Kobolde, Städte und Pazifikflair – von der Insel Chiloé bis zur Hafenstadt Valparaíso

Wir freuen uns auf Chiloé, der nach Feuerland zweitgrössten Insel Südamerikas. Es ist Montag, der 6. Juni 2016, als wir von der Hafenstadt Puerto Montt zum Fährhafen aufbrechen.

Während der nächsten fünf Tage tauchen wir ins Inselleben ein. Wir schlendern durch die Atesanía Markthalle der Stadt Ancud und kaufen frisches Gemüse bei den Strassenverkäufern. Einer der Verkäufer fragt uns, von wo wir auf der Insel kämen. Er habe uns noch nie gesehen. Schmunzelnd erklären wir dem netten Chiloten, dass wir Suizos seien. Oh! Ob wir dann schon von den vielen erstickten Lachsen und Sardinen wüssten, die es vor ein paar Wochen an die Inselküsten spülte. Tatsächlich haben wir bereits von der Katastrophe gehört. Die meisten Chiloten leben vom Fischfang. Das daraufhin verhängte Fischereiverbot trifft die Menschen hier besonders hart.

Auf holprigen Strassen kurvt Rudolph mit uns in den nördlichsten Zipfel, zum kleinen Leuchtturm Faro Corona. Dann geht‘s der rauen Pazifikküste entlang südwärts. Beim Playa Mar Brava führt die Strasse in eine Sackgasse. Der Weg würde über den Strand führen, doch es ist gerade Flut. Wir geniessen unser Picknick mit tollem Blick auf die rauschenden Wellen und fahren in Richtung der Pinguineras. Von hier aus kann man in der Hochsaison mit Booten zu einer Insel mit Magellan-Pinguinen hinaus fahren. Jetzt im Winter ist der kleine Ort verlassen. Wir trinken einen Kaffee und fahren an die Ostküste. Die Strasse führt uns steil auf- und abwärts über die grünen Hügel der Insel. Das tollste ist immer wieder zu sehen, wie die Mensch leben. Wie die Chilenen auf dem Festland leben auch die Chiloten in farbenfrohen Holzhäuschen mit Blechdächern. Uns gefallen die schnuckligen Villakunterbunts, die an Wohnwägen oder Mobilhomes erinnern. Jedes Häuschen hat einen Garten, wo sich nicht selten weidende Kühe und Rinder, Pferde, Schweine, Hühner, Hunde und Katzen zusammen tummeln.

Als wir bei Aucar an die Ostküste gelangen, ist es bereits dunkel. Der nächste Morgen ist regnerisch grau, was unsere Stimmung aber nicht trübt. Gemütlich tuckern wie der Küste entlang, vorbei an der schmucken Holzkirche von Tenáun und dem idyllischen Fischerhafen von Dalcahue. Gegen Abend gelangen wir in die Hafenstadt Castro. Hier reiht sich am Ufer eine spezielle Art bunter Häuschen. Palafitos werden die Wohn- und Bootshäuser auf Stelzen genannt.

Ein Weg führt hinauf zum Aussichtspunkt Ten Ten. Die Fahrt über die matschige Strasse hat sich gelohnt. Wir geniessen das Fernsehprogramm während des heutigen Fahrerkabinen-Nachtessens: die Lichter von Castro, die langsam im Rauch der Holzöfen verschwinden.

Wir spazieren einige Stunden durch die belebten Gassen und über die fröhlichen Hügel Castro‘s. Unser Rundgang führt uns an den Palafitos, der Bootswerft, der Plaza mit der wunderschönen Holzkirche, dem Museum und dem Artesanía-Markt vorbei. Inmitten der bunten Markthalle geniessen wir frittierten Merluza (Seehecht) und eine Cazuela (Suppe mit Fleisch, Gemüse, Reis und Kartoffeln). Dazu gönnen wir uns ein Tässchen Chilenischen Weisswein. Almuerza, das Mittagessen ist die wichtigste Mahlzeit der Chilenen. Auf den Märkten oder in kleinen Buden bekommt man für wenig Geld oft zwei oder drei Gänge serviert. Wir mögen diese Orte, wo auch die Lokalen ihre Siesta verbringen. Heute sitzen zwei Chiloten am selben Tisch, die uns begeistert von ihrer Arbeit im Nationalpark berichten. So überzeugend, dass wir uns sogleich entschliessen, einen Ausflug dorthin zu machen. Am späteren Nachmittag fahren wir also wieder quer über die Insel in Richtung Pazifikküste.

Unterwegs begegnen wir weiteren bunten Holzkirchen. Chiloé ist für seine über 150 Kirchen bekannt, von denen 14 dem UNESCO-Welterbe angehören.

Unser Favorit ist die gelb-lavendelblaue Iglesia San Francisco von Castro.

Noch besser gefällt uns, dass vor den Dörfchen und in den Buchen anstelle riesiger Fischkutter herzig kleine und farbenfrohe Fischerboote herumtreiben.

Chiloé zählt wegen seiner besonderen Volksmythologie zu den eigenwilligsten Regionen Chiles. Es herrschen uralte Traditionen und spirituelle Legenden. Das Eiland wird seit jeher von Piraten und Seefahrern mit einem starken Unabhängigkeitsgeist bewohnt, die sich gerne dem Einfluss der Regierung Santiagos entzogen. Die Chiloten haben sich ihre ureigene Mythenwelt bis heute bewahrt. Dazu gehört der Glaube an die Existenz von Märchenfiguren, Hexen und Geisterschiffen. So gibt es zum Beispiel den Kobold El Trauco, der Jungfrauen schwängern oder den Caleuche, der Fischer in die Irre führen soll. Wir glauben die Märchen natürlich nicht. Etwas schaudern tut’s uns dann doch, als wir nach einer unruhigen Nacht an der laut tobenden See erwachen. Ein bissig kalter Morgen. Die Gegend ist Menschenleer. Nur eine Maus rennt übers Feld, versucht vergeblich den Klauen des Vogels zu entkommen. Und da entdecken wir ihn, den Kobold El Trauco, im eingefrorenen Boden gleich nebst Rudolph.

Nach einer Schale heisser Haferflocken und Kaffee fahren wir zum Parque Nacional Chiloé. Die Wanderpfade führen durch den kalt feuchten Wald, durch die Dünen und an den scheinbar endlos weiten Strand, der uns das Gefühl vermittelt, alleine auf der Welt zu sein.

003 P.N. ChiloéDie kurzen Wanderpfade sind schnell abgelaufen und so machen wir uns nach dem Mittagessen auf den Weg zurück nach Ancud. Die letzte Nacht verbringen wir auf einer Klippe oberhalb der friedlichen Nordküste. Mit dem gleichmässig ruhigen Wellenrauschen fallen wir zufrieden in einen tiefen Schlaf.

Nördlich von Puerto Montt liegt Puerto Varas und unser nächstes Reiseziel. Ein deutsches Kolonialstädtchen, das hübsch am Lago Llanquihue gelegen und mit einem tollen Blick auf die beiden Vulkane Calbuco und Osorno beglückt ist. Wir freuen uns, ihn endlich zu sehen, den Osorno, auf dem wir vor einer Woche im Nebel standen (links im Foto).

Auf der Plaza steht ein Festzelt der Fischervereinigung. Zu unserer Freude gibt es wieder leckeren Merluza-Fisch mit Kartoffeln, Tomaten-Zwiebeln-Salat und natürlich der typisch chilenischen Pebre-Sauce. Zum Dessert dann noch ein Stück Baumnuss-Likör-Torte. Kulinarisch fehlt es uns auch in Chile wirklich an gar nichts!

Am westlichen Seeufer übernachten wir in Frutillar auf dem Parkplatz des See-Theaters. Es ist Sonntagmorgen und aus dem Radio erklingt Deutsche Volksmusik. Das verschlafene Dorf wirkt wie in einem Werbeprospekt für Ferien im Tirol oder Schwarzwald: herrschaftliche Landhäuser mit Spitzenvorhängen und perfekten Gärten an einer gepflegten Uferpromenade. Passenderweise gibt es das Hotel am See und eine „Kuchen-Fabrik“.

An der Küste weiter nördlich ist in der Hafenstadt Valdivia dann schon wieder mehr los. Auf den ersten Blick ist die Feria Fluvial ein ganz normaler Fischmarkt.

Erst bei genauerem Hinsehen entdecken wir die bettelnden Seelöwen und Geier, die strategisch günstig hinter den Händlern platziert, auf Fischabfälle lauern. Ein einmalig tolles Erlebnis! Wir verzichten darauf, Rudolph in eine Fischbude zu verwandeln und kaufen nur eine Flasche Chicha, ein typischer Apfel-Wein-Saft.

Heute übernachten wir wieder einmal auf einer Tankstelle. In Chile sind die Copec-Pronto-Raststätten ein wahrer Camper-Traum. Tankstellen, die pick fein säuberlich und mit ihrer grünen Bepflanzung manch europäische Raststätte in den Schatten stellen. Doch das alleine erwärmt das von Natur-pur-Stellplätzen verwöhnte Camper-Herz noch nicht. Nein, es ist die heisse Dusche, gutes Wifi und häufig die Möglichkeit, die Tanks mit Frischwasser zu befüllen und Wäsche zu waschen. Ein unkompliziert und günstiger Rast, um voll saniert wieder in die Wildnis aufzubrechen.

Temuco, eine industrielle Grossstadt mit vielen Hochhäusern, ist für seine grosse Markthalle berühmt. Leider müssen wir feststellen, dass diese wegen eines Grossbrandes vor zwei Monaten völlig zerstört wurde. Das Museum zur Region Araucanía hat montags ebenfalls geschlossen.

Temuco (3)

Planänderung! „Lass uns beim Pneuhaus reinschauen“, meint Thomas schliesslich. Rudolph’s Winterreifen sind ziemlich heruntergefahren und hier in Chile gibt es eine grosse Auswahl an Neureifen. Beim Pneu-Haus Neumaton werden wir fündig. Doch zuerst ist Siesta-Zeit. Temuco ist das kulturelle Zentrum der Ureinwohner, der Mapuche. Im Kokaui, einem urchigen Restaurant, kommen Spezialitäten aus der chilenisch-mapuchischer Küche auf den Tisch. Wir bestellen eine Cazuela de Vacuna und Guatitas a la Jardinera con Papas Fritas, dazu Sopaipillas mit feuriger Pebre-Sauce. Die Cazuela-Suppe ist uns bekannt, ebenso die leckeren Sopaipillas (frittiertes Kürbisbrot). Guatita ist eine Mapuche-Spezialität. Soviel wissen wir. Was sich aber genau auf meinem Teller unter den Pommes Frites verbirgt, ist uns rätselhaft. Sicherlich lecker zubereitet, wollen mir die glitschigen Dinger nicht wirklich schmecken.

Mit vollen Mägen laufen wir die paar Blogs zurück zum Reifengeschäft. All-Terrain-Reifen sollen es sein. Eine Dimension grösser als die jetzigen, um an Bodenfreiheit zu gewinnen. Es folgt eine längere Diskussion zwischen dem Monteur und Thomas. Es wird gerätselt und vermessen. Ob der Radkasten wohl genügend gross ist? Schliesslich riskieren wir’s und haben Glück. Mit neuem Schuhwerk bestückt, finden wir’s fast schade, dass uns auf den nächsten Kilometern keine Schotterpiste begegnen wird.

Vorerst führt uns die asphaltierte Strasse an den Städten Ángeles und Chillán vorbei. Die weitläufige Feria de Chillán ist ein buntes Durcheinander, laut und richtig lateinamerikanisch: Ferduras y Frutas, Carne y Pescado, Ponchos y Sombreros, hay siempre todo! Bei der Fleischware bleibe ich vor der Vitrine stehen. „Schau, das könnte es gewesen sein!“ und prompt erklärt uns der nette Metzger, was ich gestern gegessen habe: es war Kuhmagen. Nun ja, heute sind wir weniger experimentierfreudig und entschliessen uns für ein konventionelleres Mittagessen: Empanadas de horno con queso y carne (Fleisch- und Käse-Teig-Taschen aus dem Ofen).

