Ein Jahr auf Achse

Weisst du noch, wie nervös und aufgeregt wir waren?
Am 22. Februar 2016 haben wir unseren Rudolph aus dem Hafen von Montevideo geholt. Mit rudimentären Sprachkenntnissen aus drei Wochen Spanisch-Kurs eine echte Herausforderung! Es folgten weitere Hürden, die unser Leben und das Reisen in Südamerika spannend machten. In einem Jahr wollten wir von New York nach Ushuaia reisen. Die erste Planänderung folgte bereits Zuhause, als wir uns entschieden in Montevideo zu starten. Auch den Plan mit dem Jahr haben wir erfolgreich verworfen. Zwischenzeitlich haben wir das Tempo und unsere Ausgaben reduziert und sorgsam Socken, Unterhosen und Schuhe repariert.

Wir blicken auf ein tolles Jahr auf Achse zurück, indem wir sehr viel Schönes erleben und tolle Bekanntschaften machen durften. Wir haben gelernt, dass es nicht alleine die grossen Highlights aus dem Reiseführer sind, die uns bereichern. Reisen ist Leben, genauso wie Leben Reisen ist. Es sind die kleinen Momente, die das Leben so wunderbar machen. Das Lächeln eines Kindes, ein zaghaftes Blümchen, der Duft eines Käse-Pizza-Brötchens über dem brutzelnden Feuer, ein Tisch mit Freunden, ein neuer Geschmack, wärmende Socken in einer kühlen Nacht, eine unverhoffte Begegnung, ein Sonnenstrahl zwischen den Wolken, ein wohliges Zuhause an regnerischen Tagen… Überraschungen, die wir auch im Alltag erleben.

Ja, Südamerika hat uns gelehrt im Hier und Jetzt zu leben. Den Tag und Moment zu geniessen. Heute lieben wir es, morgens nicht zu wissen, wo wir abends stehen. Doch Reisen ist nicht Ferien. Nicht immer ist alles toll, nicht immer läuft alles glatt und manchmal sind wir müde. Umso wichtiger sind die Pausen. Schliesslich heisst Reisen, sich Zeit zu nehmen für die Menschen, die Schönheiten der Natur und für die Geschichten, die das Leben erzählt.

Nach einem Jahr in Südamerika macht Kolumbien den krönenden Abschluss. Ein tolles Land mit enorm warmherzigen und gastfreundlichen Menschen! Zu unseren Erlebnissen auf Galápagos und Ecuador folgen demnächst noch zwei Beiträge.

Nun freuen wir uns auf Kolumbien, die Verschiffung nach Panama, auf Etappe 2 unserer Reise nach Mexiko und auf noch mehr eindrucksvolle Überraschungen mit Rudolph on Tour!

 

Bananen, Mangos und Kakao – von der Küste, über die Anden in den Dschungel Ecuadors

Der Wecker geht früh. Wir erwachen auf dem Parkplatz des Flughafens in Guayaquil. In der Hafen- und grössten Stadt Ecuadors ist es tropisch heiss. Die Nacht war unruhig und laut. Vielleicht lag es auch an der Vorfreude, dass ich kaum ein Auge zugedrückt habe. Nun ist es soweit! Das Flugzeug aus Madrid ist pünktlich gelandet und wir dürfen meinen Bruder Marco und seine Freundin Tabea in die Arme schliessen.
Was kommt uns in den Sinn, wenn wir an Ecuador denken? Klar, Bananen! Doch Ecuador ist weit mehr als der grösste Banenexporteur der Welt. Auf relativ kleinem Raum hat dieses fantastische Andenland eine unglaubliche geografische und biologische Vielfalt zu bieten. Drei Wochen werden wir zu viert unterwegs sein. Mit Rudolph geht es von der Pazifik-Küste über die hohen Anden bis ans Amazonasbecken und schliesslich zurück nach Guayaquil. Last but not least werden wir nach Galápagos fliegen. Wir freuen uns riesig, auf Ecuador und das Reisen zu viert!

Wir entfliehen dem tropischen Klima und fahren an die Küste. Unterwegs stoppt uns die Polizei. Wegen dem Riss in der Frontschutzscheibe wollen sie uns büssen. Der Polizist scheint auf etwas Schmiergeld aus zu sein. Nachdem wir freundlich nach seinem Namen fragen, dürfen wir bald darauf weiterfahren – ohne irgendetwas zu bezahlen.
An der Küste angekommen, geht es in gemächlichem Tempo nordwärts. Durch Fischerdörfer mit verwitterten Booten, durch Touristenorte und an weiten Stränden mit Möwen und Pelikanen vorbei, bis wir am Nachmittag in Puerto Cayo ankommen. Hier führt der Schweizer Samuel eine Pension mit Camping. Ein gemütlicher Platz mit vielen verschiedenen Pflanzen. Die Begrüssung ist sehr nett und wir erfahren von Samuel viel über Land und Leute. Ecuadors Küste, vor allem weiter im Norden, hat dieses Jahr mehrmals ein Erdbeben erlitten. Samuel erzählt, wie auch sie die Erschütterungen gespürt hätten.

In der Bucht des verschlafenen Ortes San Lorenzo spazieren wir über den weiten, weissen Sandstrand. Hierher kommen auch die Schildkröten, um ihre Eier zu legen.

Wir fahren die geschlängelte Küstenstrasse weiter bis zur Hafenstadt Manta, wo wir in einen Supermaxi einkaufen gehen. Das riesige Sortiment an Produkten erfreut und überfordert mich zugleich. Da gibt es zum Beispiel die grösste Käsetheke, seit wir in Südamerika sind, und damit nicht genug, noch Bratwurst dazu. Eine Warenpalette europäischen Ausmasses, doch auch zu deren Preisen. Mit einem gefüllten Kühlschrank voller Leckereien fahren wir zum heutigen Stellplatz. Nebst der Kite-Schule in Santa Marianita stehen wir direkt am Strand. Meeresblick und hohe Wellen, nur der Wind zum Kiten fehlt.

Etwas weiter im Landesinnern kommen wir nach Montecristi. Von hier stammen die weltberühmten Panamahüte, in Ecuador Sombrero de paja toquilla genannt. Der Hut aus dem Stroh der Toquilla Palme wird seit jeher, schon zu vorspanischen Zeiten, in Ecuador und nicht in Panama hergestellt. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Strohhüte nach Panama exportiert und von da aus in die weite Welt verschickt, weshalb sie fälschlicherweise als Panamahüte bekannt sind. In Europa machte die Pariser Weltausstellung den Hut populär. In einem kleinen Verkaufsladen bekommen wir die Hüte und ihre Herstellung erklärt. Die Preise reichen je nach Qualität von 20 bis 1000 US-Dollar. Die feinsten, am dichtesten gewobenen Hüte, die superfinos, sind wetterfest, behalten stets ihre Form und halten ein Leben lang.

Wir fahren ins Hinterland, durch viele kleine Dörfer und durch riesige, grüne Bananen-, Kakao- und Kaffee-Plantagen. Am Strassenrand werden nebst exotischen Früchten leckere Maniok-Käse-Brötchen verkauft. Pan de Yuca, das es auch in Paraguay gab.

Die Strecke durchs Tiefland bis zu den Anden zieht sich in die Länge. Wir schaffen es nicht in einem Tag und übernachten daher auf dem Camping Tropical in Los Palmares. Noch vor dem Frühstück möchten uns Jenny und Manuel ihr Anwesen zeigen, stolze 7000 m2! Die Machete ist in Ecuador wie das Sackmesser in der Schweiz. Geschickt und rasch schneidet uns Manuel Mangos und Kakaobohnen auf. Zum riesigen Sack voller Mangos, den uns Jenny mitgibt, gesellt sich auf der Weiterfahrt ein noch grösserer mit Bananen und Litschis dazu. Für 1 US-Dollar streckt uns der Verkäufer am Strassenrand einen riesigen Bananenstrauch entgegen. Für die nächsten Tage sind wir definitiv ausgesorgt.

Heute ist der 31. Dezember. Es ist tropisch heiss. Beim Mittags-Picknick schwitzen wir, nicht wissend, dass wir bereits zum Abendessen die Winterjacke ausgraben werden. Auf der Strasse, die sich steil den Westhang der Anden hinauf schlängelt, werden wir immer wieder von verkleideten Menschen angehalten. Anscheinend ein Silvester-Brauch. Die Leute spannen ein Seil über die Strasse und möchten für die Durchfahrt etwas Geld oder Süsses. Speziell die Kinder, die in den ärmlichen Bergdörfern leben, freuen sich riesig über ein paar Cent. Sie rennen unserem Rudolph hinterher, schreien und lachen – und machen uns glücklich. Eine weitere Tradition in Ecuador sind Silvester-Puppen. Überall sind sie zu sehen, vor den Läden, den Häusern und auf den Autos.

Innerhalb von wenigen Kilometern steigen wir von Meereslevel auf 4000 Höhenmeter an. Das Klima wird zunehmend rau, neblig und die zugestreckten Hände der Kinder kühler. Später folgt der Regen. Wir kommen vom Hochsommer in den Winter. Die letzten Kilometer sind steil und holprig, doch schliesslich kommen wir bei der Laguna Quilotoa an. Das Touristen-Zentrum Shalalá wird von Indígenas bewirtschaftet. Wir sind alle müde, merken die Höhe von 3600 Meter. Tabea und Marco beziehen ein Holz-Chalet, wo wir einen gemütlichen Silvesterabend verbringen.
Feliz año nuevo! Das neue Jahr empfängt uns mit Sonnenschein und dem fantastischen Anblick der smaragdgrünen Lagune Quilotoa. Die 250 Meter tiefe Lagune ist ein Überbleibsel eines erloschenen Vulkans. Die Farbe des Kratersees leuchtet und verändert sich mit der Sonneneinstrahlung. Ein friedlicher und ruhiger Ort in den Bergen, ganz hervorragend, um das neue Jahr in Ruhe zu starten.

Unweit der Laguna Quilotoa befindet sich die tiefe Schlucht des Toachi-Canyons, der Tabea und Marco auf dem Foto ziemlich klein erscheinen lässt.

In der Anden-Stadt Latacunga übernachten Tabea und Marco in einem Hostel und wir gleich nebenan auf einem überwachten Parkplatz. An wolkenfreien Tagen hätte man von hier Sicht auf den mächtigen Cotopaxi, den höchsten aktiven Vulkan der Welt. Heute ist es aber regnerisch trüb. Wir fahren also weiter südlich nach Ambato, wo wir die Gelegenheit nutzen, in einer untourstischen Stadt durch die kunterbunten und etwas chaotischen Märkte und typisch südamerikanisch belebten Strassen zu schlendern. Auch wenn so ein Markt nicht ganz europäischen Hygienestandards entspricht, ist es – für uns – der schönste Ort um einzukaufen und der beste, um frisches Gemüse und Früchte zu sehr günstigen Preise zu bekommen. Hier im Hochland sind die Menschen noch sehr traditionell gekleidet. Sie strahlen und sind uns Hellhäutigen gegenüber sehr freundlich.

Östlich von Ambato liegt auf angenehmen 1800 Höhenmetern in einem grünen Tal die Kleinstadt Baños. Ein Hot-Spot des ecuadorianischen Tourismus, denn hier gibt es vulkanische Thermalquellen, schöne Wasserfälle, Süssigkeiten aus Zuckerrohr und jede Menge Fun-Attraktionen wie Riesenschaukeln und Ziplines. Der Ort liegt am Fusse des Vulkan Tungurahua, der seit 1999 aktiv ist. Wir haben Glück und bekommen den 5000er Hausberg von Baños zu sehen. Baños verspricht Spass und der erste lässt nicht lange auf sich warten. Tabea traut sich auf die Riesenschaukel namens Vuelo del Cóndor, den Kondor-Flug.

Am Hang von Baños haben die deutschen Auswanderer Regine und Dietrich mit ihren beiden Söhnen ein künstlerisches Zuhause erschaffen. Der Baustil der beiden Häuser und Gästezimmer ist sehr fantasievoll, schnörkelhaft, aufwendig und wunderbar schön in die Natur eingebunden. Ein märchenhafter Ort, an dem wir uns sehr wohl fühlen. Gegen eine Konsumation im Restaurant dürfen wir hier kostenlos parkieren und zelten.

Östlich von Baños verläuft die Strasse entlang der Schlucht des Ríos Pastaza hinunter nach Puyo. Erneut verändert sich das Vegetationsbild mit dem Wechsel vom Hoch- zum Tiefland.

Auf dem Weg von Baños nach Puyo gibt es einige Touristenattraktionen. Mit einer kleinen Seilbahn geht es abenteuerlich über die tiefe Schlucht und einen Wasserfall. Wobei nicht alle gleich schwindelfrei sind, so stehe ich zumindest etwas verkrampft in diesem offenen Stahlkorb.

Ein paar Kilometer weiter führt ein schöner Wald-Wanderweg zum tobenden Wasserfall Pailõn del diablo, dem Teufels-Kessel, hinunter.

Dann kommen wir nach Puyo und damit an den Rand des oberen Amazonasbeckens in den tropischen Regenwald.

Am Stadtrand besuchen wir die Affen-Auffangstation Rescate de los Manos. Der Besitzer der Station ist Ivan, ein Schweizer aus Montreux. Ivan meint, dass die Tiere jetzt am späten Nachmittag müde seien. Wir sollten besser baden gehen, bevor es dunkel und dann wegen der Schlangen gefährlich werde. Also geniessen wir die  herrliche Abkühlung im Río Puyo. Ein Abenteuer, Schwimmen im Dschungel!

Gleich nebst der Auffangstation wohnt ein sehr nettes, einheimisches Ehepaar. Wir dürfen nebst ihrem Haus übernachten. Der Mann wischt für uns seinen überdeckten Vorplatz, wo wir das Zelt aufstellen dürfen. Als wir anderntags erwachen, sitzt er vor seinem Haus. Im Sack vor sich befindet sich eine Schlange. Er wartet auf Ivan, um ihm die Boa zu geben. Die Menschen in der Stadt fürchten sich vor den Schlangen und würden sie umbringen. Ivan nimmt sie in seiner Station auf und setzt sie später im Nationalpark wieder frei.

Heute Morgen sind die Affen wach und aufgeweckt. Sie springen umher, sind sehr zutraulich und strecken uns ihren Arm für eine Streicheleinheit entgegen. Ein frecher Kerl mit nur einem Auge hüpft auf Thomas Schulter, sucht auf seinem Kopf nach Läusen und beisst auch mal zu. Da ist der Pipi-Langstrumpf-Affe schon herziger. Dann ist da noch das Baby-Kapuziner-Äffchen, das von seiner Mutter verstossen wurde. Frech streckt die Kleine uns die Zunge raus, als wir ihr den Schoppen geben dürfen. Zuckersüss!

Später besuchen wir den Biopark Yana Cocha, wo es noch andere heimische Tiere zu sehen gibt.

Wie die Swissair-Boxen, heute Abfall-Eimer im Zoo, wohl hierhergekommen sind?

Auf dem Rückweg übernachten wir nochmals bei der Hosteria Chamanapamba. Bevor wir Baños verlassen, gibt’s noch einen Adrenalinkick. Mit einer Zipline rauschen wir einen Kilometer lang über die Schlucht. Ein toller Flug!

Dann haben wir heute noch einige Kilometer vor uns. Unser letztes Ziel auf der Rundreise heisst Alausí. Hier erwartet uns eine spannende Zugfahrt zur berühmten Teufelsnase, Nariz del Diablo. Die Strecke gehört zu den dramatischsten Bahnfahrten Ecuadors. In einem restaurierten Waggon tuckern wir von Alausí nach Sibambe, durch ein malerisches Tal und an Steilwänden entlang. Was die Bahnstrecke so besonders macht, ist das ingenieurtechnische Meisterwerk einer Zickzack-Strecke an der steilen Felsnadel der legendären Teufelsnase. Um den steilen Berghang zu bewältigen, führt die Gleisführung vor und zurück. In den Spitzkehren werden die Weichen von Hand gestellt. Am Bahnhof von Sibambe besuchen wir das kleine Museum und Indígenas führen ihre traditionellen Tänze vor. Auch Thomas darf das Tanzbein schwingen.

Zurück in Guayaquil packen wir unsere Rucksäcke, denn morgen fliegen wir nach Galápagos. Mehr über dieses einzigartige Naturspektakel im nächsten Beitrag.

Grossmetropole, schneebedeckte Gipfel und berauschende Wellen – Lima und der Norden Perus

In drei Wochen läuft unser Visum für Peru ab. Noch sind wir im Süden. Das Kitesurfen in Paracas hätte uns fast nicht mehr losgelassen. Jedenfalls geht’s nun weiter, auf der Panamericana-Schnellstrasse in Richtung Norden. Zum Kontrast des Natur-Paradieses in Paracas stürzen wir uns in die Grossmetropole Lima. Beim Hostel Hitchhikers ergattern wir gerade noch den letzten Camper-Stellplatz. Dann geht’s auf Entdeckungstour, zu Fuss, mit dem Taxi und bequem mit dem Touri-Doppeldeckerbus. Wir befinden uns im schönen Stadtviertel Miraflores, das so gar nicht unseren Vorstellungen der chaotischen Hauptstadt Perus entspricht. Auf den Klippen am Meer reiht sich eine grüne Park- und Sportanlage an die nächste. Die Strassen sind ruhig, gepflegt und es gibt viele tolle Restaurants, Bäckereien, Cafés und Bars. Ein reiches und modernes Stadtviertel und das Epizentrum der Gringos. Auch das Wetter ist so gar nicht Lima-like. Denn während sich die Stadt meist in eine dicke, graue Nebeldecke einhüllt, strahlt heute die warme Sonne vom blauen Himmel. Wir geniessen das moderne Grossstadtleben und lassen uns kulinarisch mit peruanischen Köstlichkeiten verwöhnen.

Es gibt auch einiges zu erledigen: eine neue Autoversicherung abschliessen, im Salon um die Ecke Wäsche waschen und unsere Gas-Flasche auffüllen lassen. Letzteres geschieht ziemlich experimentierfreudig. In einer Hinterecke des Hofes einer „Gas-Auffüll-Station“ wird eine grosse Flasche auf den Kopf gestellt, damit das Gas durch den Schlauch in unsere Flasche fliesst. Dazwischen muss immer mal wieder der Druck abgelassen werden…

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Als wir die Stadt verlassen, wird uns bewusst, wie enorm weitläufig Lima ist. Es dauert lange, bis wir aus der Riesenstadt draussen sind. Einmal weg vom chicen Miraflores und der Meerespromenade kommen wir am etwas wüsten Hafen vorbei und durch die Armenviertel am Stadtrand. Hier erschrecken uns die Kinder, die an der Ampel betteln. Lima, die Stadt inmitten der Wüste, die sich oberhalb der rauen Pazifik-Küste an den ausgetrockneten Sandhügeln erhebt und ständig weiter wächst, hat viele Fassetten. Beherbergt sie schliesslich rund neun Millionen Einwohner und damit knapp einen Drittel der Landesbevölkerung Perus.
Die Weiterfahrt an der Küste führt uns durch eine trockene Wüstenlandschaft. Mal eine Baustelle, dann wieder ein Ort, sonst nicht viel. Zur Mittagspause blicken wir nochmals aufs Meer hinaus, dann steigen wir in die Höhe. Ein gewagtes Unterfangen, denn die Nacht verbringen wir bereits in der Cordillera Blanca. Wir sehen gerade noch die Sonne untergehen, als wir bei unserem Übernachtungsplatz auf 4200 Meter ankommen.

