú und damit nach Argentinien überqueren, sind wir voller Vorfreude auf ein baldiges Wiedersehen der atemberaubenden Cataratas! Die Kleinstadt Puerto Iguazú ist ein grauer und staubiger Ort. Umso erfreuter sind wir, als wir auf dem Camping Agreste Costa Ramón vom netten Ehepaar Adriana und Carlos herzlichst auf ihrem wunderschön grünen Platz im Urwald empfangen werden. Unsere Haustiere wechseln mit den Stellplätzen. Hier sind es ein Hund, ein Papagei und ein paar Hühner. Anderntags feiern wir meinen Geburtstag. Statt der geplanten Besichtigung der Wasserfälle, fällt das Wasser in Unmengen vom Himmel. Doch wir lassen uns die gute Laune nicht verderben. Schliesslich sind wir in Argentinien, wo es feine Apéros, vollmundigen Rotwein und herrliche Rindersteaks gibt 🙂

Und dann ist es soweit: die Regenwolken ziehen vorüber und wir machen uns frühmorgens auf. Die argentinische Seite ist weitläufiger und so besuchen wir den Nationalpark während zweier Tage. Von hier aus kommt man näher an die Fälle heran. Es gibt verschiedene Wanderpfade und einen kleinen Zug, der uns nochmals zum Teufelsschlund, dem Garante del Diablo, führt. Von drei Seiten stürzt das eben noch ruhig strömende Wasser in einen tobenden Kessel. Schwer beeindruckt, durchnässt und zufrieden verlassen wir diesen magischen Ort.

Unsere Reise durch Argentinien beginnt in der Provinz Misiones. Wie ein gekrümmter Finger schiebt sich diese subtropische Region im Nordosten nach Brasilien hinein. Der Name der Region bezieht sich auf jene Missionen, welche die Jesuiten Anfangs des 17. Jahrhunderts aufbauten. Die Region war einst ein unberührter Urwald. Heute ist vom Wald nicht mehr viel zu sehen. Gut zwei Drittel der Fläche wurde unter anderem zugunsten von Anbauflächen für Yerba Mate und für die Rinderzucht gerodet. Dennoch: Misiones beeindruckt noch heute mit seiner grünen Natur und der roten Erde. Wir verbringen eine Nacht auf dem Camping Municipal vor Jardín America, von wo wir anderntags die Ruinen einer Jesuiten-Reduktionen in San Ignacio Mini besuchen. Diese Siedlung gehört zu den besterhaltenen und zum Weltkulturerbe der UNESCO. In ihrer Blütezeit im 18. Jahrhundert zählten die Jesuiten-Kommunen gut 150‘000 Guaraní-Indianer. Wir bestaunen die steinernen Überreste von Kirchen, Wohnhäusern und Schulen.

Weiter südlich kommen wir auf die Schnellstrasse Ruta 14. Wir sind aber alles andere als schnell unterwegs. Im rund Halbstunden-Takt hält uns eine Polizei- oder Fruchtkontrolle an. Mal dauert es kürzer, mal länger. Häufig wollen sie wissen, von wo wir kommen und wohin wir fahren. Meistens wollen sie unsere Dokumente oder ins Fahrzeug sehen und am längsten dauert es, wenn sie Geld wollen. Wir wussten, dass die Ruta 14 für Korruption bekannt ist, speziell wenn man mit einem ausländischen Kfz-Kennzeichen daher kommt. Wir sind also schon etwas vorbereitet und mit den verschiedensten Strategien der Beamten lernen auch wir neue und andere. Bald machen wir uns fast einen Spass daraus, was wir oder sie als nächstes ausprobieren werden. Irgendwann haben wir dann aber doch die Nase voll und beschliessen, die Ruta 14 ein Stück zu umfahren.

Als wir abends im kleinen Ort Yapeyú ankommen, verfliegt unser Ärger rasch. Kaum parkieren wir Rudolph am Ufer des Rio‘s Uruguay, kommen zwei Jungs, die hier mit ihrer Familie am Fischen sind, heran gerannt. Sie sind neugierig und bringen uns daher mehrmals Holz und Zeitungen. Ach wie süss! Nachdem die Kinder sich trauten, ins Fahrzeug zu schauen, kommt auch der Rest der Familie neugierig herbei. Nett teilt man uns mit, dass hier ein sicherer Ort zum Übernachten sei. Noch besser wäre es auf dem Dorfplatz nebst der Polizei. Wir lassen den Tag schliesslich mit einem Lagerfeuer am Fluss ausklingen.