Die vergangenen Wochen haben uns zu wahren Chile-Wein-Fans gemacht. Nebst dem Cabernet-Sauvignon und Merlot schmeckt uns vor allem der trockene Carménère. Wir freuen uns, als wir in die Weinbaugebiete gelangen. Hier im zentralen Mittelland herrschen ideale Bedingungen. Die Wurzeln der Rebstöcke, die zu Kolonialzeiten gepflanzt wurden, sind bis heute sortenrein geblieben. Im trockenen und sonnigen Klima haben Rebpilze und Schädlinge, wie man sie in Europa kennt, keine Chance. Die strengen Lebensmittel-Kontrollen an den Landesgrenzen sorgen dafür, dass auch keine Krankheiten oder Schädlinge eingeschleppt werden. Heute wird die ursprünglich aus Bordeaux importiert Carménère-Traube nach Frankreich reimportiert. In San Javier lädt das Weingut Viño Balduzzi zur Führung und Degustation ein. Die Dame der Bodega führt uns durch die Anlage, in der jährlich ganze sechs Millionen Liter Wein produziert werden. Wir erfahren, dass die ursprünglich aus Italien stammende Familie Balduzzi hier bereits in der vierten Generation winzert. Die Mehrheit des Weins wird nicht in Flaschen abgefüllt, sondern in den Kühltanks nach Asien oder in die USA exportiert. Wir bestaunen die riesigen Silos. Eines dieser Edelstahl-Kolosse ist nicht mehr in Gebrauch. Seine zusammengeklappten Überreste sind Zeuge der immensen Wucht des grossen Erdbebens, das Chile im Februar 2010 erschütterte. Weiter geht’s zum Labor und der vollautomatischen Flaschenabfüllanlage, wo nur noch wenige Mitarbeiter ein Auge drauf werfen. Das Ambiente auf dem Betrieb lässt uns kühl. In einem Kellergewölbe stehen dann doch noch ein paar Holzfässer, wo der Reserva und Premium-Wein zwischen sechs und 24 Monaten gelagert wird. Trotz Einzelführung fühlen wir uns als Teil eines lieblosen Massengeschäfts. Nach der Degustation steht fest, dass wir weder hier noch sonst wo einer dieser angeblichen mehr besseren Tropfen kaufen wollen. Doch Fans des Chilenischen, vielleicht nicht Premium Weins, wollen wir bleiben.

Von Grossstädten halten wir uns wegen der erhöhten Kriminalität lieber fern. Bevor uns die Autopista Ruta 5 in die Hauptstadt Santiago führt, werfen wir einen Blick auf die Landkarte. Nach kurzem Rätseln darüber, wo es wohl schöner sein könnte, entscheiden wir uns zugunsten der Küste und nehmen den nächsten Abzweiger nach links. Wir gelangen auf die Ruta 66, die auch Ruta de la Fruta genannt wird. Der Name ist Programm. Im fruchtbaren Tall, dem Valle Central, herrschen ideale klimatische Bedingungen für den Obst- und Gemüseanbau. Die Landstrasse ist von unzähligen Obstgärten gesäumt. Verträumt schaue ich aus dem Fenster und male mir aus, wie sich die Gegend hier im Verlauf der Jahreszeiten wandelt. Wir erleben den touristisch ruhigen Winter, wenn die Bauern an ihren bunten Ständen Mandarinen, Zitronen, Äpfel, Birnen und Kastanien anbieten. Ein Sack kostet gerade einmal zwei Franken und so dauert es nicht lange, bis uns drei Kilo Mandarinen und weitere drei Kilo Kiwis die Weiterfahrt versüssen.

Die Nacht wollen wir am Stausee Lago Rapel verbringen. Der See ist auf unserer Karte mit einem roten Stern als Sehenswürdigkeit markiert. Vergeblich suchen wir einen Zugang. Was wir vorfinden sind Zäune und Häge mit Privado- oder Prohibido-Schildern (Privat oder Verboten). Die wenigen freien Wiesen sind Abfallentsorgungsstellen. Kein Ort, um zu übernachten. Die einbrechende Dunkelheit macht die Suche nach einem Stellplatz nicht leichter.

004 Lago Rapel

Dann werden wir wieder einmal völlig überrascht. An der Küste kommen wir in den ausserordentlich gepflegten Ort Rocas de Santo Domingo, eine Hochburg von Ferienresidenzen chilenischer Oberschicht. Was für ein Gegensatz zu der Gegend, die wir in den letzten Stunden durchfahren haben. Jetzt im Winter ist der Ort wie ausgestorben wir haben die prunke Meerespromenade fast für uns allein.

Das Wetter ist wieder milder, die Sonne scheint und wir lassen frische Luft durch Rudolph strömen. Nach den vielen Nächten mit zwei Paar Socken an, kann ich es kaum erwarten, in die Flipflops zu schlüpfen und meine Füsse ins kalte Pazifikwasser zu strecken. Auf die Ruta de la Fruta folgt die Ruta del Mar. Immer wieder verändert sich die Gegend. Nach der Villenhochburg folgt mit San Antonio eine grosse und hektische Hafenstadt. Die Wellen zerschlagen sich an der Felsküste. Ein Seelöwe sonnt sich auf dem Felsen und Pelikane fliegen über unsere Köpfe.

In Isla Negra besuchen wir das Museum Casa de Pablo Neruda. Der chilenische Lyriker, Kommunist und Literaturnobelpreisträger Neruda lebte hier bis er 1973 verstarb. Kurz nachdem sein Freund und Chiles sozialistischer Staatspräsident Salvador Allende durch die Militärjunta brutal gestürzt wurde und Pinochets 17-jährige Diktatur anbrach. Bald stellen wir fest, dass Nerudas Häuser, in Santiago, Valparaíso und Isla Negra, ganz besondere Museen sind, denn der Poet war ein leidenschaftlicher Sammler spezieller Gegenstände aus aller Welt. Durch den Audioguide hören wir: „In meinem Haus habe ich kleine und grosse Spielzeuge zusammengetragen, ohne die ich nicht leben könnte. Ich habe sie mein ganzes Leben hindurch gesammelt mit der Absicht, mich allein mit ihnen zu unterhalten“. Die verschiedenen Räumlichkeiten beherbergen eine riesige Fülle an Alltags- und Kunstobjekten, Kitsch und Kuriositäten. Die Reliquien erzählen aus dem bewegten Leben Neduras und laden zum Entdecken ein. Wir bewundern die unzähligen Sammelstücke und bekommen das Gefühl, nicht genügend Augen zu haben. Zu den Spielzeugen Nerudas gehören extravagante Möbelstücke, riesige Galionsfiguren, Statuen, Steine, Muscheln, Käfer und Schmetterlinge, antike Fernrohre, Buddelschiffe, Kompasse, Musikinstrumente, ein lebensgrosses Pferd mit drei Schweifen, eine Weltkugel, speziell geformte Gläser und Flaschen und noch vieles, vieles mehr. Das kreative Chaos lässt uns jedenfalls träumen und fantasieren. Neruda liebte das Meer. Von jedem Zimmer des Hauses blickt man auf die Brandung hinaus. Im Garten steht ein Fischerboot, ein grosser Anker und das Grab, wo Neruda und seine Frau Matilde begraben sind. Neruda schrieb „wenn ich nicht mehr lebe, dann sucht hier, sucht mich hier zwischen Felsen und Ozean, im stürmischen Licht es Meerschaums“.

Die raue Küste zieht auch uns in ihren Bann. Vor dem kleinen Ort El Yeco führt eine Rally-Piste durch einen Wald und uns zu einem traumhaften Übernachtungsplatz. Auf der Klippe oberhalb einer Surfer-Bucht kuscheln wir uns in die Campingstühle und lauschen den Wellen und dem Brutzeln der Longaniza-Würste über dem Feuer.

Wir machen einen Bogen um Santiago. Die Hafen- und Künstlermetropole Valparaíso wollen wir uns aber dann doch nicht entgehen lassen. Valparaíso, rund 120 Kilometer westlich von Santiago gelegen, gilt als die kulturelle Hauptstadt Chiles. In der weniger chaotischen Nachbarsstadt Viña del Mar finden wir beim Sportclub einen überwachten Parkplatz. Beruhigt gönnen wir Rudolph eine Ruhepause und düsen mit dem kultigen Omnibus ins schrille, bunt lebendige Valparaíso.

001 Viña

Eine tolle Stadt, die zwei Gesichter und unzählige Grafits hat. Die Unterstadt, El Plan genannt, ist die Hafengegend. Hier geht’s turbulent, ruppig und hektisch zu und her. Die engen Gassen führen an düsteren Matrosenbeizen und Fischmarkten vorbei. Die Stadt lebt und verfällt zugleich. Pablo Nerudo schrieb zutreffend: „Valparaíso, wie absurd du bist… Du hast dich nie gekämmt, hattest nie Zeit zum Anziehen, bist immer vom Leben überrascht worden“. In jüngster Zeit wurden viele der historischen Gebäude durch das Erdbeben im 2010 und durch einen Grossbrand im 2014 zerstört.

Über der Hafengegend thront die ruhigere und touristischere Oberstadt. Um auf einer der 17 Hügel zu gelangen, bieten sich zwei Varianten an. Man steigt die steilen Treppen empor oder in eine der ratternden Standseilbahnen ein.

Wir entscheiden uns für die bequemere, aber nicht weniger interessante Methode. Der Ascensor Conceptión aus dem Jahr 1883 führt uns aus der Hektik der Unterstadt in eine ruhigere Atmosphäre, wo die Menschen gemächlich ihr Künstlerdasein leben.

Zufrieden und müde steigen wir abends wieder in einen Bus, der uns in rasantem Tempo zurück nach Viña bringt.

Nationalparks, Seen und Vulkane – von El Bolsón durch das Seengebiet Argentiniens und Chiles bis Puerto Montt

Am Mittwoch  11. Mai 2016 reisen wir zum fünften Mal nach Argentinien ein. Wir haben Glück. Noch gleichentags erklärt sich der nette Verkäufer eines kleinen Ladens in Esquel bereit, unsere Schweizer Gasflasche zu befüllen. Esquel ist eine Stadt am Westrand Patagoniens und idealer Ausgangspunkt zur Erkundung des Nationalparks Los Alerces. An einem so nebligen Tag ausserhalb der Saison ist hier nicht viel los. Die Barriere ist geöffnet und der Park eintrittsfrei. Wegen ihres sehr harten und wertvollen Holzes wurden in der Gegend Grossbestände der patagonischen Zypresse Alerce gerodet und damit Tausend Jahre alte Geschichte zerstört. Zum Schutz vor weiterer Rodung wurde das Gebiet 1937 zum Nationalpark erklärt. Die Alerce, welche bis zu 70 Meter hoch werden kann, gewinnt pro Jahr nur etwa einen Millimeter an Durchmesser. Die ältesten im Park haben einen Durchmesser von vier Meter und werden auf unglaubliche 3500 Jahre alt geschätzt. Leider bekommen wir keinen dieser schönen Exemplare zu Gesicht. Dafür wäre eine Schiffstour mit Tageswanderung am anderen Ufer nötig. Die Schiffe liegen im Trocknen, dafür wagt sich Thomas ins kalte Nass. Auf der Schotterpiste fahren wir von Süd nach Nord vorbei an den Seen Futaleufquén, Menéndez und Rivadavia. Wir geniessen ruhige Tage und Nächte in den immergrünen, aber nicht tropischen Wäldern.

Für eine gute Internetverbindung und eine heisse Dusche suchen wir mal wieder auf einen Campingplatz auf. Die Cerveceria El Bolsón ist dafür der perfekte Ort. Nebst leckerem Bier gibt‘s deftige Pizza mit Extra-Queso. Von der Hippie-Kolonie der 60er Jahre ist in der Kleinstadt El Bolsón nicht mehr viel geblieben. Die Alt-Hippies, die hier fern weg von Buenos Aires autostark ein Alternatives Zuhause schufen, sind längst in entlegenere Gegenden umgezogen. Heute leben die Aussteiger, die auf dem Kunsthandwerksmarkt (der Feria Artesanías) Bio-Produkte und Selbstgemachtes anbieten, weitgehend vom Tourismus.

Weiter nordwärts führt uns die Ruta 40 nach San Carlos de Bariloche. Die touristische Hochburg gilt als die Schweiz Argentiniens. Am Ufer des malerischen Gletschersees Nahuel-Huapi gibt es eine Vielzahl von Luxushotels, Schokoladen-Geschäfte und Fondue-Stüblis. Auf dem Hauptplatz können sich Touristen sogar mit einem Bernhardiner, dem nicht mal das Holzfässchen um den Hals fehlt, ablichten lassen. Auf demselben Platz zeugt eine grosse Statue von der traurigen Geschichte der Ureinwohner Patagoniens. Das Perfide: das Denkmal erinnert nicht etwa an die hier lebenden Völker der Mapuche, Pehuelche und Vuriloche, sondern zeigt General Roca auf dem Pferd, den Anführer des Ausrottungskriegs von 1885. Im Sommer wimmelt es hier von Touristen aus aller Welt. Im Winter trifft sich die südamerikanische High Society zum Skifahren. Wir gehen durch die Einkaufspassagen, kosten ein paar Schoggi-Proben, schauen uns die neogotische Kathedrale an und picknicken am Seeufer.

Die Nacht verbringen wir auf dem Parkplatz an der Seepromenade. Typischerweise machen Einheimische sich abends auf ihre „Spazierfahrten“. Es ist Donnerstagnacht und ein Ramba-Zamba von aufheulenden Motoren und lauten Bässen. Gewohnt an verschiedenste nächtliche Geräusche und Umgebungen, macht uns der Lärm nicht sonderlich Mühe. Manchmal sind wir sogar gerne wiedermal im Getümmel. Diese Nacht schrecken wir aber mehrmals auf. Freitagnacht verbringen wir auf dem Hügel oberhalb der Stadt. Nebst einem traumhaften Ausblick gibt’s wieder einen tiefen Schlaf.