Die Nacht auf dünn-luftiger Höhe war anstrengend, der Anstieg einfach zu gross. Immer wieder wurden wir wach, schnappten nach Luft. Dazu ein Traum, der sich in einer Endlosschleife zu wiederholen schien. Wir sind froh, als der Morgen erwacht. Was hilft? Viel Wasser und Coca-Tee trinken, dazu die Bewegung an der frischen Luft. Obschon uns bereits wenige Schritte den Hang empor ins Keuchen bringen, erwachen unsere müden Geister allmählich. Für gute Laune sorgt ein Feld voller Riesenbromelien. Die Pflanzen, die zu den grössten Ananasgewächsen der Welt gehören, werden Puya Raimondii genannt. Sie können bis zu zehn Meter hoch und 100 Jahre als werden, dabei blühen sie nur einmal in ihrem Leben und sterben danach ab.

Wir scheinen alleine in dieser einsamen Gegend zu sein. Nicht ganz, denn der Zufall will es, dass wir einmal mehr den Schweizern Susi und Ruedi mit ihrem australischen Camper begegnen (wir haben die Zwei schon in und um Cusco mehrmals angetroffen).

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Perus berühmte Cordillera Blanca, die weisse Kordillere, ist bekannt als höchste Gebirgskette des amerikanischen Kontinents. Hier türmen sich über 50 Schneegipfel und Gletscher, die höher als 5700 Meter sind. Unglaublich! Nebst den Riesengipfeln gibt es bilderbuchhafte Täler und viele Seen. Auf spannenden Schotterpisten kurven wir durch die spektakuläre Hochebene. Trotz oder genau wegen des Regens und Nebels eine abenteuerliche Fahrt!

Ein Grossteil der Cordillera Blanca wurde zum Nationalpark ernannt, dessen Natur vollständig unter Schutz stehen sollte. Nachdem wir den 4720 Meter hohen Pass Yanashalla überquert haben, trauen wir unseren Augen nicht. Was macht eine Mine im Naturschutzgebiet? Der düstere Anblick dieser enormen Kupfermine erschaudert uns, obschon die Riesenfahrzeuge auch imponieren. Ganze Berge werden hier ab- und umgebaut.

Die Weiterfahrt ist trüb, regnerisch. Bei einem Tunnel auf 4450 Meter Höhe rieselt Schnee auf die riesige Jesus-Statue. Waren wir nicht gerade noch im Hochsommer?
Auf dem Campingplatz Guadalupe in Caraz werden wir von Jaime aber sehr warmherzig empfangen. Nach einer Nacht auf angenehmen 3000 Metern sind wir dann auch wieder ausgeschlafen.

Auch Susi und Ruedi gesellen sich zur netten Overlander-Runde und so unternehmen wir anderntags einen Ausflug zu Viert. Mit dem Taxi geht’s auf ruppiger Serpentinen-Piste durch die landschaftlich eindrucksvolle Gegend zur Lagune Parón.

Die türkisfarbene Lagune, die von mehreren hohen Berggipfeln umgeben ist, hüllt sich bei unserer Ankunft im dicken Nebel. Doch wir haben Glück und die Wolken huschen hie und da davon, um uns den einen oder anderen imposanten Anblick zu ermöglichen.

Mit 6768 Meter ist der Huascarán der höchste Berg Perus. Wir dürfen ihn, als wir am nächsten Tag zu zwei weiteren Lagunen fahren, bestaunen.

Die Smaragd-Gletscher-Seen von Llaganuco sind einfach nur malerisch ins Tal eingebettet.

Noch schöner als die beiden Lagunen soll die Laguna 69 sein. Wegen des schlechten Wetters haben wir uns diese Wanderung eigentlich schon abgeschminkt. Doch heute scheint die Sonne und so entscheiden wir uns kurzerhand, doch aufzubrechen. Der Weg führt uns über moosige Wiesen, an weidenden Kühen vorbei, über Steine im Bachbett und auf schmalem Pfad in die Höhe. Wir geniessen die Ruhe, die frische Luft und den Ausblick über das Tal, die Berge und Wasserfälle. Die Regenzeit in den Anden macht uns dann doch einen Strich durch die Rechnung. Plötzlich ziehen dicke Nebelwolken und Regen auf. Vorsichtshalber kehren wir um, leider ohne die Laguna 69 zu Gesicht bekommen zu haben.

Passend zu der Cordillera Blanca verlässt man die Gegend auf spektakuläre Art und Weise. Wo einst die Eisenbahnlinie entlang verlief, führt heute eine schmale Asphaltstrasse durch den Cañon del Pato, die Entenschlucht. Die eindrucksvolle Fahrt durch den steinigen Canyon führt uns durch nicht weniger als 35 enge, unbeleuchtete Tunnels hindurch. Ein tolles Abenteuer!

Der Norden Perus ist weiterhin eine Wüstenlandschaft. Nebst Zuckerrohr und Baumwolle wird hier im heissen und trockenen Klima – zu unserem Erstaunen – Reis angebaut. Nach vielen Kilometern Hauptstrasse und einer Nacht bei einer Tankstelle zwischen den Grossstädten Chimbote und Trujillo nehmen wir den Abzweiger ans Meer. Im Küstenort Pimentel sehen wir den Fischern zu, wie sie seit jeher mit selbstgemachten Schilfbooten zur See gehen und ihren Fang gleich am Strand verkaufen.

Die Nacht dürfen wir auf dem Parkplatz eines Hostels verbringen. Anderntags lassen wir Rudolph stehen und fahren mit einem Klein-Bus, einem Colectivo, voller Einheimischer in die hektische Stadt Chiclayo. Wir wollen den Mercado Modelo besuchen. Ein riesiger Markt, wie es ihn in allen Städten gibt und wo man einfach alles findet.

Das Besondere hier ist der Mercado de Brujos. Auf dem Hexenmarkt bieten Schamanen noch die traditionelle Volksmedizin an. Für uns ein spannender Mix voller kurioser Wunder- und Heilmittel. Als Tourist will man uns den San Pedro-Kaktus oder das Urwald-Halluzinogen Ayahuasca anbieten, wovon wir aber getrost die Finger lassen wollen.

Zurück in Pimentel gibt es Chicharron de Pescado (Fischknusperli) und eine Tortilla-Spezialität aus Stachelrochen, bevor es weiter durch die Wüste geht. Bei Gonzalo, einem Künstler, in der Stadt Piura verbringen wir noch eine Nacht, dann gelangen wir über einen kleinen Grenzposten nach Ecuador.

Die Einfuhrbestimmungen nach Ecuador sind streng und der Zoll hat anscheinend ein neues Computer-Programm. Jedenfalls dauert es heute ungewöhnlich lange und wir können erst am späten Nachmittag weiterfahren. Mit dem Land verändert sich auch die Landschaft schlagartig. Auf einmal ist alles wunderbar grün und ein frischer Duft liegt in der Luft!
Die Strasse windet sich durch den feuchten Regenwald, zur beginnenden Dunkelheit gesellt sich der Nebel. Dummerweise stellen wir fest, dass alle Tankstellen, die unser Navi anzeigt, geschlossen sind, während sich der Tank dem Ende zuneigt. Im dunklen Nebelwald ohne Diesel – nicht gerade das Schönste. Doch wie immer gibt’s eine Rettung. Ein Lastwagen-Chauffeur schenkt uns fünf Liter Diesel. Mit einem Schlauch zieht er uns Diesel aus seinem Tank. Mehrmals bekommt er einen Schluck davon ab… doch Geld, nein Geld will er dafür bestimmt nicht. Schliesslich kostet die Gallone (3,78 Liter) Diesel in Ecuador gerade mal 1 US-Dollar.
Das war erstmals Ecuador – ein kurzer Schnupper-Aufenthalt. Eigentlich nur für die Visums-Verlängerung (und zum günstig Tanken ;), denn wir wollen nochmals ein paar Tage zurück nach Peru. Diesmal an die Nordküste, wo auf dem Campingplatz SwissWassi in Zorritos unsere bayrischen Freunde Anja und Tobi stehen. Das Besitzer-Ehepaar Melba, Peruanerin, und Jacques, aus der Schweizer Romandie, sind wahnsinnig nett und der Platz einfach paradiesisch. So stehen wir hier, direkt an einem kilometerlangen, völlig untouristischen Strand, pflücken Kokosnüsse direkt von der Palme und stürzen uns in die hohen Wellen.

Für Unterhaltung sorgt der typisch peruanische Nackthund namens Colosso, der statt eines Holz-Stöckchens gerne seiner Kokosnuss nachrennt und damit vor allem am Werfer Thomas Gefallen findet.

Wir machen noch einen Ausflug ins Surfer-Eldorado nach Lobitos und Máncora. Die Touri-Orte mögen uns aber nicht gleich überzeugen. Da geniessen wir lieber die Ruhe bei Melba und Jacques und die Gesellschaft von Anja und Tobi und anderen Campern. Auf dem Grill brutzelt ein leckerer Fisch, dazu schlürfen wir unseren letzten Pisco-Sour in Peru. Das Baden in den herrlich hohen Wellen – sozusagen das Tüpfchen auf dem „i“ – erklären wir offiziell zu unserem Weihnachtsgeschenk.

Feliz Navidad! – Frohe Weihnachten – Heiligabend verbringen wir in einer Peruanisch-Schweizerisch-Deutsch-Französischen-Runde mit Jacques, Melba und ihrem Bruder Dante und den anderen Camping-Gästen Nicolas und Sara, Maria und Peter sowie den Auswandern Herbert und Christiane. Jeder bringt was zu Essen mit und so gibt‘s ein reichliches Mahl. Darauf folgt „La hora loca“ (die verrückte Stunde), bei der ausgelassen getanzt und gefeiert wird, und um Mitternacht die Überraschung: Feuerwerk, heisse Schokolade und Panettone. Man wünscht sich schöne Weihnachten und umarmt sich, wie bei uns an Silvester. Das war unser ungewohntes, aber tolles Weihnachtsfest!

Am 26. Dezember fahren wir wieder nach Ecuador. Unser Ziel ist der Flughafen in Guayaquil, wo morgen mein Bruder Marco und seine Freundin Tabea landen werden. Die nächsten drei Wochen reisen wir zusammen. Besuch von Zuhause, wir freuen uns!

Feliz Navidad – Frohe Weihnachten – Marry Christmas – Fijne Kerstdagen

Liebe Freunde und Familie

Wir wünschen euch von ganzem Herzen fröhliche Weihnachten, tolle Festtage und wunderbare Momente voller Liebe und Glück im neuen Jahr!

Vom Strand in Nordperu schicken wir euch sonnige Grüsse und eine feste Umarmung! Geniessen mal so gar nicht weihnachtliches, heisses Wetter und Wellen, Kokosnüsse und zuckersüsse Mangos…

Vor zehn Monaten ist unser Rudolph in Montevideo angekommen und eine grossartige Reise begann. Wir sind dankbar um all die wunderbaren Erfahrungen, Eindrücke und Begegnungen!

Wir bedanken uns auch ganz herzlich für eure Nachrichten und Kommentare, über die wir uns immer sehr freuen. Im neuen Jahr geht’s nach Ecuador, Kolumbien und dann steht die Verschiffung nach Panama an. Noch bis Mexiko soll unserer Reise gehen und dann kommen wir wieder Heim. Freuen uns jetzt schon auf ein grossartiges Wiedersehen!

PS: der letzte Blogbeitrag habe ich versehentlich zu früh verschickt, auf der Homepage seht ihr die vollständige Version: https://rudolphontour.com/category/peru/

Saludos, Besitos xxx & Abrazos muy fuertes

Eure Miri & Thomas mit Rudolph

Staunen, Fliegen, Kiten – Der Süden Perus, von Puno nach Paracas

Auf nach Peru! Wir freuen uns auf das zweitgrösste Land Südamerikas, auf die Pazifikküste, leckeres Essen und natürlich auf das süffige Nationalgetränk. Der Cocktail Pisco Sour besteht aus Traubenschnaps, gemixt mit Limettensaft und Zuckersirup, frischem Eiweiss und ein paar Tropfen Angostura (Bitter). Das meistverkaufte Getränk ist aber das Inca Kola. Ein gelber, nach Gummibärchen schmeckender Trank, der Coca Cola in Sachen Süssigkeit übertrifft! Natürlich wollen wir die Spezialität Cuy (Meerschweinchen) probieren und dann gibt es noch die Anticuchos (Rinderherzen am Spiess) und an der Küste das Cebiche (roher in Limettensaft eingelegter Fisch). Ansonsten gibt es viel Huhn, Schwein, Reis, Mais und noch mehr Huhn. So verspeisen wir auch zum ersten Mittagessen in Peru ein halbes Hühnchen für knapp drei Franken. Dabei inklusive ist eine giftgrüne Suppe mit Hühnerfüssen. Noch etwas gewöhnungsbedürftig für uns Filet-verwöhnten Europäer…

Unsere Reise durch Peru beginnt mit einem gemütlichen Sonntag in den Gassen und am Hafen des Fischerortes Puno am Titicacasee.

Auf der Halbinsel Sillustani am Umayo-See stehen spezielle Ruinen. In den Chullpas, den Grabtürmen aus massiven Steinblöcken, begrub das kriegerische Volk der Colla ihren Adel. Später eroberten die Inka die Region und übernahmen den Begräbniskult. Nebst den bis zu zwölf Meter hohen Türmen fühlt man sich ziemlich klein. Imposante Riesen, aber ziemlich gruselig, denn die ranghohen Toten wurden hier zusammen mit Opfergaben, darunter auch Menschen, eingemauert.

Auf dem Weg nach Arequipa blitzt und donnert es. In den Anden beginnt die Regenzeit. Wir halten für ein Mittagessen vor einem einfachen Restaurant, wovor viele Lastwagen parkieren. Da gibt’s bestimmt gutes Essen. Tatsächlich, für unschlagbare zwei Franken bekommen wir eine riesige und reichhaltige Suppenschüssel mit Gersten, Gemüse, Kartoffeln und Fleisch aufgetischt. Wir sind schon mächtig satt, als der Hauptgang mit einer Portion Reis, Kartoffeln, Salat und Huhn folgt. Übersättigt plumpsen wir auf unsere Sitze und kurven weiter durch die Andenlandschaft.
Auf den Strassen Perus lernen wir Eines: Hupen! Gehupt wird für so ziemlich alles – Hallo, guten Tag! Die Ampel wird in ein paar Sekunden grün, fahr doch endlich! Achtung, ich überhole dich! Achtung, ich biege ab! Thomas schmunzelt nur und lässt sich nicht beirren. Ruhig kutschiert er durch den chaotischen Feierabendverkehr Arequipas, wo so manche Verkehrsregeln missachtet werden. Mitten in der Stadt erreichen wir den Stellplatz beim Hotel Las Mercedes. Gut, es ist ein Stadtcamping, aber irgendwie fühlen wir uns hinter den hohen Mauern etwas eingesperrt.

Arequipa wird nicht nur wegen seiner aus hellem Vulkangestein erbauten Gebäude „weisse Stadt“ genannt, sondern auch wegen der ursprünglich fast rein weissen Einwohnerschaft. Die Kolonialstadt ist voller architektonischer Schätze. Vor allem abends ist sie romantisch, wenn der Hauptplatz mit der grossen Kathedrale, dem Springbrunnen, den Parkbänken und Palmen in warmem Ton beleuchtet sind.

150 Kilometer nördlich von Arequipa sind die Hänge des Colca-Canyons mit Terrassenfeldern überzogen. Schon die Inka stellten fest, dass die Höhe und das Mikroklima der einzelnen Terrassenstufen eine wesentliche Rolle für den landwirtschaftlichen Anbau von Gemüse- und Getreidesorten spielen. Noch heute werden die Felder hier von Hand bewirtschaftet. Ein hartes Leben, aber irgendwie scheint die Welt in diesem Tal noch in Ordnung zu sein.

Der Cañon del Colca soll einer der tiefsten Schluchten der Welt sein, noch tiefer als der Grand Canyon in den USA, wobei die Hänge nicht gleich steil abfallen.

Die Schlucht ist Heimat vieler Vogel- und Kakteenarten. Nebst den grössten Kolibris der Welt…

…schweben die majestätischen Anden-Kondore über der 1200 Meter tiefen Schlucht und unseren Köpfen. Die Könige der Anden gehören mit einer Flügelspannweite von bis zu 3,5 Meter zu den grössten Raubvögeln der Welt. Gigantisch und einfach nur atemberaubend! Momentan leben rund 30 der Riesenvögel, die bis zu 70 Jahre alt werden, hier. Sie sind vom Aussterben bedroht, da sie erst mit zwölf Jahren geschlechtsreif werden und nur alle drei Jahre ein Ei legen.

Wir übernachten gleich beim Aussichtspunkt Cruz del Cóndor. Hier treffen wir Annika und Jonny aus Uster. Bald finden wir heraus, dass Jonny in der gleichen Firma wie mein Bruder arbeitet. Wie klein die Welt doch ist!

Bis nach Cusco sind es noch etwas mehr als 400 Kilometer. Ein Grossteil davon staubige Schotterpiste. Bei maximal 50 km/h erscheint uns die Strecke schier endlos. Heute übernachten wir mal wieder bei einer Tankstelle. Welch schöne Überraschung, die Schweizer Welle geht weiter! Mal keine Zürcher, sondern ein hübscher VW-Bulli mit Berner Kennzeichen und zwei flotten Insassen steht auf dem Platz.

Anderntags fahren wir zusammen mit Alex und Chrigu zu den Ruinen von Raqchi. Mehr als für die Ruinen macht uns das Quatschen und Lachen unter Schweizer Gleichgesinnten Freude.

