Berg- und Talfahrt durch ein offenes Kolumbien – von Ipiales nach Calima

Komm mit, komm mit mir ins Abenteuerland…
Heute reisen wir in unser letztes Südamerika-Abenteuerland ein, bevor wir nach Panama übersetzen. Wir platzen fast vor Vorfreude! Vor uns liegt der Südwesten Kolumbiens, voller spannender Gegensätze und geborgener Schätze. Unweit des Grenzortes Ipiales finden wir den ersten Schatz. Eine Gondel führt uns ins Tal von Las Lajas hinunter, zu einer imposant in die Schlucht gebauten Basilika. Die Fels- ist gleichzeitig Altarwand. Die Kirche wurde an dieser speziellen Stelle errichtet, da an diesem Ort Wunder geschehen sollen. So berichtet eine Sage von einem taubstummen Mädchen, dass hier der Jungfrau Maria begegnet sei und daraufhin hören und sprechen konnte.

Kolumbien zieht uns vom ersten Moment an in seinen Bann. Die majestätische Landschaft – Kolumbien ist doppelt so gross wie Frankreich – beeindruckt uns genauso wie die Offenherzig- und Fröhlichkeit der Menschen. In den vergangenen Jahren ist Kolumbien zu einem populären und weitgehend sicheren Reiseland geworden. Das Land befindet sich im Aufbruch und nach fast einem halben Jahrhundert Bürgerkrieg tragen die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und den Rebellengruppen erste Früchte.

Dass Kolumbianer offen und interessiert gegenüber Neuem sind, erleben wir das erste Mal in der Stadt Pasto. Wir suchen nach einem Bankomaten, noch ohne Erfolg. Als wir am Strassenrand parkieren und uns überlegen, wo wir als nächstes hinfahren, spricht uns Dario an. Der junge Mann will uns gerne helfen. Ob auch wir etwas für ihn tun könnten. Na klar! Wir folgen dem Roller von Dario zur Universität. Wahrscheinlich möchte er ein Interview mit uns machen, das haben wir schon öfters erlebt. Doch plötzlich steht Dario mit uns vor einem Klassenzimmer. Seine Englisch-Lehrerin öffnet die Türe und bittet uns in die Klasse. So sitzen wir überrascht da, in einer Runde kolumbianischer Studenten und beantworten Fragen zu uns, Kolumbien und der Schweiz, unserer Reise… Es ist spürbar, dass die Kolumbianer sich über den zunehmenden Tourismus freuen und sehr interessiert sind. Sie erzählen uns begeistert von ihrem Land und dass es nun sicherer sei. Zum Abschluss gibt es ein tolles Gruppenfoto auf der Wiese vor der Uni, im Hintergrund der über 4000 Meter hohe Vulkan Galeras. Anschliessend laden uns Dario und seine Lehrerin Adalgisa zu einem leckeren Mittagessen ein. Wir geniessen die unverhoffte Begegnung und grossartige Gastfreundschaft!

25 Kilometer ausserhalb von Pasto liegt zwischen idyllischen Bergen, Kuhweiden und Holzchalets die Laguna de la Cocha. Beim Restaurant Jardin del Lago wollen wir die Nacht verbringen. Hier erwartet uns eine weitere schöne Überraschung. „Unsere“ Fahrradfahrer Laura und Reza sowie unsere Reisefreunde Erika und Ernst sind auch hier! Zusammen geniessen wir die in der Sonne glitzernde Lagune, ein kühles Bier und zum Abendessen einen Trucha, frische Forelle.

Gestärkt brechen wir am anderen Morgen auf. Vor uns liegt wohl eine der atemberaubendsten Strassen Kolumbiens. Die berüchtigte Piste El Trampolín de la Muerte, das Trampolin des Todes, führt uns durch nebelverhangene Bergwälder. Wir hüpfen wahrhaft wie auf einem Trampolin auf unseren Sitzen über die holprig steinigen Passstrassen. Kurvenreich geht es bergauf und gleich wieder bergab, denn Tunnels gibts hier nicht. Einmal sind wir im kalten Nebel, dann wieder in wärmeren Gebieten. Der Staub wirbelt umher. Viele Warntafeln, abgerutschte Leitplanken, hie und da ein Erdrutsch, mal wieder eine Wasserüberquerung und vor allem schmale Strassen und steile, tiefe Abgründe wecken in uns das Gefühl von Abenteuer und Nervenkitzel pur. Anders als beispielsweise die Todesstrasse in Bolivien wird diese Strecke noch rege befahren und so kommt es zu engen Kreuzungsmanövern mit entgegenkommenden Lastwagen.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit haben es Guschti, der Sprinter von Erika und Ernst, und Rudolph nach Mocoa geschafft. Nun befinden wir uns im Tiefland-Regenwald. Auf dem Camping Vaguara werden wir einladend von Cristobal, Ilona und Mario empfangen.