006 oberhalb Bariloche

Auf der Landkarte macht uns eine Name 25 Kilometer westlich von Bariloche neugierig: Colonia Suiza. 1899 immigrierten Schweizer Familien aus dem Wallis hierher. Schmunzelnd schlendern wir durch den kleinen Ort. Entdecken Strassennamen wie Bern und Zürich, Schilder und Speisekarten mit Waliser Bier, Fondue und „Goulash con Spätzle“ mit „Papas Rösti“. Wir verbringen zwei Nächte auf dem örtlichen Camping. Bei der Abreise dann die Überraschung: es kostet nichts. Die liebe Wirtin des Platzes meint, wir hätten ja hier am Computer gearbeitet und auf ihr Haus aufgepasst (tatsächlich durften wir Dusche, Küche, Wifi und einen beheizten Raum benutzen). Einmal mehr überrascht uns die südamerikanische Gastfreundschaft!

Entlang der Anden windet sich die Ruta de los Siete Lagos, die tatsächlich an mehr als sieben tiefblauen Seen entlang führt. Der Nationalpark Nahuel-Huapi ist mehr ein Adventur-Paradies als ein Schutzgebiet. Die Gebirgs- und Seenlandschaft wäre bei Sonnenschein aber sicherlich bilderbuchhaft. Heute ist es jedoch trüb und grau. Wir fahren nach San Martín de los Andes. Als wir uns ans Ufer des Lago Lácar stellen, beginnt es zu regnen. Der Regen hält an und so stapfen wir mit Jacke und Schirm durch das Gebirgsstädtchen. Auch hier lebt man vom Tourismus und dem Wintersport. Aufgeräumte Strassen, schmucke Architektur, Luxus-Läden und Sportgeschäfte zieren den Ort.

Weiter nordwärts gelangen wir zum Nationalpark des Vulkans Lanín. Es ist noch immer regnerisch und kalt. Fahrerkabinen-Abende sind besser als jedes Fernsehen. So sitzen wir auch heute am Ufer des Lago Huechulafquén mit einem Teller heissem Nachtessen da, lassen den Tag Revue passieren und schauen ein paar hartgesottenen Männern beim Fliegen-Fischen zu. Der Volcán Lanín soll einer der schönsten Berge sein. Leider versperren uns dicke Wolken die Sicht auf die perfekt geformte 3776 Meter hohe Pyramide mit Zuckerspitze. Wir versuchen es vom Süden her, dann vom Norden – vergeblich. Die Nordstrasse führt uns zurück nach Chile.

Araucanía – der Name dieser chilenischen Provinz tönt für mich wie aus einem Fantasy-Film. Und irgendwie fühle ich mich auch so. Die Luft riecht nach Frühling, frisch und mild. Vögel zwitschern in der herbstlich verfärbten Landschaft und die Sonne lacht. Die Araukarien sind die Wahrzeichen der Region. Majestätische Schmucktannen, die über 1000 Jahre alt werden. Heilige Bäume, deren nahrhafte Zapfen von den Ur-Bewohnern Araukaniens, den Mapuche, noch heute geerntet und am Strassenrand und in den Supermercados verkauft werden. Als wir in den Nationalpark Villarrica kommen, zieren ein paar Wattebäusche den hellblauen Himmel. In Cabargua übernachten wir am Playa Negra.

Auch auf chilenischer Seite gibt es ein Seengebiet, das von besonderer Schönheit sein soll. Wir lassen uns Zeit, fahren nochmals südwärts. Wir kurven auf teils ruppigen Pisten um die Seen, entlang der Flüsse, über grüne Hügel, durch Bergtäler und an Rinder-Weiden vorbei. Die Seen sind Relikte der Eiszeit. Perfekt spiegelt sich die Landschaft in ihrem glasklaren Wasser. Geschmückt wird die Region durch viele Vulkane.

001 am Lago Ranco

In Pucón ist es der Volcán Villarrica, der über der Stadt thront. Wir bummeln durch den Mercado Municipal, wo es wieder tolle Artesanías gibt: Holzspielsachen, Souvenirs in allen Variationen und Socken, Pullover und Ponchos aus bunter Wolle.

Am anderen Ende des Sees liegt Villarrica mit dem nächsten Mercado. Kulinarisch fehlt es uns nach Argentinien auch in Chile an nichts. Heute gönnen wir uns ein gutes Stück Käse. Dazu gibt es ein Salzbrezel aus der deutschen Bäckerei. Im Seengebiet haben sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts viele deutsche Einwanderer niedergelassen. Entsprechend bekommt man hier Kuchen, Strudel, Marmelade und dunkles Brot.

Seit einigen Tagen klappern wir Eisenwarengeschäfte und Garagen ab. Die neue Batterie wurde in Chile Chico leider nicht richtig befüllt. Wir sind also auf der Suche nach Schwefelsäure. „Ácido sulfúrico“ kommt in die Wortschatzkiste. In Villarrica werden wir fündig. Für umgerechnet knapp drei Franken wollen die Garagisten die Batterie aufladen. Als das nichts hilft und wir nach dem Wochenende wieder in der Werkstatt stehen, wird die Batterie schliesslich geleert und neu befüllt. Diesmal für sieben Franken. Das Beste: sie funktioniert seit daher einwandfrei!

Ab Puerto Montt fährt eine zweispurige Autobahn in den Norden Chiles. Die Ruta 5 gehört zur Panamericana, dem Netz aus Strassen, das Feuerland mit Alaska verbinden soll. Wir nehmen die Ruta 5 erstmal noch ein kleines Stück in Richtung Süden. Rudolph fährt dabei seinen stolzen 400‘000en Kilometer. Seit Montevideo hat unser alter Diesel 14‘440 Kilometer Asphalt, Schotter, Sand und Steine hinter sich gelassen.

Wo es Vulkane gibt, da entspringen heisse Quellen. Im Nationalpark Puyehue gibt es die Aguas Calientes umsonst. Nebst dem offiziellen Thermalbad finden wir im Flussbett eine heisse Quelle – Entspannung pur inmitten des grünen Regenwaldes unter wunderschönem Sternenhimmel!

Nach einer Nacht auf dem Parkplatz des Thermalbades fahren wir die Strasse zum Vulkan Casablanca, wo in ein paar Wochen die Skisaison beginnt. Ein alter Sessellift aus dem österreichischen Vorarlberg führt am Kegel des Vulkans hinauf.

Nächste Station im Nationalpark Puyehue ist die Rancher-Hütte in Anticura. Von da aus geht es auf ein paar kurzen Senderos (Wanderwegen) zu verschiedenen Miradors (Aussichtspunkten) und Saltos (Wasserfällen). Wir geniessen die frische Luft in den Regenwälder und ein Picknick mit Blick auf den Vulkan Puyehue, der letztmals Mitte 2011 ausbrach.

Es ist neblig, als wir am Lago Puyehue in Entre Lagos morgens losfahren. Einmal mehr wurden wir und Rudolph nachts von einem Hund bewacht.

Der Himmel tut sich auf und es verspricht ein sonniger Tag zu werden. Wir wollen zum nächsten See und nächsten Vulkan, dem Osorno. Als wir uns an dessen Kegel die kurvenreiche Strasse entlang einer dicken Schicht Vulkan-Asche und-Gestein hinauf schlängeln, wird es aber immer bewölkter. Oben angekommen gibt es einen Schneemann und eine Chocolate Caliente am Holzofen.

Am Fuss des Vulkans liegt der Nationalpark Vicente Pérez Rosales. Hier machen wir nur einen kleinen Nachmittagsspaziergang zur Lagune Verde. Gleich darauf beginnt es stark zu regnen. Dennoch wollen wir noch ein Stück weiter südwärts. Wir fahren bis ins kleine herzige Ort Cochamó, wo wir uns ans Ufer mit Sicht auf den Meereskanal, den kleinen Leuchtturm und ein paar Fischerboote stellen.

Anderntags fahren wir auf der schmalen Landstrasse weiter durch das bewaldete Tal. Die Spitzen der Berge sind beschneit. Der Winter naht. Erstes Ziel auf dem Tagesprogramm ist die Organisation von Wasser. Der Tank ist leer. Heute haben wir Glück und finden nach wenigen Kilometern herrlich feines Bergbachwasser.

Auffallend sind die vielen Lachszucht-Anlagen entlang des Meeresarms. Chile ist nach Norwegen weltweit der zweitgrösste Lachsproduzent. Innerhalb von nur 15 Jahren ist die Produktion aus dem Nichts gewachsen. 2009 brach sie wegen eines Virus um mehr als 50 Prozent ein. In den letzten Wochen haben Zeitungen weltweit über unzähliger tote Wale und Fische an Chiles Küste berichtet. Die Regierung verweist auf ein Naturphänomen, den Klimawandel und den stärksten El Niño seit 65 Jahren. Lokale Fischer, speziell die Bewohner der nahe gelegenen Insel Chiloé machen die industrielle Lachszucht und deren Gift dafür verantwortlich.

Lachszucht

In Puelche geht es dann wieder nordwärts, mit der Fähre nach La Arena. Wir gelangen zurück auf die Carretera Austral, auf der wir noch das letzte Stück bis Puerto Montt fahren wollen. Unterwegs essen wir am Pier der Bucht unser Mittagessen im Auto. Neben uns verkauft ein Fischer seinen Lachs ab dem Strassenrand. Im Pazifikmeer vor uns tummeln sich drei Pinguine und ein paar Delfine.

In der Hafen- und Arbeiterstadt Puerto Montt geht es belebt zu und her. Auch das Stadtbild ist eine wilde Mixtur verschiedenster Baustile. Hier gibt es alles: Moderne Hochhäuser nebst typisch chilenischen Holzhäuschen, alte Landhäuser nebst modernen Kaufhäusern und Industriegebäuden. Das älteste Gebäude der Stadt ist die hölzerne Kirche. Wir füllen unsere Vorräte mit frischem Gemüse und Früchte von Bauern, die vor dem Supermercado ihre Ware zu günstigen Preisen anbieten. Im Winter und bei Regenwetter essen die Chilenen gerne eine Spezialität aus der Mapuche-Küche: Sopaipillas, frittiertes Kürbisbrot. Dazu gibt es Pebre. Eine würzig scharfe Sauce mit Tomaten, Chili, Zwiebeln und Koriander. Etwas, was hier in Chile zu nahezu allem gegessen wird.

Zu den super feinen Sopaipillas, die es heute gibt, passt das Wetter perfekt: es regnet in Strömen. Die Vögel erfreuen sich an den Regenwürmern.

Und weil’s so schön ist, gleich noch ein paar weitere tierische Momentaufnahmen:

Am Nachmittag fahren wir entlang der Küste zur nächsten Fähre. Wir wollen auf die mystische Insel Chiloé! Mehr dazu im nächsten Blogbeitrag 🙂

Von Ushuaia durch den grossen Süden Chiles und Argentiniens nach Futaleufú

Sur Grande, der grosse Süden zwischen Ushuaia und Puerto Montt – nebst der Atacama-Wüste die naturbelassenste Region Chiles. An der pazifischen Westküste des patagonischen Chiles und Argentiniens gibt es unendlich viel zu entdecken.

Am Dienstag, 5. April 2016, verlassen wir Ushuaia. Wir wollen einen Abstecher durch den chilenischen Teil Feuerlands machen. Es ist bereits Nachmittag, als wir den kleinen Grenzübergang Bellavista passieren und so wecken wir mindestens ein Dutzend Beamte und Wachmänner aus dem Siesta-Schlaf. Das Prozedere ist uns mittlerweile vertraut. Zuerst geht es zur Migracion, wo die Pässe einen Ausreisestempel erhalten. Dann stellt man sich ans nächste Pult, zur Aduana. Das gleiche Spiel im Einreiseland: für die Personeneinreise zur Migracion und für die temporäre Einfuhrerlaubnis zur Aduana. Oft muss noch das eine oder andere Formular ausgefüllt werden. Dann folgt die Kontrolle des Fahrzeugs. Das alles geht meist sehr gemächlich zu und her. Klare Arbeitsteilung wird hochgeschrieben. Heute warten wir beim argentinischen Zollbeamten, bis er in aller Seelenruhe die Linien auf der neuen Seite im Buch gezogen hat, wo er unsere Daten handschriftlich einträgt. Hier gibt es noch keinen Computer. Doch wir wollen uns nicht beklagen. Auch wir haben keine Eile und die Bürokratie hält sich noch in Grenzen.