Nach Cusco ist es nicht mehr weit. Wir wollen zum Supermarkt und freuen uns auf eine Dusche. Doch es kommt mal wieder alles anders als gedacht. Plötzlich meint Thomas: Oh oh! Was ist los? Der Keilriemenspanner ist kaputt, wodurch der Motor zu überhitzen droht und die Bremsen und die Lenkung nicht mehr richtig funktionieren. Gerade können wir den Hang noch runter rollen und uns auf den Kiesplatz nebst dem Bahngleis im Dorf Urcos stellen. Der Reiseführer meint, dass sich hierher nur selten Touristen verirren… Ha ha! Wirklich schön ist es nicht, aber wir sind froh, nicht irgendwo in der Pampa zu sein. Ruhe und Geduld ist mal wieder das Rezept. Die erste Suche nach einem Mechaniker gestaltet sich schwierig. Heute ist Fiesta, ein Inka-Fest zu Ehren des Wassers, und morgen ist Sonntag.
Bei den Bewohnern am Bahngleis fragen wir nach Wasser, da unser Tank absolut leer ist. In Urcos gibt es aber jetzt, am Ende der Trockenzeit, fast kein Wasser. Dennoch bekommen wir fünf Liter, um die wir sehr dankbar sind. Damit duschen wir beide und waschen noch das Geschirr ab. Ja, man braucht nicht viel!

Am Montag haben wir Glück. Wir finden mit Antonio einen Mech, der uns den Keilriemen und alle defekten Führungsrollen ausbaut. Er ruft uns gleich ein Taxi und so chauffiert uns bald darauf Mario nach Cusco. Für rund 40 Franken geht er mit uns während fünf Stunden auf Ersatzteil-Jagd. Immer wieder hüpft er aus dem Wagen und fragt sich durch die Ersatzteil-Strassen durch. Welch ein Glück. Die kleinen Läden hatten nichts, doch in der Mercedes Garage gibt es alle Teile! Die Suche hat hungrig gemacht. So gibt es in einem kleinen Restaurant am Strassenrand einen Trucha (Forelle) für Mario und Chicharrón (gebratene Schweinerippchen) für uns.
Anderntags baut uns Antonio die Teile ein und wir können nach Cusco weiterfahren. Cusco war für die Inka das Zentrum, der Nabel der Welt, von dem die vier Himmelsrichtungen ausgingen. 1532 fielen die Spanier ein und zerstörten viele Gebäude und Tempel. Doch einige massive Inka-Mauern stehen noch und zeugen von der monumentalen Inka-Architektur, bei der riesige Granitblöcke fugenlos zusammengefügt waren. Touristenattraktion ist der zwölfeckige Stein, der passgenau in die Mauer des ehemaligen Palastes des Inca Roca eingefügt ist. Bis heute eine technische Meisterleistung! Cusco ist zwar sehr touristisch, aber gefällt uns. Es herrscht eine gemütliche und romantische Atmosphäre und die Kopfsteinpflaster-Gassen erinnern uns ans schöne Dubrovnik in Kroatien.

Auf dem Camping Quinta Lala oberhalb Cuscos sind wir nicht alleine. Der Platz gehört zu den Overlander-Treffpunkten Südamerikas. Auf der grünen Wiese herrscht eine gemütliche Camper-Atmosphäre. Da sind Monika und Daniel, die Franzosen, die wir schon in Arequipa getroffen haben. Annika und Jonny sind auch hier und dann gibt es noch die Neuseeländische Familie mit ihren vier Kindern, die Holländer Els und Gerrit, der US-Amerikaner und Biologe Josh und ein paar weitere Amis. Später gesellen sich noch die Thurgauer Claudia und David und die Schwyzer Anita und Roger dazu.

Mit Claudia und David verstehen wir uns auf Anhieb und verbringen einen lustigen Abend mit Pisco Sour und Wodka-Orange in Cuscos Horror-Bar.

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Als die beiden noch Besuch von ihren Freunden Ilona und Philip bekommen, fahren wir zu sechst ins heilige Inka-Tal zum fröhlich bunten Sonntagsmarkt nach Pisac. Ein quirliger Markt und ein gemütlicher Nachmittag! Verpflegen tun wir uns mit Choclo (Maiskolben) mit einer scharfen Aji-Salsa und Käse. Dazu gibt es ein Glas Chicha morada, ein typisch peruanisches Getränk aus violettem Mais, und Qusqueña, Bier aus Cusco.

Doch Cusco ist natürlich vor allem für seine Riesen-Touri-Attraktion Machu Picchu bekannt. Wusstet ihr, dass der berühmte Hausberg mehr als 200 Kilometer von Cusco entfernt und 1000 Meter tiefer liegt? Wir sind überrascht! Durch das fruchtbare, heilige Tal und über einen 4300 Meter hohen Pass führt uns die Strasse in den tropischen Dschungel hinunter, wo Mandarinen, Bananen, Ananas und Kaffeebohnen gedeihen. Zum Machu Picchu Dorf, nach Aguas Calientes, fährt keine Strasse. Also lassen wir Rudolph in Santa Teresa auf dem Camping La Hacienda stehen. Von da nehmen wir ein Taxi nach Hidroélectrica und gehen zu Fuss die 12 Kilometer den Bahngleisen und dem Río Urubamba entlang nach Aguas Calientes. Die Wanderung durch den Bergurwald ist wahnsinnig schön, nur die vielen Moskitos sind etwas lästig.

In Aguas Calientes übernachten wir das erste Mal seit dem Start unserer Reise auswärts in einem Hotelzimmer. Der Wecker geht um Fünf. Beim Busbahnhof stehen die Touristen bereits Schlange. Kaum vorstellbar, wie es hier in der Hochsaison zu und her geht. Aber ja, im Europapark stehen wir länger an als hier und schliesslich ist es halt das ultimative Touristen-Magnet Südamerikas.

Lange haben wir überlegt, ob wir die Mega-Touri-Attraktion überhaupt besuchen wollen. Als ich die legendäre Inka-Stadt das erste Mal erblicke, schiesst mir eine Träne ins Auge und ich weiss, dass es jeden Rappen und den Touri-Trubel Wert ist! Einfach ein fantastisches Erlebnis, an diesem geheimnisvollen Ort zu sein. Dazu haben wir heute grosses Glück! Nur kurz ist noch eine Schleierwolke unterhalb des Wayna-Picchus zu sehen, dann ist die Sicht auf die legendäre Felsenstadt völlig klar.

Mehr als die einzelnen Steine beeindruckt uns die spektakuläre Lage. Hoch oben auf dem Bergrücken thronend und an drei Seiten von schroffen und steilen Felsen umgeben. Eine perfekte Festung mit Überblick auf das gesamte Tal. Bis heute rätseln Archäologen und Wissenschaftler über die Bedeutung der Stadt. Man kann also seiner Fantasie freien Lauf lassen und vielleicht ist es genau das Geheimnis, was Machu Picchu so mystisch macht.

Wir wandern zum Intipunku-Sonnentor, von wo man einen tollen Ausblick hat. Dann geht es auf die andere Seite zur Inka-Brücke. Am steilen Hang schmiegt sich ein Weg zur Brücke und zu einem der wenigen Zugänge zur Stadt. Meine Knie bibbern und die letzten Meter bis zur Brücke muss Thomas alleine gehen. Auf der anderen Seite klammert sich nur ein ganz schmaler Pfad an den Klippen, die senkrecht ins Tal stürzen. Kaum vorstellbar, man müsste über diesen Weg balancieren… Die Inka mussten also schwindelfrei sein.

Als es aber immer heisser wird, entscheiden wir uns, den Bus runter ins Dorf zu nehmen. Von Aguas Calientes wandern wir wieder zurück nach Hidroélectrica. Unterwegs treffen wir auf den Holländer Vincent, den wir in Cochabamba auf dem Camping Las Lilas kennengelernt haben. Später kommen uns noch Claudia, David, Ilona und Philip entgegen.

In Urubamba verköstigen wir in der Gartenbeiz Quinta El Carmen das Cuy Chactado, gebratenes Meerschweinchen. Die Haut ist knusprig und gut gewürzt und das Fleisch super zart. Alles gut, bis sich der Kopf einschaltet und einem den Appetit nimmt. Der Koch gibt sich Mühe und zeigt uns seine Meerschweinchen-Zucht im Hinterzimmer seines Hauses. Cuyes kommen in Andenregionen bis zu einer Höhe von 4200 Meter vor und werden in Peru seit rund 5000 Jahren gezüchtet. Sie sind grösser als ihre europäischen Artgenossen, die im 16. Jahrhundert von Südamerika nach Europa gebracht wurden.

Wir übernachten auf dem Parkplatz der Salz-Terrassen von Maras und nutzen die frühen Morgenstunden, um das weiss-strahlende Geflecht aus Kanälen und hunderten von Salzpfannen in Ruhe zu bewundern. Seit der Inka-Zeit wird hier Salz von Hand gewonnen. Salziges Quellwasser läuft über ein ausgeklügeltes Kanalsystem in die Becken, wo das Wasser in der Sonne verdunstet. Das weisse Gold der Anden glitzert in der Sonne. Ein geniales Kunstwerk! Wir kaufen zwei Kilo, welche uns eine ganze Weile versorgen werden.

Schon ist es wieder Sonntag und damit Markttag. Auf dem Hauptplatz in Chinchero werden nebst Textilien hauptsächlich Früchte und Gemüse angeboten.

Auf dem Camping Quinta Lala in Cusco erfreuen sich Els und Gerrit, die beiden Holländer aus Arnheim, über unsere Rückkehr. Es dauert nicht lange und wir sitzen gemütlich mit Chips und Bier in ihrer Stube im typisch holländischen Anhänger.
Dann steht mal wieder eine Werkstattbesuch an. Es wird endlich Zeit für neue Stossdämpfer. Bei der Gelegenheit lassen wir noch einen Service machen. Als wir gelangweilt so dasitzen, fährt ein anderer Sprinter auf den Platz, mit Zürcher Nummer! Es sind Jan und Marita aus Rüti. Wie lustig!

Frisch geölt und mit neuen Stossdämpfern fahren wir weiter. 600 Kilometer durch die trockene und einsame Andenlandschaft, über drei hohe Pässe, durch ein Nationalreservat für Vicuñas und vorbei an den höchsten Sanddünen der Welt, bis wir dann steil herunter auf 620 Meter sinken. Nach zwei Monaten in der Höhe sind wir das erste Mal wieder auf tiefem Boden. Die Temperaturen sind heiss.

Adrenalin gleich nach dem Frühstück! Wir steigen in eine 4er Maschine ein. Pilot, Co-Pilot und auf der kleinen Rückbank wir zwei. Mit einem mulmigen Gefühl, aber voller Vorfreude heben wir ab und bestaunen von oben die weltberühmten Nazca-Linien. Im Wüstenboden sind aus der Luft geheimnisvolle Zeichnungen zu sehen. Über 800 Linien, 300 geometrische Figuren und rund 70 Tier- und Pflanzen-Zeichnungen wurden vor rund 2000 Jahren in den ausgetrockneten Wüstenboden eingeritzt und sind bis heute erkennbar. Doch wer hat das getan? Zu welchem Zweck?
Fantasievolle Deutungsversuche gibt es genügend. Maria Reiche, eine deutsche Mathematikerin und langjährige Erforscherin der Zeichnungen, stellte die Theorie auf, dass sie von Paracas- und Nazcakulturen angelegt wurden und es sich um einen astronomischen Kalender handelt. Viele Linien sind durch Auto- und Fusspuren beschädigt. Während wir auf den Boden starren, schwankt das kleine Flugzeug ganz schön.

Wir fahren weiter durch die Wüste. Halten zweimal an, als wir Fahrradfahrern begegnen. Einmal ein 70-jähriges Paar aus Frankreich, einmal ein junger Japaner. Wir bewundern die Art zu Reisen und bieten ihnen immer gerne Wasser an, vor allem hier in der Wüste ein sehr willkommenes Geschenk.
Die Stadt Ica und ihre Umgebung sind bekannt für die Herstellung von Wein, Pisco, grünen Spargeln und Datteln.

Über einsame Sandwege und eine Dünenlandschaft geht es in Richtung Küste. Seit Monaten kommen wir wieder ans Meer und freuen uns riesig! Wir tuckern durch das Meeresschutzgebiet, das für seine reichhaltige Tierwelt bekannt ist, bis wir an dem Strand ankommen, der uns nicht mehr so schnell loslässt.

Schon eine ganze Weile hegen wir einen Traum: wir wollen Kiten lernen. Die Bucht von Paracas ist dafür der perfekte Ort und wird daher bald zu unserem neuen Home-sweet-Home! Ein Päus“li“ vom Reisen. Als wir auf dem Platz ankommen, wollen die Nürnberger Anja und Tobi nach einer Woche Kiten weiterfahren. Sie haben schon alles gereinigt und gepackt und fahren tatsächlich los. Haben die wirklich gedacht, dass man so einfach von diesem Traum-Kite-Spot loskommt? Nein natürlich nicht, denn sie kommen zurück – und bleiben glatt noch einen Monat!

Im Paradies zwischen Flamingos, Pelikanen und Seehunden versuchen wir unsere ersten Wasserstarts und Wendemanöver. Der routinierte Tagesablauf lautet: Frühstücken, auf Wind warten, sich über Wind freuen und Kiten, heiss Duschen, deliziös Essen und ein Bierchen, Pisco Sour oder Rum Cola schlürfen. So verbringen wir quasi unser ganzes „Jahres-Ferienkontingent“ nebst unseren neuen Bayrischen Kite-Freunden. Der Abschied fällt entsprechend schwer. Keiner von uns ist jemals so lange an einem Ort in den „Ferien“ gewesen und wir alle haben noch nie so viel Zeit mit anderen Reisenden verbracht. Wir trösten uns mit einer Verlängerung, nochmals zwei Wochen im Kite-Paradies.

Ach ja, noch einen Ausflug haben wir gemacht: eine Bootstour zu den Islas Ballestas. Wegen des kalten, aber nährstoffreichen Wassers des Pazifik-Humboldtstroms ist die peruanische Küste reich an Meerestieren. Die Inseln vor Paracas beherbergen riesige Kolonien von Seevögeln, darunter Pelikane, Kormorane und Tölpel. Die Vögel produzieren den Guano-Mist, der wertvollste natürliche Dünger der Welt. Wir kreuzen um die natürlichen Bögen und Höhlen der zerklüften Inseln. Schauen den Seelöwen zu, wie sie sich faul auf den Felsen räkeln und entdecken ein paar Humboldt-Pinguine.

Das Reisen geht weiter. Nächstes Ziel ist die Grossstadt Lima. Irgendwie freuen wir uns so gar nicht auf das Getümmel, wo wir doch hier mit Vogelgezwitscher erwachen und nachts nichts anderes als die Seelöwen jaulen hören. Wir werden unser Kite-Paradies und die lieben Menschen, die wir hier kennenlernen durften, vermissen – Anja & Tobi, Catia & William, Eila, Sheyly & Matthi, Julian, Chris & Claire – thank you for this crazy good time!!!

 

Bolivianische Städte, Ruinen und ein sagenumwobener Titicacasee – von Uyuni nach Copacabana

Nach einer Woche voller Sand, Staub und Salz wird es Zeit für eine Dusche. Auch die Kleider wandern mal wieder in eine Lavandería und Rudolph ist nach der Autowäsche kaum wieder zu erkennen. Frisch und in neuem Glanz geht unsere Rundreise durch Bolivien weiter.

In der ehemaligen Bergarbeiterstadt Oruro winden sich die Strassen steil und eng den Hang empor. Das Navi führt uns in die Irre, will uns immer wieder eine Treppe hoch oder runter schicken… So sehen wir die Beschützerin Oruros nur aus der Ferne. Die Marienstatue überragt mit 45 Meter die Stadt und ist damit die höchste Lateinamerikas.

Das war also die Maria. Die höchste Christusstatue, welche tatsächlich vier Meter höher ist als diejenige in Río de Janeiro, erwartet uns 160 Kilometer ostwärts in Cochabamba.

Auf geht’s, eine abwechslungsreiche Bergstrasse erwartet uns. Nach jeder Kurve eröffnet sich eine neue Bilderbuch-Landschaft. Die Strecke ist aber auch für den Drogenschmuggel zwischen Santa Cruz und La Paz bekannt. Sie ist nicht nur deswegen etwas gefährlich, denn nicht jeder scheint die engen Kurven zu erwischen, so wie der im Abhang liegende Lastwagen.

Im Abstand von rund einem Kilometer wartet ein abgemagerter Hund am Strassenrand. Mangels Hundefutter teilen wir heute unser Mittagessen.

Seit Tagen träumen wir von grünen Wiesen. Barfuss im grünen Gras. Die Überraschung ist gross. Nach der tollen Fahrt durch die Berge kommen wir in ein fruchtbares Tal, denn Cochabamba liegt auf der für bolivianische Verhältnisse „niedrigen“ Höhe von 2500 Metern. Wie in der Stadt Sucre herrscht auch in Cochabamba ein ganzjähriges Frühlings-Klima. Auf dem Hostel-Camping Las Lilas im Vorort Tiquipaya erfreuen wir uns, tatsächlich barfuss auf grünem Rasen zu gehen. Die Besitzer Alex und Maria veranstalten gerade eine Grillparty mit Freunden. Wir sind die einzigen Camping-Gäste und sind gleich zur fröhlichen Parilla-Runde eingeladen.

Wie schön wäre eine Grossstadt ohne lauten Verkehr und Smog? Im Reiseführer haben wir vom autofreien Sonntag in Cochabamba gelesen. Doch: ein Überlegungsfehler, denn wie kommen wir ohne Bus oder Taxi in die Stadt? Doch auch die Vororte sind heute autofrei und so geniessen wir einen sonnigen Sonntag in den Gassen von Tiquipaya. Die Menschen flanieren zu Fuss, mit Fahrrädern oder Inlineskates durch die Stadt. SlowUp à la Bolivia. Am Strassenrand wird allerlei verkauft und am Mercado gibt es wieder herrlich frische Fruchtsäfte. Wer es ganz günstig mag, bekommt für 10 Rappen einen Durstlöscher aus dem Plastikbeutel. Schmeckt nur irgendwie wie Wasser aus dem Swimmingpool.

Cochabamba gefällt uns auf Anhieb! Kaum touristisch und DIE Marktstadt Boliviens. Der Hauptplatz ist voller Palmen, umgeben mit Kolonialgebäuden und der alten Kathedrale. Auf dem riesigen-Openair-Markt Calatayud schlendern wir durch die vielen Marktgassen und –hallen. Sich hier im Gewühl zu verirren, ist eine Leichtigkeit.

Wir steigen zum Monument Heroínas de la Coronilla auf, von wo man einen tollen Ausblick über die Stadt geniesst. Das Denkmal auf dem Hügel erinnert an die heldenhaften Coronilla-Frauen, die 1812 für die Unabhängigkeit von Spanien kämpften. Nachdem es so gut wie keine wehrfähigen Männer mehr gab, versuchten die Frauen Cochabamba gegen die Truppen zu verteidigen. Mit Kindern und Alten zogen sie auf den Hügel und kämpften mit primitiven Waffen weiter. Zu Ehren dieser tapferen Frauen findet in Bolivien der Muttertag bis heute anstelle des zweiten Sonntags im Mai am 27. Mai statt.