03 Yapeyú

Wenn nicht über die Ruta 14, wohin dann? Wir haben noch ein paar Reals und so geht es für einen Einkauf nach Brasilien. Noch gleichentags überqueren wir die Grenze zurück nach Uruguay, diesmal ins Hinterland.

Nebst Kartenmaterial ist uns das App Maps.me eine grosse Hilfe: Kostenloses GPS mit Suchfunktion nach Tankstellen, Campingplätzen, Supermärkten und Bankomaten. Der nächstgelegene Camping an diesem Tag ist bei den Termas del Arapey. Es ist ein wunderschöner Platz und so verweilen wir zwei Tage. Der Platz ist gut besucht. Das Wetter und auch die Thermen sind sommerlich heiss. Bunte Vögel zwitschern in den Palmbäumen.

Entspannt geht es retour auf die Ruta 14. Bei Salto überqueren wir die Grenze zurück nach Argentinien. Prompt vergeht keine Viertelstunde, als wir wieder heraus gewinkt werden. Wir könnten auch mit Euros oder Dollars bezahlen, sagt uns der Beamte, als er gut 1’300 Pesos (umgerechnet knapp 90 Franken!) wegen der anscheinend nicht-konformen Anhängekupplung verlangt. Als wir dem netten Herrn mehrmals höfflich mitteilen, dass wir kein Geld hätten und auch nicht gewillt seien irgendetwas zu bezahlen, droht er uns, wir könnten das Land nicht verlassen. Er wedelt mit unseren laminierten Dokuments-Kopien und setzt sich an den Computer, um irgendetwas einzutragen. Wir setzen uns mit einer Flasche Mineralwasser an den Strassenrand und warten. Die Geduld geht ihm vor unserer aus und so können wir weiterfahren.

Die nächsten Tage wird es ruhiger. Wir umfahren Buenos Aires und kommen auf die Ruta 3, welche uns ohne Ärger bis nach Ushuaia bringen soll. Täglich fahren wir 200 bis 300 Kilometer und abends stehen wir Frei oder auf günstigen Municipal-Campings.

Die Provinz Buenos Aires ist das wirtschaftliche Kernland und die dichtest besiedelte Region Argentiniens. Unser Weg führt uns auf Strassen, die geradlinig am Horizont enden und entlang gigantischer Felder, auf denen die weidenden Rinder in der Ferne wie Stecknadeln aussehen. Bei Mar del Plata, dem grössten Badeort, erreichen wir die Atlantik-Küste. Der Ort ist uns mit seinen überfüllten Stränden und hochragenden Hotelanlagen zu touristisch und so fahren wir etwas südlicher nach Miramar, wo wir nochmals im Atlantik baden. Es wird für eine Weile das letzte Mal sein.

Der Küste entlang fahren wir weiter in Richtung Süden. Wir kommen in das hübsche Küstenstädtchen Monte Hermoso und finden mit etwas Glück gleich nach dem Leuchtturm einen traumhaften Stellplatz. Das Meer, ein paar einheimische Fischer und viel Ruhe. Anderntags gesellt sich Sandra und Orlando, die ein paar Kilometer weiter weg wohnen, mit ihrem Wohnwagen zu uns. Rasch kommt man ins Gespräch. Sie verbringen die Wochenenden oft auf diesem Platz. Es geht nicht lange und wir werden zum Nachtessen eingeladen. Kurzerhand nimmt mich Sandra mit zum Supermarkt, um noch mehr Fleisch einzukaufen. Die Männer bereiten derweil die Glut für den Grill vor. Wir dürfen einen typisch argentinischen, gemütlichen Abend mit leckerem Asado und viel Vino tinto geniessen. Bis spät in die Nacht wird angeregt geplaudert. Ob wir noch mit ihnen zurück nach Bahia Blanca kommen möchten, fragt mich Sandra am anderen Morgen. Die Temperaturen sind schon etwas frischer, der Herbst naht. Wir wollen fahren, um noch ganz in den Süden zu gelangen. Der Abschied fällt uns aber nicht leicht.