Magellanes, die südlichste Provinz Chiles, ist ein einsames Gebiet. Die wenigen Orte tragen Namen wie Porvenir (Zukunft) oder Ultima Esperanza (letzte Hoffnung). Man hat hier, noch mehr als in Ushuaia, das Gefühl am Ende der Welt angekommen zu sein. Auf Schotterpisten fahren wir vorbei an unendlichen Steppenweiden. Ab und zu tauchen weisse Häuser mit roten Dächern von Schaf-Estancias auf. Wir lachen, als wir ein entflohenes Schaf, das die letzte Rasur im vergangenen Dezember wohl verpasst hat, eifrig mit einer Herde Guanakos mitrennen sehen. Die Schafzucht ist nebst dem Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig Patagoniens.

Als unser Weg in die Wälder und entlang von Flüssen und Bächen führt, fallen abgestorbene Bäume mit silbrig grauer Rinde und unzählige Staudammbauten auf. Der Biber, einst aus Kanada als Pelztier importiert, entkam seiner Farm. Mangels natürlicher Feinde vermehrt er sich seit Jahrzehnten ungestört und hat sich mittlerweile zu einem grossen Problem Feuerlands entwickelt.004 BiberdämmeWir stellen Rudolph an den Waldrand am Ufer des Lago‘s Blanco und verbringen eine völlig ruhige Nacht in einsamer Natur.

Wir erreichen die Bahía Inutíl, jene nutzlose Bucht, in der sich Magellan ein weiteres Mal die Ost-West-Passage erhoffte. Die Bucht ist zwar an der Magellanstrasse gelegen, aber ein Durchkommen gibt es hier nicht. Dafür aber eine ganz andere Sensation: Königspinguine! Seit wir an der Chilenischen Grenze das Plakat des Parque Pingüino Rey gesehen habe, bin ich schon ganz aufgeregt. Königspinguine erwartet man doch in der Antarktis oder zumindest im Eis, nicht aber in der Steppengraslandschaft auf Feuerland, oder? Die kleine Population mit je nach Saison 20 bis 80 Pinguinen hat sich hier erst vor wenigen Jahren wieder angesiedelt. Sie ist die einzige Kolonie in Patagonien, ja in ganz Südamerika. Es ist eine einzigartige Gelegenheit, die Tiere von Nah in frei lebender Natur zu beobachten. Ich kann unser Glück fasst nicht glauben. Wir trotzen den heute besonders bissig kalten Temperaturen mit eisigem Wind, um die putzigen Frackträger solange zu beobachten, bis wir fast eingefroren sind. Dabei steht der Winter der Kolonie mit ihren rund 20 Jungtieren noch bevor. Die Naturschützerin des Parks erzählt uns, dass letztes Jahr gerademal ein Junges überlebt hat. Wir hoffen ganz fest auf eine bessere Saison!

Wir kommen nach Porvenir, einem verschlafenen Ort, wo viele Nachfahren kroatischer Siedler leben, die auf der Suche nach Gold nach 1880 auf die Insel kamen. Nach einer ruhigen Nacht an einem einsamen See geht es mit der Fähre über die Magellanstrasse zurück aufs Festland. Von rechts sind wir über die Ruta 3 gekommen. Heute geht es nach links, auf die Ruta 9 in Richtung Norden.

Wir freuen uns, noch mehr von Chile zu entdecken. Das Land, das wegen seiner eigenwilligen Geografie einfach alles zu bieten hat. Schmal erstreckt es sich zwischen Pazifik und Anden über gut 4300 Kilometer entlang halb Südamerika. Entsprechend vielfältig sind die Landschaften und Klimazonen: ewiges Eis und vulkanisches Feuer, heisse Quellen, Fjorde und zahllose Inseln wie in Skandinavien, riesige Wälder und Seengebiete, Strände, hohe Anden und die trockenste Wüste der Welt.

Des Sitzens im Auto langsam müde, sehnen wir uns nach Bewegung! Wir freuen uns auf ein paar herbstliche Wandertage. Die Ruta 9 bringt uns bis nach Puerto Natales. Von der kleinen Hafenstadt mit ihren bunten Blechhäuschen wollen wir in den grossartigen Nationalpark Torres del Paine aufbrechen. Doch es gibt noch was zu erledigen: der letzte Blogbeitrag stellen wir im Hostel-Camping Josmar fertig und dann geht’s endlich los!

Asphaltierte Hauptstrasse oder Schotterpiste? Einmal mehr entscheiden wir uns für die holprige, aber landschaftlich attraktivere Route. Die Piste führt uns zum Südeingang des Parks und zu einem günstigen Zufall. Die Dame der Rancher-Station teilt uns nett mit, dass wir keinen Eintritt bezahlen müssten. Hier und heute nicht, warum auch immer, wir sind froh darum.001 Fahrt zum P.N.Der bekannteste Nationalpark Chiles ist eine Wunderwelt aus imposanten Gipfeln, Gletschern und Eisbergen, blaugrünen Seen, Wasserfällen und Wäldern. Es ist ein Paradies für Bergsteiger und Wanderer. Ein spektakulärer Anblick bilden die Cuernos del Paine, hörnerartige Gipfel. Die Hauptattraktion sind aber die eigentlichen Torres del Paine, die Türme der Paine. Paine heisst in der Sprache der Ureinwohner, der Tehuelche-Indianer, himmelblau. Torres del Paine heissen also die Türme des blauen Himmels, deren drei scharfgezackte Felsnadeln aus Granit oft in Wolken gehüllt sind. Der höchste Berg ist aber der mit 3050 Meter hohe von Gletschern überzogene Cerro Paine Grande. Auf der längsten Trekkingtour des Parks, dem Circuito oder O-Trail, kann das ganze Massiv einmal umrundet werden. Der Vorderteil dieser Strecke bildet das W, die 75 Kilometer lange Trekkingtour in W-Form. Dieser Weg ist besonders beliebt, da er die wichtigsten Sehenswürdigkeiten miteinander verbindet. In der Hochsaison von Dezember bis April pilgern zahllose Wanderer aus aller Welt in den Park. Die Besucherzahlen steigen zunehmend. Besonders der W-Pfad ist in Stosszeiten heillos überlaufen. Der Andrang hinterlässt seine Spuren und gefährdet das fragile Ökosystem.

Jetzt im Herbst ist Nachsaison. Nebst Ruhe auf den Wanderwegen gibt es verfärbte Bäume und weniger starke Winde. Der O-Trail ist geschlossen und wir beschliessen, einen Teil des W’s und weitere Tagestouren zu laufen. Erste Station heisst Glaciar Grey. Wir stellen uns zwischen die wenigen Touristenbusse auf den Parkplatz vor der Rancher-Station.001 bei Rancher-Station Glaciar GreyZu eifrig und unüberlegt brechen wir zur ersten Wanderung auf. Wir wollen nur kurz zum Mirador (Aussichtspunkt) auf dem Hügel oberhalb des Parkplatzes. Eine Stunde hin und zurück steht auf der Karte. Nach einer Stunde geht der Weg noch weiter hoch. Langsam bekommen wir Durst. Da es keinen Bach gibt, machen wir vorzeitig kehrt. Schade, aber es soll uns eine Lehre sein. Von nun an brechen wir nicht mehr ohne Rucksack mit Proviant auf. Nach einem Picknick geht es zum Lago Grey. Über einen Strand gelangt man zu einer Halbinsel, von wo wir einen tollen Blick auf den Gletscher geniessen. Die im grauen Gletscherwasser schwimmenden Eisblöcke sind so kitschig blau, dass sie nicht wirklich in das in weiche Herbsttöne eingefärbte Panorama passen.

Nach ein paar weiteren Wanderungen verschieben wir unseren Stellplatz ans Ufer eines anderen See: zum Lago Pehoé, unweit vom Wasserfall, dem Salto Grande. Von hier aus führt ein Spaziergang zum Lago Nordenskjöld, von wo man einen wundervollen Blick auf die Cuernos geniesst. Die zweifarbigen Zipfel erheben sich in fantastischem Kontrast zum türkisblauen Wasser. Hier könnten wir stundenlang sitzen, auf das Panorama starren und darauf warten, bis sich mit Grollen wieder ein Stück Eis vom Cerro Paine Grande löst.

Der Wanderweg dorthin führt an silbrig grauen, abgestorbenen Bäumen vorbei. 2005 und beim Jahreswechsel 2011/2012 vernichteten verheerende Brände Grossteile der Wälder und Steppenvegetation. Beide Brände wurden leider durch unachtsame Touristen verursacht.

Kalte und stürmische Böen ziehen auf, als wir auf dem Parkplatz des Hotels Las Torres ankommen. Wir hoffen dennoch, anderntags den Aufstieg zu den Füssen der Torres Felsnadeln machen zu können. Doch es bleibt grau, kalt und regnerisch. Wir fragen im Hotel, ob es die Möglichkeit zum Duschen gäbe und werden zum Spa-Bereich mit Sauna geschickt. Was könnte uns heute Besseres passieren? Als wir anderntags bei Sonnenaufgang zu den Torres aufbrechen, verspricht es ein schöner Tag mit klarer Sicht zu werden. Während der achtstündigen Wanderung wird das Wetter aber zunehmend düsterer. In den Höhen kommen wir in Schneegestöber. Starker Nebel versperrt uns leider die Sicht auf die Lagune und die Granitberge.

Die letzte Nacht verbringen wir an der nördlich gelegenen Lagune Azul. Beim Frühstück lichtete sich der Nebel und uns eröffnet sich doch noch ein letzter Blick auf die Granitgipfel der Torres del Paine.

Nach einer Woche geht uns der Proviant aus und wir verlassen den Park und damit vorläufig auch Chile. Wir gelangen erstmals auf unserer Reise auf die legendäre Ruta Nacional 40. Die Cuarenta ist das westliche Rückgrat Argentiniens und mit ihren über 5000 Kilometern länger als die Route 66. Seit die Strasse vor einigen Jahren von der Tourismusbehörde als Marketingprodukt entdeckt wurde, wird an ihrer Asphaltierung fleissig gearbeitet. Damit lässt sie sich zwar wesentlich schneller und komfortabler befahren, aber verliert doch irgendwie an ihrem Reiz und Charme.

Wir sind wieder in der Provinz Santa Cruz, wo der Parque Nacional Los Glaciares gleich nördlich an den Torres del Paines angrenzt. Auf der Grenze zwischen Chile und Argentinien erstreckt sich eine riesige Eisfläche. Nach der Antarktis und dem Grönlandeis ist der Campo Hielo Sur die drittgrösste zusammenhängende Eismasse der Welt. Mit 22‘000 km2 entspricht sie gut der Hälfte der Fläche der Schweiz. Das Spezielle dieser patagonischen Gletscher liegt darin, dass sie sich fast auf Höhe des Meeresspiegels befinden. Der grösste ist der Upsala, der spektakulärste und meistbesuchte ist aber der Perito-Moreno-Gletscher. Er liegt im Süden des Nationalparks Los Glaciares.

Wir haben die Nacht in der Nähe des Parkeingangs verbracht. Das Wetter ist heute leider regnerisch trüb. Von den Laufstegen und Aussichtsplattformen auf der Halbinsel Península de Magellanes geniessen wir dennoch den Blick auf die über fünf Kilometer lange Gletscherzunge, deren Eiswand sich 50 bis 60 Meter hoch über den Lago Argentino erhebt. Der Perito-Moreno gehört zu den wenigen weltweit wachsenden Gletschern. Er schiebt sich jeden Tag um rund ein bis zwei Meter nach vorne und wächst damit schneller nach, als er unten am Ende abbaut. Allerdings hat sich sein Wachstum infolge des Klimawandels verlangsamt. Wir lauschen, halten den Atem an. Warten bis es knackt und kracht. Bis sich Risse in der riesen Eiswand bilden, Eisbröcke in den See stürzen und kleine Flutwellen auslösen. Gänsehaut pur!

Am Südufer des Lago‘s Argentino, 80 Kilometer vom Perito-Moreno entfernt, liegt der touristische Ort El Calafate. Wir stellen uns ans Seeufer. Ganz erstaunt entdecken wir im milchig-grünen Gletscherwasser sich tummelnde Flamingos. Wir verbringen ein paar ruhige Tage. Schlendern durch das Städtchen, setzen uns auf eine der vielen Terrassen eines Cafés und geniessen das sonnige Herbstwetter.

Wir fahren in den nördlichen Teil des Parque Nacional Los Glaciares zu einer weiteren Hauptattraktion: dem Monte Fitz Roy. Mit 3375 Meter nicht der höchste, aber einer der berühmtesten Berge Argentiniens. Waghalsige Alpinisten beklettern die technisch anspruchsvolle Vertikale. Wir begnügen uns mit einer Rundwanderung. Gut sieben Stunden führt uns der Pfad durch orange leuchtende Wälder, vorbei an türkisfarbenen Seen und an Elvis, dem Specht mit der coolen Haarlocke 🙂 Das Wetter spielt mit und wir geniessen gute Sicht auf die imposanten, spitzigen Felsnadeln.