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Nicht nur die bolivianischen Frauen von dazumal kämpften. Die Cholitas, die traditionellen Frauen aus den Anden, leisten tagtäglich schwere Arbeit. In ihren bunten Tüchern schleppen sie Kinder und Lebensmittel auf ihren Rücken. Sie schuften selbst in den heissen Strassen von Cochabamba auf der Baustelle.

Auch in Cochabamba herrscht eine lustige Welt zwischen Tradition und Moderne. Diese Stadt, ja eigentlich ganz Bolivien, lässt uns immer wieder schmunzeln. Wir begegnen modern gekleideten Menschen, einfachen Strassenhändlern und Schuhputzern auf dem Hauptplatz. Hochhäuser und moderne Einkaufszentren stehen im Kontrast zu den riesigen Strassenmärkten, wo einfach alles verkauft wird, was man sich nur irgendwie vorstellen kann.

Um die Ecke geht es in eine Gasse, wo die Menschen dem Schreibmaschinendienst ihre Briefe diktieren. Praktischerweise sitzt der Herr vom Reparaturservice für Schreibmaschinen gleich auf der Parkbank nebenan. Cochabamba vereint für uns ein Blick hundert Jahre zurück und ist gleichzeitig eine moderne Stadt. Politisch liegt Cochabamba im Clinch zwischen dem Pro-Morales Altiplano und den Pro-Autonomiebestrebungen des Flachlandes. Der mal heisse, dann wieder frische Wind, der durch die Gassen weht, passt ganz gut dazu.

Mit der Seilbahn (Teleférico) gondeln wir auf den Cerro San Pedro, wo östlich der Stadt oberhalb des Sees der weisse Cristo de la Concordia den Hügel krönt.

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Wir bleiben noch ein paar Tage auf dem Camping Las Lilas, denn das Wetter und die Stimmung unter den Reisenden sind einfach toll. Wir nutzen die grosse Küche, Thomas backt Zopf und Brot für alle und der lustige Camping-Hund Locoto sorgt für Unterhaltung. Stefan, ein Österreicher, den wir in San Pedro de Atacama kennengelernt haben, kommt mit seinem Bully und einer Freundin auf den Platz. Mit Monika, einer Polin, die hier Volontär-Arbeit leistet, verbringen wir gemütliche Abende und als noch weitere Backpacker im Hostel eintreffen, geniessen wir ein paar Billardspiele und Grillabende, zur Abwechslung mal ohne Gespräche über Autos, Werkstatt und Mechaniker 😉

Nach einer Woche wird es Zeit weiterzufahren, wobei uns der Abschied, vor allem von Monika nicht leicht fällt. Auf dem Zurückweg Richtung Oruro halten wir wieder am gleichen Ort für eine Mittagspause an. „Unser“ Hund ist auch noch da und wir haben noch Pasta übrig.

Dann geht’s weiter in Richtung Norden, nach La Paz. Eine fast schnurgerade Strasse führt uns durch einige verschlafene Hochlanddörfer über den Altiplano. Es wird schon dunkel, als wir den Abzweiger nach Osten nehmen. Wir wollen eigentlich den Stellplatz beim Schweizer Hotel Oberland anfahren. Ins Tal hinunter erwischen wir aber dummerweise eine falsche Abfahrt. Ein steiniges Strässchen führt uns den Hang hinunter. Doch zuunterst gibt es keinen Ausgang. Au weia… Sackgasse! Mit Ach und Krach kommen wir den steilen Hang wieder hoch und schliesslich müde und hungrig in der Dunkelheit im kleinen Vorort Achocalla an. Zum Hotel Oberland wären es nochmals ein paar Kilometer. Wir parkieren nebst dem Häuschen des jungen Ehepaars Daniel und Julie. Julie ist 20 Jahre alt und hat zwei Kinder. Eines davon sitzt auf ihrem Rücken, als sie uns ein sehr leckeres Nachtessen aus dem kleinen Verkaufsladen hervorzaubert.

Als wir am nächsten Morgen aufstehen, erwartet uns eine schöne Überraschung. Die Landschaft um uns ist einfach nur toll! Umgeben von wunderschönen Bergen stehen wir an einer hübschen Lagune. Es ist Sonntagmorgen und Leben erwacht. Die Sonntage in Südamerika haben immer eine spezielle Atmosphäre.

Anstelle des Hotels Oberland erklären wir den Parkplatz nebst dem Haus von Daniel und Julie zu unserem Stellplatz für die nächsten Tage. Wir besuchen den Zoológico Municipal mit vielen einheimischen Tieren. Der Eintritt kostet gerade mal fünf Bolivianos, also weniger als einen Franken pro Person. Für Erfrischung sorgt ein Eis-Verkaufsstand, der strategisch günstig auf der anderen Seite des Zoo-Hages aufgebaut ist. Schmunzelnd reicht uns eine Dame ein leckeres Zimt- und Maracuja-Eis durch den Zaun.

Zurück in Achocalla spazieren wir um die Lagune. Auf dem See tummeln sich Holz- und Motorboote und Pedalo’s. Überall wird etwas verkauft, zu Mittag gegessen und Bier getrunken. Diverse Aktivitäten werden angeboten, wie Reiten oder Quad-Fahren. Rund um den See sitzen die Menschen auf Bänken oder liegen in der Wiese. Hier steht ein Zelt, da wird ein Feuer gemacht. Ein buntes und fröhliches Sonntagstreiben, indem gelebt und leben gelassen wird.

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Mit einem Minibus voller Einheimischer fahren wir ins Getümmel der Grossstadt La Paz. La Paz ist die wichtigste und nach Santa Cruz die zweitgrösste Stadt Boliviens. Zusammen mit der Nachbarsstadt El Alto wohnen hier mehr als zwei Millionen Menschen. La Paz ragt an den Steilhängen eines Talkessels in einer Höhe von 3100 bis 4100 Meter empor und ist damit eine der höchstgelegenen Grossstädte der Welt. Wir kommen durch das Reichenviertel mit modernen Hochhäusern und Shoppingcentern. Nun ja… so haben wir uns La Paz nicht vorgestellt. Doch schon bald merken wir, dass in dieser Stadt Traditionelles und Modernes zu einer ganz besonderen Synthese verschmelzen.

Nebst dem grünen Plaza Sucre steht eine hohe Mauer. Das berüchtigtste Gefängnis Boliviens steht hier inmitten von La Paz. Die Gefängnisstadt San Pedro gilt als eines der ungewöhnlichsten Gefängnisse der Welt, denn die Anlage steht unter Selbstverwaltung. Polizei und Wachpersonal trauen sich nicht rein und sind daher nur am Eingang, beim Torbogen mit den Eisengittern, vorzufinden. Was im Gefängnis abgeht, darüber hat ein Fernsehteam aus Europa heimlich einen Film gedreht und der Australier Rusty Young ein Buch (Marching Powder) geschrieben. Innerhalb des Gefängnisses herrschen eigene Gesetze. Die Insassen bekommen vom Staat rund 10 Euro pro Monat. Wer über mehr Geld verfügt, bestimmt die Regeln und je nach Finanzkraft verfügen die Insassen über entsprechende Geschäfte und Unterkünfte. Der Strassenblock ist in Barrios ohne Zellen aufgeteilt. Eine Stadt innerhalb der Stadt. Ursprünglich war das Gefängnis für 380 Männer vorgesehen. Tatsächlich leben heute rund 1300 Häftlinge und Familienangehörige, wovon 200 Kinder, in der Anlage. Ausserhalb der Mauern spielt das normale Leben. Eine merkwürdige Stimmung umgibt uns, als wir einmal um den Block gehen.

Durch die turbulente Hauptstrasse flanieren wir zur Plaza San Francisco, wo die gleichnamige Kirche steht. Die Fassade der barocken Basilica wurde von indigenen Steinmetzen aufwendig mit Blumen, Vögeln und Früchten reich verziert. Es ist gerade Gottesdienst. Die Türen stehen offen. Für einen Montagmorgen ist die Kirche gut besucht und inmitten des hektischen Grossstadtgewühls taucht man in eine ruhige Stimmung ein.

La Paz entpuppt sich als quirlige und lebhafte Stadt. In den schmalen Gassen, die hinter der Plaza San Francisco bergauf führen, drängen sich Bolivianerinnen in farbenfroher Kleidung. Sie verkaufen traditionelle Tücher und Filzhüte, Nüsse, Kräuter und Wollpullover. Einmal mehr fühlt man sich hier in der Zeit zurückversetzt.

Es ist Siesta-Zeit als wir beim Mercado Hechicería, dem Hexenmarkt, ankommen. Hier bieten Kräuterfrauen, brujas (Zauberinnen) und curanderos (Heiler) alles an, was die Bolivianer für ihre magischen Rituale und Zeremonien benötigen. Eine Verkäuferin sitzt schlafend inmitten ihrer Schätze. Nebst geheimnisvollen Pülverchen und Mittelchen aller Art gegen Krankheiten und böse Geister, Elixiere, Steine, Kräuter und Heilpflanzen findet man getrocknete Lama-Embryos. Die Föten werden zu Ehren Mutter Erde (Puchamama) traditionell unter jede Ecke eines Hauses eingemauert, um seinen Bewohnern Glück zu bringen. Ein Glück, das den Lamaföten wohl gefehlt hat…

Weiter oben am Hang befinden sich weitere Märkte, unter anderem der Mercado Negro (Schwarzmarkt). Wir trinken einen frisch gepressten Orangensaft am Strassenrand und streifen durch die Marktgassen. Panflötenbauer, Knoblauchhändler, Goldschmiede, Schuhmacher – alles ist vertreten. Dazwischen streunende Hunde, Kleinkinder und vollgestopfte Colectivos.

Wir schlendern durch die autofreie, nostalgische Pflasterstrasse der Altstadt zum Plaza Murillo. Etwas vom Schönsten in Grossstädten sind die leckeren Streetfood-Köstlichkeiten. Auf der Plaza entdecken wir Humanitas. Dreieckige Taschen, die aus Mais hergestellt werden. Sie werden mit Zucker, Zimt und Rosinen im Ofen gebacken und mit Maisstroh umwickelt.

Die Uhr am klassizistischen Präsidentenpalast, dem Palacio de Gobierno, läuft rätselhafterweise in die umgekehrte Richtung. Schweizerisch, der Ohrfeige nach?

Auch La Paz verfügt über Teleféricos. Die von der österreichischen Firma Doppelmayr 2014 erbauten Gondeln sollen die chronisch überlastete Verkehrssituation entlasten und sind gleichzeitig eine Touristenattraktion. Nach der Fertigstellung soll es das grösste urbane Seilbahnnetz der Welt werden. Wir schweben über die Dächer der Lehmzielhäuser, über die Höfe und Gassen von La Paz. Der Ausblick ist einfach toll. La Paz ist umgeben von der höchsten Bergkette Boliviens. Wobei die Sicht auf den mächtigen 6428 Meter hohen Mount Illimaní mit seinen drei Gipfeln heute etwas vernebelt ist.

Südlich des Titicacasees liegt das Dorf Tiwanaku, wo wir die Siesta auf dem ruhigen Dorfplatz verbringen.

Dann geht es auf zu den Ruinen. Das UNESCO-Welterbe Tiwanaku gilt als die wichtigste präkolumbische Kultstätte Boliviens. Die Blütezeit der Tiwanaku-Kultur wird auf 500 vor bis 1000 nach Christus geschätzt. Sie breitete sich einst über weite Teile des Hochlandes aus, selbst an der Pazifikküste lässt sie sich nachweisen – bis sie dann auf ungeklärte Weise verschwand. Hinter den Ruinen der Hauptstadt von Tiwanaku verbirgt sich eine geheimnisvolle Zivilisation, denn vieles der Tiwanaku-Kultur ist bis heute rätselhaft.

Jedenfalls sind die Ruinen, die gewaltigen Skulpturen und das Sonnentor Zeugen einer grossartigen Steinmetzkunst. Im Museum macht uns die detailliert bemalte Töpferware mit Köpfen von Mensch, Puma, Kondor und Lama besonders Eindruck. Dann gibt es noch den riesigen, aus einem einzigen Stein gefertigten, 20 Tonnen schweren Riesenmonolithen Bennett. Tiwanaku war so hochentwickelt und prägend, dass sie nahezu alle nachfolgenden Zivilisationen inklusive die Inka beeinflusste.

Nach dem Untergang Tiwanakus wurden viele der behauenen Steine als Baumaterial für Kirchen, Häuser und die Eisenbahnlinie weggeschleppt. Auch die Kirche im Dorf Tiwanaku wurde aus Steinen der archäologischen Stätte gebaut.

Ein Stück fahren wir die gleiche Strasse in Richtung La Paz zurück. Dann nehmen wir den Feldweg über Pucarani nach Batallas. Hier gibt es kaum Verkehr, denn nur die wenigsten Bauern besitzen einen Traktor, geschweige denn ein Auto. Auf der ganzen Strecke entdecken wir keinen einzigen Hag. Die Kühe, Schafe und Schweine laufen frei herum oder sind an einem Strick befestigt. Hie und da treibt ein Bauer seine kleine Herde heim. Die Wiesen und Äcker sind trocken und warten auf die Regenzeit.

Wir kommen auf die Hauptstrasse und bald ans Ufer eines geheimnisumwobenen Sees. Wer kennt ihn nicht, den Titicacasee? Mich erinnert er an Kindergeschichten wie Pippi Langstrumpf und Janosch. Er vermittelt das Gefühl eines weit entfernten Ortes. Was der Lago Titicaca in Wahrheit mit dem Taka-Tuku-Land zu tun hat, wer weiss… Jedenfalls macht er als grösster, höchstgelegener schiffbare See der Welt Eindruck auf uns. Der Seehorizont scheint mit dem blauen Himmel zu verschmelzen.

Um nach Copacabana zu gelangen geht es auf einem motorisierten Floss nach San Pedro de Tiquina. Nun sind wir wirklich selbst im Abenteuer Titicacasee angekommen 🙂

Copacabana, der Name dieses Hafenstädtchens, zaubert Fernweh hervor. Denkt man dabei an den Strand von Río de Janeiro, soll gesagt sein, dass der weltberühmte Strand den Namen dieses Ortes am Titicacasee trägt und nicht umgekehrt. An der Strandpromenade gönnen wir uns ein Bier und einen Trucha, eine Forelle aus dem Titicacasee. Wie würden meine Verwandten aus Holland sagen: een heel lekker visje!

Wir schlendern durch das touristische, aber hübsche Copacabana. Besonders die grüne Plaza und die weisse Kirche gefallen uns.

Etwas abseits des Trubels stellen wir uns ans friedliche Seeufer. Hier geniessen wir die Gesellschaft von Samantha und Fabio aus Winterthur und anderen Campern aus Argentinien. Zwei Hunde schliessen sich uns beim auf der faulen Haut liegen an.

Ein Mythos besagt, dass auf der nahe gelegenen Isla del Sol (Sonneninsel) die ersten Inka, Maco Capac und Mama Oclla, auftauchten. Eine andere Sage berichtet von der Sonne, die auf einem heiligen Stein der Insel geboren wurde. Und so stehen wir hier am Ufer dieses sagenumwobenen Sees, bewundern seine Weite (man stelle sich 15 Mal den Bodensee vor…) und strecken unsere Füsse ins eiskalte Wasser. Die Sehnsucht nach dem Meer erwacht in uns. Doch zuerst geht’s nach Peru, weiter durch die Andenlandschaft in Richtung Cusco und dem berühmten Machu Picchu.

Freiheit pur! Boliviens farbenfrohe Lagunenroute und ein knisternder Salar

Seit Tagen kribbelt die Vorfreude in uns. Wir verabschieden uns von Walter, unserem Mechaniker in Uyuni, und starten einen zweiten Versuch ins Abenteuer Lagunenroute.

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Hier ist es wieder! Dieses wohlige Gefühl völliger Freiheit. Schweigend und grinsend fahren wir in die karge und einsame Natur. Die Lagunenroute gehört zu den spektakulärsten Hochlandstrassen der Welt. Sie erstreckt sich über rund 450 Kilometer von Uyuni bis nach San Pedro de Atacama in Chile. Wir möchten nicht mehr nach Chile zurück, sondern die Ost-Route bis ganz in den Süden, zur Lagune Verde, nehmen und dann auf der West-Route, der eigentlichen Lagunenroute, wieder nordwärts in Richtung Salzwüste fahren. Damit liegen rund 700 Kilometer Piste vor uns. Rudolph ist vollgepackt mit genügend Diesel-, Wasser- und Lebensmittel-Reserven und wir sind voller Vorfreude. Was die Lagunenroute anspruchsvoll macht, sind die teils miserablem Wege und die kontinuierliche, extreme Höhe von vier- bis fünftausend Meter. Die Luft hier oben ist trocken und dünn. Dennoch, wir haben das Gefühl, mehr Luft und Raum also sonst zu haben.

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Die Kulisse, die sich uns eröffnet, ist einfach nur traumhaft. Ab und zu kommt uns ein Landcruiser mit Touristen entgegen. Für Abwechslung sorgen Herden mit Lamas, Alpacas und Vicuñas.

Die erste holprige Piste ist geschafft. Über einen schmalen Pfad geht’s zu Fuss zu einem tiefen Canyon. Einige Kilometer weiter bewundern wir surreale Felsformationen und nochmals später gelangen wir zur menschenleeren Salz-Lagune Vinto, worauf sich ein paar Dutzend Flamingos tummeln.

Eine schier unendliche Weite umgibt uns. Die in weichen Farben getönte Andenlandschaft erscheint uns künstlich, wie eine Landschaft aus einem Ölgemälde. An einem Flussufer schlagen wir unser Nachtlager auf. Aus den Erfahrung am Geysirfeld El Tatio wollen wir gelernt haben: wir parkieren Rudolph mit der Nase in Richtung Morgensonne und stellen die Heizung auf fünf Grad, damit die Wasserleitungen nicht einfrieren. In Uyuni konnten wir zudem einen Frostschutz für den Diesel ergattern.

Tatsächlich. Anderntags springt der Motor nach nur wenigen Versuchen an. Gleich nach dem Frühstück klopft mein Herz. Ich fahre mit Rudolph durchs kalte Nass des Flussbetts. Die erste Hürde ist geschafft!

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Auf unserer Karte ist eine Strasse eingezeichnet. Das Navi (maps.me) erkennt aber nur einen Wanderweg. Vor uns liegt ein hoher Berg, dann noch einer. Später umkehren zu müssen, wäre nicht gerade ideal. Hoffentlich also keine Sackgasse. Wir entscheiden uns fürs Risiko. Es wird ein Abenteuer. Auf einer Buckelpiste geht es über die Berge. Der bekannte Geruch von Lehm und Staub macht sich breit. Während uns die Berge und Vulkane in sanften Farbtönen begegnen, ist der Weg alles andere als sanft. Doch die faszinierende Landschaft macht alles wett! Hier ist kein Jeep, kein Tourist. Nur wir, wie alleine auf einem fremden Planeten.