Nach dem Frühstück steigen die Temperaturen. Wir befinden uns im oberen Amazonasbecken und das schweisstreibende Tropenwetter macht uns etwas zu schaffen. Nicht nur das, sondern auch die vielen neuartigen Früchte auf dem Markt hauen uns um. Nebst Bananen, Maracujas und Mangos gibt es exotische Früchte, die wir noch nie gesehen haben, wie beispielsweise eine Baum-Tomaten-Frucht oder Lulo.

Nachmittags kraxeln wir durch den Regenwald einen Hügel hoch. Wir fühlen uns, als ob wir in einer Sauna wandern würden. Doch dann haben wir es geschafft. Vergnügt springen wir in den kalten Río, geniessen die Abkühlung und den idyllischen Wasserfall.

Wieder unten angekommen, sorgt ein typisch kolumbianisches Getränk für frische Energie. Agua de Panela ist ein Wasser-Rohrzucker-Getränk, das zwar furchtbar süss, aber mit Limettensaft sehr lecker schmeckt.

Wir schaffen es gerade noch vor dem Gewitter zurück auf den Camping. Wie schön, auch Laura und Reza haben die Abenteuer-Piste geschafft! So ist die Runde wieder komplett und parat für ein weiteres Trucha-Essen. Diesmal gibt es den Fisch aus dem Holzofen und mit einem Bananen-Palmen-Blatt umwickelt.

Zusammen mit Erika und Ernst fahren wir im Konvoi weiter. Wir steigen wieder auf 1700 Meter und kommen durch ein grünes Tal, in dessen Tiefe der Río Magdalena, Kolumbiens grösster Fluss, fliesst. Auf dem Camping Colina de Santiago in San Agustín ist es regnerisch und kühl. Perfektes Wetter für eine Jass-Runde unter Schweizern. Ja, wir lernen tatsächlich in Kolumbien zu jassen!
Anderntags besuchen wir den Archäologischen Park mit seinen steinernen Figuren aus vorspanischer Zeit. Ein Rundgang führt uns durch den Wald und über die Hügel. Die monumentalen Skulpturen sind ein geheimnisvolles Überbleibsel eines längst verschwundenen Volkes und erstaunlich gut erhalten. Rund 500 Figuren wurden in der Gegend von San Agustín gefunden. Die maskierten Ungeheuer, Jaguar-Schamanen oder heiligen Tieren wie Adler oder Frosch ähnelnden Figuren dienten vermutlich als Grabsteine.

Mit dem Colectivo geht es zurück in den Ort. Das Wandern hat durstig und hungrig gemacht.

Die nächsten 280 Kilometer beanspruchen einen ganzen Fahrtag. Schleichende Lastwagen, waghalsige Überholmanöver einheimischer Fahrzeuge, viele umher flitzende Roller und einige fiese Schlaglöcher machen das Fahren hierzulande nicht langweilig. Noch ist die Gegend üppig grün und der Boden fruchtbar. Kaum zu glauben, dass wir bald in eine Wüste kommen sollen. Doch dann ändert sich die Landschaft plötzlich. Bäume entweichen Kakteen, der Boden wird trocken, rissig und die Erde rötlich-braun. Es ist wieder fast 40 Grad heiss, das Wechselbad geht weiter!

Die 330 km2 grosse oder eben kleine Tatacoa-Wüste ist eine Kuriosität, da sie rundum von Vegetation umgeben ist. Die Berggipfel um den Nevada de Huila bekommen den Grossteil des Regens ab, während es hier, wo es bis zu 50 Grad heiss werden kann, oft trocken bleibt.