Wir kommen nach Patagonien und tauchen damit in eine völlig andere Welt ein. Vom reichen Rinderland gelangen wir in eine trockene Landschaft. Die Büsche werden niedriger und bald ist fast nur noch Steppengras zu sehen. Patagonien ist die südlichste Region Argentiniens und Chiles. In Argentinien umfasst die Region die vier Provinzen Rio Negro, Chubut, Santa Cruz und Tierra del Fuego. Die unendlichen Weiten werden menschenleerer. Hier leben auf der Fläche, die doppelt so gross wie Deutschland ist, gerade mal rund zwei Millionen Menschen. „Patagonien – ein düsteres und wildes Land. Der ewige eiskalte Wind wütet durch die Ebene“ lese ich im Reiseführer. Entsprechend stellen wir uns auf kalte Tage ein und wissen nicht, ob wir uns wirklich noch bis nach Ushuaia wagen sollen. Doch es kommt alles anders.

Nirgendwo ist auch ein Ort. Der Satz von Paul Theroux beschreibt die unendlichen Weiten der patagonischen Halbwüstenlandschaft zutreffend. Die weiten Ebenen sind dabei nur ein Teil Patagoniens. Die Andenketten im Westen mit ihren Gletschern und Seen gehören ebenso wie die Atlantikküste im Osten dazu. Ob es am Klimawandel oder dem diesmal ausgeprägten Wetterphänomen El Niño liegt, darüber rätseln auch die Einheimischen. Gleichzeitig mit dem Präsidentenwechsel im letzten Dezember und dem sinkenden Wert des Pesos, scheint auch das Wetter verrückt zu spielen. Die Sonne scheint Tag für Tag, der Himmel ist, mal von ein paar Schleierwolken durchzogen, blau und es bläst ein mässiger Wind. Wir bleiben also weiterhin Flipflop-Träger. Die raue Landschaft Patagoniens mag uns auch ein weiteres Mal überraschen. Eingestellt auf unendliche Fahr-Distanzen im Nirgendwo sehen wir an diesem Ort der Welt so viele Tiere wie noch nie. Vielleicht lässt sich die Tierwelt in der kargen und dürren Steppenlandschaft auch einfach besser erkennen. Nebst den leeren und verlassenen Stränden und Klippen ist es das unglaubliche und vielfältige Tierreich an bunten und grossen Vögeln, unzähligen wilden Guanakos, Nandus, Füchsen, Pinguinen, Seelöwen und -elefanten, das uns schwer beeindruckt. Für uns steht fest: Nirgendwo ist manch ein schöner Ort! Einzig für die Zeit der Wal-Beobachtung sind wir leider zu spät dran und so beschliessen wir, die Halbinsel Península Valdés nicht zu befahren.

Wir kommen in die Stadt Trelew. Hier zogen ab 1865 Tausende Waliser her, um Armut und politischer Unterdrückung zu entkommen und hier in der Wüste ein „Little Wales“ zu errichten. Wir fahren in den Nebenort Gaiman. Gaiman ist ein herausgeputztes Dorf und präsentiert walisische Gemütlichkeit, wie sie die ersten Siedler gerne gehabt hätten. Touristen kommen hierher, um Tee zu trinken und Kuchen zu essen. Wir sind hier, um Rudolph vom gröbsten Sand zu befreien, etwas Wäsche zu waschen und den Wassertank zu befüllen. Der Campingplatz nebst der Feuerwehr, den Bomberos, ist dafür der ideale Ort.

Wir werfen einen Blick in die Urzeit. Das Museo Paelontológico Eugidio Feruglio (MEF) soll weltweit eines der besten paläontologischen Museen sein. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen und werden von diesem modernen und eindrucksvollen Museum in Trelew nicht enttäuscht. Patagonien gilt als das El-Dorado der Fossiliensammler. Vor rund 10 Millionen Jahren lebten hier unzählige Dinosaurier und noch heute werden mehrmals jährlich Knochen prähistorischer Tiere gefunden.

Weitere 120 Kilometer südlicher befindet sich der Nationalpark Punto Tombo. Das Naturreservat beherbergt die grösste Kolonie an Magellan-Pinguinen auf argentinischem Festland. Wir beobachten die putzigen Tiere, die sich weit über die Pfade hinaus tummeln, bis zur Parkschliessung.

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Wir kommen nach Comodoro Rivadavia in die mit über 140‘000 Einwohnern grösste Hafenstadt im südlichen Patagonien. Der fabrikhofartige Ort ist wenig attraktiv. 1907 wurde hier statt Wasser Erdöl gefunden und so wurde aus dem armen Wüstendorf eine reiche Kleinstadt.