Offroad fahren wir über die Sand- und Steinfelder. Dann windet sich die Strasse, tatsächlich eher ein Wanderweg, den Berg hinauf. Bis auf 4850 Meter kämpft sich Rudolph tapfer über Sand und Geröllstein hinauf. Der Himmel ist tiefblau und wolkenlos und der noch übrig gebliebene Schnee strahlend weiss, als wäre er gerade vom Himmel gefallen. Wohl auch ein Indiz dafür, dass hier kaum ein Auto durchfährt.

Hier oben verschlägt es uns erneut den Atem. Nicht nur, weil die Luft immer dünner wird. Wir versuchen jedes Bild zu verinnerlichen. Der Weg führt uns durch eine verlassene, gruselige Mine, wieder ein paar hundert Höhenmeter runter und durch eine Steinwüste.

Wir haben’s geschafft. Rudolph hat es geschafft. Wir sind in der südwestlichsten Ecke Boliviens angekommen. Es ist windig und kalt. Doch die Kulisse einfach umwerfend. Hinter der Lagune Verde erhebt sich majestätisch der Vulkan Licancábur (im Foto weiter unten; hier zuerst ein Foto mit einem Andenfuchs). Auf der anderen Seite des Vulkans waren wir vor sechs Wochen, als wir von San Pedro de Atacama über den Paso Jama nach Argentinien fuhren.

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Trotz Heizen sind die Leitungen über Nacht eingefroren. Auch der Motorstart dauert heute etwas länger. Doch wir haben keine Eile, da wir bis zur Mittagszeit bleiben wollen. Denn dann, wenn die Sonne am höchsten steht, vollzieht sich ein Naturschauspiel der besonderen Art. Durch den Sonneneinstrahlwinkel und die Reaktion des pflanzlichen Planktons in Verbindung mit dem hohen Blei-, Kalzium- und Schwefelgehalt verbreitet sich ein smaragdgrüner Schimmer über die zuvor klare Wasseroberfläche.

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Wir fahren wieder nach Norden diesmal die westliche Strasse, den Anden entlang. Weitere spannende 200 Kilometer Sand-, Geröll- und Schotter-Piste warten auf uns.

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Es folgt das absolute Highlight der Lagunenroute, der knapp 40 Grad heisse Naturpool am Ufer der Lagune Chalviri. Genau das, was wir gegen die bitterkalten Temperaturen und den Staub brauchen! Die ersten Tour-Jeeps stoppen hier früh morgens und die letzten verlassen die Therme nach der Mittagspause. Abends schwelgen wir im Privat-Openair-Thermalbecken unter funkelndem Sternenhimmel. Die Milchstrasse zieht sich einmal quer über den Himmel. Auf dieser Höhe ist nicht mal der Mond zu sehen. Dafür sehen wir viele Sternschnuppen, fühlen uns aber wunschlos glücklich!

Gewärmt geht’s zum höchsten Geysirfeld der Welt. Auf gut 4900 sprudelt es aus den Geysiren Sol de Mañana. Der Geruch von faulen Eiern steigt uns in die Nase und erinnert an die Schwarz-Weiss-Fotoautomaten von früher. Aus den Löchern steigen Schwefeldämpfe empor. Der graue Lava-Schlamm blubbert. Es stürmt und ist ungemütlich kalt und so bleiben wir nicht lange.

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Unser Rudolph erweist sich neuerdings auch als Hochgebirgs-Wanderschuh! Alles wackelt und vibriert. Es gibt verschiedene Wege. Eins, zwei oder drei, ob du richtig fährst… ja, das merkst du erst, wenn’s zu spät ist. „Russisches Roulette“ murmelt Thomas. Doch wir haben Glück. Die Kästchen über unserem Bett haben sich etwas gelöst. Ein Hick im Lack von einem Stein. Sonst ist alles noch ganz, als wir bei der Laguna Colorada ankommen.

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Wir bestaunen das Panorama vom Mirador aus, wo wir die nächste Nacht verbringen. Die riesige Lagune erstreckt sich vor uns und macht ihrem Namen alle Ehre. Die Algen und kupferhaltigen Mineralien verfärben das Wasser ziegelrot. Die Laguna Colorada ist Heimat unzähliger Anden- und James-Flamingos. Am Ufer grasen ein paar flauschige Alpakas und zierlichen Vicuñas.

Nach einer unruhigen, stürmischen Nacht geht das Elefantenreiten weiter. Die nächsten hundert Kilometer tuckern wir mit 20 Kilometer pro Stunde. Beim Árbol de Piedra, einem vulkanischen Stein in Form eines Baumes, halten wir an.

Auch der schmale Weg durch einen Canyon ist unwegsam. Für Aufheiterung sorgt ein spezielles Tier. Eine Mischung aus Hase und Känguru mit langem Schwanz, eine bolivianische Art von Chinchilla.

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Erneut verläuft alles glimpflich. Wir kommen an den Lagunen Honda, Chiar kkota, Hedionda und Cañapa vorbei. Bei letzterer verbringen wir nochmals eine Nacht.

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Das letzte Stück bis zur Hauptstrasse toppt alles. Hochkonzentration ist gefordert, um nicht in den tiefen Fahrrillen zu versinken und den vielen Steinen auszuweichen. Die letzten 14 Kilometer übelste Buckelpiste verursachen sogar Muskelkater vom Festklammern. Und dann… ist es geschafft! Ein Glück, dass nur die hinteren Stossdämpfer im Elend sind.

Noch wissen wir nicht, dass wir auf dem Weg zum Salar de Uyuni bereits einen Salzsee durchqueren. Die Spurrillen sind wieder sehr tief, sodass wir mit dem Unterboden streifen. Wir fahren also auf den Erhebungen. Lange geht das gut. Doch dann rutscht das Hinterrad ab und flutsch, stehen wir schräg in der Landschaft mit den linken Rädern im weichen, feuchten Boden des Salars Colchani. Der Wind bläst uns um die Ohren. Kehrt er, droht Rudolph zu kippen. Wir versuchen, den Wagen zu heben, Salzsteine, Bretter und unser altbekanntes Einstiegstrittbrett darunter zu legen. Alle Versuche, Rudolph nur einen Millimeter zu bewegen, bleiben erfolgslos. Natürlich gibt es hier, wie eigentlich die ganzen letzten Tage, keinen Handyempfang. Nach knapp zwei Stunden erscheint Hilfe am Horizont. Drei Tour-Jeeps fahren auf uns zu und bald bestaunen mindestens ein Dutzend Touristen das Debakel. Kurzerhand schieben alle und mit geballter Kraft ist es geschafft. Rudolph steht wieder auf dem Trockenen!

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In San Juan verschlingen wir in der verstaubten Fahrerkabine hungrig eine Portion Spaghetti. Die Motorhaube vor uns ist geöffnet. Ein verbrannter Geruch liegt in der Luft. Das Getriebe. Dennoch, wir wollen nicht länger im aufziehenden Sandsturm bleiben. Am späteren Nachmittag ist es dann soweit. Wir dürfen uns von den Strapazen erholen. Ein Wahnsinnserlebnis. Nein, wir fahren nicht auf Schnee oder Eis, sondern auf Salz. Die harte Kruste knistert unter unseren Füssen.

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Bei Sonnenuntergang erreichen wir die Insel Incahuasi im Herzen des Salars. Wir stellen uns in deren Windschatten. Ein anstrengender Tag mit Happyend!

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Wir erwachen mit dem atemberaubenden Blick über den grössten Salzsee der Welt. Der Salar de Uyuni – gibt es überhaupt Worte, ihn zu beschreiben? Ein riesiges weisses Meer. Jetzt in der Trockenzeit bestehend aus einer flachen, harten Kruste mit sechskantigen Salzfliesen, schier unendlich, nur die Inseln und der blaue Himmel bieten einen Kontrast.

Die Hügel der Isla Incahuasi bestehen aus versteinerten Korallen, worauf riesige Kakteen empor ragen. Sie wachsen pro Jahr nur einen Zentimeter. Einige von ihnen sind unvorstellbare 1200 Jahre alt!

Okaj, Thomas ist real, Rudolph auch. Doch der Rest? Wir kommen uns wie in einem Science-Fiction-Film vor. Und dann ist da diese unglaubliche Ruhe, eine absolute Stille! Nach rund einer Stunde ein anderes Fahrzeug am Horizont. Es scheint über dem Salar zu schweben. Ein Tag genügt, um unsere Energiereserven von Null auf Hundert aufzutanken. Wir lassen das Sonnendeck raus und geniessen ein Bierchen im Nichts auf dieser riesigen Salzpfanne.

Auf den letzten 30 Kilometern zur östlichen Ausfahrrampe bei Colchani wimmelt es von Löchern im Salar, sogenannte ojos (Augen). Der Salar de Uyuni birgt einen wertvollen Schatz. Unter ihm schlummern die weltweit grössten Vorkommen an Lithium-Karbonat, das als Legierungszusatz für Batterien, Akkus und die Kerntechnik benötigt wird. Auch für die Speicherung erneuerbarer Energien und für Elektroautos werden massig Batterien gebraucht. Ein deutsches Unternehmen plant momentan den Abbau des Leichtmetalls. Die Regierung von Präsident Evo Morales hofft auf Milliardenprofite. Ein lukratives Geschäft für das ärmste Land Lateinamerikas. Doch die Einheimischen sind überzeugt. Die Zunahme der ojos hat mit der Lithium-Gewinnung zu tun. Wie lange man wohl noch auf den Salar fahren kann?

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Eine traumhaft abenteuerliche Woche geht zu Ende. Zurück in Uyuni verschlingen wir eine leckere Pizza. Der Trip hat hungrig gemacht. Auch auf noch mehr Abenteuer!

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Bolivien, eine andere Welt – von Santa Cruz bis Uyuni

Wir tauchen in eine uns bisher unbekannte Welt ein. Seit einem halben Jahr sind wir in Südamerika und haben das Gefühl, erst jetzt richtig angekommen zu sein. Kaum über die Grenze fühlen wir uns hier in ein anderes Jahrhundert zurückversetzt. Einst Teil des mächtigen Inka-Imperiums ist Bolivien heute das ärmste Land Südamerikas. Doch bis heute birgt es einen geheimen Schatz voller vorspanischer Kulturen und Traditionen.

Die erste Nacht in Bolivien verbringen wir auf dem Hinterhof einer Tankstelle in Camiri. Von draussen ertönt Musik, Kindergeschrei, das Geräusch eines Fernsehers, vorbeifahrender Fahrzeuge und eines krähenden Hahns. Doch wir sind so müde, dass wir sofort einschlafen.

Im östlichen Flachland fahren wir weiter nordwärts nach Santa Cruz. Ab und an kommen wir in einen kleinen Ort. Ansonsten ist auch der bolivianische Chaco wenig besiedelt. Kurz vor Santa Cruz wird das Klima tropischer und entsprechend grün. Wir kurven durch die Stadt auf der Suche nach einem Bankomat. Nach einigen Versuchen finden wir einen, der frei ist und unsere Karte akzeptiert.

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Die modernste Stadt Boliviens boomt. Überall entstehen edle Wohnblöcke und moderne Einkaufszentren. Die Menschen im Flachland haben das spürbare Verlangen, sich vom traditionellen Hochland-Image Boliviens abzugrenzen. Auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz fahren wir den Parkplatz des Freizeitparks Biocentro Güembe an, wo wir freundlich empfangen werden und nicht nur gratis stehen, sondern auch den Park kostenlos besuchen dürfen. Das Biocentro entpuppt sich als eine riesige Anlage mit Swimmingpools, Museen, einer Insel mit Affen, einem Vogelpark und noch vielem mehr. Wir geniessen es, schliesslich ist heute der 1. August. Was für ein Geschenk!

Bevor wir losfahren, fragt uns ein Taxi-Chauffeur, ob wir Diesel bräuchten. Für Ausländer ist das Tanken in Bolivien nicht ganz einfach. Der Kraftstoff wir staatlich subventioniert, allerdings nur für Einheimische. Ausländer zahlen das rund 2,5-fache. Um zu Diesel zu gelangen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man zahlt den Ausländertarif von derzeit rund 1,25 Franken pro Liter (sofern überhaupt möglich, denn nicht alle Tankstellen können oder wollen an Ausländer verkaufen), man verhandelt mit den Tankwärtern einen niedrigeren Tarif (wobei sie die Differenz in die eigene Tasche stecken) oder kauft ihn Privaten ab. Letzteres ist die kostengünstigste Lösung, ohne die Korruption an den Tankstellen zu unterstützen. Wir entscheiden uns, dem Taxifahrer die 60 Liter abzukaufen.

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Mit mehr als 1,5 Millionen Einwohnern ist Santa Cruz die grösste Stadt Boliviens. Reiche Erdöl- und Gasvorkommen sowie der profitable Anbau von Soja, Zuckerrohr, Reis, Mais, Zitrusfrüchten und Baumwolle dienen dem wirtschaftlichen Aufschwung. Die Stadt lockt Menschen aus aller Welt hierher. Ein bunter Mix aus Arbeits- und Glücksuchender. Santa Cruz ist aber auch die berüchtigte Drogenhauptstadt und obschon sie einen gepflegten und sauberen Eindruckt macht, ist sie dennoch typisch bolivianisch: bunt, lebendig und turbulent. Auf den Strassen und Trottoirs wird alles nur Erdenkbare verkauft, gekocht und gegessen. Im Zentrum sind die Strassen eng und verstopft. Die Bolivianos sind nicht die geduldigsten Autofahrer. Überall wird gehupt. Während des Wartens an der Ampel oder im Stau wird uns alles Mögliche und Unmögliche angeboten. Fast könnte man seine Einkäufe statt auf dem Markt auch während der Autofahrt erledigen.

Wir fahren aus der Stadt und es wird ruhiger. Hier beginnt für uns das ländliche Bolivien mit seinen einfachen Lehmhäuschen, um die herum Kühe, Schweine und Hühner grasen und den Menschen, die in bunten Tüchern eingewickeltes Gepäck auf ihrem Rücken tragen. Was für beeindruckende Bilder!

Um nach Westen zu gelangen, entscheiden wir uns für die alte Streckenverbindung von Santa Cruz nach Cochabamba. Ein schmaler Pfad führt zum Río Piraí hinunter. Nebst uns verbringen noch ein paar lokale Familien ihre Siesta am kühlen Flussbett. Die Menschen begegnen uns sehr freundlich.

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Die Hochlandroute führt uns auf kurviger Strasse durch die Regenwälder in die Höhe. Immer wieder halten wir an, um das traumhafte Panorama zu bestaunen.

Samaipata ist ein touristisches, aber wunderbar friedliches Dorf, eingebettet in die atemberaubende Wildnis am Fusse der Cordillera Oriental. In der Inka-Sprache Quechua bedeutet Samaipata zutreffend „Ruhe in der Höhe“. Wir stellen uns neben den Dorfplatz, wo wir auf der Park-Bank gemütlich den Abend geniessen.

Wir folgen der Ruta del Che, die von Samaipata über Vallegrande nach La Higuera führt. Durch das Gebiet, wo der Revolutionär Ernesto Che Guevara zwischen 1965 und 1967 versuchte, einen Volksaufstand zu organisieren, der aber wegen der damaligen Landesreform bei den Bauern keinen Rückhalt fand. Wir fahren durch die wunderschöne Berglandschaft Boliviens. Es geht bergauf und -ab und eine steile Bergpassage folgt der anderen. Immer wieder durchquert die Strasse kleine Bäche.

Wir sehen Menschen, die ihre Felder wie vor hundert Jahren mühsam von Hand oder mit Pferd, Ochse und Pflug bewirtschaften. Menschen, die hart schuften, um ihre einfache Existenz zu sichern. Die Strassenhunde sind die dünsten, denen wir bisher begegnet sind. Überall schauen die Menschen auf, wenn wir durchfahren. Der Besitz eines Autos oder gar eines Campers ist den Campesinos (Kleinbauern) unbekannt. Die Armut bewegt uns und gleichzeitig beeindruckt uns die Fröhlichkeit in den Gesichtern der Menschen hier.

In ganz Bolivien sind sie anzutreffen, die mit Wahlpropaganda bemalten Hauswände, Mauern und Steine. Seit 2005 ist Evo Morales, der aus der Volksgruppe Aymará stammt, der erste indigene Präsident Boliviens. Die sozialistische Politik Morales‘ hat eine grosse gesellschaftliche Umwälzung zum Ziel, welche die Regierung „El Cambio“, der Wandel, nennt. Die Armut konnte in den letzten Jahren tatsächlich reduziert werden und den Indígenas wurden mehr Rechte und Macht gegeben. Die Bemühungen, Land und Wohlstand neu zu verteilen, stossen in der Erdgas- und rohstoffreichen Ostregion auf starken Widerstand. Trotz Gegenstimmen und der wachsenden Unzufriedenheit über das, was manche als schwache Regierungsführung bezeichnen, erwarten viele, dass die sozialen Programme, die von der Regierung gefördert und mit den wachsenden Einnahmen aus Bergbau, Landwirtschaft und Erdgasexporten finanziert werden, die Revolution des Präsidenten weiter vorantreiben. Für uns Reisende hat die aktuelle politische Situation jedenfalls den Vorteil, dass sie stabil ist. Speziell wenn man bedenkt, dass Bolivien seit der Unabhängigkeit 1825 von unzähligen politischen Krisen und rund 200 Regierungs- und Machtwechseln betroffen war.

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In der Kleinstadt Vallegrande, die etwas versteckt im Bergland liegt, besuchen wir den Bauernmarkt. Wir essen ein einfaches Mittagessen unter den Einheimischen. Nachdem das bolivianische Militär Che Guevara umgebrachte hatte, wurde seine Leiche hier in Vallegrande im kleinen Waschhaus des Spitals aufgebahrt, um der Welt seinen Tod zu präsentieren.

Auf dem Weg zurück zum Auto begegnen wir Alba und Eloy, einem Backpacker-Paar in unserem Alter. Wir unterhalten uns kurz, bevor sich unsere Wege vermeintlich trennen. Wenig später halten wir in Pucará nebst einem Touristenbus, aus dem die beiden uns zuwinken. Da der Bus nicht bis ins Dorf hochfährt, nehmen wir sie bis nach La Higuera mit.

Zusammen besuchen wir das Museum. Im kleinen Dorf La Higuera wurde Che am 9. Oktober 1967 vom bolivianischen Militär in der escuelita (dem ehemaligen, einräumigen Schulgebäude) erschossen. Die Bewohner von La Higuera leben vom Tourismus. Die Mauern der ärmlichen Lehmbauten sind voller Bilder Che Guevaras und zwei riesige Statuen thronen auf dem Dorfplatz.

