In drei Wochen läuft unser Visum für Peru ab. Noch sind wir im Süden. Das Kitesurfen in Paracas hätte uns fast nicht mehr losgelassen. Jedenfalls geht’s nun weiter, auf der Panamericana-Schnellstrasse in Richtung Norden. Zum Kontrast des Natur-Paradieses in Paracas stürzen wir uns in die Grossmetropole Lima. Beim Hostel Hitchhikers ergattern wir gerade noch den letzten Camper-Stellplatz. Dann geht’s auf Entdeckungstour, zu Fuss, mit dem Taxi und bequem mit dem Touri-Doppeldeckerbus. Wir befinden uns im schönen Stadtviertel Miraflores, das so gar nicht unseren Vorstellungen der chaotischen Hauptstadt Perus entspricht. Auf den Klippen am Meer reiht sich eine grüne Park- und Sportanlage an die nächste. Die Strassen sind ruhig, gepflegt und es gibt viele tolle Restaurants, Bäckereien, Cafés und Bars. Ein reiches und modernes Stadtviertel und das Epizentrum der Gringos. Auch das Wetter ist so gar nicht Lima-like. Denn während sich die Stadt meist in eine dicke, graue Nebeldecke einhüllt, strahlt heute die warme Sonne vom blauen Himmel. Wir geniessen das moderne Grossstadtleben und lassen uns kulinarisch mit peruanischen Köstlichkeiten verwöhnen.
Es gibt auch einiges zu erledigen: eine neue Autoversicherung abschliessen, im Salon um die Ecke Wäsche waschen und unsere Gas-Flasche auffüllen lassen. Letzteres geschieht ziemlich experimentierfreudig. In einer Hinterecke des Hofes einer „Gas-Auffüll-Station“ wird eine grosse Flasche auf den Kopf gestellt, damit das Gas durch den Schlauch in unsere Flasche fliesst. Dazwischen muss immer mal wieder der Druck abgelassen werden…
Als wir die Stadt verlassen, wird uns bewusst, wie enorm weitläufig Lima ist. Es dauert lange, bis wir aus der Riesenstadt draussen sind. Einmal weg vom chicen Miraflores und der Meerespromenade kommen wir am etwas wüsten Hafen vorbei und durch die Armenviertel am Stadtrand. Hier erschrecken uns die Kinder, die an der Ampel betteln. Lima, die Stadt inmitten der Wüste, die sich oberhalb der rauen Pazifik-Küste an den ausgetrockneten Sandhügeln erhebt und ständig weiter wächst, hat viele Fassetten. Beherbergt sie schliesslich rund neun Millionen Einwohner und damit knapp einen Drittel der Landesbevölkerung Perus.
Die Weiterfahrt an der Küste führt uns durch eine trockene Wüstenlandschaft. Mal eine Baustelle, dann wieder ein Ort, sonst nicht viel. Zur Mittagspause blicken wir nochmals aufs Meer hinaus, dann steigen wir in die Höhe. Ein gewagtes Unterfangen, denn die Nacht verbringen wir bereits in der Cordillera Blanca. Wir sehen gerade noch die Sonne untergehen, als wir bei unserem Übernachtungsplatz auf 4200 Meter ankommen.
Die Nacht auf dünn-luftiger Höhe war anstrengend, der Anstieg einfach zu gross. Immer wieder wurden wir wach, schnappten nach Luft. Dazu ein Traum, der sich in einer Endlosschleife zu wiederholen schien. Wir sind froh, als der Morgen erwacht. Was hilft? Viel Wasser und Coca-Tee trinken, dazu die Bewegung an der frischen Luft. Obschon uns bereits wenige Schritte den Hang empor ins Keuchen bringen, erwachen unsere müden Geister allmählich. Für gute Laune sorgt ein Feld voller Riesenbromelien. Die Pflanzen, die zu den grössten Ananasgewächsen der Welt gehören, werden Puya Raimondii genannt. Sie können bis zu zehn Meter hoch und 100 Jahre als werden, dabei blühen sie nur einmal in ihrem Leben und sterben danach ab.
Wir scheinen alleine in dieser einsamen Gegend zu sein. Nicht ganz, denn der Zufall will es, dass wir einmal mehr den Schweizern Susi und Ruedi mit ihrem australischen Camper begegnen (wir haben die Zwei schon in und um Cusco mehrmals angetroffen).