Ein paar Kilometer weiter gelangen wir an den Strand Playa Espepa de la Cuenca del Golfo San Jorge. Hier wollen wir die Siesta mit Kaffee-Trinken und einem Strandspaziergang verbringen, entschliessen uns aber bald darauf, über Nacht zu bleiben. Wir kommen mit einem jungen Paar ins Gespräch. Sie erzählen uns, dass sie beide in nördlichen Provinzen geboren sind. Um Arbeit zu suchen oder besser zu finden, hat es sie hierher in die Wüste nach Comodoro Rivadavia verschlagen. Hier hätten sie ihren Frieden gefunden, aber manch einen kennen gelernt, der es in der Einöde und im Winde nicht ausgehalten habe. Der Wind fege hier oft mit über 100-Stundenkilometer übers Land. Heute weht ein mässiger, von einer Sekunde zur nächsten wechselnder Wind. Mal ist es ein kalter Meereswind, mal ein warmer, staubig trockener Nordwind. Gegen die trockene Kehle und Kälte gibt es nebst Wasser einen erfrischenden Caipirinha, Rest-Posten aus Brasilien.

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Wir verlassen die Ruta 3 erneut. 50 Kilometer Schotterpiste westwärts liegt der Parque Nacional Bosques Petrificados de Jaramillo. Rund 20 Kilometer vor dem Parkeingang kommen wir zum einsamen Campingplatz Estancia La Paloma. Hier geniessen wir abends ein Stück argentinisches Grillfleisch. Zum Osterbrunch gibt es Zopf-Häschen und zwei gekochte Eier, bevor wir weiter in die skurrile Landschaft eintauchen. Das Herzstück des Nationalparks sind seine versteinerten Bäume. Hier standen im einst feuchten Klima dichte Wälder, bevor vor 150 Millionen Jahren Vulkanausbrüche mit ihren Lavaströmen und Ascheregen die Baumriesen versteinern liessen. An den Schnittkanten sind die Jahresringe noch gut zu erkennen. Die Dinosaurier lebten hier vor 10 Millionen Jahren und diese Bäume sind 150(!) Millionen Jahre alt und können noch heute bewundert werden. Könnt ihr euch das vorstellen? Unsere Vorstellungskraft kommt hier an Grenzen.

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Die patagonische Ebene wird zunehmend einsamer. Die Schafherden nehmen dafür zu. Etwas verträumt wären wir fast daran vorbeigefahren. Zwischen Puerto San Julián und Rio Gallegos liegt der Nationalpark Monte Léon. Nach 10 Kilometer machen wir Kehrt, zum Glück! Dieser wunderschöne Park ist wenig bekannt, da er unter der Konkurrenz von nördlich und südlich liegenden Pinguin- und Seelöwen-Kolonien leidet. Der Park sowie der darin befindliche Campingplatz hat aber viel zu bieten und ist, wie bereits der Nationalpark der versteinerten Wälder, kostenlos. Wir verstehen nicht alles, was uns der nette Rancher über den Park erzählt. Das Wort „peligroso“ ist uns aber mittlerweile ein Begriff. Was denn gefährlich sei, fragen wir nach. Wegen der Pumas sollten wir nach Sonnenuntergang nicht alleine und ohne Licht draussen sein, bekommen wir nochmals erklärt. Auf dem Campingplatz angekommen, sind es dann „nur“ drei Füchse, die neugierig um uns herum schleichen. Am Strand bekommen wir unverhofft zwei verliebte Fels-Pinguine zu sehen. Als wir am anderen Morgen in der Weite tatsächlich zwei Pumas sichten (auf dem Foto unten in der Ferne erkennbar), machen wir uns mit etwas mulmigem Gefühl auf den zwei Kilometer Fussmarsch zur Kolonie der hier lebenden Magellan-Pinguine.

Wir gelangen in die südlichste Provinz nach Tierra del Fuego. Von Punto Delgada geht’s mit der Fähre nach Puerto Espora. Hier weht ein kühlerer Wind. Die Zeit ist gekommen, um Flipflops und kurze Hosten gegen Wanderschuhe und Winterjacke einzutauschen.

Feuerland besteht aus einer Hauptinsel und vielen vorgelagerten Inselchen. Hier befindet sich der südlichste Punkt der Erde, der nicht vom ewigen Eis überlagert ist. Die Hauptinsel ist in einen etwas grösseren chilenischen Westen und einen argentinischen Osten zweigeteilt. Um nach Ushuaia zu kommen, passiert man Chile, um wieder nach Argentinien zu gelangen. Ein Grenzübertritt nach Chile ist mit einer speziellen Lebensmittelkontrolle verbunden. Früchte, Gemüse, Fleisch und Michprodukte kommen nicht über die Grenze. Zwar wissend, aber nicht überlegend, haben wir einige Tage zuvor unser Vorräte aufgestockt. Vor der Grenze gilt es also, diese gut im Fahrzeug zu verstauen.