Während die Sonne dem Horizont neigt, gelangen wir an einen paradiesischen Ort auf Erden. Eine Empfehlung unserer Reisefreunde Betty und Beat – herzlichen Dank dafür! Ein Stellplatz inmitten einsamer Natur. In der der heissen Savanne steht hier ein riesiger Pool, quasi ein Privatpool, denn wir sind die einzigen Gäste. Der Wahnsinn! Zwei wunderbar ruhige und friedliche Tage geniessen wir auf dem Platz von Saul und seinen Freunden. In dieser bizarren Landschaft fühlen wir uns wie auf einem anderen Stern. Saul erklärt uns, dass die pinken Früchte und weissen Blüten des Melonenkaktus essbar sind. Sie schmecken leicht süsslich und der Stiel der Blüte erinnert mich an Zuckerwatte.

Wenig Lichtemissionen und eine klare Luft machen den Sternenhimmel grandios. Von Javier, dem ansässige Astronomen, erfahren wir beim Besuch der Sternwarte viel Spannendes. Mit einem Laserpointer zeigt er uns verschiedene Sternbilder und durch die Teleskope dürfen wir die Halbsichel der Venus, das Funkeln des Tauron und die vielen neuen Sonnen des Orionnebels bestaunen. Javier ist sehr enthusiastisch und zwei Stunden Vortrag vergehen wie im Flug. Einmal mehr sind wir uns bewusst, wie klein die Erde, ja wir Menschen doch im grossen Universum sind. Unterhalb der Sternwarte liegen die Canyons El Cuzco, durch die wir am anderen Morgen noch vor dem Frühstück wandern. Erosionen haben ein fabelhaftes Labyrinth aus rot-orangen Felsformation geschaffen.

Zusammen mit Erika und Ernst fahren wir weiter, wieder in kühlere Gebiete. Die vor uns liegende Strecke war über Jahrzehnte Guerilla-Gebiet und galt entsprechend als gefährlich. Die Situation hat sich in den letzten Jahren stark verbessert und heute sorgt das Militär für Sicherheit. An vielen Überlandstrassen treffen wir auf Checkpoints, an denen uns die Militaristen mit hochgestrecktem Daumen signalisieren, dass der kommende Strassenabschnitt als sicher gilt. Generell können wir sagen, dass wir uns in Kolumbien bisher nie unsicher gefühlt haben.
Während wir in die Höhe steigen, wird die Luft allmählich kühler. Über eine Schotterstrasse gelangen wir in das kleine Bergdorf San Andrés de Pisimbalá. Hier lebt das indigene Volk der Nasa, dem es bis heute gelungen ist, schwer bewaffnete Guerilleros und Paramilitärs aus ihrem Territorium zu verjagen und ihre uralte Identität zu bewahren. Mit Zeremonie-Stäben und –keulen ausgerüstete Wächter sorgen für Recht und Ordnung. Die Nasa organisieren und verwalten ihr Gebiet selbst und verfügen über eine eigene Rechtsprechung. Als wir ins Dorf fahren, lodert gerade ein grosses Feuer auf dem Dorfplatz. Später erfahren wir, dass darin einige Kilo Marihuana verbrannt wurden. Der Mann, bei dem die Grossmengen gefunden wurden, soll morgen in der Dorfkirche mit Peitschenhieben bestraft werden.

Wir finden einen einfachen, aber sicheren Stellplatz. Zu den kühlen Temperaturen passt das Gerber-Fondue, das uns Tabea und Marco mitgebracht haben, hervorragend!

Unmittelbar südlich des Dorfes San Andrés befindet sich eine weitere bedeutende archäologische Stätte. Tierradentro ist bekannt für seine Grabkammern. Noch vor dem indigenen Volk der Nasa erbauten die einstigen Bewohner etwa 500 bis 900 Jahren nach Christus auf den umliegenden Hügeln Schachtgräber. Wir wandern zu den verschiedenen Fundorten. Holzklappe auf und los geht’s. Zwei bis neun Meter tief klettern wir die grossen, steilen Treppenstufen runter ins Erdinnere. Unten ist es kühl und finster. Gut haben wir unsere Taschenlampe dabei. Einige der unterirdischen Grabkammern sind mit Malereien verziert. Hier wurden die ausgegrabenen Knochen verstorbener Stammesmitglieder zur letzten Ruhe gesetzt. Grabräuber und Archäologen fanden nebst den Ton-Urnen Grabbeigaben wie Keramik- und Goldgegenstände. Die Parkwächter freuen sich merklich über den aufkommenden Tourismus. Überall werden wir sehr freundlich begrüsst und man erklärt uns engagiert die verschiedenen Grabstätten.