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Im Dorf freut man sich aber unseren Besuch. Viel sei hier sonst nicht los. Die meisten Touristen halten nur kurz für einen Museumbesuch. La Higuera bedeutet Feigenbaum und das Dorf soll laut unserem Reiseführer ein staubiges und ärmliches Nest sein. Staubig ist es, ärmlich auch, dennoch gefällt es uns hier. Eine Dorfbewohnerin zeigt uns den Weg zur Quebrada del Churo, dem Bach, wo Che Guevara gefunden und gefangengenommen wurde. Ein schmaler Pfad führt zwischen dornigen Gebüschen hindurch und hinterlässt Kratzer an Beinen und Armen. Die Sonne brennt senkrecht auf uns herunter. Wir können nachfühlen, wie beschwerlich die Märsche durch die unwegsamen Wälder für den asthmakranken Che und seine Guerilleros gewesen sein muss.

Die Kinder vom Dorf stehen in unserem Bus. Neugierig wird ein Kästchen und Türchen nach dem anderen geöffnet. Die beiden frechen Jungs, Fanor und Casiano, tragen eine Steinschleuder um den Hals, mit der sie Vögel abschiessen, die sie dann essen. Vom Strand in Monte Hermoso (Ostargentinien) haben wir noch grosse Muscheln im Gepäck. Die Augen der Kinder funkeln, während sie dem ihnen unbekannten Geräusch des Meeresrauschens lauschen. Speziell Kenia und ihre kleine Schwester Luz Marina freuen sich über das Geschenk. Später spielen wir alle zusammen Fussball. Der kleine Bengel Dayan steht im Tor. Gäbe es eine bessere und schönere Art zur Akklimatisierung an die Höhe?

Es finden noch weitere Traveller den Weg nach La Higuera. Die Motorradfahrer Mike aus Züri und Frank aus Deutschland sowie die Velofahrer Laura und Reza aus England. Wir bleiben noch länger. Verbringen die Tage mit den Kindern und die Abende in einer gemütlichen Runde mit den anderen Reisenden.

Am 6. August, dem bolivianischen Nationalfeiertag tragen die Kinder ihre Sonntagskleidung. Der Abschied fällt uns schwer. Wann kommt ihr wieder? Fragt mich Casiano. Was sollte ich ihm nur antworten?

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Eine staubige, aber landschaftlich traumhafte Strasse führt uns in Richtung Südosten. Kurz vor der Ortschaft Padilla müssen wir ein Bachbett überqueren. Gibt es nicht doch noch einen Weg über die Brücke? Wir nehmen den schmalen Pfad. Irrtum, hier kommen wir nicht weiter. Und dann passiert es. Wir erwischen einen Stein und eine schöne Beule auf der Seite von Rudolph. Immerhin glückt die nasse Überfahrt.

Ein paar Kilometer vor Padilla winken uns drei Bauern am Strassenrand. Wir nehmen sie bis nach Padilla mit. Die ältere Frau platzieren wir auf meinem Stuhl. Ich sitze irgendwo am Boden. Die andere Frau und der Mann, dem die Zähne und die recht Hand fehlen, hocken auf unserem Bett (hätte mir das Jemand vor einem halben Jahr gesagt, ich hätte es nicht geglaubt). Es riecht nach Stall und Coca-Blätter. Als die Drei am Dorfplatz aussteigen und erfahren, dass die Fahrt nichts kostet, bedanken sie sich überglücklich und wahnsinnig herzig.

Das Kauen von Coca-Blättern ist im Andenhochland von Bolivien und Peru seit Jahrhunderten kulturell tief verwurzelt. Wobei „kauen“ eigentlich nicht zutreffend ist. Die Blätter werden mit einer Mischung aus Kalk und Pflanzenasche, die den Speichelfluss anregt, in der Backe gehalten und der Saft wird eingesogen. Immer wieder begegnen uns Männer mit riesig dicken Backen. Coca-Blätter sind mehr als ein Genussmittel. Sie dienen kultischen und medizinischen Zwecken. Empfindungen wie Hunger, Müdigkeit und Kälte werden verdrängt und die freigesetzten Stoffe sind sehr wirksam gegen die Höhenkrankheit, da sie die Sauerstoffaufnahme verbessern. Für Minenarbeiter sind die Coca-Blätter unentbehrlich. Doch auch Frauen kauen Coca vor einer Geburt, um die Wehen zu beschleunigen und die Schmerzen zu lindern. Pro Monat werden in Bolivien schätzungsweise 1,2 Millionen Kilo Coca-Blätter konsumiert. Doch nicht alle Coca-Sträucher dienen dem traditionellen Gebrauch. Bolivien gehört zu den grössten Kokainproduzenten der Welt.

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Jeden Sonntag findet in Tarabuco ein grosser Markt statt. Die Campesinos aus den umliegenden Dörfern strömen hierher, um einzukaufen oder etwas zu verkaufen. Sie besitzen kein Auto und reisen daher mit den Micros (Minibusen), per Anhalter oder zu Fuss an. Ob sie meinen, wir wären auch ein Micro? Jedenfalls nehmen wir erneut ein paar ältere Menschen und Kinder mit. Die Verständigung ist schwierig, da die Bauern Quechua und oft kein Spanisch sprechen. Dennoch sind es wunderbare Begegnungen mit der indigenen Bevölkerung. Der Herr auf dem Beifahrersitz zeigt Thomas mit dem Finger den Weg zum Markt. Schliesslich landen wir inmitten des Mercados. Parkieren ist hier nicht möglich. Also Retourgang rein und durch die enge Gasse zurück, vorbei an den vielen Menschen, Ständen, Karren und Tieren. Als wir später durch eine der Markthallen schlendern, fragt uns ein Verkäufer, von wo wir kämen und was „Tomate“ in unserer Sprache heisse. Ganz erstaunt, dass es dasselbe Wort ist, stellt er uns die nächste Frage. Wie spät es bei uns in der Schweiz sei, fragt er. Sechs Stunden später. Wow, dann müsse dieses Land ja wirklich weit weg sein.

Es ist ein toller und wahnsinnig eindrücklicher Markt. Viele der Menschen tragen traditionelle und festliche Kleider. Die Gassen sind belebt und die Stimmung munter. Die einfachen Lehmhäuschen gleichen der braunen Umgebung. Es sind die bunten Kleider und Verkaufsstände, die alles so wunderbar farbig machen. Nebst den Einheimischen und ein paar wenigen Touristen tummeln sich Hunde, Esel und Schweine herum. Die meisten Stände sind einfach gehalten: ein Tuch am Boden. Die Fleisch-Theke ist besonders eindrücklich.

In einem Innenhof essen wir Hühnchen mit Kartoffeln und Reis. Das Mittagessen ist die wichtigste und für die ärmeren Menschen oft die einzige Mahlzeit des Tages.

Wir kaufen ein typisch bolivianisches farbiges Tuch. Ein älteres, das noch nicht industriell hergestellt wurde. Zudem eine Hängematte und ein Schal aus Alpaka-Wolle. Tarabuco ist bekannt für seine Traditionen, die Musik und Tänze aus der Inka-Zeit sowie für seine prachtvollen Trachten und die Webkunst. Speziell die Tücher, die mit sehr viel Zeitaufwand und extrem detailreich in monatelanger Arbeit von Hand gewoben werden, beeindrucken uns.

Am späteren Nachmittag fahren wir in die Hauptstadt Boliviens. Obschon die meisten Regierungsgeschäfte in La Paz stattfinden, ist das im Herzen Boliviens gelegene Sucre die verfassungsmässige Hauptstadt. Das historische Zentrum gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe.

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Wir fahren einen Campinglatz an und haben Glück. Inmitten der Stadt befindet sich der Garten von Alberto und Felicidad. Felicidad lernen wir nicht kennen, da sie gerade in Santa Cruz ist. Die Tochter Carolina spricht gutes Englisch. Sie ist Ärztin, ihr Vater arbeitet in der Universität. Die Familie gehört zur Oberschicht Boliviens.

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Wir geniessen ein Frühstück draussen an der Sonne. Die Stadt liegt für Bolivien auf einer angenehmen Höhe von knapp 2800 Metern in einem Talkessel, was ihr ein mildes, ganzjährig frühlingshaftes Klima verleiht. Was wollen wir mehr? Ach ja, den Schaden an Rudolph reparieren. Doch auch dieser Wunsch bleibt nicht lange unerfüllt. Nach dem Frühstück kommt der Chef-Spengler persönlich mit einem Mitarbeiter auf den Camping. Wir dürfen Rudolph noch heute zur Reparatur bringen. Nach zwei Tagen ist er wieder wie neu. Kostenpunkt: gerade mal 100 Franken.

Wir schlendern durch die hübsche Stadt. Strahlend weisse Kolonialgebäude, gemütliche Innenhöfe und grüne Parks strahlen eine vornehme Atmosphäre aus. Sucre geniesst mit seinen vielen Universitäten den Ruf, Zentrum des fortschrittlichen Denkens Boliviens zu sein.

Der Mercado ist für uns einmal mehr das Highlight der Stadt. Zwischenzeitlich geniessen wir es, unsere Einkäufe nicht in einem Supermarkt zu erledigen, sondern hier Tomaten, dort einen Brokkoli und beim nächsten Stand frisches Obst zu kaufen. Das Beste sind die leckeren, frischen und günstigen Jugos (Fruchtsäfte).

Feliz cumpleaños! Wir feiern den Geburtstag von Thomas. Freunde und Familie sind beim Geburtstags-Brunch mit dabei, auf den Fotos an der Wäscheleine 😉 Zur Feier des heutigen Tages gönnen wir uns ein gemütliches Nachtessen in einem argentinischen Steakhouse.

Wir verbringen noch einen Tag zusammen mit Mike, den wir in La Higuera kennengelernt haben und der momentan in Sucre wohnt. Im Museo de Arte Indígena lassen wir uns nochmals von der Vielfalt der traditionell bolivianischen Webkunst beeindrucken. Unglaublich, die vielen dünnen Fäden aus Lama- und Alpaka-Wolle, so viele Details! Es werden Herstellungstechniken und die Bedeutung der Webmuster erklärt. Daneben widmet sich das Museum den Trachten und der Andenmusik mit ihren Rohrflöten, Holzpfeifen, Rasseln und Trommeln.

Auf dem Weg nach Uyuni kommen wir nach Potosí. Beim Anblick des Stadtberges schaudert es mich. Wie viele Menschen mussten hier für Europa leiden und sterben? Von den riesigen Silbervorkommen des „reichen Berges“, wie die Spanier den für die Ureinwohner heiligen Berg nannten, ist heute nichts mehr übrig. Das Silber wurde von den Spaniern 1545 entdeckt und die Ausbeutung unverzüglich vorangetrieben. Ganze Dorfschaften von Hochlandbewohnern wurden in die Bergstollen abkommandiert. Potosí war die Schatzkammer Amerikas. Für die Indígena war sie dagegen der Eingang zur Hölle. Verunglückten und starben die Zwangsarbeiter nicht in den Stollen, so erlagen sie den unmenschlichen Arbeitsbedingungen in dieser Höhe oder an den Vergiftungen des Quecksilbers, das als Scheidemittel eingesetzt wurde. Es wäre möglich, eine Mine zu besichtigen. Uns schaudert aber rein die Vorstellung der furchtbaren Arbeitsbedingungen, die noch heute herrschen. Die einst grösste und reichste Stadt des ganzen amerikanischen Kontinents ist heute eine von Armut betroffene Stadt der dritten Welt, die in Europa in Vergessenheit geraten ist.

Wir übernachten ein paar Kilometer ausserhalb von Potosí auf einem Feld zwischen den Hügeln. Eine schlaflose Nacht auf über 4000 Meter Höhe, denn der Blattsalat vom Mercado in Sucre bekommt mir nicht gut. Eigentlich sollte man es wissen und vielleicht den Salat nicht von der ärmsten Bäuerin auf dem Fussboden kaufen…

Die Strecke von Potosí nach Uyuni ist abwechslungsreich. Mir fehlt es aber an Energie. Immer wieder nicke ich ein. Derweil bibbert Thomas das erste Mal auf unserer Reise, ob der Diesel wohl bis zur nächsten Tankstelle reichen wird. Zu allem Übel fällt plötzlich der Turbo aus. Ein Blick unter die Motorhaube verrät, dass der Turboschlauch einen Riss hat. Mühsam kraxelt Rudolph über die Hügel bis nach Uyuni.

In Uyuni machen wir uns auf die Suche nach einem Mechaniker. Wir werden fündig und stehen wenig später auf dem Hof von Walter. Ersatzteile gibt es hier nicht, schon gar nicht für Mercedes-Fahrzeuge. Dafür kreative Mechaniker.

Uyuni liegt inmitten der Hochwüste im südwestlichen Zipfel Boliviens auf 3670 Meter. Die Luft ist trocken. Tagsüber ist es bei strahlend blauem Himmel aber schön warm. Nachts fallen die Temperaturen hingegen unter null. Die Heizung haben wir auf fünf Grad eingestellt, sodass die Wasserleitungen nicht einfrieren. Von hier aus fährt man zum Salar de Uyuni. Bevor wir auf den Salzsee fahren, wollen wir die sogenannte Lagunen-Route fahren. Wir füllen unsere Vorräte mit Lebensmitteln und Wasser auf. Walter holt für uns an der Tankstelle Diesel zum lokalen Preis. Wir füllen den Tank, Reservetank und zwei Kanister. Genug, um rund 1200 Kilometer ohne Tankstelle auszukommen. Dann sind wir ready. Wir freuen uns auf die abenteuerliche Route, auf eine Woche in purer Natur. Doch es kommt anders. Nach rund 50 Kilometern öffnet Thomas nochmals die Motorhaube. Der Flick hat nicht gehalten. Welch ein Pech! Statt in freier Natur werden wir die nächsten Tage im Hinterhof der Garage übernachten. Walter versucht ein Ersatzteil in Santa Cruz zu bestellen. Von dort wäre der Schlauch mit dem Flugzeug anderntags hier. Leider gibt es aber dort kein passendes. Zum Glück fährt der Bruder von Walter nächsten Sonntag nach Calama in Chile und kann uns den Ersatz-Schlauch bis Mitte nächster Woche mitbringen.

Auf dem Zugfriedhof, dem Cementerio de Trenes, rostet etwas ausserhalb von Uyuni ein riesen Haufen Stahl vor sich hin. Die Dampflokomotiven und Bahnwaggons stammen aus alten Zeiten. Sie wurden durch Dieselloks ersetzt. Eine etwas trostlose Stimmung umgibt uns.

Das Ersatzteil ist da. Etwas zu lang, kein Originalteil, aber es passt! Die Freude ist riesig und die Vorfreude auf die Lagunen-Route und den Salar noch grösser! Dazu mehr im nächsten Bericht 🙂

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Argentiniens Nordwesten, ein rot-grünes Paraguay und ein trockener Chaco

Drei Tage haben wir auf dem Parkplatz im Nordchilenischen San Pedro de Atacama gewartet. Heute ist es soweit, der Paso de Jama ist wieder geöffnet. Es geht hoch hinauf, auf 4825 Meter. Ich stelle mir einen doppelt so hohen Furka vor, der zu den höchsten Schweizer Pässen gehört. Die Sonne strahlt, während wir fasziniert dem Himmel entgegen fahren. Vorbei an Schnee bepuderten Bergen und Vulkanen, gefrorenen Bächen und schimmernden Lagunen. Schier endlos erstreckt sich die mit goldenem Andengras verzierte Hochebene. Wir fahren dicht vorbei am imposanten, fast 6000 Meter hohen Vulkan Licancabur. Schliesslich erreichen wir den Grenzübergang nach Argentinien. Adiós Chile! Etwas wehmütig verlassen wir dieses tolle Land, das uns während der letzten drei Monate ans Herz gewachsen ist.

Wir stellen uns in die Reihe. Der Andrang ist gross und es ist gerade Siesta. Rund zwei Stunden vergehen, bis alle Formalitäten erledigt sind. Es wird ein langer Tag, denn wir wollen heute nicht in dieser eisigen Höhe übernachten. Bis nach Purmamarca, eine alte Inkasiedlung auf knapp 2200 Meter, sind es noch gut 280 Kilometer nordargentinische Wüstenlandschaft. Auf einem Damm überqueren wir den Salzsee Salinas Grandes. Vom Norden Chiles und Argentiniens wäre es nur noch ein Katzensprung nach Bolivien, wo im Südwesten der grösste Salzsee der Welt, der Salar de Uyuni, liegt. Darauf freuen wir uns. Doch vorerst muss Bolivien warten. Bevor es hoch in den Altiplano geht, wollen wir in Paraguay Wärme auftanken.

Wir schaffen es nicht vor Einbruch der Dunkelheit. Die letzten Kilometer sind wir dankbar um einen Lastwagenchauffeur, der in gemütlichem Tempo vor uns fährt und uns die engen Kurven mit dem Warnblinker signalisiert. Wir folgen ihm die steile Bergstrasse bis nach Purmamarca hinunter.

Purmamarca ist eine Oase inmitten der argentinischen Wüstenlandschaft. Ein lebendiger Ort. Bunt sind nicht nur die indigenen Marktstände, sondern auch die Felsen um uns herum. Sedimentablagerungen aus über 600 Millionen Jahren sorgen für das atemberaubende Farbenspiel.

Die nördlichen Provinzen Argentiniens sind arm. Umso mehr erstaunen uns die vielen Prunkbauten und Riesenanwesen. Es sind Politiker, ranghohe Beamte und Grossgrundbesitzer, die es in die Wärme Nordargentiniens zieht. Gleich daneben wohnen die Nachfahren der indianischen Ureinwohner, die am unteren Ende der sozialen Stufenleiter leben. Eine schmale Strasse führt uns durch den Regenwald in die hübsche Kolonialstadt Salta. Einmal quer durch, zur Bank, zum Supermercado und zu Sergio, der unsere Gasflasche auffüllt. Da die überwachten Parkplätze allesamt in der Höhe begrenzt sind, beschliessen wir weiterzufahren. Fern vom Stadttrubel übernachten wir an einem Fluss.

Um nach Paraguay zu gelangen, fahren wir quer durch den Nordwesten Argentiniens. Eine lange, geradlinige Strecke. Hie und da rennt ein Strauss über den Weg. Den Feierabend verbringen wir auf der Tankstelle, wo wir das argentinische Ehepaar Silvana und Lisandro kennenlernen. Gleichgesinnte, die mit ihrem Camper in den Ferien sind. Es wird ein geselliger Abend, den wir bis spät nachts mit Kaffee und Mate trinken verbringen. Zum Frühstück gibt’s wieder Mate. Dazu tischt uns Lisandro argentinischen Salami auf.