Perus berühmte Cordillera Blanca, die weisse Kordillere, ist bekannt als höchste Gebirgskette des amerikanischen Kontinents. Hier türmen sich über 50 Schneegipfel und Gletscher, die höher als 5700 Meter sind. Unglaublich! Nebst den Riesengipfeln gibt es bilderbuchhafte Täler und viele Seen. Auf spannenden Schotterpisten kurven wir durch die spektakuläre Hochebene. Trotz oder genau wegen des Regens und Nebels eine abenteuerliche Fahrt!
Ein Grossteil der Cordillera Blanca wurde zum Nationalpark ernannt, dessen Natur vollständig unter Schutz stehen sollte. Nachdem wir den 4720 Meter hohen Pass Yanashalla überquert haben, trauen wir unseren Augen nicht. Was macht eine Mine im Naturschutzgebiet? Der düstere Anblick dieser enormen Kupfermine erschaudert uns, obschon die Riesenfahrzeuge auch imponieren. Ganze Berge werden hier ab- und umgebaut.
Die Weiterfahrt ist trüb, regnerisch. Bei einem Tunnel auf 4450 Meter Höhe rieselt Schnee auf die riesige Jesus-Statue. Waren wir nicht gerade noch im Hochsommer?
Auf dem Campingplatz Guadalupe in Caraz werden wir von Jaime aber sehr warmherzig empfangen. Nach einer Nacht auf angenehmen 3000 Metern sind wir dann auch wieder ausgeschlafen.
Auch Susi und Ruedi gesellen sich zur netten Overlander-Runde und so unternehmen wir anderntags einen Ausflug zu Viert. Mit dem Taxi geht’s auf ruppiger Serpentinen-Piste durch die landschaftlich eindrucksvolle Gegend zur Lagune Parón.
Die türkisfarbene Lagune, die von mehreren hohen Berggipfeln umgeben ist, hüllt sich bei unserer Ankunft im dicken Nebel. Doch wir haben Glück und die Wolken huschen hie und da davon, um uns den einen oder anderen imposanten Anblick zu ermöglichen.
Mit 6768 Meter ist der Huascarán der höchste Berg Perus. Wir dürfen ihn, als wir am nächsten Tag zu zwei weiteren Lagunen fahren, bestaunen.
Die Smaragd-Gletscher-Seen von Llaganuco sind einfach nur malerisch ins Tal eingebettet.
Noch schöner als die beiden Lagunen soll die Laguna 69 sein. Wegen des schlechten Wetters haben wir uns diese Wanderung eigentlich schon abgeschminkt. Doch heute scheint die Sonne und so entscheiden wir uns kurzerhand, doch aufzubrechen. Der Weg führt uns über moosige Wiesen, an weidenden Kühen vorbei, über Steine im Bachbett und auf schmalem Pfad in die Höhe. Wir geniessen die Ruhe, die frische Luft und den Ausblick über das Tal, die Berge und Wasserfälle. Die Regenzeit in den Anden macht uns dann doch einen Strich durch die Rechnung. Plötzlich ziehen dicke Nebelwolken und Regen auf. Vorsichtshalber kehren wir um, leider ohne die Laguna 69 zu Gesicht bekommen zu haben.
Passend zu der Cordillera Blanca verlässt man die Gegend auf spektakuläre Art und Weise. Wo einst die Eisenbahnlinie entlang verlief, führt heute eine schmale Asphaltstrasse durch den Cañon del Pato, die Entenschlucht. Die eindrucksvolle Fahrt durch den steinigen Canyon führt uns durch nicht weniger als 35 enge, unbeleuchtete Tunnels hindurch. Ein tolles Abenteuer!
Der Norden Perus ist weiterhin eine Wüstenlandschaft. Nebst Zuckerrohr und Baumwolle wird hier im heissen und trockenen Klima – zu unserem Erstaunen – Reis angebaut. Nach vielen Kilometern Hauptstrasse und einer Nacht bei einer Tankstelle zwischen den Grossstädten Chimbote und Trujillo nehmen wir den Abzweiger ans Meer. Im Küstenort Pimentel sehen wir den Fischern zu, wie sie seit jeher mit selbstgemachten Schilfbooten zur See gehen und ihren Fang gleich am Strand verkaufen.
Die Nacht dürfen wir auf dem Parkplatz eines Hostels verbringen. Anderntags lassen wir Rudolph stehen und fahren mit einem Klein-Bus, einem Colectivo, voller Einheimischer in die hektische Stadt Chiclayo. Wir wollen den Mercado Modelo besuchen. Ein riesiger Markt, wie es ihn in allen Städten gibt und wo man einfach alles findet.