Der Name Tierra del Fuego stammt von Magellan, der 1520 bei seiner Durchsegelung im Dunkeln am Meeresufer geheimnisvolle Feuer sah. Tierra del Fuego blieb noch jahrhundertelang wegen seiner Stürme gefürchtet und für die Besiedelung uninteressant. Erst 1860 begann hier die Kolonisation durch die Europäer. Von den im 17. Jahrhundert rund 10‘000 Ureinwohnern wurden 1910 nur noch rund 350 gezählt. In 50 Jahren wurden die hier seit 30 Jahrtausenden lebenden Völker der Selk’nam, Yámana, Kawéskar und Manekeuk ausgerottet. Ende der 90er Jahre starb die letzte Nachfahrerin der Selk’nam und damit ein ganzes Volk, eine Sprache und Tradition.

Kurz vor unserem Übernachtungsplatz, einem Free Bush-Camping, kommen wir durch märchenhafte Wälder, die in der baldigen Dunkelheit verwunschen und gleichzeitig schauderhaft wirken. In den dürren und knorrigen Ästen hängt „Barba de Viejo“ (Altmännerbart), wie riesige Spinnenweben wirkende lindgrüne Flechten. Wir stehen alleine auf der Wiese nebst dem Fluss. Es ist eine klare Nacht. Ich habe noch nie im Leben so viele Sterne am Himmel funkeln sehen. Wie es wohl später in der chilenischen Atacama Wüste sein wird, fragen wir uns.

Die letzten Kilometer bis nach Ushuaia wird die Landschaft spektakulärer. Das erste Mal in Südamerika fahren wir über kurvige Bergstrassen.

Dann ist es nach rund 5000 Kilometer seit Iguazú geschafft: wir kommen nach Ushuaia und damit in die südlichste Stadt der Welt. Bucht, die nach Osten sieht, lautet die Übersetzung des Indianerwortes Ushuaia. Vor der Stadt mit ihren im skandinavischen Stil gebauten Holz- und Wellblechhäuschen liegt das eiskalt blaue Meer, genauer der Beagle-Kanal. Dahinter steigen die zwar nur rund 1500 Meter hohen, aber auch im Sommer schneebedeckten Berggipfel empor. Ushuaia entwickelte sich von einer Strafkolonie und Stützpunkt für Walfänger zu einem Touristenort. Das Gefängnis Presidio wurde 1947 geschlossen und ist nun ein Museum und militärisches Gelände. Heute treffen hier Backpacker auf Camper, Antarktis-Forscher auf Kreuzfahrt-Tourist und die letzten Ausläufer der schneebedeckten Andengipfel auf grüne Wälder und das Meer.

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Es ist Herbst, eigentlich einfach richtiges April-Wetter. Mal weht ein eisig kühler Wind, später scheint die Sonne, dann regnet es kurz. Wir stellen uns auf einen Parkplatz zwischen Zentrum und Hafen und schlendern zwei Tage durch die Stadt und geniessen im rustikalen Bistro Ramos Generales feines Süssgebäck und Kaffee mit Schuss. Zum Znacht gibt es über viele Grenzen mitgeschmuggeltes Fondue.

Trotz regnerischem Wetter beschliessen wir in den Nationalpark Tierra del Fuego zu fahren. Hier wandern wir über weichen Moorboden durch herbstlich verfärbte und vom Winde gekrümmte Südbuchenwälder. An der Bahia Laptaia endet die Ruta 3. Abends setzen wir uns ans Lagerfeuer, bis wir wie zwei grillierte Cervelats riechen. Die letzte Dusche ist eine Woche her. Thomas befüllt unseren fast leeren Tank mit Bergseewasser und bald darauf dürfen wir dank Gas-Boiler eine heisse Dusche geniessen. Herrlich!

Unsere Reise durch Argentinien hat uns vom Tropenwald durch eine atemberaubende Natur bis hin in den kalten Süden geführt. Wir genossen viele spannende Tierbegegnungen an der Küste des südlichen Atlantiks. Als wir Ushuaia verlassen, fragt uns ein Polizist nach unserem Reiseziel. Thomas schaut mich fragend an. Nach Norden antworten wir schliesslich und fahren mit dem Gefühl unendlicher Freiheit los.