Mate ist der Alltags- und Zaubertrank von Millionen Menschen in Argentinien, Uruguay und Südbrasilien. Überall sind sie anzutreffen, die Leute, mit ihren Thermoskannen unter dem Arm und dem Becher in der Hand. Heisses Wasser bekommt man an allen Tankstellen, in Restaurants und oft auch am Strassenrand. Mate-Trinken ist eine soziale Handlung, die Gemeinschaft stiftet. Denn nicht jeder trinkt seinen eigenen Mate, sondern man trinkt in der Runde aus demselben Becher. Einer giesst die Yerba Mate (Kräutermischung) auf, gibt den Mate-Becher an Jemanden weiter, der die Flüssigkeit mit der Bombilla (ein metallenes Röhrchen) heraussagt und sie dann dem Spender zurückgibt. Der Tee hat einen leicht bitteren Geschmack. Anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig, schmeckt er uns stets besser. Uns gefällt die Kultur. Es sind diese geselligen Momente, die das Leben wunderbar entschleunigen.

Nebst der Gastfreundschaft gefällt uns an Argentinien die Spontanität und Offenherzigkeit der Menschen. Silvana und Lisandro wollen die nächsten Tage ihrer Ferien mit uns verbringen. Also geht es zu Viert auf Erkundungstour durch die Städte Resistencia und Corrientes. Spazierfahrt im Konvoi. In Resistencia schlürfen wir eine Runde Mate auf dem Hauptplatz. Eine Brücke führt nach Corrientes, wo an der Strandpromenade gerade ein Buch-Festival stattfindet. Auch hier setzen wir uns auf die Bank und trinken Mate. Dass wir Argentinien bald verlassen, ohne Chipa und Choripán gegessen zu haben, das geht für Lisandro gar nicht. Schmunzelnd streckt er uns eine Tüte mit kleinen Chipas, Käsebrötchen aus Eiern und Maniok-Mehl, entgegen. Die sollen süchtig machen. Gut, dass es sie in Paraguay auch noch gibt. Choripán ist ein Klassiker und vergleichbar mit unserer Cervelat oder Bratwurst. Die Grillwurst Chori wird der Länge nach aufgeschnitten und in ein knuspriges Brot gepackt. Pan (Brot) con Chorizo (mit Wurst), kurz Coripán. Statt Senf streicht der Argentinier Chimichurri, eine scharfe Marinade aus Olivenöl, Knoblauch und Kräutern drauf. Choripán gehört zu jedem Fussballspiel, Konzert oder Karneval. Lisandro sucht für uns überall nach einem solchen Imbissstand, fragt die Polizei und wird schliesslich fündig. Ein leckerer Abschluss eines tollen Tages, den wir mit dem Nationalgetränk Fernet-Cola krönen, bevor wir spät nachts müde ins Bett fallen.

Zum Abschied gibt es noch eine letzte Runde Mate. Dann fahren wir weiter in Richtung paraguayische Grenze. Vorbei an Menschen, die tagelang zu Fuss oder auf dem Pferd zum Marienfest Virgen de Itatí pilgern. Uns gefallen besonders die Gauchos (Cowboys) mit ihren Trachten.

Von Posadas führt die Brücke über den Río Paraná nach Encarnación und damit nach Paraguay. Die Grenzformalitäten sind unkompliziert und rasch erledigt. Nachdem wir die Hektik von Encarnación hinter uns lassen, fahren wir entlang grüner Wiesen und Felder mit rotbrauner Erde. Es ist bewölkt, aber angenehm warm. Das Klima wird tropischer. Paraguay gefällt uns sofort. Wir sind wieder ganz nah an den Iguazú-Wasserfällen, wo wir vor vier Monaten waren.

Nicht viele Reisende besuchen Paraguay, da es keine „Mega-Attraktionen“ gibt. In der Stadt im Osten, Ciudad del Este, ist der 80 Meter hohe Wasserfall wahrhaft nicht vergleichbar mit den riesigen Fällen von Iguazú auf der anderen Flussseite. Dennoch berauscht er unsere Sinne.

Das für Südamerika kleine Paraguay ist so gross wie Deutschland und die Schweiz zusammen. Ein ganzjährig warmes Land im Herzen Südamerikas. Ein spannendes Land voller Gegensätze. Ländlich und zugleich hochentwickelt. Auch hier findet man extreme Armut und obszönen Reichtum. Pferde und Karren teilen sich die Strassen mit aufgemotzten Autos. Einfache Verkaufsstände stehen in den Gassen nebst glitzernden Einkaufszentren. In den Schulen wird nebst Spanisch Guaraní, die Sprache der Ureinwohner, gelehrt. Damit ist Paraguay in Südamerika das einzige Land, das offiziell zweisprachig ist. Der subtropische und fruchtbare Osten bildet einen starken Kontrast zur trockenen, dornigen Wildnis im Westen, dem Chaco. Durch den Chaco wollen wir nach Bolivien weiterreisen. Doch vorerst geht es in Richtung Hauptstadt, nach Asunción. Unterwegs halten wir immer wieder an, um frische Chipas, zu kaufen. Lisandro behält Recht, die machen süchtig. Paraguay ist ein Importland. Zu unseren chilenischen und argentinischen gesellen sich paraguayische, brasilianische und uruguayische Produkte. Es fehlt uns an nichts. Sogar eine Schweizer Käserei mit Kuhglocken und Tilsiter finden wird. Nach den Rindersteaks in Argentinien ist es hier das gegrillte Poulet, das am Strassenrand über dem Holzkohlengrill brutzelt.

001 Pollo

So schön unsere Reise ist, immer wieder vermissen wir Freunde und Familie. Da kommt der Campingplatz Hasta la Pasta in der Nähe von Asunción genau richtig. Oberhalb des Sees Lago Ypacaraí zwischen Palmenwäldern befindet sich dieser idyllische Platz, der das Deutsch-Schweizer Ehepaar René und Marion liebevoll bewirtschaftet. Wir fühlen uns sofort willkommen und wohl. Es ist herrlich warm und die Vögel zwitschern. Wann haben wir eigentlich das letzte Mal draussen gefrühstückt? Aus geplanten ein, zwei Nächten wird eine Woche. Marion ist eine tolle Köchin. Samstagabend geniessen wir scharfe Chilli-Pasta, die René selbst macht, und nach Monaten wieder einmal ein feines Cordon bleu. Es ist wie Ferien, in denen wir die unzähligen Eindrücke und Erlebnisse der vergangen Reisezeit sacken lassen. Wir kommen zur Ruhe. Geniessen es, uns mit anderen Schweizer und Deutschen Campern zu unterhalten und abends gemütlich zusammen am Lagerfeuer zu sitzen.

Jeden Samstag findet im ruhigen San Bernardino am Lago Ypacaraí ein spezieller Markt statt. Deutsche und Schweizer Auswanderer verkaufen Produkte aus ihrer Heimat. Es gibt Sachen wie Fleischkäse, Würste, Essiggurken, Haribo und deutsches Bier. Spanisch wird hier kaum gesprochen. Mehr als ein Markt, ist es ein Treffen unter Ausgewanderten und für uns ein spannendes und zugleich kurioses Erlebnis.

Montagmorgens tuckern wir im Stauverkehr nach Asunción. Wir haben einen Termin bei der Mercedes Garage. Die Nacht verbringen wir im Hinterhof des Westfalia Hotels. Auch Asunción ist geprägt von Gegensätzen. Noble Kolonialbauten, schillernde Einkaufszentren und schicke Restaurants sind nur ein Steinwurf von einfachsten Holzhütten mit Wellblechdächern entfernt. Der herrschaftliche Placio López ist der Regierungssitz. Die Casa de la Independencia mit den gelben Säulen stammt aus dem Jahr 1772. Hier erklärte Paraguay 1811 als erstes Land Südamerikas seine Unabhängigkeit von Spanien.

Die Ruta Trans-Chaco führt von Asunción in nordwestlicher Richtung nach Bolivien. Über hunderte Kilometer fahren wir quer durch den dürren und heissen Gran Chaco Paraguays, entlang Palmensavannen und dornigen Buschwäldern. Auf mehr als der Hälfte der Fläche Paraguays leben hier nur rund drei Prozent der Bevölkerung. Eine abgeschiedene Gegend. Einst Refugium nomadischer Indígenas, reiht sich heute eine Estancia mit riesigen Feldern und Rinderherden an die nächste. Wenigen gehört viel Boden. Andere besitzen gar keinen. Vor den Zäunen der Grossgrundbesitzer hausen die Ureinwohner ohne jeglichen Besitz. Behelfsmässig lebt die indigene Bevölkerung in einfachen Häuschen aus Brettern und Bambusstämmen. Teilweise auch einfach unter Blachen im Gebüsch. Die landlosen campesinos (Kleinbauern) leben von der Hand in den Mund.

Es ist Trockenzeit, wodurch die Strasse befahrbar ist. Winter im Chaco, kaum vorstellbar, wie heiss es im Sommer sein muss. Zu der Hitze zieht hie und da dicker Rauch über die Strasse. In Flammen stehende Viehweiden, die vom Ungeziefer befreit werden sollen. Die meisten Fahrzeuge, die uns entgegen kommen, sind Tiertransporter voller Rinder für den Schlachthof. Was die Ruta Trans-Chaco anspruchsvoll macht, sind die Schlaglöcher, Kühe und Ziegen, denen es auszuweichen gilt.

Die auffälligsten Siedlungen im Zentralen Chaco sind die Mennoniten-Kolonien. Die Kolonien Loma Plata und Filadelfia sind unser nächstes Reiseziel. Mennoniten sind Mitglieder einer protestantischen Wiedertäufer-Gemeinde. Sie glauben an die Erwachsenentaufe, die Trennung von Kirche und Staat und lehnen jegliche Waffengewalt ab. In ihrer rund 500-jährigen Geschichte wurden sie immer wieder vertrieben. Ab den 1920er Jahren wanderten mehrere Gruppen der Freikirchler in den Chaco ein. Paraguay hatte grosses Interesse, den Chaco zu besiedeln. Im Gegenzug wurden den Mennoniten Sonderrechte gewährt, wie Religionsfreiheit, Befreiung vom Militärdienst, eine unabhängige Verwaltung ihrer Gemeinden sowie eine eigene Rechtsprechung und das Recht, Deutsch zu sprechen.

Der Supermarkt der Cooperativa Mennonita ist ein Erlebnis der besonderen Art. Ein Tante-Emma-Laden voller paraguayischer und deutscher Produkte. Blonde und rothaarige Menschen, die Hoch- oder Plattdeutsch sprechen und uns Hellhäutige und Schweizerdeutsch-Sprechende komisch mustern. Wir fühlen uns wie in einer abgekapselten, scheinbar heilen Welt. In der Gemüseabteilung wünscht uns ein junger Mann auf Deutsch ein schönes Wochenende. Wir übernachten auf der nahegelegenen Estancia Iparoma.

Wir fühlen uns in die Grundschule versetzt, als uns Herr Boschmann, ehemaliger Lehrer der Unterstufe von Filadelfia, ausführlich das Museum und die Geschichte seiner Kolonie Fernheim erläutert. Die Kolonie Fernheim wurde 1930 von Flüchtlingen aus der Sowjetunion gegründet, die über einen komplizierten Fluchtweg in den Chaco kamen. Als wir uns verabschieden, lädt Herr Boschmann uns zum morgigen Sonntagsgottesdienst ein. Wir fühlen uns geehrt und schätzen das Angebot. Dennoch lehnen wir danken ab, denn wir wollen morgen früh weiter fahren.

Wir nehmen den Abzweiger zum Fortín Boquerón. Hier fand die Entscheidungsschlacht des Chaco-Krieges von 1932 bis 1935 zwischen Paraguay und Bolivien statt. Die Firma Standard Oil hatte in Bolivien Öl gefunden und suchte einen Weg, dieses an die Küste zu transportieren. Pipelines bis zum Río Paraná war das Ziel. Dummerweise suchte die Firma Shell zur selben Zeit im Chaco nach Öl. Motiviert durch die beiden Öl-Konzerne kam es zum Krieg, den Paraguay gewann. Öl wurde allerdings nie gefunden. Vielmehr als die Kriegsstätte beeindruckt uns die unglaubliche Artenvielfalt an Vögeln. Nebst den Vögeln beheimatet der Chaco Jaguare, Pumas, Tapire, Giftschlangen und eine Wildschweinart, von der man annahm, sie sei während der Eiszeit ausgestorben. Nebst der Tierwelt beeindruckt die Flora. Der Flaschenbaum, dessen riesiger Stamm sich nach aussen wölbt, als wäre er mit Wasser gefüllt, hatte während des Krieges eine besondere Bedeutung. Er diente ausgehöhlt als Tarnung für Scharfschützen. Einer der ausgehöhlten palo-borracho-Baumstämme lebt noch, obwohl er vor über 80 Jahren entkernt wurde.

Es weht ein starker und trockener Wind, als wir uns in Richtung bolivianische Grenze aufmachen. Die Sonne strahlt und bei Aussentemperaturen von knapp 40 Grad gleicht die Fahrerkabine einer Sauna. In Mariscal Estigarribia endet die befestigte Strasse. Eine Weile ist es noch möglich, mit langsamer Slalom-Fahrt den Schlaglöchern auszuweichen. Irgendwann ist die Strasse nur noch ein einziges Schlagloch. Die Überreste des Asphalts werden zu fiesen Auffahr-Inseln. Der Feinstaub des trockenen Lehmbodens wirbelt hoch und kriecht in alle Poren und Ecken. Er klebt an unserer verschwitzen Haut. Nach dem Kreuzen eines entgegenkommenden Fahrzeugs sehen wir eine Weile nichts als eine riesige Staubwolke. Doch irgendwie weckt dieser Weg unsere Reiselust. Wir lachen und drehen die Musik lauter. Wahrscheinlich ist es genau die Härte dieser Gegend, die eine spezielle Faszination auf uns ausübt. Als sich die Sonne dem Horizont entgegen neigt, ist noch keine Ende der Strasse in Sicht. Wir übernachten am Strassenrand. Nach einer ruhigen und sternenklaren Nacht geht das Elefanten-Reiten auf der Buckelpiste weiter. Bald kommen wir nach Bolivien, wo uns ein anderes Südamerika erwartet. Ein Kribbeln im Bauch macht sich bemerkbar, während die Vorfreude steigt.

 

Chiles Norden – von Valparaíso bis San Pedro de Atacama

Nach dem tollen Städtetrip in Viña del Mar und Valparaíso machen wir uns in einsamere Gebiete auf, in den kargen Norden Chiles. Obschon sich die Pazifikküste zu dieser Jahreszeit gerne im Nebel hüllt, geniessen wir die Fahrt auf der geschlängelten Küstenstrasse, den frischen Wind und die Wellen, die sich an den Felsen zerschlagen. Sergio, ein Immobilienmakler aus Santiago, der im Küstenort Amarilla eine Wochenend-Residenz hat, sucht das Gespräch mit uns. Er möchte auch einen Camper, um mit seinen Enkeln zu reisen. Zum Abschied gibt er uns seine Visitenkarte. Falls wir in Chile irgendein Problem haben sollten, dürften wir ihn anrufen. Genau solche Begegnungen und die generell sehr grosse Hilfsbereitschaft der Menschen, die wir hier tagtäglich erleben, tragen dazu bei, dass wir uns in Südamerika noch nie unsicher oder unwohl gefühlt haben. Sollte uns mal was zustossen, so sind wir uns sicher, dass wir hier nicht alleine sind. In Conón geniessen wir einmal mehr ein herzhaftes chilenisches Mittagsmenu. Für knapp sechs Franken werden wir mit einem Drei-Gänger verwöhnt. Nach einer Käse-Empanada und Cheviche (roher Fisch-Salat) wird eine Schale Paila Marina (Muschel-Suppe) und zum Hauptgang der bekannte Merluza-Fisch mit Reis und Kartoffelstock aufgetischt.

In Cachagua soll es auf einem nahe am Ufer gelegenen Felsen eine Kolonie mit Seelöwen und Humboldt-Pinguine geben. Wegen des starken Nebels und weil sich die Tiere zu dieser Jahreszeit vermutlich im Wasser rumtreiben, sehen wir nicht sonderlich viel. Dazu kommt der Wind, eine hohe Welle und Flutsch erwischt es mich kalt. Mit nasser Hose geht es zurück zum Parkplatz. So ein Luxus, haben wir ja den Kleiderkasten immer gleich mit dabei.

Wir gelangen zurück auf die Panamericana Ruta 5. Die Landschaft wird karger, die Bäume und Gebüsche niedriger. Ein paar hundert Kilometer weiter nördlich verlassen wir die Hauptstrasse dann auch schon wieder in Richtung Inland. Der Küstennebel verschwindet und der Himmel lichtet sich. Kleine Kakteen tauchen auf und bald sind die Hügel entlang der Landstrasse mit stachligem Grün verziert.

Das Barometer steigt, umso weiter wir ins Inland gelangen. Als wir im friedlichen Dorf Combarbalá ankommen, ist es herrlich warm. Auf dem grünen Hauptplatz erklingt lateinamerikanische Musik aus dem Radio. Gerne würden wir in Chiles Norden, wo der Himmel so nah scheint, ein Observatorium besuchen. Doch die Sterne stehen schlecht: vor zwei Tagen war Vollmond und am Himmel zieren sich ein paar Schleierwolken. Ein Versuch ist es dennoch Wert. Beim Büro des Observatorio Cruz del Sur freut man sich über unseren Besuch. Wir sollen gegen Sieben nochmals vorbei kommen, dann wird entschieden, ob eine Führung möglich ist. Ein paar Kilometer ausserhalb des Ortes finden wir ein schönes Plätzchen an einem kleinen Stausee, wo wir den Nachmittag in der Wärme und in der stillen Natur geniessen.

Gegen Abend verdichten sich die Wolken und es wird definitiv. Heute findet keine Führung statt, auch für morgen sind die Prognosen nicht besser. Enttäuscht, aber irgendwie auch froh, bald ins Nest hüpfen zu können, fahren wir zurück zu unserem Stellplatz.

006 am Lago Embalse Cogoti

Über die Kakteenhügel gelangen wir zurück an die Pazifikküste, nach La Serena. Eine Stadt, die mit ihren Häusern im Kolonialstil und den gemütlichen Einkaufsgassen einen besonderen Charme ausstrahlt. Wir verbringen den Rest des Tages in dieser Stadt, die uns auf Anhieb gefällt. Auf dem zentralen Markt, dem Mercado La Recova, wird wieder Allerlei angeboten. Geduldig erklären uns die Verkäufer ihren selbstgemachten Schmuck und weiteres Kunsthandwerk. Da wir nicht in den Ferien sondern auf Reisen sind, kaufen wir kaum Souvenirs. Heute lächelt mich aber ein hübscher, kleiner Schlüsselanhänger mit einem Naturstein und einer Musik-Note an. Die Musik ist in Südamerika allgegenwärtig und auch auf unserer Reise ein treuer und wichtiger Begleiter.