Der Wanderweg führt uns hoch über die saftig grünen Hügel, wo wir auf freundliche Einheimische, Pferde und einfache Bambus-Häuser treffen. Zurück in San Andrés gibt es einen erfrischenden Jugo de Mora, Brombeerensaft.

In Silvia, einem weiteren Indígena-Dorf in den Bergen nördlich von Popayán suchen wir einen Stellplatz. Doch dort, wo wir hinwollten, ist niemand da. Etwas ratlos parkieren wir am Strassenrand. Da taucht plötzlich Aria auf, eine junge Einheimische, die uns wieder erkennt. Sie und ihr Mann Jorge haben uns in Tierradentro angetroffen. Sie lädt uns gleich ein. Wir dürfen sicher vor dem Haus ihres Vaters Augustin stehen. Die Gastfreundschaft der Menschen, die dem Stamm der Guambiano-Indianer angehören, überrascht uns, denn im Reiseführer haben wir gelesen, dass das Volk gegenüber Touristen und Fotos sehr zurückhaltend sei. Doch nun stehen wir in einer Küche von Einheimischen und werden von zwei strahlenden Gesicherten willkommen geheissen.

Heute Dienstag ist in den Strassen von Silvia viel los, denn der traditionelle Markt findet statt.

Wir geniessen es, durch das quirlige, farbenfrohe Gewühl zu schlendern. Es gibt herrlich frisches Gemüse und Früchte, einen tollen Rummelmarkt und vor allem viele strahlende Gesichter. Die Guambianos sind sehr geschäftig. Es herrscht eine lebhaft fröhliche Stimmung.

Nachmittags dürfen wir mit Augustin seine Brüder in einem höher gelegenen Dorf besuchen. Joaquin bewohnt das 100-jährige Elternhaus, indem die Geschwister liebevoll ein kleines, privates Museum mit alten Gegenständen eingerichtet haben. An der Wand hängt ein Foto der verstorbenen Eltern sowie der Wecker, mit dem der Vater aufstand. Gleich nebenan wohnt Antonio mit seiner Frau. Typisch kolumbianisch bekommen wir eine Tasse frischen Tinto, schwarzen Kaffee, serviert. Wir geniessen den näheren Kontakt zu den Indigenen. Zudem schätzen wir es, in dieses Gebiet, das ebenfalls jahrelang wegen der Aktivitäten von Guerilleros, Grossgrundbesitzern und Kokabauern als unsicher galt, reisen zu dürfen. Wir lernen die Guambianos als einen sehr stolzen und lustigen Stamm kennen, der bis heute fast autostark von seiner Heimaterde lebt. Bis heute werden ureigene Sorten Kartoffeln und Mais gesät. Als Geschenk bekommen wir eine riesige Wurzel-Knolle, die Joaquin aus dem Boden zieht. Daraus stellen die Einheimischen – und bald auch Thomas – frischen Saft her.

Abends ist Rudolphs Stube mal wieder voll. Aria und Jorge mit der kleinen Adriana sind zu Besuch. Dazu gesellen sich Wilson und Kennedy, die Brüder von Aria. Kennedy hat noch seinen kleinen Sohn dabei. Mit dem fröhlichen Augustin und natürlich Erika und Ernst ist die Runde komplett und der Tisch voll. Wir geniessen einen sehr geselligen und lustigen Abend und sagen Muchas Gracias oder eben Pai Pai – vielen Dank in der Sprache der Guambianos.

Wir haben uns in Silvia sehr wohl gefühlt und fahren glücklich und erfüllt weiter. Die doppelspurige Panamericana führt uns nach Cali, in die zweitgrösste Stadt Kolumbiens. Bei einer Badi quartieren wir uns ein und Erika und ich machen uns mal wieder an den Bürokramm.

Nach der Arbeit folgt das Vergnügen. Erika und Ernst laden uns heute zum Nachtessen ein. Im Restaurant Platillos Voladores feiern wir nachträglich den Geburtstag von Erika und werden kulinarisch irrsinnig verwöhnt. Welch ein Schmaus… Wir geniessen jeden Bissen dieses edlen Essens und die tolle Gesellschaft!