Das Besondere hier ist der Mercado de Brujos. Auf dem Hexenmarkt bieten Schamanen noch die traditionelle Volksmedizin an. Für uns ein spannender Mix voller kurioser Wunder- und Heilmittel. Als Tourist will man uns den San Pedro-Kaktus oder das Urwald-Halluzinogen Ayahuasca anbieten, wovon wir aber getrost die Finger lassen wollen.
Zurück in Pimentel gibt es Chicharron de Pescado (Fischknusperli) und eine Tortilla-Spezialität aus Stachelrochen, bevor es weiter durch die Wüste geht. Bei Gonzalo, einem Künstler, in der Stadt Piura verbringen wir noch eine Nacht, dann gelangen wir über einen kleinen Grenzposten nach Ecuador.
Die Einfuhrbestimmungen nach Ecuador sind streng und der Zoll hat anscheinend ein neues Computer-Programm. Jedenfalls dauert es heute ungewöhnlich lange und wir können erst am späten Nachmittag weiterfahren. Mit dem Land verändert sich auch die Landschaft schlagartig. Auf einmal ist alles wunderbar grün und ein frischer Duft liegt in der Luft!
Die Strasse windet sich durch den feuchten Regenwald, zur beginnenden Dunkelheit gesellt sich der Nebel. Dummerweise stellen wir fest, dass alle Tankstellen, die unser Navi anzeigt, geschlossen sind, während sich der Tank dem Ende zuneigt. Im dunklen Nebelwald ohne Diesel – nicht gerade das Schönste. Doch wie immer gibt’s eine Rettung. Ein Lastwagen-Chauffeur schenkt uns fünf Liter Diesel. Mit einem Schlauch zieht er uns Diesel aus seinem Tank. Mehrmals bekommt er einen Schluck davon ab… doch Geld, nein Geld will er dafür bestimmt nicht. Schliesslich kostet die Gallone (3,78 Liter) Diesel in Ecuador gerade mal 1 US-Dollar.
Das war erstmals Ecuador – ein kurzer Schnupper-Aufenthalt. Eigentlich nur für die Visums-Verlängerung (und zum günstig Tanken ;), denn wir wollen nochmals ein paar Tage zurück nach Peru. Diesmal an die Nordküste, wo auf dem Campingplatz SwissWassi in Zorritos unsere bayrischen Freunde Anja und Tobi stehen. Das Besitzer-Ehepaar Melba, Peruanerin, und Jacques, aus der Schweizer Romandie, sind wahnsinnig nett und der Platz einfach paradiesisch. So stehen wir hier, direkt an einem kilometerlangen, völlig untouristischen Strand, pflücken Kokosnüsse direkt von der Palme und stürzen uns in die hohen Wellen.
Für Unterhaltung sorgt der typisch peruanische Nackthund namens Colosso, der statt eines Holz-Stöckchens gerne seiner Kokosnuss nachrennt und damit vor allem am Werfer Thomas Gefallen findet.
Wir machen noch einen Ausflug ins Surfer-Eldorado nach Lobitos und Máncora. Die Touri-Orte mögen uns aber nicht gleich überzeugen. Da geniessen wir lieber die Ruhe bei Melba und Jacques und die Gesellschaft von Anja und Tobi und anderen Campern. Auf dem Grill brutzelt ein leckerer Fisch, dazu schlürfen wir unseren letzten Pisco-Sour in Peru. Das Baden in den herrlich hohen Wellen – sozusagen das Tüpfchen auf dem „i“ – erklären wir offiziell zu unserem Weihnachtsgeschenk.
Feliz Navidad! – Frohe Weihnachten – Heiligabend verbringen wir in einer Peruanisch-Schweizerisch-Deutsch-Französischen-Runde mit Jacques, Melba und ihrem Bruder Dante und den anderen Camping-Gästen Nicolas und Sara, Maria und Peter sowie den Auswandern Herbert und Christiane. Jeder bringt was zu Essen mit und so gibt‘s ein reichliches Mahl. Darauf folgt „La hora loca“ (die verrückte Stunde), bei der ausgelassen getanzt und gefeiert wird, und um Mitternacht die Überraschung: Feuerwerk, heisse Schokolade und Panettone. Man wünscht sich schöne Weihnachten und umarmt sich, wie bei uns an Silvester. Das war unser ungewohntes, aber tolles Weihnachtsfest!
Am 26. Dezember fahren wir wieder nach Ecuador. Unser Ziel ist der Flughafen in Guayaquil, wo morgen mein Bruder Marco und seine Freundin Tabea landen werden. Die nächsten drei Wochen reisen wir zusammen. Besuch von Zuhause, wir freuen uns!