Im Museo Arquealógico gibt es nebst archäologischen Funden, eine 2,5 Meter hohe Moai-Statue von der Osterinsel sowie Alltagsgegenstände und Kunstarbeiten der Ureinwohner zu bestaunen. Das kleine Boot aus Seelöwenhaut, mit welchem die Diaguita auf Walfang hinaus auf die hohe See paddelten, beeindruckt uns besonders fest. Als wir das Museum verlassen, entschuldigt sich der Eingangspförtner bei uns. Wegen Umbauarbeiten seien nicht alle Räume geöffnet. Freundlich erklärt er uns, wo wir noch ein anderes, ebenfalls kostenloses Museum in der Stadt fänden. Chilenische Touristenfreundlichkeit, einfach umwerfend!

La Serena wird auch als Oase bezeichnet, denn ab hier fängt die Atacama Wüste an. Wir machen noch einen Abstecher ostwärts, ins Tal Valle del Elqui. Hier im trockenen Klima gedeihen die Reben des hochprozentigen Nationalgetränks, des Pisco’s. Die Landstrasse führt uns in die abgelegenen Dörfer und weit in die Höhe. Im Dörfchen Horcón tauchen wir in die friedvolle Atmosphäre des idyllischen Kunsthandwerksmarktes ein.

Auf dem Weg zurück wollen wir den berühmten Pisco probieren. In der Nähe des Dorfes Pisco Elqui befindet sich die Pisqueria Los Nichos. Die meisten Besucher sprechen Spanisch oder haben eine Dolmetscherin dabei. Wir spitzen unsere Ohren und versuchen so gut es geht, den Erzählungen in rasantem Tempo zu folgen. Auch wenn wir nicht alles verstehen, erleben wir einen Mann, der unsere Gruppe humorvoll und enthusiastisch durch das Kleinunternehmen führt. Wir lernen Los Nichos als einen authentischen Familienbetrieb kennen, der seine Traditionen lebt und pflegt. Seit der Gründung 1868 wird hier von Hand und mit den alten Maschinen purer Pisco gebrannt. Ein Geheimrezept und ein Verkaufsschlager. Nach der Degustation dreierlei Piscos entkommt kaum ein Besucher ohne Mitbringsel. Auch wir können nicht widerstehen.

Am späteren Nachmittag kommen wir in den Genuss eines leckeren Copao (Kaktus-Frucht) und Guayaba-Naranja (Guave-Orange) Saftes. Wer das erste Mal Copao trinkt, hat einen Wunsch zugute. Geht dieser Wunsch in Erfüllung, so kehrt man an den Ort zurück, wo der Saft getrunken wurde – erklärt uns der freundliche Herr am Stand schmunzelnd. Ob wir also nochmals in dieses Tal zurückkehren werden? Wer weiss…

Wir lassen den Tag auf einem der Hügel oberhalb des Oasendorfs Vicuña ausklingen.092 oberhalb VicuñaDie Ruta 5 führt uns durch die steinige Wüste. Vorbei an den erzreichen Hügeln, deren braun-rote Oberfläche von den Kupfer-Minen wie Narben durchzogen sind. Die Nacht verbringen wir an einem Truck-Stopp im Nirgendwo. An diesem Abend tobt und feiert Chile den Fussball-Meistertitel der Copa América. Davon bekommen wir in der Abgeschiedenheit der Atacama Wüste nichts mit.

Ein Öl-Leck an einem Radlager lässt uns eine Mercedes-Garage aufsuchen. In der nächsten Stadt, in Copiapó, werden wir fündig. Es ist Montag, doch die Garage ist geschlossen. Von der netten Dame im Bewachungshäuschen erfahren wir, dass heute ein Feiertag ist. Wir dürfen aber auf dem Platz nebenan stehen und übernachten. Wir nutzen die Gelegenheit, um die Bergbaustadt zu erkunden. Die meisten Geschäfte sind geschlossen und die Strassen nahezu menschenleer. Es wird ein sonniger Tag, den wir im Schatten der uralten Pfefferbäume auf der Plaza und dem Privat-Camping nebst der Garage verbringen.

Um halb Neun anderntags beginnt der Geschäftsbetrieb und Rudolph darf zur Reparatur. Derweil erkundigen wir uns beim Touristenbüro wegen der Andenüberquerung. Von Copiapó ostwärts könnte man über den landschaftlich wunderschönen Paso San Francisco nach Argentinien reisen. Wir erfahren, dass der Pass wegen Schnee und Wind aber momentan geschlossen ist und beschliessen einen Pass weiter nördlich zu nehmen. Bei der Garage verläuft alles einwandfrei und wir dürfen Rudolph abends wieder in Empfang nehmen.004 MB Garage CopiapóEine sandige Strasse führt uns weiter durch die trockenste Gegend der Welt. Tatsächlich ist es heiss und trocken, jetzt im Winter aber ganz angenehm.051Wir nehmen den Abzweiger zur Mina San José. 121 Jahre wurde in dieser Mine Gold und Kupfer gewonnen, bis es am Nachmittag des 5. August 2010 zum Einsturz kam, der 33 Minenarbeiter rund 700 Meter unter der Erde begrub. An der Rettungsaktion der „Los 33“ waren internationale Tiefbohr-Teams und die NASA beteiligt. Rund eine Milliarde Menschen verfolgten das „Life-Finale“ am 13. Oktober 2010, als der letzte der Männer wohlauf das Tageslicht erblickte. Offizielle Führungen finden donnerstags bis sonntags statt. Heute ist Mittwoch. Wir dürfen dennoch rein und die Anlage auf eigene Faust erkunden. Aus dem Minenschacht kommt kühle Luft. Wir stellen uns vor, wie die Angehörigen an diesem Ort so viele Tage warteten, bangten, beteten und hofften. Heute erzählen die Maria-Statue und verblasste Fotos mit chilenischen Fähnchen von der Geschichte. Zudem steht die Kapsel, Cápsula Fénix, mit der die Männer gerettet wurden, noch auf dem Platz.

Im Küstenort Bahía Inglesa spazieren wir entlang des weissen Strandes und bewundern das klare, türkisfarbene Wasser. Im Sommer geht es in diesem beliebten Badeort vermutlich hektisch zu und her. Heute haben wir den Strand fast für uns alleine.

Als wir später am Playa las Pocitas ein hübsches Fleckchen an der Felsküste finden, hüpft Thomas freudig aus dem Auto. Das Kind ist erweckt und er inmitten der grossen Muscheln und unzähligen Seeigeln im Paradies angekommen. Wir beobachten die vielen Vögel und geniessen das Meeresrauschen, den Sonnenuntergang, ja einfach jeden Augenblick.

Wir fahren in das Dorf Chañaral. Letztes Jahr wurden in der Gegend zahlreiche Strassen wegen starken Regens davon gespült. Beim Touri-Info sagt man uns, dass die Strasse durch den Parque Nacional Pan de Azúcar durchgehend befahrbar sei. Der Küste entlang tuckern wir in diesen tollen Park. Immer wieder halten wir an, um die Kakteen, das Meer, die Pelikane und Geier zu bewundern. Dann kommt eine Strassensperre. Der Weg, der noch einige Kilometer bis zum Nordeingang führen würde, gibt es wegen den Überschwemmungen doch nicht mehr. Also rechtsumkehrt zurück nach Chañaral. Auf dem Rückweg gibt es noch ein Picknick am Meer. Nebst uns parkiert ein junges Paar aus Australien mit einem gemieteten Minivan. Noch wissen wir nicht, dass wir den Beiden in den nächsten Tagen immer wieder per Zufall begegnen werden.

Der grosse Norden Chiles beginnt. Eine gradlinige Asphaltstrasse bis zum Horizont, die schier unendliche Wüstenlandschaft, der blaue Himmel und keine Menschenseele. Die nächsten Kilometer sind ein himmlisches Erlebnis, eine Orgie für die Sinne und das Gefühl unendlicher Freiheit und Weite pur!

Die Kolonialbauten im Hafenstädtchen Taltal stammen aus goldigen Zeiten, lassen aber noch heute ein Wild-West-Feeling aufkommen. Wie auch andere Hafenstädte Nordchiles entstand der Ort infolge der Entdeckung von Erz- und Kupfer-Vorkommen. Taltal wurde 1859 gegründet. Im Museum knarrt der alte Holzboden des ehemaligen Hafenamtes unter unseren Füssen. Heute fährt hier keine Eisenbahn mehr und die Menschen leben von kleineren Kupferminen und der Fischerei.

Rund 100 Kilometer weiter nördlich thront auf einem Berg das Paranal-Observatorium. Mit jährlich mehr als 300 Sonnentagen und einer trockenen und ruhigen Luft herrschen hier perfekte Bedingungen zur astronomischen Beobachtung des Südsternhimmels. Wir schlängeln uns hoch auf den Cerro Paranal, wo wir die Nacht vor dem Basislager verbringen dürfen. Unterwegs sind wir ihnen noch zwei weitere Male begegnet und nun stehen sie auch hier auf dem Parkplatz: Freya und Andrew aus Australien. Auf einer Anhöhe bestaunen wir den Sonnenuntergang über dem Wolkenmeer und geniessen einen geselligen Abend.

Jeden Samstag findet eine drei-stündige, kostenlose Führung durch das von der Europäischen Südsternwarte (ESO) betriebene Observatorium statt. Anfang der 90er Jahre wurde der Gipfel des Cerro Paranal von 2660 auf 2635 Meter abgetragen. Nach einem Film der ESO dürfen wir hochfahren, auf das Plateau, wo die Riesen-Teleskope stehen. Wir sind beeindruckt! Das Very Large Telescope (VLT) ist das weltgrösste und höchstentwickelte Teleskop. Es besteht aus vier Einzelteleskopen, dessen immense Spiegel (mit je 8,2 Meter Durchmesser) zu einem Super-Auge zusammengeschaltet werden können. Die vier Hauptteleskope tragen die Namen Antu, Kueyen, Melipal und Yepun, was in der Sprache der Mapuche Sonne, Mond, das Sternbild Kreuz des Südens und die Venus als Abendstern bedeutet. Zudem gibt es noch kleinere, mobile Hilfsteleskope. Das Kontrollzentrum, wo nachts gearbeitet wird, befindet sich unterhalb des Gipfelbereichs. Wir werden durch die Büros geführt und sind erstaunt, dass wir überall Fotos machen dürfen. Zuletzt geht es ins Hotel La Residencia, wo Szenen für den Bond-Film ‚Ein Quantum Trost‘ gedreht wurden.

Bei der weiter nördlich gelegenen Stadt Antofagasta biegen wir nach Osten ins Landesinnere ab. Auf der Strassenkarte ist eine Sehenswürdigkeit eingezeichnet: das Museo del Ferrocarril (Eisenbahnmuseum). Wir nehmen die Ausfahrt nach Baquedano. Das Navi gibt an, dass wir angekommen sind. Weit und breit kein Mensch, keine Tafel, nichts was auf ein Museum schliessen lässt. Nur eine alte Fabrikhalle. Wir gehen durchs Tor und schnell unter den knarrenden Dächern, die alles andere als stabil wirken, durch. Auf dem Innenhof stehen sie dann – die alten Eisenbahnwagen, die einst von Chile nach Bolivien fuhren. Spätestens jetzt kommt Wild-West-Romantik auf.

Wir fahren noch einige Kilometer durch die Wüste, bis wir abends in Calama ankommen. Eine Stadt, die nicht touristisch ist, sondern von der gewaltigen Kupfermine lebt. Im nahen Chuquicamata befindet sich die grösste Tagebaumine der Welt. Heute Sonntag findet keine Führung zur gigantischen Grube statt. Doch rein schon die Schaufeln der Bagger beeindrucken uns.

Von Calama wären es nur noch 100 Kilometer Asphaltstrasse bis nach San Pedro de Atacama. Wir entscheiden uns für die Schotterpiste, welche durchs Hinterland und über die Berge führt. Bevor wir noch mehr in die Höhe steigen, decken wir uns am Sonntagsmarkt in Calama mit Mate de Coca (Coca-Tee) ein. Die Hojas de Coca (Coca-Blätter) bewirken eine verbesserte Sauerstoffaufnahme und sind damit ein gutes Mittel gegen die Höhenkrankheit. Wir kommen ins malerische Oasendorf Chiu Chiu. Die Iglesa de San Francisco de Chiu Chiu, die älteste Kirche Chiles, besteht aus heimischen Materialien, aus einer dicken Adobe-Mauer und aus Cardón (Kaktusholz). Die Decke ist mit Lederriemen anstelle von Nägeln fixiert.

Es ist eine abenteuerliche Fahrt. Wir sind begeistert von der stimmungsvollen Ruta del Desierto! Bei den Baños de Turi verbringen wir die Nacht in der Einsamkeit mit Traumsicht auf die Anden und Vulkane.

 

Anderntags ist es windig und kalt. Dennoch: die Gegend ist einfach wunderschön. Im Oasendorf Caspana wohnen die Menschen in einfachsten Lehmhäusern. Entlang der Strassen weiden Schafe und Vicuñas.

Lass uns versuchen, zu den El Tatio Geysiren auf knapp 4500 Meter zu gelangen. Beim Polizeiposten unterwegs klopfen wir an und erkundigen uns nach dem Zustand der Strasse. Der Weg sei passierbar. Als wir aber oben ankommen, ist die Sicht schlecht und keiner von uns hat Lust in die bissige Kälte auszusteigen. Wir fahren also weiter. Im Tal, auf 2500 Meter, liegt das Wüstendorf San Pedro de Atacma. Wir stellen uns auf den grossen Parkplatz im Dorf. Bei Sonnenuntergang schaffen es doch noch einige Sonnenstrahlen durch die Wolken. Der Kegel des fast 6000 Meter hohen Vulkans Licancábur, der höchste aktive Vulkan Südamerikas, hüllt sich in ein kitschiges Rosa-Orange.

San Pedro ist ein Touristenmagnet. So scheint es auch jetzt, in der Nebensaison, dass die Touristen gegenüber den knapp 5000 Einwohnern in der Überzahl sind. Spektakuläre Landschaften, eine grandiose Stimmung und das Abenteuer machen den Ort so unglaublich toll. Wir sind froh, nicht in der Hochsaison hier zu sein. Heute geht es auf dem Dorfplatz und in den sandigen Gassen ruhig und gemütlich zu und her. Zahlreiche Agenturen bieten Tagesausflüge zu den vielen Sehenswürdigkeiten in der Gegend an. Wie schön, dass wir unser eigener Tourguide sind. Heute wollen wir zu den Flamingos. Wir fahren zum grössten Salzsees Chiles, dem Salar de Atacama. Inmitten der Steinwüste erstreckt sich dieses riesige Feld aus einer harten und rauen Schicht Salz. Darauf befindet sich die Lagune Chaxa, wo sich die Vögel tummeln. Ein zauberhafter Ort!

Inmitten der trockenen Wüstenlandschaft verwandelt der Río Tocanao die Schlucht Quebrada de Jerez in eine fruchtbare Oase. Nebst Steinmalereien und Höhlen, wo einst Lebensmittel kühl gelagert wurden, ist es ein ruhiger Ort, um zu entspannen.

Wir nehmen nochmals einen Anlauf und fahren die knapp 90 Kilometer und 2000 Höhenmeter von San Pedro zu den Geysiren El Tatio. Diesmal erwischen wir einen anderen Weg. Der sandige Pfad führt uns durch die atemberaubende Landschaft und das goldgelbene Andengras glänzt in der Sonne. Die Sechstausender um uns, erscheinen auf dieser Höhe gar nicht mehr so hoch.

Oben angekommen, erwartet uns eine schöne Überraschung: Freya und Andrew sind auch hier. Wir sind die einzigen Besucher, die nicht morgens früh mit dem Touribus hierher kommen. Nach einem gemeinsamen Nachtessen, gibt es eine Bettflasche für alle. Auf über 4000 Meter Höhe sind die Nächte eiskalt. Besonders eine so sternenklare Nacht wie heute. Die Temperatur liegt am nächsten Morgen bei Minus 15 Grad. Im Auto haben wir immerhin „nur“ Minus 5. Das Wasser in der Flasche neben meinem Kopfkissen ist gefroren. Heizen ist nicht möglich, da das Heizsystem das Wasser im Boiler nachts um Drei abgelassen hat. Immerhin das Gas funktioniert noch und so kochen wir uns eine Flasche Mate de Coca und packen den Rucksack mit Frühstück und Badetuch. Bei diesen Temperaturen versulzt auch der Diesel. Das Fahrzeug von Freya und Andrews ist zum Glück ein Benziner. Zu viert fahren wir fröstelnd um Sechs aufs Feld hinaus. Am Fuss des Vulkankraters El Tatio befindet sich eines der höchsten Geothermalgebiete der Welt. Geheimnisvoll sprudelt, zischt und dampft es aus den Geysiren, den heissen Spring-Quellen. Als die Sonne hinter den Felsen empor blickt, erleuchten die Strahlen den aufsteigenden Dampf. Wir können es kaum erwarten, ins warme Thermalwasser zu hüpfen. Das Bad hat aber seine Tücken. Das Wasser im Naturbecken ist kalt und dort, wo frisches Quellwasser reinfliesst, kocht es fast. Also furchtbar heiss oder kalt. Während Freya und ich uns damit begnügen, unsere Füsse und Hände zu erwärmen, zeigen sich die Jungs hartgesotten.

Als alle Touristen vom Platz fahren, stehen nebst der Familie, die hier wohnt, nur noch wir da. Wartend, mit der offenen Motorhaube in Richtung Sonne. Ein kleiner Andenfuchs leistet uns Gesellschaft. Um zwei Uhr sei es am wärmsten, dann fällt die Temperatur wieder, erklärt uns ein Mann, der uns helfen will, den Motor zu starten. Mithilfe des Silikon-Sprays funktioniert es schliesslich und wir kommen gegen Mittag zurück auf den Parkplatz in San Pedro. Durchgefroren und übermüdet geht es in einen Siesta-Schlaf. Währenddessen tauen auch die Wasserleitungen wieder auf.

 

Als wir nachts erwachen, trauen wir unseren Ohren nicht. Regen in der trockensten Wüste der Welt? Tatsächlich, starker Regen! Ein seltenes Phänomen. In Iquique an der Küste hat es zudem schwere Sturmböen gegeben. Der Paso de Jama, über den wir nach Argentinien und dann weiter nach Paraguay wollen, ist wegen Schnee geschlossen. Doch dies hat auch seine schöne Seite. Wir geniessen noch ein letztes chilenisches Mittagsmenu, besuchen das Meteoritenmuseum und der Parkplatz in San Pedro füllt sich immer mehr mit anderen Campern. Wir lernen Nati und Willy aus Buenos Aires, eine Neuseeländische Familie mit ihren vier Kindern, ein Paar aus Quebec, ein Österreicher und eine Familie aus Brasilien kennen.

Und dann ist es soweit, nach drei Tagen ist der Pass wieder geöffnet und uns steht die erste grosse Andenpassüberquerung bevor!