001 Panorama Fitz Roy

El Chaltén – rauchender Berg, so hiess der oft in Wolken eingehüllte Fitz Roy in der Sprache der Tehuelche. Heute ist El Chaltén der kleine Ort, von wo die Touren starten. In der Nachsaison ist hier nicht viel los. Überall sind die Einheimischen am Hämmern und Sägen. Das erst 1985 gegründete Dorf lebt und wächst vom Tourismus und so erhöht manch einer sein Häuschen um einen weiteren Stock.

Weiter geht es auf der Ruta 40 durch ein einsames Stuck Steppenwüste. Für Abwechslung sorgt wie so oft ein Guanako, ein Hase oder ein Fuchs. In einsamer Gegend liegt der 5000-Seelenort Gobernador Gregores. Auf dem Camping Municipal gibt es gegen Entrichtung eines Trinkgelds warmes Wasser und einen netten Picknickplatz mit typisch argentinischer Grillstelle. Abends gesellen sich Estela und Carlos, ein paraguayisches Rentnerpaar, zu uns. Sie standen schon in El Chaltén neben uns auf dem Parkplatz. Sie wollen währen zehn (!) Jahren einmal um die Welt reisen. Un Paraguayo rodando el mundo – Wir drücken dem netten Paar mit ihrem voll bepackten VW-Bully dazu fest die Daumen!

Ein paar weitere Kilometer nördlich verlassen wir die Ruta 40. Wir wollen auf das chilenische Pendant, auf die Carretera Austral, gelangen. Vor der Grenze liegt am Lago Buenos Aires der herzige Ort Los Antiguos. Nach der patagonischen Steppe ist dieser Ort so ganz anders. Eine sonnige Oase, wo mit Pappel-Alleen beschützt Kirschen, Äpfel, Erdbeeren, Aprikosen und Pfirsiche gedeihen.

Über die Grenze geht es nach Chile Chico. Seit ein paar Tagen sitzen wie im Dunkeln. Unsere Zweitbatterie, welche für die elektrische Versorgung des Wohnraums sorgt, hat ihren Geist aufgegeben. Da wir bei den momentanen Temperaturen quasi im Kühlschrank leben, ist der Stromausfall zwar nicht besonders problematisch. Dennoch haben wir uns bereits in Argentinien nach Ersatz erkundigt. Dass wir dann in Chile, gleich im ersten kleinen Ort fündig werden, damit hätten wir nicht gerechnet. Es ist kurz vor Siesta, aber wir können die Batterie schon heute Abend abholen. Also stellen wir uns gemütlich auf den Hügel oberhalb des Ortes und geniessen den Nachmittag in der Sonne. Der Lago Buenos Aires ist grenzübergreifend. Auf der Westseite, die zu Chile gehört, heisst er Lago General Carrera. Nach dem Titicacasee ist er der zweitgrösste See in Südamerika. Er erinnert uns wegen seiner Grösse, dem glasklar blauen Wasser und den Felsklippen ans Meer in Kroatien.

Plötzlich kommen zwei Jungs mit Mountainbikes angefahren. Es sind Jonas und Christopher, zwei deutsche Backpacker, die wir in Puerto Natales kennengelernt haben. Sie wollten heute eine Wanderung zur Cueva de las Manos machen. Dummerweise sind sie dutzende Kilometer in die verkehrte Richtung gefahren. Glücklicherweise haben sie so Rudolph entdeckt. Wir freuen uns über den schönen Zufall und das Wiedersehen! Ein paar Stunden später, wieder mit Strom im Haus, sind wir bei ihnen im Hostel zum Abendessen eingeladen und beschliessen kurzerhand, morgen zu Viert loszufahren.

Die Sonne geht über dem See auf. Wir holen die Jungs im Hostel ab, kaufen ein paar Lebensmittel für die nächsten Tage ein und machen uns für einen Abstecher in Richtung Naturschutzgebiet Jeinimini auf. Wir wollen zusammen auf die Wanderung zur Cueva de las Manos. Im Gänsemarsch geht es vorbei an eindrucksvollen Felsformationen steil am Horizont entgegen. Besonders imposant ist die gigantische Piedra Clavada, woneben Christopher mit seinen fast zwei Metern sonderlich klein erscheint.

Auf der Höhe angekommen, geniessen wir einen toll Blick über das Tal des Rio Jeinimeni und nach Argentinien. Eine unglaubliche Ruhe umgibt uns. Auf dem ganzen Weg begegnen wir keiner Menschenseele. Und fast hätten wir die Höhlen verpasst. Auf der Wanderung fehlen teilweise Markierung und Pfad. Doch wir finden sie: die mysteriöse Cueva de las Manos. Eine Höhle, wo Steinzeitbewohner Malereien und Handabdrücke in verschiedenen Farben hinterlassen haben.

Es geht weiter bergab durch den chilenischen Bryce-Canyon. Wir kommen ins Valle Lunar, ins Tal des Mondes. Eine wirklich zutreffende Bezeichnung für diese spannend bizarre Erosionslandschaft.

Als wir abends Rudolph am Lago General Carrera parkieren und die Jungs ihre Zelte aufschlagen, geht die Sonne hinter den Bergen unter.

Wir folgen der kurvenreichen Schotterpiste dem Südufer entlang. Bis zu 4000 Meter hohe schneebedeckte Gipfel erheben sich um den See. Die Strasse mündet bei El Maitén in die Carretera Austral. Mit dem Bau der der Ruta 7 wurde unter Pinochet 1976 begonnen, um die auf dem Landweg abgetrennten Südprovinzen mit dem Rest Chiles zu verbinden. Der Bau der Carretera gilt als das aufwendigste Grossprojekt Chile’s im 20. Jahrhundert. Er gestaltete sich als äusserst schwierig, da die unwegsame Gegend von dichter Bewaldung, von Fjorden, Gletschern und Gebirgszügen durchzogen ist. Mehr als 20 Jahre wurde an ihr gebaut. Die heute etwas mehr als 1200 Kilometer führen von Puerto Montt bis nach Villa O’Higgins. Noch ist sie nicht vollendet und bis heute ist ein Grossteil Schotterpiste.

Gute eine Woche fahren wir mit Jonas und Christopher über die abenteuerliche und holprige Strasse, auf der sich uns hinter jeder Kurve ein neues, grossartiges Panorama eröffnet. Wir kommen durch winzige Ortschaften. Wie gewohnt fahren wir morgens los, ohne zu wissen, was uns heute erwartet. Wo es uns gefällt, da halten wir und abends sitzen wir, wenn immer möglich, am grossen und wärmenden Lagerfeuer und backen Pizza-Käsebrötchen.

Wir geniessen gemütliche Tage. Alle kommen zum Schluss: es hätte nicht besser sein können! Wie lange wir noch zusammen gereist wären, wenn Jonas nicht einen fixen Termin in der Grossstadt Coyhaique hätte? Während er in die Bierbrauerei arbeiten geht, verbringen wir unsere Zeit in Coyhaique mit Suchen. Zuerst gilt es einen Camping zu finden, was sich als schwierig herausstellt. Wir fahren alle Plätze ab und überall erhalten wir die Antwort „cerrado“, geschlossen. Schliesslich erklärt sich die ältere Dame Cécilia, die Besitzerin eines kleinen Campings, bereit für uns Deutsche (womit Christopher und wir beide gemeint sind) eine Ausnahme zu machen. Wir dürfen sogar ihr privates Bad benutzen.

Unsere Gasflasche ist bald leer. Wir klappern also eine Gasfirma nach der anderen ab – erfolglos. Die Chilenen haben einen anderen Anschluss. Wir beschliessen, einen Outdoor-Gaskocher zu kaufen und unser Glück in Argentinien wieder zu versuchen. Schliesslich bringen wir noch einen vollen Sack Kleider zur Wäscherei, in die Lavanderia. Wir haben nur selten Wifi. Also nutze ich die Gelegenheit, um wieder einmal nach Hause zu telefonieren. Vor unserer Weiterfahrt fahren wir mit Christopher auf der Hinterbank für einen Brunch zum idyllischen Bergsee Lago Elizalde. Beim Stein des Indio, dem Piedra del Indio, gibt es noch ein Gruppenfoto. Abends geniessen wir ein letztes gemeinsames Nachtessen mit Asado-Grill auf dem Campingplatz und stossen mit dem Cerveza aus Jona’s Brauerei auf eine tolle Zeit an. Salud!

Und dann sind wir wieder alleine. Die restlichen Kilometer der Carretera warten auf uns! Nördlich von Coyhaique ändert sich die Landschaft erneut: es wird grüner.

Als wir durch die Eingangspforte zum Bosque Entcantado gehen, gelangen wir in eine völlig andere Welt: ein schmaler Pfad führt uns durch einen immergrünen, kalten Regenwald. Vorbei an glasklaren Bächen, über Wurzeln und wackelige Holzbrücken gelangen wir zu einem Hängegletscher, von dem herab ein Wasserfall in die türkise Lagune fliesst. Bosque Encantado, erfreuter oder verzauberter Wald – zutreffend für diese märchenhafte Wanderung!

Wir verbringen entlang der Carretera nochmals gemütliche Tage und ruhige Nächte in einsamen Gegenden.

In Playa Santa Barbara verbringen wir die Nacht am Strand. Wir lauschen dem Rauschen der Wellen und sehen den Seerobben beim Jagen zu. Der Strand hier ist schwarz und lässt die nahe gelegene Vulkanlandschaft vermuten.

Niemand hat das erwartet, was am 2. Mai 2008 geschah. Der Vulkan Chaitén brach nach Jahrtausenden Dornröschenschlaf aus. Seine Asche wurde 20 Kilometer in die Luft geschleudert. Heute raucht der Vulkan noch immer vor sich hin. Wir kraxeln in nur 2,2 Kilometern die 600 Meter zum Krater hinauf und werden mit einem unglaublich spannenden und mysteriösen Panorama belohnt.

Abends stellen wir uns wieder ans Meer. Vergnügt tollen Delfine in der Bucht herum.

155 Kilometer südöstlich von Chaitén geht es bei Futaleufú nach Argentinien. Schon wieder heisst es: Hasta luego Chile!

034

Wir haben unser Reisetempo entschleunigt. Eigentlich wären wir aktuell, im Mai 2016, in Peru. Tatsächlich sind wir aber mittlerweile in San Carlos de Bariloche, rund 1200 Kilometer südlich von Santiago und damit nicht mal in der Hälfte Chiles angelangt. Der raue und wilde Charme des Südens will uns noch nicht loslassen. Wir haben die patagonische Ruhe und Einsamkeit liebgewonnen. Quien se apura en la Patagonie, pierde el tiempo – wer sich in Patagonien beeilt, verschwendet seine Zeit, erklären die Einheimischen. Und was wäre eine grosse Reise nicht, wenn Pläne nicht dazu da wären, sie zu verwerfen. Schliesslich soll der Weg unser Ziel sein.

PS: Unsere Übernachtungsplätze seht ihr neu im Map unter dem Register Reiseroute.

Von Puerto Iguazú ans Ende der Welt nach Ushuaia

Als wir die Grenze vom brasilianischen Foz do Iguaçu nach Puerto Iguazú und damit nach Argentinien überqueren, sind wir voller Vorfreude auf ein baldiges Wiedersehen der atemberaubenden Cataratas! Die Kleinstadt Puerto Iguazú ist ein grauer und staubiger Ort. Umso erfreuter sind wir, als wir auf dem Camping Agreste Costa Ramón vom netten Ehepaar Adriana und Carlos herzlichst auf ihrem wunderschön grünen Platz im Urwald empfangen werden. Unsere Haustiere wechseln mit den Stellplätzen. Hier sind es ein Hund, ein Papagei und ein paar Hühner. Anderntags feiern wir meinen Geburtstag. Statt der geplanten Besichtigung der Wasserfälle, fällt das Wasser in Unmengen vom Himmel. Doch wir lassen uns die gute Laune nicht verderben. Schliesslich sind wir in Argentinien, wo es feine Apéros, vollmundigen Rotwein und herrliche Rindersteaks gibt 🙂

Und dann ist es soweit: die Regenwolken ziehen vorüber und wir machen uns frühmorgens auf. Die argentinische Seite ist weitläufiger und so besuchen wir den Nationalpark während zweier Tage. Von hier aus kommt man näher an die Fälle heran. Es gibt verschiedene Wanderpfade und einen kleinen Zug, der uns nochmals zum Teufelsschlund, dem Garante del Diablo, führt. Von drei Seiten stürzt das eben noch ruhig strömende Wasser in einen tobenden Kessel. Schwer beeindruckt, durchnässt und zufrieden verlassen wir diesen magischen Ort.