Dann sind wir, nach zwei gemütlichen Wochen zusammen mit Erika und Ernst, wieder alleine unterwegs. Es wird Zeit fürs Kiten. Beim Lago Calima finden wir bei einer Kite-Schule einen gemütlichen Platz. Die Stimmung ist toll, nur das Wetter nicht so ganz. Bewölkt und regnerisch und entsprechend böig ist es. Dennoch schaffen wir es einmal auf den Stausee raus.

Doch auch die nächsten Tage soll es regnerisch bleiben, so wollen wir unser Glück an den Spots der kolumbianischen Karibikküste versuchen.

Einmal durch die Mitte der Welt – von Guayaquil nach Tulcán

In Ecuador könnte man sich ständig umziehen. Auch heute kommen wir innert wenigen Stunden von der Hitze des Flachlands in den Nebelwald. Auf den Nebel folgen dann noch die Kälte und der Regen. Doch so ist es halt, wenn man von Meereshöhe auf knapp 4000 Meter ansteigt. Wir verlassen die Grossstadt Guayaquil. Eigentlich wollten wir im Nationalpark Caja wandern, doch bei diesem Regen? Also Planänderung, lass uns nach Cuenca fahren! In der Andenstadt auf angenehmen 2500 Metern finden wir schliesslich einen bewachten Parkplatz gleich nebst der Altstadt. Gemütlich schlendern wir durch die Stadt und die Märkte, besuchen das Panamahut- und Prohibido-Arte-Museum. Cuenca ist wirklich eine charmante Stadt, architektonisch wohl die schönste des Landes, mit zahlreichen Kirchen und weiteren Kolonialbauten. Alles in einem bunten Mix verschiedenster Baustile.

Auf der Panamericana geht unsere Reise durchs Hochland nordwärts. Alexander von Humboldt taufte diese Strecke bis zur kolumbianischen Grenze die Strasse der Vulkane. Ecuador hat gleich mehrere feuerspeiende Berge. Der bekannteste ist wohl der Cotopaxi, einer der weltweit höchsten aktiven Vulkane. Doch wir haben es heute auf den 6310 Meter hohen Chimborazo abgesehen. Von unserem heutigen Übernachtungsplatz, dem Parkplatz nebst der Laguna de Colta, geniessen wir bereits die Sicht auf den mächtigen Riesen.

Yeapi – strahlend blauer Himmel und Sonnenschein erwartet uns am anderen Morgen früh. Wir nehmen den Abzweiger zum Naturreservat und fahren dem Vulkan entgegen, etwas nervös: wird das schöne Wetter halten? Beim Eingang müssen wir uns registrieren und dann dürfen wir mit Rudolph bis auf 4800 Meter Höhe zum Refugio Carell fahren. Jetzt schon macht sich die dünne Höhenluft bemerkbar. Die letzten Tage haben wir uns mehrheitlich auf Meereshöhe aufgehalten, zudem sind wir momentan beide erkältet. Also keine idealen Bedingungen. Doch wir möchten rauf, es sind ja nur 300 Höhenmeter bis zur obersten Schutzhütte. Bis auf 5100 Meter kraxeln wir also hoch und da stehen wir, im Schnee, nahe der Gletschergrenze des Giganten Chimborazo. Es weht ein eisiger Wind. Ab hier bräuchte man Klettererfahrung und einen Guide, der einem auf den Gipfel bringen würde. Wir sind froh, umkehren zu dürfen. Der Gipfel des Chimborazo ist übrigens nicht nur der höchste Berg Ecuadors, sondern wegen der ellipsoiden Erdform auch der Punkt, der am weitesten vom Erdmittelpunkt entfernt ist. Noch weiter weg als die Spitze des Mount-Everests!

Über eine staubige Schotterpiste fahren wir durch ein einsames, grünes Tal. Hier ein paar grasende Kühe, da ein paar Schafe und inmitten dieser sanften Berglandschaft ein herzig winziger Ort. Das Bergdorf Salinas lässt keine Wünsche übrig: Ruhe, Natur, super feine Schokolade, würzige Salami-Wurst und rezenter Käse! Wow, der Abstecher von der Hauptroute hat sich gelohnt! Wir dürfen uns neben die Käserei stellen und am anderen Morgen ein tolles Spektakel beobachten. Jeden Morgen bringen die Bauern der Gegend kleinere oder grössere Mengen an Milch hierher. Mit Kesseln, auf Esel oder Lama gepackt, wird die Milch zu Fuss herangetragen. 60 Cent gibt’s pro Liter.