Unsere Reise durch Argentinien beginnt in der Provinz Misiones. Wie ein gekrümmter Finger schiebt sich diese subtropische Region im Nordosten nach Brasilien hinein. Der Name der Region bezieht sich auf jene Missionen, welche die Jesuiten Anfangs des 17. Jahrhunderts aufbauten. Die Region war einst ein unberührter Urwald. Heute ist vom Wald nicht mehr viel zu sehen. Gut zwei Drittel der Fläche wurde unter anderem zugunsten von Anbauflächen für Yerba Mate und für die Rinderzucht gerodet. Dennoch: Misiones beeindruckt noch heute mit seiner grünen Natur und der roten Erde. Wir verbringen eine Nacht auf dem Camping Municipal vor Jardín America, von wo wir anderntags die Ruinen einer Jesuiten-Reduktionen in San Ignacio Mini besuchen. Diese Siedlung gehört zu den besterhaltenen und zum Weltkulturerbe der UNESCO. In ihrer Blütezeit im 18. Jahrhundert zählten die Jesuiten-Kommunen gut 150‘000 Guaraní-Indianer. Wir bestaunen die steinernen Überreste von Kirchen, Wohnhäusern und Schulen.

Weiter südlich kommen wir auf die Schnellstrasse Ruta 14. Wir sind aber alles andere als schnell unterwegs. Im rund Halbstunden-Takt hält uns eine Polizei- oder Fruchtkontrolle an. Mal dauert es kürzer, mal länger. Häufig wollen sie wissen, von wo wir kommen und wohin wir fahren. Meistens wollen sie unsere Dokumente oder ins Fahrzeug sehen und am längsten dauert es, wenn sie Geld wollen. Wir wussten, dass die Ruta 14 für Korruption bekannt ist, speziell wenn man mit einem ausländischen Kfz-Kennzeichen daher kommt. Wir sind also schon etwas vorbereitet und mit den verschiedensten Strategien der Beamten lernen auch wir neue und andere. Bald machen wir uns fast einen Spass daraus, was wir oder sie als nächstes ausprobieren werden. Irgendwann haben wir dann aber doch die Nase voll und beschliessen, die Ruta 14 ein Stück zu umfahren.

Als wir abends im kleinen Ort Yapeyú ankommen, verfliegt unser Ärger rasch. Kaum parkieren wir Rudolph am Ufer des Rio‘s Uruguay, kommen zwei Jungs, die hier mit ihrer Familie am Fischen sind, heran gerannt. Sie sind neugierig und bringen uns daher mehrmals Holz und Zeitungen. Ach wie süss! Nachdem die Kinder sich trauten, ins Fahrzeug zu schauen, kommt auch der Rest der Familie neugierig herbei. Nett teilt man uns mit, dass hier ein sicherer Ort zum Übernachten sei. Noch besser wäre es auf dem Dorfplatz nebst der Polizei. Wir lassen den Tag schliesslich mit einem Lagerfeuer am Fluss ausklingen.

03 Yapeyú

Wenn nicht über die Ruta 14, wohin dann? Wir haben noch ein paar Reals und so geht es für einen Einkauf nach Brasilien. Noch gleichentags überqueren wir die Grenze zurück nach Uruguay, diesmal ins Hinterland.

Nebst Kartenmaterial ist uns das App Maps.me eine grosse Hilfe: Kostenloses GPS mit Suchfunktion nach Tankstellen, Campingplätzen, Supermärkten und Bankomaten. Der nächstgelegene Camping an diesem Tag ist bei den Termas del Arapey. Es ist ein wunderschöner Platz und so verweilen wir zwei Tage. Der Platz ist gut besucht. Das Wetter und auch die Thermen sind sommerlich heiss. Bunte Vögel zwitschern in den Palmbäumen.

Entspannt geht es retour auf die Ruta 14. Bei Salto überqueren wir die Grenze zurück nach Argentinien. Prompt vergeht keine Viertelstunde, als wir wieder heraus gewinkt werden. Wir könnten auch mit Euros oder Dollars bezahlen, sagt uns der Beamte, als er gut 1’300 Pesos (umgerechnet knapp 90 Franken!) wegen der anscheinend nicht-konformen Anhängekupplung verlangt. Als wir dem netten Herrn mehrmals höfflich mitteilen, dass wir kein Geld hätten und auch nicht gewillt seien irgendetwas zu bezahlen, droht er uns, wir könnten das Land nicht verlassen. Er wedelt mit unseren laminierten Dokuments-Kopien und setzt sich an den Computer, um irgendetwas einzutragen. Wir setzen uns mit einer Flasche Mineralwasser an den Strassenrand und warten. Die Geduld geht ihm vor unserer aus und so können wir weiterfahren.

Die nächsten Tage wird es ruhiger. Wir umfahren Buenos Aires und kommen auf die Ruta 3, welche uns ohne Ärger bis nach Ushuaia bringen soll. Täglich fahren wir 200 bis 300 Kilometer und abends stehen wir Frei oder auf günstigen Municipal-Campings.

Die Provinz Buenos Aires ist das wirtschaftliche Kernland und die dichtest besiedelte Region Argentiniens. Unser Weg führt uns auf Strassen, die geradlinig am Horizont enden und entlang gigantischer Felder, auf denen die weidenden Rinder in der Ferne wie Stecknadeln aussehen. Bei Mar del Plata, dem grössten Badeort, erreichen wir die Atlantik-Küste. Der Ort ist uns mit seinen überfüllten Stränden und hochragenden Hotelanlagen zu touristisch und so fahren wir etwas südlicher nach Miramar, wo wir nochmals im Atlantik baden. Es wird für eine Weile das letzte Mal sein.

Der Küste entlang fahren wir weiter in Richtung Süden. Wir kommen in das hübsche Küstenstädtchen Monte Hermoso und finden mit etwas Glück gleich nach dem Leuchtturm einen traumhaften Stellplatz. Das Meer, ein paar einheimische Fischer und viel Ruhe. Anderntags gesellt sich Sandra und Orlando, die ein paar Kilometer weiter weg wohnen, mit ihrem Wohnwagen zu uns. Rasch kommt man ins Gespräch. Sie verbringen die Wochenenden oft auf diesem Platz. Es geht nicht lange und wir werden zum Nachtessen eingeladen. Kurzerhand nimmt mich Sandra mit zum Supermarkt, um noch mehr Fleisch einzukaufen. Die Männer bereiten derweil die Glut für den Grill vor. Wir dürfen einen typisch argentinischen, gemütlichen Abend mit leckerem Asado und viel Vino tinto geniessen. Bis spät in die Nacht wird angeregt geplaudert. Ob wir noch mit ihnen zurück nach Bahia Blanca kommen möchten, fragt mich Sandra am anderen Morgen. Die Temperaturen sind schon etwas frischer, der Herbst naht. Wir wollen fahren, um noch ganz in den Süden zu gelangen. Der Abschied fällt uns aber nicht leicht.

Wir kommen nach Patagonien und tauchen damit in eine völlig andere Welt ein. Vom reichen Rinderland gelangen wir in eine trockene Landschaft. Die Büsche werden niedriger und bald ist fast nur noch Steppengras zu sehen. Patagonien ist die südlichste Region Argentiniens und Chiles. In Argentinien umfasst die Region die vier Provinzen Rio Negro, Chubut, Santa Cruz und Tierra del Fuego. Die unendlichen Weiten werden menschenleerer. Hier leben auf der Fläche, die doppelt so gross wie Deutschland ist, gerade mal rund zwei Millionen Menschen. „Patagonien – ein düsteres und wildes Land. Der ewige eiskalte Wind wütet durch die Ebene“ lese ich im Reiseführer. Entsprechend stellen wir uns auf kalte Tage ein und wissen nicht, ob wir uns wirklich noch bis nach Ushuaia wagen sollen. Doch es kommt alles anders.

Nirgendwo ist auch ein Ort. Der Satz von Paul Theroux beschreibt die unendlichen Weiten der patagonischen Halbwüstenlandschaft zutreffend. Die weiten Ebenen sind dabei nur ein Teil Patagoniens. Die Andenketten im Westen mit ihren Gletschern und Seen gehören ebenso wie die Atlantikküste im Osten dazu. Ob es am Klimawandel oder dem diesmal ausgeprägten Wetterphänomen El Niño liegt, darüber rätseln auch die Einheimischen. Gleichzeitig mit dem Präsidentenwechsel im letzten Dezember und dem sinkenden Wert des Pesos, scheint auch das Wetter verrückt zu spielen. Die Sonne scheint Tag für Tag, der Himmel ist, mal von ein paar Schleierwolken durchzogen, blau und es bläst ein mässiger Wind. Wir bleiben also weiterhin Flipflop-Träger. Die raue Landschaft Patagoniens mag uns auch ein weiteres Mal überraschen. Eingestellt auf unendliche Fahr-Distanzen im Nirgendwo sehen wir an diesem Ort der Welt so viele Tiere wie noch nie. Vielleicht lässt sich die Tierwelt in der kargen und dürren Steppenlandschaft auch einfach besser erkennen. Nebst den leeren und verlassenen Stränden und Klippen ist es das unglaubliche und vielfältige Tierreich an bunten und grossen Vögeln, unzähligen wilden Guanakos, Nandus, Füchsen, Pinguinen, Seelöwen und -elefanten, das uns schwer beeindruckt. Für uns steht fest: Nirgendwo ist manch ein schöner Ort! Einzig für die Zeit der Wal-Beobachtung sind wir leider zu spät dran und so beschliessen wir, die Halbinsel Península Valdés nicht zu befahren.

Wir kommen in die Stadt Trelew. Hier zogen ab 1865 Tausende Waliser her, um Armut und politischer Unterdrückung zu entkommen und hier in der Wüste ein „Little Wales“ zu errichten. Wir fahren in den Nebenort Gaiman. Gaiman ist ein herausgeputztes Dorf und präsentiert walisische Gemütlichkeit, wie sie die ersten Siedler gerne gehabt hätten. Touristen kommen hierher, um Tee zu trinken und Kuchen zu essen. Wir sind hier, um Rudolph vom gröbsten Sand zu befreien, etwas Wäsche zu waschen und den Wassertank zu befüllen. Der Campingplatz nebst der Feuerwehr, den Bomberos, ist dafür der ideale Ort.

Wir werfen einen Blick in die Urzeit. Das Museo Paelontológico Eugidio Feruglio (MEF) soll weltweit eines der besten paläontologischen Museen sein. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen und werden von diesem modernen und eindrucksvollen Museum in Trelew nicht enttäuscht. Patagonien gilt als das El-Dorado der Fossiliensammler. Vor rund 10 Millionen Jahren lebten hier unzählige Dinosaurier und noch heute werden mehrmals jährlich Knochen prähistorischer Tiere gefunden.

Weitere 120 Kilometer südlicher befindet sich der Nationalpark Punto Tombo. Das Naturreservat beherbergt die grösste Kolonie an Magellan-Pinguinen auf argentinischem Festland. Wir beobachten die putzigen Tiere, die sich weit über die Pfade hinaus tummeln, bis zur Parkschliessung.

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Wir kommen nach Comodoro Rivadavia in die mit über 140‘000 Einwohnern grösste Hafenstadt im südlichen Patagonien. Der fabrikhofartige Ort ist wenig attraktiv. 1907 wurde hier statt Wasser Erdöl gefunden und so wurde aus dem armen Wüstendorf eine reiche Kleinstadt.

Ein paar Kilometer weiter gelangen wir an den Strand Playa Espepa de la Cuenca del Golfo San Jorge. Hier wollen wir die Siesta mit Kaffee-Trinken und einem Strandspaziergang verbringen, entschliessen uns aber bald darauf, über Nacht zu bleiben. Wir kommen mit einem jungen Paar ins Gespräch. Sie erzählen uns, dass sie beide in nördlichen Provinzen geboren sind. Um Arbeit zu suchen oder besser zu finden, hat es sie hierher in die Wüste nach Comodoro Rivadavia verschlagen. Hier hätten sie ihren Frieden gefunden, aber manch einen kennen gelernt, der es in der Einöde und im Winde nicht ausgehalten habe. Der Wind fege hier oft mit über 100-Stundenkilometer übers Land. Heute weht ein mässiger, von einer Sekunde zur nächsten wechselnder Wind. Mal ist es ein kalter Meereswind, mal ein warmer, staubig trockener Nordwind. Gegen die trockene Kehle und Kälte gibt es nebst Wasser einen erfrischenden Caipirinha, Rest-Posten aus Brasilien.

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Wir verlassen die Ruta 3 erneut. 50 Kilometer Schotterpiste westwärts liegt der Parque Nacional Bosques Petrificados de Jaramillo. Rund 20 Kilometer vor dem Parkeingang kommen wir zum einsamen Campingplatz Estancia La Paloma. Hier geniessen wir abends ein Stück argentinisches Grillfleisch. Zum Osterbrunch gibt es Zopf-Häschen und zwei gekochte Eier, bevor wir weiter in die skurrile Landschaft eintauchen. Das Herzstück des Nationalparks sind seine versteinerten Bäume. Hier standen im einst feuchten Klima dichte Wälder, bevor vor 150 Millionen Jahren Vulkanausbrüche mit ihren Lavaströmen und Ascheregen die Baumriesen versteinern liessen. An den Schnittkanten sind die Jahresringe noch gut zu erkennen. Die Dinosaurier lebten hier vor 10 Millionen Jahren und diese Bäume sind 150(!) Millionen Jahre alt und können noch heute bewundert werden. Könnt ihr euch das vorstellen? Unsere Vorstellungskraft kommt hier an Grenzen.