Da es hier so friedlich ist, beschliessen wir nochmals eine Nacht zu bleiben. Dann die Überraschung, ein Schweizer Camper namens Friedli gesellt sich zu uns. Friedli ist das Zuhause von Betty und Beat, zwei sehr aufgestellten Reisenden. Wir verstehen uns auf Anhieb sehr gut und sitzen bis in die kühlen Abendstunden draussen, mit Wein, Chips und Guacamole, natürlich ganz viel Käse und spannenden Reisegeschichten.

Anderntags ist es regnerisch und kühl. Zusammen mit Betty und Beat spazieren wir nochmals ins Dorf. In der Schokoladenfabrik bekommen wir heute eine kleine Führung. Wir erfahren unter anderem, dass der Betrieb Schokolade nach dem Vorbild der Chocolat Frey herstellt. Dies mit Erfolg, denn uns schmeckt die Schoggi wirklich gut! Im Dorfladen dürfen wir nebst Käse leckeren Salami und Schnaps probieren.

Mit einem Kühlschrank voller Leckereien fahren wir bei Regen und Nebel auf einer schmalen Nebenstrasse durch den Nationalpark Ilinizas. Trotz trübem Wetter ist es eine tolle Bergstrecke. Wir kurven auf matschigen Wegen durch den Regenwald. Die Bäume sind wunderschön mit Orchideen bewachsen. Nur die Suche nach einem Übernachtungsplatz gestaltet sich schwierig. Kurz vor Eindunkeln finden wir eine kleine Wiese nebst der Strasse. Der Regen prasselt aufs Dach, doch in Rudolphs Stube ist es gemütlich. Es gibt Gschwellti mit Käse und ein Rüebli-Salat. So lecker wie’s war, haben wir danach etwas Bauchschmerzen. Anscheinend sind wir uns sooo viel Käse nicht mehr gewohnt 🙂

Spontan entscheiden wir uns nochmals ins warme Wetter zu fahren. Also geht’s knapp 400 Kilometer durch den schönen Bergwald, quer durch die Pampa des Tieflands, an der Küste entlang bis wir schliesslich im kleinen Fischerdorf Súa die Nacht verbringen. An der Nordküste Ecuadors leben vorwiegend Nachfahren der in der Kolonialzeit als Sklaven nach Ecuador verschleppten Afrikanern. Die Region war letztes Jahr von mehreren starken Erdbeben betroffen. Heute ist vieles wieder im Aufbau. Dennoch, viele touristische Einrichtungen sind geschlossen, Verkaufs-Schilder fallen ins Auge und vor manchen Dörfern leben die Menschen noch immer in Zeltlagern. Für uns hat sich der Abstecher gelohnt. Das Schöne ist nämlich, dass der tropische Regenwald hier bis zur Küste reicht. Und erneut sind wir bei winterlichen Temperaturen abgefahren und abends im Hochsommer gelandet. Etwas weiter westwärts von Súa finden wir einen traumhaften Campingplatz. Playa Escondida, der versteckte Strand, ist ein Platz im Wald direkt am Meer. Wir sind fast die einzigen Gäste und geniessen die malerische Bucht und die Ruhe in der Hängematte. Ein romantischer und magischer Ort. Abends sitzen wir am Feuer und endlich brutzeln mal wieder legendäre Pizza-Käse-Brötchen auf dem Rost. Dazu gibt’s ein Pilsen, sehr leckeres ecuadorianisches Bier.

Vorbei an Rinderfarmen, Bananen-, Palmen- und Kautschukplantagen fahren wir wieder in die Anden. Eine kurvenreiche Fahrt hoch in die Berge und runter in ein Tal bringt uns nach Mindo. Ein relaxter Ort auf 1250 Meter Höhe, völlig auf den Ökotourismus ausgelegt. Mindo liegt inmitten eines Naturparadieses aus dunstigen Nebelwäldern mit vielen Vögeln. Wir sind fasziniert von den vielen Elfenvögeln, den Kolibris, die scheinbar aus dem Nichts kommen und ebenso schnell wieder verschwinden. Kolibris kommen nur auf dem amerikanischen Kontinent vor, wobei man die grösste Artenvielfalt hier in der Nähe des Äquators findet. Erstaunlich ist auch, dass man die Leichtgewichte von Null bis zu 5000 Meter Höhe antrifft.

Knapp ein Jahr haben wir uns unterhalb der Äquator-Linie aufgehalten. Heute ist es soweit, bei Mitad del Mundo überqueren wir die magische Linie. Ein riesiges Monument – nicht ganz am richtigen Ort platziert – weist auf den Äquator hin. Dort, wo der Äquator tatsächlich verläuft, befindet sich das kleine anthropologische Solar-Museum Inti Ñan. Während einer unterhaltsamen Führung erfahren wir einiges über Geschichte, Brauchtum und den jahrtausendealten Sonnenkult der Äquatorvölker. Zwischen den beiden Hemisphären dürfen wir zudem einige spannende Experimente ausprobieren.

Wir entscheiden uns, nicht in die Hauptstadt Ecuadors nach Quito zu fahren, da uns momentan gar nicht nach Städten ist. Zudem findet morgen Samstag der grosse Markt in Otavalo statt. Wir übernachten auf einem überwachten Parkplatz mitten in Otavalo. Bis nachts um Drei läuft Disco-Musik, ab vier Uhr beginnen die ersten ihre Marktstände aufzubauen und um Sechs ist der Poncho-Platz komplett mit bunter Ware überhäuft. Die Einheimischen, die Otavaleños, pflegen ihre Traditionen, begegnen uns Touristen aber sehr aufgeschlossen und freundlich.

Der kleine Tiermarkt ist ein besonderes Erlebnis, wobei man in Sachen Tierschutz beide Augen zudrücken muss. Auf einem Platz ausserhalb des touristischen Getümmels wird von Meerschweinchen bis Pferd alles verkauft. Indigene Männer und Frauen laufen mit Schweinen, Ziegen und Kühen herum. Fasziniert beobachten wir das rege Treiben. Es wird gehandelt und diskutiert. Hier rennt gerade ein Eber von der Leine, da hört man eine Katze aus einem Sack, die ein kleiner Junge auf seinem Rücken trägt und aus einer anderen Tüte mäht ein Schaf. Ein Schaf kostet 25 US-Dollar, drei Hühner, die wie ein Blumenstrauss an den Füssen zusammengebunden sind, bekommt man für fünf US-Dollar. Am Strassenrand warten die Menschen mit ihren ergatterten Tieren auf den Bus. Irgendwie kann man gar nicht anders, als immer wieder zu schmunzeln.

Der riesige Markt, der nebst Kunsthandwerk auch wirklich alles anbietet, ist einfach toll! Allerdings nur bis um 11 Uhr als es plötzlich nur so von Touristen wimmelt. Auf dem Gemüse- und Früchtemarkt decken wir uns für die nächsten Tage ein. Wie immer, ist die Ware auf dem Markt viel günstiger als im Supermarkt. So bekommen wir zum Beispiel drei Kilo Karotten für 50 Cent.

In Ibarra befindet sich die Finca Sommerwind, einer der Overlander-Meeting-Points in Südamerika. Ein Camping, der vom deutschen Ehepaar Hans und Patrizia geführt wird. Tatsächlich sind viele andere Camper da. Wir bleiben einige Tage, geniessen ein paar gemütliche Grill-Abende und erledigen das eine oder andere, bevor wir nach Kolumbien fahren. Zu unserer Freude tauchen Laura und Reza sowie Erika und Ernst auch auf dem Camping auf. Laura und Reza sind mit dem Fahrrad von Ushuaia nach Cartagena unterwegs. Mit ihnen haben wir im August in Bolivien, in La Higuera, tolle Tage verbracht. Erika und Ernst haben wir an der Südküste Ecuadors, beim Camping von Samuel in Puerto Cayo kennengelernt. Das sympathische Ehepaar aus dem Baselbiet reist wie wir von Süd nach Nord, ebenfalls in einem Mercedes Sprinter. Die Runde der Schweizer Sprinter-Fahrer macht das nette Paar Susanne und Ernst komplett.

Kurz vor der Grenze nach Kolumbien schauen wir uns den Friedhof von Tulcán an. Das Spezielle an diesem Friedhof sind seine vielen grünen Skulpturen. Die kunstvoll beschnittenen Büsche und Hecken sind viel grösser, als wir sie uns vorgestellt haben. Dann steht unser letztes Reiseland in Südamerika vor der Tür, Kolumbien, wir freuen uns auf dich!