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Die patagonische Ebene wird zunehmend einsamer. Die Schafherden nehmen dafür zu. Etwas verträumt wären wir fast daran vorbeigefahren. Zwischen Puerto San Julián und Rio Gallegos liegt der Nationalpark Monte Léon. Nach 10 Kilometer machen wir Kehrt, zum Glück! Dieser wunderschöne Park ist wenig bekannt, da er unter der Konkurrenz von nördlich und südlich liegenden Pinguin- und Seelöwen-Kolonien leidet. Der Park sowie der darin befindliche Campingplatz hat aber viel zu bieten und ist, wie bereits der Nationalpark der versteinerten Wälder, kostenlos. Wir verstehen nicht alles, was uns der nette Rancher über den Park erzählt. Das Wort „peligroso“ ist uns aber mittlerweile ein Begriff. Was denn gefährlich sei, fragen wir nach. Wegen der Pumas sollten wir nach Sonnenuntergang nicht alleine und ohne Licht draussen sein, bekommen wir nochmals erklärt. Auf dem Campingplatz angekommen, sind es dann „nur“ drei Füchse, die neugierig um uns herum schleichen. Am Strand bekommen wir unverhofft zwei verliebte Fels-Pinguine zu sehen. Als wir am anderen Morgen in der Weite tatsächlich zwei Pumas sichten (auf dem Foto unten in der Ferne erkennbar), machen wir uns mit etwas mulmigem Gefühl auf den zwei Kilometer Fussmarsch zur Kolonie der hier lebenden Magellan-Pinguine.

Wir gelangen in die südlichste Provinz nach Tierra del Fuego. Von Punto Delgada geht’s mit der Fähre nach Puerto Espora. Hier weht ein kühlerer Wind. Die Zeit ist gekommen, um Flipflops und kurze Hosten gegen Wanderschuhe und Winterjacke einzutauschen.

Feuerland besteht aus einer Hauptinsel und vielen vorgelagerten Inselchen. Hier befindet sich der südlichste Punkt der Erde, der nicht vom ewigen Eis überlagert ist. Die Hauptinsel ist in einen etwas grösseren chilenischen Westen und einen argentinischen Osten zweigeteilt. Um nach Ushuaia zu kommen, passiert man Chile, um wieder nach Argentinien zu gelangen. Ein Grenzübertritt nach Chile ist mit einer speziellen Lebensmittelkontrolle verbunden. Früchte, Gemüse, Fleisch und Michprodukte kommen nicht über die Grenze. Zwar wissend, aber nicht überlegend, haben wir einige Tage zuvor unser Vorräte aufgestockt. Vor der Grenze gilt es also, diese gut im Fahrzeug zu verstauen.

Der Name Tierra del Fuego stammt von Magellan, der 1520 bei seiner Durchsegelung im Dunkeln am Meeresufer geheimnisvolle Feuer sah. Tierra del Fuego blieb noch jahrhundertelang wegen seiner Stürme gefürchtet und für die Besiedelung uninteressant. Erst 1860 begann hier die Kolonisation durch die Europäer. Von den im 17. Jahrhundert rund 10‘000 Ureinwohnern wurden 1910 nur noch rund 350 gezählt. In 50 Jahren wurden die hier seit 30 Jahrtausenden lebenden Völker der Selk’nam, Yámana, Kawéskar und Manekeuk ausgerottet. Ende der 90er Jahre starb die letzte Nachfahrerin der Selk’nam und damit ein ganzes Volk, eine Sprache und Tradition.

Kurz vor unserem Übernachtungsplatz, einem Free Bush-Camping, kommen wir durch märchenhafte Wälder, die in der baldigen Dunkelheit verwunschen und gleichzeitig schauderhaft wirken. In den dürren und knorrigen Ästen hängt „Barba de Viejo“ (Altmännerbart), wie riesige Spinnenweben wirkende lindgrüne Flechten. Wir stehen alleine auf der Wiese nebst dem Fluss. Es ist eine klare Nacht. Ich habe noch nie im Leben so viele Sterne am Himmel funkeln sehen. Wie es wohl später in der chilenischen Atacama Wüste sein wird, fragen wir uns.

Die letzten Kilometer bis nach Ushuaia wird die Landschaft spektakulärer. Das erste Mal in Südamerika fahren wir über kurvige Bergstrassen.

Dann ist es nach rund 5000 Kilometer seit Iguazú geschafft: wir kommen nach Ushuaia und damit in die südlichste Stadt der Welt. Bucht, die nach Osten sieht, lautet die Übersetzung des Indianerwortes Ushuaia. Vor der Stadt mit ihren im skandinavischen Stil gebauten Holz- und Wellblechhäuschen liegt das eiskalt blaue Meer, genauer der Beagle-Kanal. Dahinter steigen die zwar nur rund 1500 Meter hohen, aber auch im Sommer schneebedeckten Berggipfel empor. Ushuaia entwickelte sich von einer Strafkolonie und Stützpunkt für Walfänger zu einem Touristenort. Das Gefängnis Presidio wurde 1947 geschlossen und ist nun ein Museum und militärisches Gelände. Heute treffen hier Backpacker auf Camper, Antarktis-Forscher auf Kreuzfahrt-Tourist und die letzten Ausläufer der schneebedeckten Andengipfel auf grüne Wälder und das Meer.

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Es ist Herbst, eigentlich einfach richtiges April-Wetter. Mal weht ein eisig kühler Wind, später scheint die Sonne, dann regnet es kurz. Wir stellen uns auf einen Parkplatz zwischen Zentrum und Hafen und schlendern zwei Tage durch die Stadt und geniessen im rustikalen Bistro Ramos Generales feines Süssgebäck und Kaffee mit Schuss. Zum Znacht gibt es über viele Grenzen mitgeschmuggeltes Fondue.

Trotz regnerischem Wetter beschliessen wir in den Nationalpark Tierra del Fuego zu fahren. Hier wandern wir über weichen Moorboden durch herbstlich verfärbte und vom Winde gekrümmte Südbuchenwälder. An der Bahia Laptaia endet die Ruta 3. Abends setzen wir uns ans Lagerfeuer, bis wir wie zwei grillierte Cervelats riechen. Die letzte Dusche ist eine Woche her. Thomas befüllt unseren fast leeren Tank mit Bergseewasser und bald darauf dürfen wir dank Gas-Boiler eine heisse Dusche geniessen. Herrlich!

Unsere Reise durch Argentinien hat uns vom Tropenwald durch eine atemberaubende Natur bis hin in den kalten Süden geführt. Wir genossen viele spannende Tierbegegnungen an der Küste des südlichen Atlantiks. Als wir Ushuaia verlassen, fragt uns ein Polizist nach unserem Reiseziel. Thomas schaut mich fragend an. Nach Norden antworten wir schliesslich und fahren mit dem Gefühl unendlicher Freiheit los.

Von Montevideo nach Puerto Iguazú

Rudolph – unser Zuhause auf vier Rädern, Sonnenschein, heisse Temperaturen mit einer erfrischenden Meeresbrise. Was wollen mir mehr!

„Hoi zäme“- auf dem Campingplatz Paraiso Suizo, rund 70 Kilometer nördlich von Montevideo, spricht man Schwiizerdütsch. Silvia und Heinz bewirtschaften hier einen hübschen Platz direkt am Meer. Es ist ein Platz zum Verweilen. Wir unterhalten uns mit anderen Campern und bekommen als „Neulinge“ viele Informationen und Tipps für unseren Reisestart. Wir lernen Dorly und Wolfgang kennen. Ein Schweizer Ehepaar, das bereits die ganze Welt bereist hat. Es ist gemütlich und so bleiben wir noch eine Nacht länger.

Die Fahrt geht weiter der uruguayischen Küste entlang in Richtung Chuy. Das Wetter ist heute trüber, doch wir haben Glück und entdecken Delfine in Strandnähe.

Es ist Freitag, der 26. Februar, als wir uns für einen Übernachtungsplatz am Strand entscheiden. Einen Meter zu weit, wir stecken im Sand fest. Die ersten Versuche scheitern und so stehen wir bald mit der ganzen Hinterachse tief im weichen Sand. Es wird dunkel. Klarer Sternenhimmel, aufkommender Wind, auf dem Meer ein Kreuzfahrtschiff und irgendwo in der Weite ein Häuschen mit Licht. Sonst nichts. Die Taschenlampen müssen her. Ich glaube nicht mehr, dass wir es alleine aus der Misere schaffen. Doch Thomas gibt nicht auf. Zwei Stunden vergehen. Schliesslich ist es ein eigentlich überflüssiges Gepäcksstück, unser Einstiegstrittbrett, das uns dann zusammen mit dem Wagenheber, zwei gefundenen Stück Holz und unseren Gripmatten rettet. Puuh! Zur Verdauung gibt es einen Schluck Grappe de Miel, uruguayischer Honigschnaps, bevor wir erleichtert und erschöpft in einen tiefen Schlaf fallen.

Unterwegs machen wir Halt beim malerischen Fischer-Dorf Cabo Polonio. Cabo Polonio ist weder an das Strassennetz noch an die Strom- und Wasserversorgung angeschlossen. Dafür gibt es Robben, viel Wind zum Surfen und wunderschöne Strände. Vom Parkplatz aus geht es wackelig auf umgebauten Allradfahrzeugen durch die Dünnen zum schmucken Hippie-Ort. Wir verbringen den Tag mit Nichtstun.

Es ist schon spät als wir abends in Chuy ankommen. Der einzige Campingplatz vor der Grenze verlangt einen für uns viel zu hohen Preis. Da wir anderntags früh weiter über die Grenze nach Brasilien wollen, parkieren wir schliesslich unter einer Strassenlaterne vor einem Supermarkt.

Sonntagmorgens passieren wir die brasilianische Grenze. Die Formalitäten sind rasch erledigt, die Beamten gähnen noch und wollen uns rasch wieder loswerden.

Mit der Vorstellung unendlicher Soja- und Maisfelder reisen wir nach Brasilien ein. Wir werden erstmals eines anderen belehrt. Saftgrüne Wälder und eine prachtvolle Natur erstrecken sich entlang der Schnellstrasse. Wir staunen, als wir am Flussufer Tapire entdecken. Die vom Aussterben bedrohten Tiere gibt es nur noch selten zu sehen und sie sind eigentlich nachtaktiv.

Die Sommerferien sind zu Ende. Der Herbst naht und die Temperaturen sind nicht mehr arg so heiss. Als wir in São Lourenço do Sul auf dem örtlichen Camping Municipal ankommen, sind noch einige einheimische Wochenendcamper auf dem Platz. Es wird viel geplaudert, grilliert und im See gebadet. Abends leert sich der Platz und wir stehen – wie später noch öfters – fast alleine da. Wir geniessen die Ruhe und grosse Freiheit! Der Gesprächsstoff geht uns dabei bei weitem nicht aus und Langeweile ist in ferner Sicht. Es gibt viel zu sehen und bestaunen und immer etwas zu tun, am Fahrzeug zu schrauben, um- und aufzuräumen, Routen zu planen, Spanisch zu lernen, Fotos auszusortieren und schliesslich auch wieder einmal am Reiseblog zu schreiben 😉

Unsere Fahrt geht weiter. Nach Porto Alegre kommen wir wieder an die Atlantikküste. Wir übernachten auf einem kleinen Platz in der Stadt Torres. Zuerst nicht als Campingplatz erkennbar, werden wir von einem jungen Mann nett begrüsst und hinter die Mauern gewinkt. Wir sind, vielleicht schon seit längerem, die einzigen Gäste. Eine Gemeinschaftsküche wird für uns geputzt und so nutzt Thomas die Gelegenheit einen Zopf zu backen.

Weiter nordwärts, um die Gegend von Florianópolis, übernachten wir zwei Mal auf einer Autobahnraststätte zwischen LKW’s. Die Plätze sind meist gut ausgestattet und wir fühlen uns sicher.

Nach der modernen, reichen und prunken Stadt Florianópolis begegnen wir auf dem Weg landeinwärts viel Armut. In Indigenen Reservoirs leben die Menschen unter Blachen. Kinder betteln am Rande der Schnellstrasse. In Brasilien lebt rund 35 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die Strasse führt talauf und -abwärts. Hier sehen wir dann erstmals die erwarteten Sojafelder und die Fabriken der Grosskonzerne.

In Sulina, ein kleines Dorf im Landesinnern, suchen wir einen Campingplatz bei einer Therme auf. Wir werden überrascht: ein gepflegtes, riesiges Resort inmitten einer wunderschönen Natur. Nach den vielen Stunden Autofahrerei entscheiden wir uns, eine Nacht zu bleiben. Das Personal ist schon am Herbstputz und wir sind auch hier, bis auf vier Personen aus den Bungalows, die einigen Camping-Gäste.

Als wir anderntags in Richtung Foz do Iguaçu aufbrechen, machen wir im Dorf einen Halt vor einer kleinen Autowäscherei. Es wird Zeit, dass Rudolph vom ganzen Dreck, Staub, Sand und Salz der vergangenen Wochen befreit wird. Eine Stunde müssen wir warten, dann wird er von einer ganzen Familie während einer weiteren Stunde gewaschen und auf Hochglanz gebracht. Für knapp 15 Franken haben wir wieder ein Fahrzeug, das wie neu aussieht. Nicht nur Rudolph strahlt, sondern auch Thomas hat für die nächsten Stunden ein Schmunzeln im Mundwinkel.

Die Menschen, denen wir in Brasilien begegnen, sind enorm freundlich, herzlich und hilfsbereit. Dabei wird unser „não falam Português“ oft gänzlich ignoriert. Die Leute sind interessiert, aber nie aufdringlich. Häufig werden wir auf Parkplätzen, in Supermärkten und an den Tankstellen gefragt, von wo wir herkommen und wo wir hinfahren. Das grosse Nummernschild mit Wappen beeindruckt ebenso wie der weite Weg mit einem Schiff von Europa nach Südamerika. Auch durch die erste militärische Polizeikontrolle kommen wir – vielleicht dank unserer doch noch geringen Sprachkenntnisse – unproblematisch.

Nach knapp drei Wochen und gut 3000 Kilometer kommen wir auf einem herzigen Camping in Foz do Iguaçu an. Die Cataratas (Wasserfälle) befinden sich im Dreiländereck von Argentinien, Brasilien und Paraguay. Vormittags besuchen wir einen sehr schönen Vogelpark gegenüber dem Eingang zu den Wasserfällen.

Nachmittags ist es dann soweit. Ein unglaubliches Panorama mit enormem Rauschen und Zischen verschlägt uns fast den Atem. Urgewalten toben. Der Klang des Wassers ist einfach gigantisch. Auf dem Fusspfad entlang der Wasserfälle begegnen uns zahlreiche Nasenbären. Der Pfad endet beim absolut spektakulär tossenden „Garanta del Diabolo“, dem Teufelsschlund.

Der Rio Iguazú stürzt in mehreren hundert einzelnen Fällen bis zu 70 Meter tief hinab. Es tobt und brodelt. Brausend stürzt der Fluss hinab. Feiner Nieselregen steigt weit in die Höhe. Iguazú heisst in der Guarani-Sprache „grosses Wasser“ und ist wahrhaftig der richtige Name. In einer Gesamtbreite von rund 2700 Meter stürzen die Wassermassen in rund 275 Einzelfällen hinab.

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Nach einem Tag Verdauungspause geht es nach Argentinien, um die Wasserfälle von dieser Seite nochmals hautnah zu erleben. In Puerto Iguazú stehen wir auf dem Campingplatz Costa Ramón in Mitten einer wunderschönen Natur und Tierwelt oberhalb des Flussufers.

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Die Reise beginnt

Auf der Grimaldi-Agentur erhalten wir die Info, dass wir unseren Rudolph auch ohne Hilfe eines kostspieligen Zollagenten aus dem Hafen bekommen. Also machen wir uns auf direktem Weg zum Puerto. Nach rund vier hitzigen Stunden, unzähligen Büros, Papieren, Stempeln und Diskussionen mit den Zollbeamten, die unsere Kfz-Versicherung anfänglich nicht als uruguayische akzeptieren wollen, ist es dann soweit: ein junger Mann zeigt uns vom letzten Kontrollhäuschen den Weg zu Rudolph. Und da steht er – völlig unversehrt! Die Erleichterung ist riesig und der Stress der letzten Stunden völlig vergessen. Überglücklich fahren wir die ersten Meter auf südamerikanischem Grund aus dem Hafen.

Zurück im Hostel, wo wir nach über drei Wochen absolute Langzeitgäste sind, sagen wir dem lieben Personal Adiós. Einer nach dem Anderen bestaunt aufgeregt unseren Camper. Wir hatten im El Viajero wirklich eine tolle Zeit!

Wir fahren zu einem rund 20 Kilometer entfernten Stellplatz. Ländlich gelegen wohnt hier Emmanuel mit seiner Familie und drei Schäferhunden. Anderntags können wir problemlos Wasser und Gas auffüllen und sind damit ready für den Start ins Abenteuer.

Der Küste entlang – wo sich ein schöner Strand an den nächsten reiht – geht es nun gemütlich in Richtung brasilianische Grenze.

Rudolph’s Ankunft in Montevideo

Sehnsüchtig erwarten wir die Ankunft von Rudolph. Davor gibt es aber noch einiges zu tun. Wir brauchen eine örtliche Kfz-Versicherung. Da wir wegen der Schule werktags nicht selbst nach Buenos Aires zum Versicherungsbüro reisen können, suchen wir nach Alternativen. Wir kontaktieren schliesslich ein in Argentinien lebendes deutsches Ehepaar, welches ausländische Fahrzeuge in ihrer Flotte aufnimmt. Einige Tage später haben wir den Beleg und die Quittung für die Consur-Versicherung. Damit sind wir in Argentinien und den anliegenden Länder für die nächsten vier Monate versichert.

Wir suchen das Büro der Migración in der Altstadt Montevideo’s auf, wo wir ein „Certificado de Llegada“ erhalten. Anschliessend geht es zum Grimaldi Agenten. Wir erhalten mit dem „Bill of Lading“ ein weiteres Dokument und die Auskunft, dass das Schiff erst am 25. Februar ankäme. Wir sollen am 26. Februar wieder ins Büro kommen. Ein paar Tage später folgt eine Mail: das Schiff kommt doch planmässig am 19. Februar an und wir dürfen am Montag, 22. Februar unsern Rudolph auslösen.

Am Freitag, 19. Februar gehen wir gleich nach der Schule aufgeregt an den Hafen. Wir wollen die Einfahrt nicht verpassen. Und dann, um 5 Uhr ist es soweit: die Grande Amburgo fährt in den Hafen von Montevideo ein.

Montevideo

Wir fliegen in den Sommer. Vom 29. Januar bis 22. Februar 2016 ist das Hostel El Viajero Downtown in Montevideo unser Zuhause. Wir fahren zum ersten Mal in Südamerika Bus. Rumplig und mit hohem Tempo fahren wir vom Flughafen rund 20 Kilometer ins Zentrum. Die Fahrt kostet pro Person 52 Pesos, was knapp 2 Franken entspricht. Nebst unzähligen Kilometern, welche wir in den nächsten Tagen mit Flipflops über die Strassen von Montevideo schlendern, wird der Bus unser Verkehrsmittel Nummer 1 sein. Dabei lernen wir einige Besonderheiten kennen: Bushaltestellen sind meist durch eine wartende Personengruppe erkennbar. Um den gewünschten Bus zu stoppen, streckt man den Arm zur Strasse aus. Das Ticket löst man beim Einsteigen, oft beim bereits wieder fahrenden Chauffeur. An heissen Tagen bleiben die Fahrertüren zur Kühlung offen. Beim Aussteigen heisst es schnell zu sein, da der Bus oft nur für einen Rollstopp hält.

Die Hauptstadt beherbergt rund die Hälfte der 3 Millionen Einwohner Uruguays. Auf den ersten Blick fallen uns die vielen hohen und grauen Blöcke, heruntergekommenen Strassen und den für die Hafenstadt typischen Wind auf. Die Stadt ist durch quadratisch angeordnete Strassenblocks übersichtlich. Die Einheimischen begegnen uns zurückhaltend, aber durchaus freundlich und hilfsbereit. Montevideo hat seine besten Jahre hinter sich und zählt doch zu den Städten mit der höchsten Lebensqualität Südamerikas. Es ist für uns eine Stadt voller Gegensätze. Nebst verlassenen Ruinen stehen farbige Häuser und Prunkbauten. Geschäftsleute gehen an den vielen Obdachlosen der Stadt vorbei. Verrostete Autos und Kutschenwagen fahren nebst Luxusautos. Reichtum nebst Elend, Moderne nebst Tradition. Schliesslich ist es für uns dann doch die Ruhe und gleichzeitige Belebtheit und Fröhlichkeit, welche Montevideo liebenswert macht.

No hablamos Español – um mehr als nur Hola sagen zu können, besuchen wir einen Intensiv-Kurs an der Academia Uruguay. Die Schule befindet sich in der autofreien Altstadt, la Ciudad Vieja. Auf dem Weg zur Schule kommen wir täglich am touristischen Plaza Independencia und an Marktständen vorbei. Der Unterricht dauert von 9:30 bis 13:30. Wir haben mit Maria José eine tolle und höchst geduldige Lehrerin und sind maximal zu viert im Unterricht. Am ersten Schultag lernen wir Fabienne, eine junge Schweizerin, kennen. Die Nachmittage verbringen wir oft zu dritt am Strand Pocitos.

Es ist Carnevals-Zeit („Llamadas“ heisst der Carneval in Uruguay). Der Umzug der Llamadas mit Candombe-Trommlern, Fahnenträgern und leicht bekleideten Tänzerinnen findet in der Strasse Isla de Flores, im afro-amerikanischen Quartier Barrio Sur, statt. Das Barrio gilt als Gebutsort des uruguayischen Carnevals. Auf der Strasse sei es zu gefährlich, sagt man uns. Also nutzen wir die Möglichkeit, das bunte und fröhliche Treiben vom Balkon einer im Kolonialstil gebauten Privatwohnung zu bestaunen.

Sonntags findet der beliebte Markt Tristan Narvaja statt. Auf den uruguayischen Ferias findet man so ziemlich alles: Lebensmittel, Kleider, Kosmetika, Kunstwerk, Antiquitäten, Schmuck, Früchte, Gemüse, Fleisch, Autoersatzteile, Medikament, jede Menge Ramsch und Haustiere. Von Mäusen und Hamstern, Hasen und Meerschweinchen über Fische, Vögel, Schlangen, Spinnen bis zu Hühnern, Gänsen, Katzen und Hunde findet sich hier alles.

In den Supermärkten bekommt man so ziemlich alles, wobei die Preise auf den Ferias günstiger sind. In den vielen Parrilladas (Grillrestaurants) wird Asado (Rindfleisch vom Holzkohlengrill) und diverses anderes Fleisch angeboten. Nebst europäischen Gerichten wie Pizza und Pasta werden viele Fast-Food-Gericht serviert: Milanese (ein paniertes Plätzchen, meist mit Käse überbacken), Chivito (Asado-Fleisch in einem pampigen Hamburgerbrötchen mit Salat, Ei, Schinken und Speck), Hamburgesa, Franfurters (Hot-Dogs) und dazu Papa Fritas (Pommes). Uns schmecken vor allem die Empanadas (gefüllte Teigtaschen). Die Besten erhält man am Mercado del Puerto. Getrunken wird nebst Wein vor allem Bier, das man in Literflaschen erhält. Den Einheimischen begegnet man kaum ohne Teebecher und Thermoskanne. Anstatt Kaffee trinken sie gerne Yerba mate, einen bitteren Tee, der schon von den Ureinwohnern getrunken wurde.

Adios Suiza

Am Donnerstag, 28. Januar 2016 geht unser Flug via Madrid nach Montevideo. Die letzten Tage waren nochmals besonders hektisch. So sind wir glücklich und erleichtert, dass die Reise heute endlich losgeht! Nachdem wir uns in den letzten Wochen von vielen lieben Freunden verabschiedeten, verläuft auch das Adieu-Sagen von unseren Familien mit einem lachenden und einem tränenden Auge.

Fahrt nach Hamburg

Am Donnerstag, 14. Januar 2016, beginnt Rudolphs-Reise mit Fahrt nach Hamburg. Die Sonne scheint und wir kommen rund 10 Stunden später auf dem Stellplatz Grüner Deich an. Dank Elektro-Heizofen – die Gasflasche muss zur Verschiffung leer sein – geniessen wir eine warme und letzte Nacht in unserem Camper. Freitagmorgens sind wir früh auf und machen uns an die letzten Vorkehrungen zur Verschiffung. Wir bringen Rudolph zum Hafen, Terminal O’SWALDKEI. Die Formalitäten sind rasch erledigt und bald gilt es Abschied zu nehmen. Nächsten Dienstag wird Rudolph mit der Grande Amburgo der Grimaldi Rederei den Hafen verlassen. Vier Wochen dauert die Überfahrt via Portugal, Westafrika und Brasilien bis nach Uruguay.